Der Gedanke an die Weinlese lässt die Herzen von Winzern höherschlagen. Nach monatelanger harter Arbeit im Weinberg, unzähligen Sonnenstunden und sorgfältiger Pflege der Reben, ist der Moment der Ernte endlich gekommen. Doch die Freude kann schnell getrübt werden, wenn man sich mit dem unvermeidlichen Verlust bei der Maischegärung auseinandersetzen muss. Geht tatsächlich die Hälfte der wertvollen Traubenmasse verloren? Und wenn ja, warum ist das so und was kann man dagegen tun?
Der Mythos der 50% Verlustrate
Die Zahl von 50% Verlust bei der Maischegärung geistert seit Generationen durch die Weinwelt. Sie scheint in den Köpfen vieler Winzer fest verankert zu sein. Doch woher kommt diese Zahl eigentlich? Und stimmt sie wirklich? Die Antwort ist, wie so oft: Es kommt darauf an. Die 50% sind eher eine grobe Faustregel, ein Worst-Case-Szenario, das in der Realität nicht immer zutrifft. Der tatsächliche Verlust hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die wir uns im Folgenden genauer ansehen werden.
Die Ursachen des Verlustes bei der Maischegärung
Um zu verstehen, warum es überhaupt zu Verlusten bei der Maischegärung kommt, muss man sich den Prozess selbst genauer ansehen. Im Wesentlichen geht es darum, den Zucker in den Trauben in Alkohol und Kohlendioxid umzuwandeln. Dieser Prozess wird von Hefen durchgeführt, die natürlicherweise auf den Trauben vorkommen oder zugesetzt werden. Dabei entstehen jedoch auch Nebenprodukte und es kommt zu Volumenveränderungen.
- Vergärung von Zucker zu Alkohol und CO2: Der Zuckergehalt in den Trauben ist die Grundlage für den späteren Alkoholgehalt des Weins. Bei der Vergärung wandeln die Hefen den Zucker (hauptsächlich Glucose und Fructose) in Ethanol (Alkohol) und Kohlendioxid (CO2) um. Das CO2 entweicht in die Atmosphäre, was bereits einen deutlichen Volumenverlust bedeutet.
- Verdunstung: Während der Gärung entsteht Wärme. Diese Wärme führt zu Verdunstung von Wasser und Alkohol, was den Gesamtverlust weiter erhöht. Die Höhe der Verdunstung hängt von der Gärungstemperatur, der Luftfeuchtigkeit und der Belüftung ab.
- Trub und Geläger: Nach der Gärung setzt sich der sogenannte Trub am Boden des Gärbehälters ab. Dieser besteht aus abgestorbenen Hefezellen, Schalenresten, Kernen und anderen festen Bestandteilen. Der Trub macht einen nicht unerheblichen Teil des ursprünglichen Volumens aus und muss vom Wein getrennt werden. Beim Abstich des Weins vom Trub verbleibt ein gewisser Rest im Behälter, der verloren geht. Das sogenannte Geläger, das sich bei der Lagerung bildet, trägt ebenfalls zu Verlusten bei.
- Verluste durch Manipulationen: Bei der Weinbereitung sind verschiedene Arbeitsschritte notwendig, wie z.B. Umfüllen, Filtrieren und Klären. Bei all diesen Schritten kommt es zu Verlusten durch Verschüttung, Anhaftung an Geräten und Filtern sowie durch Entfernung von unerwünschten Stoffen.
- Volumenreduktion durch Kühlung: Nach der Gärung wird der Wein oft gekühlt, um die Stabilität zu erhöhen und die Entwicklung zu verlangsamen. Durch die Kühlung zieht sich das Volumen des Weins zusammen, was zu einer scheinbaren Verlustzunahme führt.
Faktoren, die den Verlust beeinflussen
Wie bereits erwähnt, ist der tatsächliche Verlust bei der Maischegärung von einer Reihe von Faktoren abhängig. Einige der wichtigsten sind:
- Rebsorte: Unterschiedliche Rebsorten haben unterschiedliche Zuckergehalte und Säurestrukturen. Sorten mit höherem Zuckergehalt führen zu einem höheren Alkoholgehalt und somit zu einem höheren CO2-Ausstoß und potenziell höheren Verlusten.
- Qualität des Leseguts: Beschädigte oder faule Trauben erhöhen das Risiko von unerwünschten Gärungen und führen zu einem höheren Anteil an Trub. Sorgfältige Handlese und Selektion sind daher entscheidend.
- Gärführung: Die Art der Gärung (z.B. Spontangärung vs. Reinzuchthefe), die Gärungstemperatur und die Belüftung haben einen großen Einfluss auf den Verlauf der Gärung und die resultierenden Verluste.
- Behälter: Die Art des Gärbehälters (z.B. Edelstahltank, Holzfass, Amphore) beeinflusst die Verdunstung und die Sauerstoffzufuhr.
- Kellertechnik: Moderne Kellertechnik ermöglicht eine präzisere Steuerung der Gärung und minimiert Verluste durch Verdunstung und Manipulationen.
- Weinbereitungsstil: Der gewählte Weinbereitungsstil (z.B. Rotwein vs. Weißwein, Naturwein vs. konventioneller Wein) hat einen Einfluss auf die Anzahl und Art der durchgeführten Manipulationen und somit auf die Verluste.
Strategien zur Minimierung von Verlusten
Obwohl ein gewisser Verlust bei der Maischegärung unvermeidlich ist, gibt es eine Reihe von Strategien, mit denen Winzer diesen minimieren können:
- Sorgfältige Weinbergsarbeit: Gesunde, reife Trauben sind die beste Voraussetzung für eine erfolgreiche Gärung und geringe Verluste. Dazu gehören eine ausgewogene Nährstoffversorgung, ein optimaler Blattschutz und eine rechtzeitige Ernte.
- Selektive Handlese: Die Entfernung von beschädigten oder faulen Trauben vor der Gärung reduziert das Risiko von unerwünschten Aromen und erhöht die Qualität des Weins.
- Optimale Gärführung: Die Wahl der geeigneten Hefe, die Kontrolle der Gärungstemperatur und die Vermeidung von übermäßiger Belüftung tragen zu einer sauberen und effizienten Gärung bei.
- Geeignete Gärbehälter: Die Auswahl des richtigen Gärbehälters, abhängig von der Rebsorte und dem gewünschten Weintyp, kann die Verdunstung und Sauerstoffzufuhr minimieren.
- Schonende Kellertechnik: Der Einsatz moderner Kellertechnik ermöglicht eine präzisere Steuerung der Prozesse und reduziert Verluste durch Manipulationen.
- Gezielter Einsatz von Schönungsmitteln: Der Einsatz von Schönungsmitteln kann den Trub reduzieren und die Klärung des Weins beschleunigen, wodurch Verluste minimiert werden.
- Sorgfältiger Abstich und Filtration: Ein sorgfältiger Abstich vom Trub und eine schonende Filtration tragen dazu bei, unnötige Verluste zu vermeiden.
Fazit: 50% Verlust sind nicht die Regel
Die pauschale Aussage, dass man bei der Wein-Maischegärung immer mit 50% Verlust rechnen muss, ist schlichtweg falsch. Der tatsächliche Verlust hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab und kann durch sorgfältige Weinbergsarbeit, optimale Gärführung und den Einsatz moderner Kellertechnik deutlich reduziert werden. Moderne Winzer, die diese Faktoren berücksichtigen, können den Verlust oft auf unter 20% senken. Der Winzer-Albtraum von 50% Verlust muss also nicht Realität werden. Durch Wissen, Sorgfalt und moderne Technik kann der Winzer den Verlust deutlich minimieren und somit einen höheren Ertrag und eine bessere Qualität seines Weins erzielen.