Lohnerhöhung trotz Kurzarbeit fordern: Wann es möglich ist und wie Sie es anstellen

Die Idee, eine Lohnerhöhung zu fordern, während das eigene Unternehmen oder sogar die gesamte Branche unter Kurzarbeit leidet, mag auf den ersten Blick absurd oder gar unverschämt wirken. Viele Arbeitnehmer schrecken davor zurück, überhaupt das Thema Gehalt anzusprechen, wenn der Betrieb Kurzarbeitergeld beantragt hat. Doch die Annahme, dass eine Gehaltsanpassung in dieser Situation gänzlich ausgeschlossen ist, greift oft zu kurz. Es gibt Konstellationen, in denen eine solche Forderung nicht nur legitim, sondern sogar strategisch sinnvoll sein kann – sowohl für den Arbeitnehmer als auch für das Unternehmen. Dieser Artikel beleuchtet, wann und wie Sie diesen scheinbar paradoxen Schritt wagen können und worauf Sie dabei achten müssen.

Kurzarbeit verstehen: Was bedeutet sie für mein Gehalt und Arbeitsverhältnis?

Bevor wir uns der Frage der Lohnerhöhung widmen, ist es entscheidend, das Konzept der Kurzarbeit zu verstehen. Kurzarbeit ist ein Instrument zur Beschäftigungssicherung, das Unternehmen in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nutzen können, um Entlassungen zu vermeiden. Statt Mitarbeiter zu entlassen, wird die Arbeitszeit reduziert, und die Agentur für Arbeit zahlt einen Teil des ausgefallenen Nettogehalts – das sogenannte Kurzarbeitergeld (KUG). In der Regel erhalten Arbeitnehmer 60 % des Nettoentgeltausfalls, mit Kindern 67 %.

Für Sie als Arbeitnehmer bedeutet Kurzarbeit also eine Reduzierung Ihrer Arbeitszeit und damit Ihres regulären Gehalts. Das KUG gleicht einen Teil dieses Verdienstausfalls aus, aber Sie haben in der Regel immer noch weniger Geld zur Verfügung als vor der Kurzarbeit. Gleichzeitig bleiben Sie dem Unternehmen erhalten, und die Hoffnung ist, dass Sie nach Überwindung der Krise wieder voll eingesetzt werden können.

Warum eine Lohnerhöhung in schwierigen Zeiten überhaupt in Betracht ziehen?

Die Frage ist berechtigt: Warum sollte man in einer Phase, in der das Unternehmen offenbar finanzielle Engpässe hat, mehr Geld fordern? Es gibt mehrere gute Gründe, die diese scheinbare Paradoxie auflösen können:

• Individuelle Leistung und Mehrwert: Auch in Zeiten der Kurzarbeit kann es vorkommen, dass bestimmte Mitarbeiter weiterhin einen enormen Mehrwert für das Unternehmen schaffen. Vielleicht haben Sie neue Projekte akquiriert, Prozesse optimiert, neue digitale Fähigkeiten erworben oder tragen maßgeblich zur Krisenbewältigung bei. Ihre Leistung könnte trotz reduzierter Arbeitszeit überdurchschnittlich sein oder sogar entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
• Gestiegene Verantwortung: Durch Personalabbau oder Umstrukturierungen kann es sein, dass Sie zusätzliche Aufgaben oder mehr Verantwortung übernehmen mussten. Das kann von der Übernahme von Aufgaben ausscheidender Kollegen bis hin zur Leitung neuer strategischer Initiativen reichen. Eine erhöhte Verantwortung sollte sich langfristig auch im Gehalt widerspiegeln.
• Marktwerterhalt und Inflation: Die Lebenshaltungskosten steigen stetig. Wenn Ihr Gehalt über Jahre stagniert, während Ihre Leistung zunimmt und Ihr Marktwert steigt, verlieren Sie real an Kaufkraft. Eine Gehaltserhöhung dient in diesem Fall auch dem Erhalt Ihres Reallohns und Ihrer Wettbewerbsfähigkeit auf dem Arbeitsmarkt.
• Strategische Bedeutung für das Unternehmen: Einige Unternehmen nutzen die Kurzarbeit, um sich neu aufzustellen. Möglicherweise sind Sie essenziell für diese Neuausrichtung oder besitzen Schlüsselqualifikationen, die das Unternehmen dringend benötigt, um aus der Krise herauszukommen und zukünftig erfolgreich zu sein. Der Verlust eines solchen Mitarbeiters wäre für das Unternehmen gravierender als die Kosten einer Gehaltsanpassung.
• Motivation und Bindung: Eine anerkannte und angemessene Vergütung ist ein wichtiger Motivationsfaktor. Wenn Mitarbeiter trotz schwieriger Umstände das Gefühl haben, fair behandelt und für ihre Leistung geschätzt zu werden, erhöht dies ihre Loyalität und Bindung an das Unternehmen.

Der optimale Zeitpunkt: Wann ist eine Gehaltsforderung realistisch?

Der richtige Zeitpunkt ist entscheidend. Eine Forderung ins Blaue hinein oder in einer akuten Krisenphase ist selten zielführend. Achten Sie auf folgende Indikatoren und Voraussetzungen:

• Die Unternehmensperspektive:
  • Anzeichen der Erholung: Gibt es erste positive Signale? Volle Auftragsbücher in bestimmten Bereichen, neue Großaufträge, erfolgreiche Projekte, die das Unternehmen wieder auf Kurs bringen?
  • Spezifische Geschäftsbereiche: Möglicherweise ist nicht das gesamte Unternehmen in Kurzarbeit. Wenn Ihr Bereich floriert oder überdurchschnittlich performt, ist das ein starkes Argument.
  • Strategische Neuausrichtung: Wenn das Unternehmen gerade eine Transformation durchläuft, bei der Ihre Fähigkeiten und Ihr Einsatz entscheidend sind, haben Sie einen guten Hebel.
  • Finanzielle Puffer: Auch wenn Kurzarbeit läuft, kann ein Unternehmen über Rücklagen verfügen, um gezielte Investitionen in Personal zu tätigen.
• Ihre individuelle Leistung und Rolle:
  • Nachweisbare Erfolge: Haben Sie Projekte abgeschlossen, die messbare positive Auswirkungen hatten (Kostenersparnis, Umsatzsteigerung, Effizienzgewinn)?
  • Gestiegene Verantwortung: Wie bereits erwähnt, ist die Übernahme zusätzlicher Aufgaben oder einer Führungsrolle ein starkes Argument.
  • Engpassfunktion: Sind Sie der einzige oder einer der wenigen, der eine bestimmte, dringend benötigte Fähigkeit besitzt?
  • Marktwert: Wissen Sie, was vergleichbare Positionen in anderen Unternehmen am Markt wert sind, insbesondere in Branchen, die weniger von der Krise betroffen sind?
• Wichtige Rahmenbedingungen:
  • Betriebsvereinbarungen/Tarifverträge: Prüfen Sie, ob es Regelungen gibt, die Gehaltsanpassungen während der Kurzarbeit ausschließen oder regeln. Dies ist oft der Fall. In tarifgebundenen Unternehmen sind individuelle Erhöhungen meist schwerer durchsetzbar, da Gehaltsstrukturen festgeschrieben sind.
  • Rechtslage: Grundsätzlich ist eine Gehaltserhöhung auch während der Kurzarbeit rechtlich möglich, solange sie gerechtfertigt ist und nicht den Eindruck erweckt, das Kurzarbeitergeld missbräuchlich zu beeinflussen.

Die rechtliche Komplexität: Lohnerhöhung und Kurzarbeitergeld (KUG)

Dieser Punkt ist besonders wichtig und wird oft missverstanden. Eine Lohnerhöhung während der Kurzarbeit ist komplex, weil sie Auswirkungen auf die Berechnung des Kurzarbeitergeldes haben kann. Das Kurzarbeitergeld wird auf Basis des „Entgeltausfalls” berechnet, also der Differenz zwischen dem Soll-Entgelt (dem Bruttoarbeitsentgelt, das der Arbeitnehmer ohne Arbeitsausfall erhalten würde) und dem Ist-Entgelt (dem tatsächlich erzielten Bruttoarbeitsentgelt während der Kurzarbeit).

• Anpassung des Soll-Entgelts: Wenn Sie eine Lohnerhöhung erhalten, erhöht sich Ihr Soll-Entgelt. Das ist das Gehalt, das die Basis für die KUG-Berechnung bildet. Eine Erhöhung des Soll-Entgelts kann dazu führen, dass der Entgeltausfall (Soll-Entgelt minus Ist-Entgelt) größer wird, selbst wenn Ihre Arbeitszeit weiterhin reduziert ist. Dies hätte zur Folge, dass das Kurzarbeitergeld, das Sie von der Agentur für Arbeit erhalten, steigt.
• Auswirkungen auf die KUG-Berechnung: Ihr Arbeitgeber muss der Agentur für Arbeit die Änderung des Soll-Entgelts melden. Wenn die Lohnerhöhung rechtlich begründet ist (z.B. durch gestiegene Verantwortung, neue Qualifikationen), ist dies in der Regel unproblematisch. Es darf jedoch nicht der Eindruck entstehen, dass die Erhöhung ausschließlich dazu dient, das Kurzarbeitergeld zu maximieren.
• Worauf Arbeitgeber und Arbeitnehmer achten müssen:
  • Transparenz: Eine Lohnerhöhung muss klar begründbar sein, beispielsweise durch eine vertraglich vereinbarte Leistungserhöhung oder eine Beförderung.
  • Kein Missbrauch: Der Zweck des KUG ist die Überbrückung eines vorübergehenden Arbeitsausfalls. Eine Gehaltserhöhung sollte im Kontext einer langfristigen Wertschätzung oder einer neuen Rolle stehen, nicht als Mittel zur KUG-Optimierung.
  • Meldepflichten: Der Arbeitgeber ist verpflichtet, alle relevanten Änderungen, einschließlich Gehaltsanpassungen, der Agentur für Arbeit mitzuteilen. Fehler können zu Rückforderungen führen.
  • Betriebsrat: Wenn ein Betriebsrat existiert, hat dieser bei der Einführung und Beendigung von Kurzarbeit ein Mitbestimmungsrecht. Auch individuelle Gehaltsanpassungen können unter Umständen mitbestimmungspflichtig sein oder durch Betriebsvereinbarungen geregelt werden.

Im Zweifelsfall sollten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Agentur für Arbeit oder einem Fachanwalt für Arbeitsrecht informieren, um sicherzustellen, dass die Gehaltserhöhung korrekt gehandhabt wird und keine nachteiligen Folgen hat.

Vorbereitung ist der halbe Erfolg: Ihr strategischer Leitfaden

Eine Gehaltsverhandlung ist immer eine strategische Angelegenheit, in Zeiten der Kurzarbeit umso mehr. Gehen Sie nicht unvorbereitet ins Gespräch:

• Analyse des eigenen Wertes: Was bringe ich mit?

  Listen Sie Ihre Erfolge und Beiträge zum Unternehmenserfolg auf. Quantifizieren Sie diese, wo immer möglich (z.B. „Durch meine Initiative konnten wir X Euro einsparen” oder „Ich habe Projekt Y Z% schneller abgeschlossen”). Dokumentieren Sie neue Fähigkeiten, Weiterbildungen oder zusätzliche Verantwortlichkeiten, die Sie übernommen haben.

• Markt- und Branchenvergleich: Wo stehe ich?

  Recherchieren Sie, welche Gehälter in vergleichbaren Positionen und Branchen üblich sind. Nutzen Sie Gehaltsstudien, Online-Portalen oder Ihr berufliches Netzwerk. Dies gibt Ihnen eine objektive Verhandlungsbasis.

• Das perfekte Argumentarium: Daten, Fakten, Erfolge

  Strukturieren Sie Ihre Argumente logisch. Beginnen Sie mit Ihrer Motivation (Warum jetzt?) und präsentieren Sie dann Ihre Beweise für Ihren gestiegenen Wert. Formulieren Sie Ihre Forderung klar, aber seien Sie auch bereit für Verhandlungen.

• Alternative Wertschätzungen in Betracht ziehen

  Wenn eine direkte Gehaltserhöhung finanziell gerade nicht umsetzbar ist, überlegen Sie Alternativen: eine Bonuszahlung bei Zielerreichung, eine Gehaltserhöhung, die nach Beendigung der Kurzarbeit greift, zusätzliche Weiterbildungsangebote, Sachleistungen (Jobticket, Firmenhandy) oder mehr Verantwortung und Entwicklungsperspektiven.

Das Gehaltsgespräch: Taktik, Empathie und Überzeugungskraft

Das Gespräch selbst erfordert Fingerspitzengefühl:

• Den richtigen Rahmen wählen: Suchen Sie einen Zeitpunkt, an dem Ihr Vorgesetzter nicht gestresst ist und genügend Zeit hat. Vermeiden Sie das Gespräch, wenn gerade schlechte Nachrichten veröffentlicht wurden.
• Selbstbewusst, aber verständnisvoll auftreten: Präsentieren Sie Ihre Forderung klar und selbstbewusst, aber zeigen Sie auch Verständnis für die wirtschaftliche Lage des Unternehmens. Betonen Sie Ihre Loyalität und Ihren Wunsch, zum Erfolg beizutragen. Es geht nicht darum, das Unternehmen auszunutzen, sondern um eine faire Anerkennung Ihrer Leistungen.
• Auf Einwände reagieren: Pragmatische Lösungsansätze: Ihr Arbeitgeber wird möglicherweise auf die Kurzarbeit oder die angespannte Finanzlage verweisen. Seien Sie darauf vorbereitet. Zeigen Sie auf, warum Ihre individuelle Situation eine Ausnahme darstellt. Bieten Sie auch hier wieder alternative Lösungen an (z.B. eine gestaffelte Erhöhung oder eine Klausel, die eine Erhöhung nach Ende der Kurzarbeit vorsieht).
• Zielgerichtete Verhandlungsführung: Hören Sie aktiv zu. Verhandeln Sie nicht nur über das Geld, sondern auch über Entwicklungsmöglichkeiten, Verantwortung oder andere Benefits. Manchmal ist ein Paket aus verschiedenen Komponenten attraktiver als eine reine Gehaltserhöhung.

Risiken und Nebenwirkungen: Was passieren kann

Jede Gehaltsforderung birgt Risiken. In Zeiten der Kurzarbeit sind diese potenziell höher:

• Ablehnung und Umgang damit: Ihr Arbeitgeber kann Ihre Forderung ablehnen. Fragen Sie in diesem Fall nach den genauen Gründen und wann eine erneute Prüfung möglich wäre. Lassen Sie sich nicht entmutigen, aber akzeptieren Sie die Entscheidung professionell.
• Missverständnisse und Loyalitätsfragen: Es besteht die Gefahr, dass Ihre Forderung als illoyal oder egoistisch wahrgenommen wird. Dies können Sie durch eine gute Vorbereitung, eine empathische Kommunikation und das Betonen Ihrer Verbundenheit zum Unternehmen minimieren.
• Positive Überraschungen: Manchmal sind Arbeitgeber froh, wenn gute Mitarbeiter proaktiv sind und ihre Leistungen kommunizieren. Es kann eine Gelegenheit sein, die Wertschätzung für Sie auszudrücken und Sie langfristig zu binden.

Wichtig ist, dass die Beziehung zu Ihrem Arbeitgeber nicht darunter leidet. Eine Gehaltsverhandlung sollte immer partnerschaftlich geführt werden.

Fazit: Mut zur Gehaltsforderung – Mit Strategie zum Ziel

Eine Lohnerhöhung trotz Kurzarbeit zu fordern, ist zweifellos ein mutiger Schritt. Es erfordert eine detaillierte Vorbereitung, ein tiefes Verständnis der Unternehmenssituation und Ihrer eigenen Leistungen sowie eine sensible, aber zielgerichtete Kommunikation. Es ist kein generelles Recht und oft auch keine einfache Sache, aber es ist auch kein Ding der Unmöglichkeit.

Wenn Ihre Leistung herausragend ist, Sie zusätzliche Verantwortung übernommen haben oder strategisch unersetzlich sind, kann es sich lohnen, das Gespräch zu suchen. Seien Sie sich der Komplexität des Kurzarbeitergeldes bewusst und stellen Sie sicher, dass Ihr Arbeitgeber die rechtlichen Rahmenbedingungen versteht. Mit den richtigen Argumenten, einem professionellen Auftreten und der Bereitschaft, auch alternative Formen der Wertschätzung in Betracht zu ziehen, können Sie die Chancen auf eine faire Gehaltsanpassung auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten deutlich erhöhen.

Denken Sie daran: Wer nicht fragt, der bekommt auch nichts. Und eine Investition in hochperformante und loyale Mitarbeiter ist oft die beste Strategie für ein Unternehmen, um gestärkt aus einer Krise hervorzugehen.