Der Weg der Recovery, sei es von einer Essstörung, einer Sucht oder einer anderen psychischen Belastung, ist oft ein Marathon, kein Sprint. Es ist ein Prozess des Heilens, des Lernens und des Wachsens. Und mitten in diesem Prozess steht eine Frage, die viele beschäftigt: Dürfen wir uns überhaupt etwas gönnen? Dürfen wir Genuss erleben, insbesondere in Form von vermeintlich „verbotenen” Lebensmitteln wie Kuchen, süßen Aufstrichen und Co.? Die Antwort ist ein klares und emphatisches JA – und wir erklären dir, warum.
Die Dämonisierung von Lebensmitteln: Ein Teufelskreis
In vielen Kulturen, insbesondere in Bezug auf Diäten und vermeintliche „gesunde” Ernährung, werden bestimmte Lebensmittel als „schlecht” oder „verboten” abgestempelt. Zucker, Fett, Kohlenhydrate – sie alle haben ihren Platz auf der schwarzen Liste. Diese Dämonisierung von Lebensmitteln kann jedoch fatale Folgen haben, besonders für Menschen in der Recovery.
Wenn wir uns ständig verbieten, bestimmte Dinge zu essen, erzeugen wir eine enorme Sehnsucht und ein Gefühl des Mangels. Dieses Gefühl kann zu Kontrollverlust, Heißhungerattacken und einem schlechten Gewissen führen. Anstatt ein gesundes Verhältnis zum Essen zu entwickeln, verstärken wir die negative Beziehung und den Kreislauf aus Verzicht und Überessen. Für Menschen mit Essstörungen kann dies eine massive Rückfallgefahr bedeuten.
Genuss als Teil der Selbstfürsorge
Genuss ist ein fundamentaler Bestandteil des menschlichen Lebens. Es geht darum, Freude an den kleinen Dingen zu finden, sich selbst etwas Gutes zu tun und die Sinne zu verwöhnen. In der Recovery ist Genuss nicht nur erlaubt, sondern sogar aktiv zu fördern. Es ist ein wichtiger Baustein der Selbstfürsorge und ein Zeichen, dass wir uns selbst wertschätzen.
Ein Stück Kuchen kann mehr sein als nur eine Ansammlung von Kalorien. Es kann ein Moment der Entspannung, der Freude und der Verbindung mit positiven Erinnerungen sein. Ein Löffel süßer Aufstrich auf dem Brot kann den Morgen versüßen und uns Energie für den Tag geben. Es geht darum, Lebensmittel nicht nur als reine Brennstoffquelle zu sehen, sondern auch als Quelle des emotionalen Wohlbefindens.
Intuitive Ernährung: Auf den Körper hören
Ein wichtiger Ansatz in der Recovery ist die intuitive Ernährung. Diese Philosophie basiert auf dem Prinzip, auf die eigenen Körpersignale zu hören – Hunger, Sättigung, Gelüste – und ihnen ohne Wertung zu folgen. Es geht darum, zu lernen, zwischen emotionalem und physiologischem Hunger zu unterscheiden und die eigenen Bedürfnisse zu respektieren.
Wenn wir uns erlauben, das zu essen, worauf wir wirklich Lust haben, ohne schlechtes Gewissen, können wir ein entspannteres Verhältnis zum Essen entwickeln. Wir lernen, unserem Körper zu vertrauen und auf seine Bedürfnisse einzugehen. Das bedeutet nicht, dass wir uns nur noch von Kuchen und süßen Aufstrichen ernähren sollen. Es bedeutet vielmehr, dass wir uns diese Dinge erlauben dürfen, wenn wir wirklich Lust darauf haben, und sie ohne Schuldgefühle genießen können.
Die Rolle von Achtsamkeit
Achtsamkeit spielt eine entscheidende Rolle beim bewussten Genießen. Es geht darum, im Moment präsent zu sein, die Aromen, die Texturen und die Konsistenz der Lebensmittel bewusst wahrzunehmen und jeden Bissen wertzuschätzen. Wenn wir achtsam essen, können wir uns besser auf unsere Körpersignale konzentrieren und leichter erkennen, wann wir satt sind.
Anstatt den Kuchen nebenbei vor dem Fernseher zu verschlingen, nehmen wir uns einen Moment Zeit, um ihn bewusst zu genießen. Wir riechen daran, betrachten ihn, schmecken jeden Bissen und spüren, wie er uns guttut. Durch diese achtsame Erfahrung können wir den Genuss intensiver erleben und gleichzeitig ein besseres Gefühl für unsere Bedürfnisse entwickeln.
Umgang mit Schuldgefühlen
Schuldgefühle sind ein häufiges Begleitphänomen in der Recovery, besonders wenn es um „verbotene” Lebensmittel geht. Es ist wichtig zu verstehen, dass diese Gefühle normal sind und dass sie nicht die Wahrheit widerspiegeln. Wir müssen lernen, sie zu akzeptieren und zu hinterfragen.
Anstatt uns für den Kuchen zu verurteilen, können wir uns fragen: „Warum habe ich diesen Kuchen gegessen? Hat er mir geschmeckt? Hat er mir gutgetan? Was kann ich daraus lernen?” Indem wir uns selbst mitfühlend begegnen und uns erlauben, Fehler zu machen, können wir die Schuldgefühle reduzieren und ein positives Selbstbild entwickeln.
Die Bedeutung von Balance und Vielfalt
Genuss in der Recovery bedeutet nicht, sich ausschließlich auf Kuchen und süße Aufstriche zu konzentrieren. Es geht um Balance und Vielfalt. Eine ausgewogene Ernährung mit viel Obst, Gemüse, Vollkornprodukten und magerem Eiweiß ist wichtig für unsere körperliche und geistige Gesundheit. Aber es ist genauso wichtig, sich ab und zu etwas zu gönnen, das uns Freude bereitet.
Indem wir uns erlauben, alle Arten von Lebensmitteln zu essen, ohne sie zu verteufeln, können wir ein entspannteres und nachhaltigeres Verhältnis zum Essen entwickeln. Wir lernen, dass es nicht um Perfektion geht, sondern um ein gesundes Gleichgewicht zwischen Genuss und gesunder Ernährung.
Professionelle Unterstützung suchen
Die Recovery ist ein individueller Prozess, der für jeden Menschen anders aussieht. Es ist wichtig, sich professionelle Unterstützung zu suchen, wenn man Schwierigkeiten hat, ein gesundes Verhältnis zum Essen zu entwickeln oder mit Schuldgefühlen und Ängsten zu kämpfen hat. Ein Therapeut oder Ernährungsberater kann helfen, individuelle Strategien zu entwickeln und den Weg der Recovery zu begleiten.
Die Integration von Genuss in die Recovery ist ein wichtiger Schritt zur Heilung und zum Aufbau eines gesunden Selbstwertgefühls. Es ist ein Zeichen, dass wir uns selbst lieben und wertschätzen und dass wir bereit sind, uns das Leben in vollen Zügen zu erlauben. Also, gönn dir ruhig mal ein Stück Kuchen – du hast es verdient!