Für Menschen mit Diabetes ist das tägliche Management ihres Blutzuckerspiegels eine ständige Herausforderung. Ein entscheidender Faktor dabei ist die korrekte Berechnung der Kohlenhydrate in der Nahrung, um die benötigte Insulinmenge anzupassen. Dabei spielen die Broteinheiten (BE) oder Kohlenhydrateinheiten (KE) eine wichtige Rolle. Doch warum sind diese so wichtigen Angaben auf den meisten Lebensmitteln nicht verpflichtend zu finden? Dieser Artikel beleuchtet die Problematik, die potenziellen Gefahren und mögliche Lösungsansätze.
Was sind Broteinheiten (BE) und warum sind sie für Diabetiker so wichtig?
Broteinheiten (BE) sind eine Maßeinheit, die den Kohlenhydratgehalt von Lebensmitteln angibt. Eine BE entspricht in Deutschland traditionell 12 Gramm Kohlenhydraten. In anderen Ländern, wie beispielsweise Österreich und der Schweiz, wird oft der Begriff Kohlenhydrateinheit (KE) verwendet, wobei eine KE in der Regel 10 Gramm Kohlenhydraten entspricht. Diese Einheiten dienen dazu, die Menge an Kohlenhydraten, die ein Mensch mit Diabetes zu sich nimmt, besser einschätzen und darauf basierend die Insulindosis berechnen zu können. Eine genaue Berechnung ist entscheidend, um Hyperglykämien (Überzuckerung) oder Hypoglykämien (Unterzuckerung) zu vermeiden.
Eine genaue Einschätzung der Kohlenhydratmenge ermöglicht es Diabetikern:
- Die benötigte Insulindosis präzise zu berechnen.
- Den Blutzuckerspiegel im Zielbereich zu halten.
- Die Lebensqualität zu verbessern, indem sie flexibler bei der Lebensmittelauswahl sind.
- Akute und langfristige Komplikationen von Diabetes zu vermeiden.
Das Problem: Fehlende BE-Angaben auf Lebensmitteln
Trotz ihrer Bedeutung sind BE-Angaben auf den meisten verpackten Lebensmitteln in Deutschland und vielen anderen Ländern nicht verpflichtend. Zwar müssen Hersteller den gesamten Kohlenhydratgehalt pro 100 Gramm angeben, aber die Umrechnung in BE obliegt dem Konsumenten. Dies stellt insbesondere für neu diagnostizierte Diabetiker, ältere Menschen oder Personen mit eingeschränkten Rechenfähigkeiten eine erhebliche Hürde dar.
Die Konsequenzen fehlender BE-Angaben können vielfältig sein:
- Fehlkalkulationen: Diabetiker unterschätzen oder überschätzen den Kohlenhydratgehalt, was zu Blutzuckerschwankungen führt.
- Erhöhter Zeitaufwand: Betroffene müssen mühsam Nährwerttabellen studieren und umrechnen.
- Unsicherheit und Angst: Die ständige Sorge, den Blutzucker nicht im Griff zu haben, kann zu psychischem Stress führen.
- Eingeschränkte Lebensqualität: Spontaneität beim Essen ist kaum möglich, da jede Mahlzeit sorgfältig geplant und berechnet werden muss.
Warum sind BE-Angaben nicht verpflichtend? Die Gründe
Es gibt verschiedene Gründe, warum BE-Angaben bisher nicht verpflichtend auf Lebensmitteln angebracht sind:
- EU-Recht: Die europäische Gesetzgebung schreibt die Angabe von Kohlenhydraten vor, lässt aber die spezifische Angabe von BE oder KE den nationalen Gesetzgebern über.
- Kosten für Hersteller: Die verpflichtende Angabe von BE würde für Lebensmittelhersteller zusätzlichen Aufwand und Kosten bedeuten, beispielsweise für die Anpassung von Etiketten.
- Lobbyarbeit: Die Lebensmittelindustrie hat möglicherweise Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen auf den Absatz bestimmter Produkte, wenn der hohe Kohlenhydratgehalt direkt auf der Verpackung hervorgehoben wird.
- Verwirrungspotenzial: Es wird argumentiert, dass die Angabe von BE zusätzlich zu den bereits vorhandenen Nährwertangaben Verbraucher verwirren könnte.
- Alternative Hilfsmittel: Es gibt Apps und Tabellen, die bei der Berechnung helfen. Einige argumentieren, dass diese ausreichend seien.
Was sind die Alternativen und wie hilfreich sind sie?
Obwohl BE-Angaben auf Lebensmitteln fehlen, gibt es alternative Hilfsmittel für Diabetiker:
- Nährwerttabellen: Viele Menschen mit Diabetes lernen, Nährwerttabellen zu lesen und den Kohlenhydratgehalt selbst in BE umzurechnen.
- Apps und Online-Rechner: Es gibt zahlreiche Apps und Online-Rechner, die bei der Umrechnung von Kohlenhydraten in BE helfen. Diese sind oft benutzerfreundlich und bieten eine große Datenbank an Lebensmitteln.
- Schulungen: In Diabetikerschulungen lernen Betroffene, wie sie Kohlenhydrate schätzen und ihre Insulindosis anpassen können.
- Ernährungsberatung: Eine individuelle Ernährungsberatung kann helfen, einen persönlichen Ernährungsplan zu erstellen und den Umgang mit BE zu erlernen.
- Fertiggerichte mit BE-Angaben: Einige Hersteller bieten spezielle Produkte für Diabetiker an, die bereits mit BE-Angaben versehen sind.
Diese Alternativen sind zwar hilfreich, aber sie sind nicht für jeden zugänglich oder ausreichend. Nährwerttabellen erfordern Rechenfertigkeiten und Zeit. Apps sind nicht für jeden intuitiv oder erschwinglich. Schulungen und Beratungen sind kostenpflichtig und erfordern Engagement.
Die Forderung: Mehr Transparenz durch verpflichtende BE-Angaben
Viele Diabetikerverbände und Experten fordern seit Jahren eine verpflichtende Kennzeichnung von Lebensmitteln mit BE-Angaben. Dies würde die Lebensqualität von Menschen mit Diabetes erheblich verbessern und ihnen helfen, ihre Gesundheit besser zu managen. Eine klare und verständliche Kennzeichnung würde:
- Die Selbstständigkeit von Diabetikern fördern.
- Die Fehlerrate bei der Insulindosierung reduzieren.
- Die Gesundheit der Betroffenen verbessern.
- Das Bewusstsein für gesunde Ernährung in der Bevölkerung stärken.
Was können wir tun?
Auch wenn die Einführung verpflichtender BE-Angaben ein politischer Prozess ist, gibt es Möglichkeiten, wie wir als Gesellschaft und Einzelpersonen dazu beitragen können, die Situation für Diabetiker zu verbessern:
- Aufklärung: Informieren Sie sich und andere über die Bedeutung von BE für Diabetiker.
- Unterstützung von Diabetikerverbänden: Engagieren Sie sich in Diabetikerverbänden, die sich für eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln einsetzen.
- Petitionen und Kampagnen: Unterschreiben Sie Petitionen und unterstützen Sie Kampagnen, die sich für die Einführung von BE-Angaben stark machen.
- Druck auf die Politik: Schreiben Sie an Politiker und fordern Sie eine Änderung der Gesetzgebung.
- Hersteller kontaktieren: Schreiben Sie an Lebensmittelhersteller und bitten Sie sie, freiwillig BE-Angaben auf ihren Produkten anzubringen.
Fazit: Eine Frage der Verantwortung
Die fehlende Kennzeichnung von Lebensmitteln mit BE-Angaben stellt eine unnötige Belastung für Menschen mit Diabetes dar. Es ist an der Zeit, dass Politik und Lebensmittelindustrie Verantwortung übernehmen und die Lebensqualität von Millionen Betroffenen verbessern. Eine verpflichtende Kennzeichnung wäre ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz und Selbstbestimmung für Diabetiker. Die Gesundheit und das Wohlbefinden dieser Menschen sollten Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen haben.
Indem wir uns für eine klare und verständliche Kennzeichnung einsetzen, können wir einen wichtigen Beitrag zu einer gerechteren und gesünderen Gesellschaft leisten. Die Information über den Kohlenhydratgehalt in Broteinheiten (BE) sollte genauso selbstverständlich sein, wie die Angabe von Kalorien oder Fett.