Wenn der Lohn nicht reicht: Wann du als Aufstocker mit einem Teilzeitjob Anspruch auf Hilfe hast

Die Realität vieler Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland ist hart: Obwohl sie fleißig arbeiten, reicht ihr Einkommen oft kaum oder gar nicht zum Leben. Besonders betroffen sind Menschen in Teilzeitjobs, deren geringer Lohn sie trotz harter Arbeit in finanzielle Engpässe treibt. Doch niemand muss in Armut leben, nur weil das Gehalt nicht ausreicht. Der deutsche Sozialstaat bietet hier eine wichtige Auffangfunktion: die sogenannte Aufstockung. Aber wann genau hast du als Teilzeitbeschäftigter Anspruch auf diese Hilfe? Dieser umfassende Artikel klärt auf und nimmt dir die Unsicherheit.

Was bedeutet „Aufstocker” eigentlich?

Der Begriff „Aufstocker” hat sich im allgemeinen Sprachgebrauch etabliert und beschreibt Personen, die trotz einer Erwerbstätigkeit – oft in Teilzeit – ein so geringes Einkommen erzielen, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht vollständig decken können und deshalb auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Ziel dieser Unterstützung ist es, das Einkommen bis zum soziokulturellen Existenzminimum aufzustocken. Es ist wichtig zu betonen, dass Aufstocken nichts mit Faulheit zu tun hat, sondern vielmehr eine Brücke sein soll, um Menschen im Arbeitsmarkt zu halten und ihnen gleichzeitig ein würdiges Leben zu ermöglichen.

Gerade in Branchen mit niedrigen Löhnen oder bei eingeschränkter Verfügbarkeit von Vollzeitstellen ist das Aufstocken für viele Menschen eine Notwendigkeit. Es betrifft nicht nur Geringqualifizierte, sondern zunehmend auch Menschen mit Ausbildung oder Studium, die aus verschiedenen Gründen (z.B. Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, gesundheitliche Einschränkungen) nur in Teilzeit arbeiten können oder nur solche Stellen finden.

Wann habe ich als Teilzeitbeschäftigter Anspruch auf Unterstützung? Die Grundlagen

Die primäre Sozialleistung, die Aufstockern in Deutschland zur Verfügung steht, ist das Bürgergeld (ehemals Arbeitslosengeld II bzw. Hartz IV). Es ist eine Grundsicherungsleistung für erwerbsfähige Leistungsberechtigte. Dein Anspruch hängt im Wesentlichen von drei Faktoren ab: deinem Bedarf, deinem Einkommen und deinem Vermögen.

1. Die Bedarfsermittlung: Was dir zusteht

Bevor das Jobcenter prüfen kann, ob du etwas aufgestockt bekommst, muss dein individueller Bedarf ermittelt werden. Dieser setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen:

• Regelbedarf: Dies ist ein pauschaler Betrag, der die Kosten für Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Strom und Wasser (ohne Heizung), Freizeit, Kultur und Kommunikation abdecken soll. Die Höhe des Regelbedarfs wird jährlich angepasst und variiert je nach Lebenssituation (Alleinstehend, in Partnerschaft lebend, Kinder). Im Jahr 2024 beträgt der Regelbedarf für einen Alleinstehenden beispielsweise 563 Euro.
• Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU): Dies sind die tatsächlichen Kosten für deine Miete (Kaltmiete plus Nebenkosten wie Wasser, Müll etc.) und Heizung. Diese werden in der Regel in voller Höhe übernommen, sofern sie „angemessen” sind. Die Angemessenheit wird vom Jobcenter anhand lokaler Mietspiegel und Vergleichsmieten geprüft.
• Mehrbedarfe: In bestimmten Lebenssituationen gibt es zusätzlich zum Regelbedarf spezielle Mehrbedarfe, z.B. für Alleinerziehende (abhängig vom Alter und der Anzahl der Kinder), für Schwangere ab der 13. Schwangerschaftswoche, für Menschen mit Behinderung, die einen Schwerbehindertenausweis besitzen, oder für kostenaufwändige Ernährung bei bestimmten Krankheiten.
• Bedarfe für Bildung und Teilhabe (BuT): Für Kinder und Jugendliche gibt es zusätzliche Leistungen, z.B. für Klassenfahrten, Schulbedarf, Nachhilfe, Mittagessen in der Schule/Kita oder Mitgliedsbeiträge für Sportvereine.

Die Summe dieser Komponenten ergibt deinen Gesamtbedarf. Nur wenn dein eigenes Einkommen diesen Gesamtbedarf nicht deckt, hast du potenziell Anspruch auf Hilfe.

2. Die Einkommensanrechnung: Was vom Lohn übrig bleibt

Dein erzieltes Erwerbseinkommen wird auf deinen Bedarf angerechnet. Aber nicht jeder verdiente Euro wird komplett abgezogen. Es gibt Freibeträge, die dir den Anreiz geben sollen, einer Arbeit nachzugehen:

• Grundfreibetrag: Von deinem Bruttoeinkommen werden pauschal 100 Euro als Grundfreibetrag nicht angerechnet. Dies soll Kosten wie Fahrten zur Arbeit, Arbeitsmaterialien etc. abdecken. Wenn deine tatsächlichen Kosten höher sind, können diese unter Umständen auch anerkannt werden.
• Erwerbstätigenfreibetrag: Über die ersten 100 Euro hinaus gibt es weitere Freibeträge. Von dem Bruttoeinkommen zwischen 100 und 1.000 Euro werden 20% nicht angerechnet. Von dem Bruttoeinkommen zwischen 1.000 und 1.200 Euro (bei Haushalten mit mindestens einem minderjährigen Kind bis 1.500 Euro) werden weitere 10% nicht angerechnet.
• Absetzbeträge: Bestimmte Ausgaben können vom Einkommen abgezogen werden, bevor es angerechnet wird. Dazu gehören Steuern, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung (Kranken-, Pflege-, Renten-, Arbeitslosenversicherung) und bestimmte Beiträge für eine Riester-Rente oder eine private Altersvorsorge.

Es ist dieser verbleibende Rest deines Nettoeinkommens (nach Abzug aller Freibeträge und Absetzbeträge), der mit deinem Gesamtbedarf verglichen wird. Wenn dein bereinigtes Einkommen niedriger ist als dein Bedarf, erhältst du die Differenz als Bürgergeld.

3. Die Vermögensprüfung: Was du besitzen darfst

Auch dein Vermögen spielt eine Rolle, allerdings gibt es hier großzügige Freigrenzen, die im Rahmen der Bürgergeld-Reform deutlich erhöht wurden:

• Schonvermögen: Für die erste Person in der Bedarfsgemeinschaft beträgt das Schonvermögen 40.000 Euro. Für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft erhöht sich dieser Betrag um 15.000 Euro. Das bedeutet, dass du als Alleinstehender bis zu 40.000 Euro auf dem Konto oder in anderen verwertbaren Vermögenswerten haben darfst, ohne dass es angerechnet wird.
• Altersvorsorge: Altersvorsorgevermögen, das nicht vor Rentenbeginn verwertbar ist (z.B. Riester-Verträge, betriebliche Altersvorsorge), wird nicht als verwertbares Vermögen berücksichtigt.
• Angemessener Hausrat und Auto: Ein selbstgenutztes, angemessenes Kraftfahrzeug (unabhängig vom Wert, solange es nicht „unangemessen luxuriös” ist) sowie der übliche Hausrat werden nicht als Vermögen angerechnet. Auch ein selbstbewohntes Eigenheim/Eigentumswohnung von angemessener Größe ist geschützt.

Erst wenn dein verwertbares Vermögen die gesetzlichen Schonbeträge übersteigt, musst du es vorrangig für deinen Lebensunterhalt einsetzen, bevor du Anspruch auf Bürgergeld hast.

4. Die Bedarfsgemeinschaft: Wer gehört dazu?

Das Jobcenter prüft nicht nur deine individuelle Situation, sondern die der gesamten Bedarfsgemeinschaft. Eine Bedarfsgemeinschaft besteht aus:

• Dir als erwerbsfähige leistungsberechtigte Person.
• Deinem Partner/Deiner Partnerin (Ehepartner, eingetragener Lebenspartner, Person in eheähnlicher Gemeinschaft).
• Den im Haushalt lebenden unverheirateten Kindern unter 25 Jahren, sofern sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen decken können.

Das Einkommen und Vermögen aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft wird bei der Bedarfsermittlung berücksichtigt. Dies kann dazu führen, dass du trotz geringen Einkommens keinen Anspruch hast, wenn dein Partner oder deine Kinder über ausreichend Einkommen oder Vermögen verfügen.

Der Weg zum Antrag: Schritt für Schritt zum Bürgergeld

Wenn du vermutest, dass dein Lohn nicht reicht und du Anspruch auf aufstockende Leistungen hast, ist der erste Schritt der Gang zum Jobcenter.

1. Ansprechpartner und Erstkontakt

Dein erster Ansprechpartner ist das Jobcenter an deinem Wohnort. Du kannst telefonisch einen Termin vereinbaren, online einen Antrag stellen oder persönlich vorsprechen, um die notwendigen Formulare und Informationen zu erhalten.

2. Benötigte Unterlagen: Alles beisammen haben

Für eine reibungslose Antragsbearbeitung ist es entscheidend, alle benötigten Unterlagen vollständig einzureichen. Dazu gehören in der Regel:

• Personalausweis oder Reisepass.
• Mietvertrag und Nachweise über aktuelle Miet- und Nebenkostenzahlungen.
• Nachweise über dein Einkommen (aktuelle Lohnabrechnungen der letzten 6 Monate, Arbeitsvertrag, Bescheide über Kindergeld, Elterngeld, Unterhalt etc.).
• Kontoauszüge der letzten 3 Monate aller Konten (Girokonten, Sparkonten).
• Nachweise über vorhandenes Vermögen (Sparbücher, Wertpapierdepots, Bausparverträge, KFZ-Brief).
• Nachweise über Versicherungen (Krankenversicherung, Rentenversicherung).
• Gegebenenfalls Unterlagen zu Mehrbedarfen (z.B. Mutterpass, Schwerbehindertenausweis).
• Geburtsurkunden der Kinder und Nachweise über deren Einkommen (z.B. Ausbildungsvertrag).

Eine Checkliste erhältst du meist direkt vom Jobcenter oder auf deren Webseite. Nimm dir Zeit, alles sorgfältig zusammenzutragen.

3. Der Antragsprozess und die Entscheidung

Nachdem du den Antrag ausgefüllt und alle Unterlagen eingereicht hast, wird dein Antrag geprüft. Dies kann einige Wochen dauern. Während dieser Zeit kann es sein, dass das Jobcenter weitere Fragen hat oder zusätzliche Unterlagen anfordert. Sei kooperativ und reagiere schnell auf Anfragen, um Verzögerungen zu vermeiden.

Sobald alle Informationen vorliegen, erhältst du einen schriftlichen Bescheid. Dieser Bescheid legt fest, ob und in welcher Höhe dir Leistungen zustehen. Er enthält auch detaillierte Berechnungen deines Bedarfs und der Anrechnung deines Einkommens und Vermögens. Prüfe diesen Bescheid genau. Bei Unklarheiten oder Fehlern kannst du innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen.

Häufige Fragen und Mythen rund um das Thema Aufstocken

„Ist das nicht nur etwas für Faule?”

Nein, ganz im Gegenteil! Aufstocker sind per Definition erwerbstätig und leisten einen Beitrag zur Gesellschaft. Die Notwendigkeit der Aufstockung entsteht oft durch strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt (z.B. niedrige Löhne in bestimmten Branchen) oder individuelle Lebensumstände, die eine Vollzeittätigkeit erschweren oder unmöglich machen. Aufstocken ist eine staatliche Unterstützung, die Menschen dabei hilft, ihre Arbeit fortzusetzen und finanziell über die Runden zu kommen.

„Muss ich dann den Job wechseln oder mehr Stunden arbeiten?”

Grundsätzlich gilt die Mitwirkungspflicht. Das Jobcenter kann von dir verlangen, dass du dich um eine Arbeitsstelle mit höherem Einkommen bemühst oder versuchst, deine Stunden aufzustocken, sofern dies zumutbar ist. Allerdings wird dabei deine aktuelle Lebenssituation (z.B. Kinderbetreuung, Gesundheit) berücksichtigt. Das Jobcenter ist verpflichtet, die „Angemessenheit” zu prüfen. Es geht darum, dich zu unterstützen und nicht, dich unter Druck zu setzen.

„Was passiert bei Einkommensschwankungen?”

Gerade in Teilzeitjobs kann das Einkommen von Monat zu Monat schwanken (z.B. durch Überstunden, wechselnde Einsatzzeiten). Das Jobcenter passt die Leistung entsprechend an. Es ist wichtig, Einkommensveränderungen umgehend mitzuteilen, um Überzahlungen (die zurückgefordert werden) oder Unterzahlungen zu vermeiden. Oft wird eine vorläufige Leistungsbewilligung erteilt, die dann am Ende des Bewilligungsabschnitts anhand der tatsächlichen Einnahmen final abgerechnet wird.

„Kann ich gleichzeitig Wohngeld oder Kinderzuschlag bekommen?”

Wenn du Bürgergeld beziehst, sind die Kosten für die Unterkunft und Heizung bereits im Bürgergeld enthalten. Daher kannst du in der Regel kein zusätzliches Wohngeld bekommen. Der Kinderzuschlag ist eine Leistung, die ebenfalls darauf abzielt, Familien mit geringem Einkommen zu unterstützen, die aber nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II (Bürgergeld) sind. Das bedeutet: Entweder Bürgergeld (ggf. inklusive Mehrbedarf für Kinder) oder Kinderzuschlag plus Kindergeld. Es ist wichtig, zu prüfen, welche Leistung für deine Familie vorteilhafter ist. Das Jobcenter oder eine Beratungsstelle kann hierbei helfen.

Die Vorteile des Aufstockens: Eine Brücke zur Arbeit

Das Aufstocken mag sich für viele anfühlen wie ein Stigma, doch es hat klare Vorteile:

• Finanzielle Absicherung: Es gewährleistet, dass dein Existenzminimum gesichert ist, auch wenn dein Lohn nicht reicht.
• Erhalt der Arbeitsmarktintegration: Du bleibst im Berufsleben, sammelst weiterhin Berufserfahrung und hast bessere Chancen, später eine Vollzeitstelle zu finden.
• Sozialversicherungsschutz: Durch deinen Job bist du krankenversichert und zahlst in die Rentenversicherung ein, auch wenn das Jobcenter Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung übernimmt, falls dein Einkommen unterhalb bestimmter Grenzen liegt.
• Vermeidung von Arbeitslosigkeit: Es hilft, Phasen der Arbeitslosigkeit zu vermeiden, was sich positiv auf den Lebenslauf auswirkt und dir psychische Stabilität gibt.

Wichtige Überlegungen und Tipps für Aufstocker

• Kommunikation mit dem Jobcenter: Sei offen und ehrlich. Melde alle Änderungen in deinen persönlichen oder finanziellen Verhältnissen umgehend.
• Rechte und Pflichten kennen: Informiere dich über deine Rechte und Pflichten als Leistungsempfänger. Bei Unsicherheiten suche Rat bei Sozialverbänden (z.B. VdK, SoVD) oder unabhängigen Beratungsstellen.
• Langfristige Perspektive: Betrachte das Aufstocken nicht als Dauerzustand, sondern als vorübergehende Phase. Nutze die Unterstützung, um dich weiterzubilden, deine Qualifikationen zu verbessern oder nach besseren Jobangeboten zu suchen.
• Finanzielle Planung: Auch wenn das Bürgergeld dein Existenzminimum sichert, ist es wichtig, sparsam zu wirtschaften und einen Überblick über deine Ausgaben zu behalten.
• Psychologische Unterstützung: Die Situation kann belastend sein. Scheue dich nicht, psychologische oder soziale Unterstützung in Anspruch zu nehmen, falls du dich überfordert fühlst.

Fazit: Dein Anspruch auf Hilfe ist ein Recht

Wenn dein Lohn nicht reicht, ist das keine Schande, sondern eine Herausforderung, der du nicht allein begegnen musst. Der Anspruch auf aufstockende Leistungen wie das Bürgergeld ist ein grundlegendes Recht in Deutschland, das sicherstellen soll, dass niemand trotz Arbeit in Armut leben muss. Als Teilzeitbeschäftigter, der seinen Lebensunterhalt nicht vollständig decken kann, hast du gute Chancen auf Unterstützung. Informiere dich umfassend, hole dir bei Bedarf professionelle Hilfe und sieh diese Unterstützung als eine Chance, deine finanzielle Situation zu stabilisieren und eine bessere Zukunft aufzubauen. Es ist eine Brücke, kein Hindernis – nutze sie!