Der Nutri-Score, die farbliche Lebensmittelkennzeichnung, die in vielen europäischen Ländern auf immer mehr Produkten zu finden ist, polarisiert. Während Befürworter in ihm ein einfaches und verständliches Werkzeug sehen, um eine gesündere Ernährung zu fördern, warnen Kritiker vor Vereinfachung und Fehlleitungen. Was steckt wirklich hinter dem Nutri-Score? Ist er tatsächlich ein zuverlässiger Wegweiser für eine ausgewogene Ernährung oder birgt er Fallstricke?
Was ist der Nutri-Score und wie funktioniert er?
Der Nutri-Score ist ein Lebensmittelkennzeichnungssystem, das auf der Vorderseite der Verpackung (Front-of-Pack, FOP) angebracht wird. Er bewertet den Nährwert eines Lebensmittels anhand einer Skala von A (dunkelgrün, die günstigste Wahl) bis E (rot, die ungünstigste Wahl). Die Berechnung basiert auf einem Algorithmus, der sowohl positive als auch negative Nährwerte berücksichtigt.
Positive Aspekte sind beispielsweise:
- Anteil an Obst, Gemüse und Nüssen
- Ballaststoffgehalt
- Proteingehalt
Negative Aspekte sind beispielsweise:
- Energiegehalt (Kalorien)
- Zuckergehalt
- Gesättigte Fettsäuren
- Salzgehalt
Der Algorithmus verrechnet diese Faktoren miteinander und weist dem Lebensmittel einen Punktwert zu. Dieser Punktwert wird dann in den entsprechenden Buchstaben und die Farbe des Nutri-Scores übersetzt.
Die Vorteile des Nutri-Scores: Mehr Transparenz und bewusstere Entscheidungen
Einer der größten Vorteile des Nutri-Scores ist seine Einfachheit und Verständlichkeit. Konsumenten müssen sich nicht durch komplizierte Nährwerttabellen kämpfen, sondern können auf einen Blick erkennen, wie gesund ein Produkt im Vergleich zu anderen seiner Kategorie ist. Dies kann besonders für Menschen hilfreich sein, die sich wenig mit Ernährung auskennen oder wenig Zeit zum Einkaufen haben.
Der Nutri-Score kann zu bewussteren Kaufentscheidungen führen. Er kann Konsumenten dazu anregen, zu Produkten mit einem besseren Nutri-Score zu greifen, beispielsweise zu einem Joghurt mit weniger Zucker oder einem Brot mit mehr Ballaststoffen. Studien haben gezeigt, dass der Nutri-Score tatsächlich zu einer gesünderen Lebensmittelauswahl beitragen kann.
Ein weiterer Vorteil ist, dass der Nutri-Score Hersteller dazu anregen kann, ihre Produkte zu verbessern. Wenn ein Produkt einen ungünstigen Nutri-Score erhält, kann der Hersteller versuchen, die Rezeptur zu optimieren, beispielsweise durch Reduzierung des Zuckergehalts oder Erhöhung des Ballaststoffgehalts, um einen besseren Score zu erzielen. Dies kann langfristig zu einer gesünderen Lebensmittelvielfalt führen.
Die Kritik am Nutri-Score: Vereinfachung und potenzielle Fehlleitungen
Trotz seiner Vorteile steht der Nutri-Score auch in der Kritik. Einer der Hauptkritikpunkte ist die Vereinfachung komplexer Zusammenhänge. Der Nutri-Score reduziert den Nährwert eines Lebensmittels auf eine einzige Kennzahl, was der Komplexität einer ausgewogenen Ernährung nicht gerecht wird.
Der Nutri-Score berücksichtigt nicht alle relevanten Aspekte einer gesunden Ernährung. Beispielsweise werden der Gehalt an Vitaminen, Mineralstoffen oder sekundären Pflanzenstoffen nicht berücksichtigt. Auch die Herkunft und die Verarbeitung von Lebensmitteln spielen keine Rolle. So kann beispielsweise ein hochverarbeitetes Produkt mit einem hohen Zuckergehalt, aber auch einem hohen Ballaststoffgehalt einen besseren Nutri-Score erhalten als ein naturbelassenes Produkt mit einem niedrigeren Zuckergehalt, aber weniger Ballaststoffen.
Ein weiteres Problem ist die Vergleichbarkeit von Produkten innerhalb unterschiedlicher Kategorien. Der Nutri-Score ermöglicht zwar einen Vergleich von Produkten innerhalb derselben Kategorie (z.B. verschiedene Müslisorten), aber er erlaubt keinen direkten Vergleich zwischen verschiedenen Lebensmittelgruppen (z.B. Müsli und Joghurt). Ein Produkt mit einem guten Nutri-Score innerhalb seiner Kategorie muss nicht unbedingt gesünder sein als ein Produkt mit einem schlechteren Score in einer anderen Kategorie.
Es besteht die Gefahr, dass Konsumenten sich ausschließlich auf den Nutri-Score verlassen und andere wichtige Aspekte einer gesunden Ernährung vernachlässigen. Eine ausgewogene Ernährung besteht nicht nur aus dem Verzehr von Produkten mit einem guten Nutri-Score, sondern auch aus der Berücksichtigung von Portionsgrößen, der Vielfalt der Lebensmittel und der individuellen Bedürfnisse.
Beispiele für problematische Bewertungen durch den Nutri-Score
Es gibt einige Beispiele, die die Schwächen des Nutri-Scores verdeutlichen:
- Olivenöl: Obwohl Olivenöl reich an gesunden einfach ungesättigten Fettsäuren ist, erhält es oft nur einen C oder D aufgrund seines hohen Fettgehalts.
- Fettiger Fisch: Lachs oder Hering, die reich an Omega-3-Fettsäuren sind, können ebenfalls schlechter abschneiden als andere, weniger nährstoffreiche Produkte.
- Light-Produkte: Produkte, die durch künstliche Süßstoffe und andere Zusatzstoffe „optimiert” wurden, können einen besseren Nutri-Score erhalten als natürliche Alternativen, obwohl sie möglicherweise nicht gesünder sind.
Der Nutri-Score als Teil einer umfassenden Ernährungsstrategie
Der Nutri-Score sollte nicht als alleiniges Instrument für eine gesunde Ernährung betrachtet werden. Er kann jedoch ein nützliches Hilfsmittel sein, um bewusstere Kaufentscheidungen zu treffen und sich einen ersten Überblick über den Nährwert von Lebensmitteln zu verschaffen. Es ist jedoch wichtig, die Grenzen des Nutri-Scores zu kennen und ihn kritisch zu hinterfragen.
Eine ausgewogene Ernährung sollte auf einer vielfältigen Auswahl an frischen, unverarbeiteten Lebensmitteln basieren. Obst, Gemüse, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen sollten den Großteil der Ernährung ausmachen. Verarbeitete Lebensmittel sollten nur in Maßen konsumiert werden, unabhängig von ihrem Nutri-Score.
Es ist ratsam, sich umfassend über Ernährung zu informieren und sich nicht nur auf den Nutri-Score zu verlassen. Beratungen bei Ernährungsfachkräften können helfen, individuelle Bedürfnisse zu berücksichtigen und einen gesunden Ernährungsplan zu erstellen.
Fazit: Der Nutri-Score – ein hilfreiches Werkzeug mit Verbesserungspotenzial
Der Nutri-Score ist ein interessanter Ansatz, um Konsumenten bei der Auswahl gesünderer Lebensmittel zu unterstützen. Er bietet eine einfache und verständliche Kennzeichnung, die zu bewussteren Kaufentscheidungen anregen kann. Allerdings birgt er auch Risiken durch Vereinfachung und potenzielle Fehlleitungen. Er sollte daher nicht als alleiniges Kriterium für eine gesunde Ernährung betrachtet werden, sondern als Teil einer umfassenden Ernährungsstrategie.
Es ist wichtig, die Grenzen des Nutri-Scores zu kennen und sich umfassend über Ernährung zu informieren. Nur so können Konsumenten informierte und gesunde Entscheidungen treffen.