Die Entscheidung, einen neuen PC zu bauen oder zu kaufen, war noch nie so kompliziert wie in den letzten Jahren. Während CPU, Mainboard, RAM und Speicher oft zu vernünftigen Preisen erhältlich sind, hat eine einzelne Komponente den Traum vieler PC-Enthusiasten zum Albtraum gemacht: die Grafikkarte. Horrende Preise, schlechte Verfügbarkeit und die unsichere Marktlage haben viele vor eine schwierige Wahl gestellt. Doch es gibt eine clevere Lösung, die oft übersehen wird und einen funktionstüchtigen PC sofort ermöglicht: die Nutzung der internen Grafikeinheit der CPU.
Dieser Artikel beleuchtet, warum die integrierte Grafik (iGPU) nicht nur eine Notlösung, sondern eine durchdachte Übergangslösung ist, die es Ihnen erlaubt, Ihr System sofort zu nutzen und gleichzeitig auf bessere Zeiten im Grafikkartenmarkt zu warten. Wir tauchen ein in die Möglichkeiten, Grenzen und die besten Praktiken beim Bau eines PCs, der zunächst ohne dedizierte Grafikkarte auskommt.
Das Dilemma des GPU-Marktes: Warum die Preise explodieren
Bevor wir uns der Lösung widmen, ist es wichtig, das Problem zu verstehen. Seit 2020 hat der Markt für Grafikkarten eine beispiellose Achterbahnfahrt erlebt. Verschiedene Faktoren haben dazu beigetragen, dass die Preise für dedizierte GPUs von Nvidia und AMD in schwindelerregende Höhen geschossen sind und die Verfügbarkeit oft gegen Null tendierte:
- Globale Chipknappheit: Die Pandemie führte zu Unterbrechungen in den Lieferketten und einer erhöhten Nachfrage nach Elektronik, was die Produktion von Halbleitern stark beeinträchtigte.
- Kryptowährungs-Mining: Der Boom von Kryptowährungen wie Ethereum machte das Mining mit Grafikkarten extrem profitabel, was zu einer massiven Nachfrage seitens der Miner führte, die ganze Lagerbestände aufkauften.
- Scalper und Wiederverkäufer: Automatisierte Bots und skrupellose Verkäufer kauften verfügbare Karten innerhalb von Sekunden auf, um sie zu überhöhten Preisen weiterzuverkaufen.
- Erhöhte Nachfrage durch Home-Office und Gaming: Mit mehr Zeit zu Hause stieg auch die Nachfrage nach leistungsfähigen PCs für Arbeit und Unterhaltung.
- Inflation und Transportkosten: Allgemeine wirtschaftliche Faktoren haben ebenfalls zu höheren Endverbraucherpreisen beigetragen.
Die Folge dieser Gemengelage: Eine RTX 3070 oder eine RX 6700 XT, die ursprünglich für etwa 500-600 Euro verkauft werden sollte, kostete zeitweise das Doppelte oder sogar mehr. Für viele potenzielle PC-Käufer war dies ein klares KO-Kriterium, da die Grafikkarte oft den größten Einzelposten im Budget darstellt. Die Notwendigkeit einer flexiblen und kostengünstigen Lösung war geboren.
Was ist eine interne Grafikeinheit (iGPU)?
Eine interne Grafikeinheit (iGPU), oft auch als integrierte Grafik oder CPU-Grafik bezeichnet, ist ein Grafikprozessor, der direkt in das CPU-Die integriert ist. Im Gegensatz zu einer dedizierten Grafikkarte (dGPU), die über einen eigenen Grafikspeicher (VRAM) und eine separate Kühllösung verfügt und über den PCIe-Steckplatz mit dem Mainboard verbunden ist, nutzt die iGPU den Arbeitsspeicher (RAM) des Systems für Grafikaufgaben.
Historisch gesehen waren iGPUs eher schwach und kaum für anspruchsvolle Aufgaben jenseits von Office-Anwendungen und grundlegender Videowiedergabe geeignet. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Moderne iGPUs, insbesondere die von Intel und AMD, sind erstaunlich leistungsfähig geworden und können eine breite Palette von Aufgaben bewältigen.
- Intel: Viele Intel-Prozessoren (mit Ausnahme der „F”-Serie) verfügen über integrierte Grafikeinheiten, wobei die neuesten Generationen wie Intel Iris Xe Graphics eine bemerkenswerte Leistung bieten.
- AMD: AMDs „G”-Serie der Ryzen-Prozessoren (z.B. Ryzen 5 5600G, Ryzen 7 5700G) ist besonders bekannt für ihre leistungsstarke AMD Radeon Graphics, die oft als die stärksten iGPUs auf dem Markt gelten.
Diese Fortschritte machen iGPUs zu einer überzeugenden Option für alle, die einen funktionstüchtigen PC benötigen, ohne sofort eine teure dedizierte Grafikkarte kaufen zu müssen.
Die Vorteile der iGPU als cleverer Übergang
Die Entscheidung für einen PC mit iGPU als Übergangslösung bietet eine Reihe handfester Vorteile, die ihn zu einer attraktiven Option machen:
1. Massive Kosteneinsparung
Dies ist der offensichtlichste und wohl wichtigste Vorteil. Indem Sie vorerst auf eine dedizierte Grafikkarte verzichten, können Sie Hunderte, wenn nicht Tausende von Euro sparen. Dieses gesparte Geld kann entweder für andere hochwertige Komponenten (schnellerer RAM, bessere SSD) verwendet werden oder einfach im Portemonnaie bleiben, bis sich der GPU-Markt erholt hat. Die Kosteneinsparung ist der Hauptgrund für diesen Ansatz.
2. Sofortige Nutzbarkeit und Verfügbarkeit
Sie müssen nicht warten, bis eine bestimmte Grafikkarte verfügbar ist oder der Preis fällt. CPUs mit integrierter Grafik sind in der Regel gut verfügbar und ermöglichen es Ihnen, Ihren neuen PC sofort zusammenzubauen und in Betrieb zu nehmen. Kein Frust mehr über ausverkaufte Shops oder endlose Lieferzeiten.
3. Ausreichende Leistung für den Alltag
Für die meisten alltäglichen Aufgaben sind moderne iGPUs mehr als ausreichend. Web-Browsing, 4K-Videostreaming, Office-Anwendungen, Bildbearbeitung und sogar einige E-Sport-Titel laufen reibungslos. Sie müssen keine Kompromisse bei der grundlegenden Funktionalität Ihres PCs eingehen.
4. Energieeffizienz und geringere Wärmeentwicklung
Ein System ohne dedizierte Grafikkarte verbraucht in der Regel weniger Strom und erzeugt weniger Wärme. Dies kann zu geringeren Betriebskosten und einer leiseren PC-Konfiguration führen, da das Netzteil kleiner dimensioniert und weniger Kühlleistung benötigt wird.
5. Einfaches Upgrade-Potenzial
Wenn die Preise für dedizierte Grafikkarten fallen oder Ihr Budget es zulässt, ist das Upgrade denkbar einfach. Sie müssen lediglich die neue Grafikkarte in den freien PCIe-Steckplatz Ihres Mainboards einsetzen, die entsprechenden Treiber installieren – und schon haben Sie die volle Gaming- oder Workstation-Leistung. Ihr restliches System ist bereits darauf vorbereitet.
Was kann man mit einer modernen iGPU tatsächlich tun?
Die Leistungsfähigkeit moderner iGPUs wird oft unterschätzt. Hier ist eine detaillierte Übersicht dessen, was Sie erwarten können:
Produktivität und Office-Anwendungen
Hier glänzen iGPUs. Microsoft Office (Word, Excel, PowerPoint), LibreOffice, das Surfen im Internet mit vielen Tabs, E-Mail-Verwaltung – all das läuft absolut flüssig. Auch Videokonferenzen mit mehreren Teilnehmern sind kein Problem. Für den universitären oder beruflichen Alltag ist eine iGPU vollkommen ausreichend.
Multimedia-Konsum und Streaming
Full-HD- und sogar 4K-Videostreaming (Netflix, YouTube, Disney+) werden von aktuellen iGPUs problemlos bewältigt. Die Hardwarebeschleunigung für Video-Codecs wie H.264, H.265 (HEVC) und AV1 ist in den meisten modernen iGPUs integriert, was eine effiziente Wiedergabe bei geringer CPU-Auslastung ermöglicht. Auch die Bearbeitung von Fotos in Programmen wie GIMP oder Adobe Photoshop ist im Hobbybereich gut machbar, solange es sich nicht um extrem große Dateien oder Stapelverarbeitung handelt.
Leichte Video- und Bildbearbeitung
Für Hobby-Anwender oder den Einstieg in die Videobearbeitung können iGPUs überraschend viel leisten. Leichte 1080p-Videoprojekte in DaVinci Resolve oder Adobe Premiere Pro sind mit Proxy-Workflows durchaus machbar. Für professionelle oder zeitkritische Projekte mit hohen Auflösungen und komplexen Effekten sind sie jedoch nicht ausgelegt.
Gaming: Überraschend mehr als man denkt
Dies ist der Bereich, in dem iGPUs die größten Fortschritte gemacht haben. Während High-End-AAA-Gaming auf Ultra-Einstellungen keine Option ist, können moderne iGPUs eine beeindruckende Auswahl an Spielen bewältigen:
- E-Sport-Titel: Spiele wie CS:GO, League of Legends, Dota 2, Valorant, Overwatch oder Rocket League laufen oft mit über 60 FPS in 1080p bei mittleren bis niedrigen Einstellungen.
- Ältere AAA-Titel: Viele AAA-Spiele der letzten Generationen, wie GTA V, Skyrim, The Witcher 3 (auf niedrigen Einstellungen) oder Fallout 4, sind bei angepassten Einstellungen spielbar.
- Indie-Spiele: Die allermeisten Indie-Spiele, die oft nicht die neueste Grafiktechnologie nutzen, laufen hervorragend auf iGPUs.
- Emulator-Gaming: Für Fans von Retro-Gaming und Emulatoren sind iGPUs oft mehr als ausreichend, um Klassiker von älteren Konsolen zu emulieren.
Es ist wichtig, die Erwartungen realistisch zu halten: Man spielt nicht Cyberpunk 2077 auf Ultra mit 60 FPS. Aber für eine solide Gaming-Erfahrung zwischendurch, um die Wartezeit auf die Traum-GPU zu überbrücken, sind moderne iGPUs bestens gerüstet.
Wichtige Überlegungen beim Bau eines iGPU-PCs
Um die bestmögliche Leistung aus Ihrer iGPU herauszuholen und eine nahtlose Übergangslösung zu gewährleisten, sollten Sie folgende Punkte beachten:
1. Der richtige Prozessor ist entscheidend
Wählen Sie eine CPU, die eine leistungsstarke iGPU enthält. Bei Intel sind das die Core i3, i5, i7 oder i9 Prozessoren ohne das „F”-Suffix (z.B. Core i7-12700 statt i7-12700F). Achten Sie hier auf die neueren Generationen, die mit Intel Iris Xe Graphics ausgestattet sind. Bei AMD sind es die Ryzen-Prozessoren der „G”-Serie (z.B. Ryzen 5 5600G oder Ryzen 7 5700G), die mit leistungsstarken Radeon Graphics ausgestattet sind.
2. RAM: Geschwindigkeit und Menge sind wichtiger denn je
Da iGPUs den System-RAM als Grafikspeicher (VRAM) nutzen, ist die Qualität und Geschwindigkeit des Arbeitsspeichers von größter Bedeutung.
- Dual-Channel: Betreiben Sie Ihren RAM unbedingt im Dual-Channel-Modus (zwei oder vier Riegel), da dies die Bandbreite verdoppelt, was für die iGPU essentiell ist.
- Geschwindigkeit: Investieren Sie in schnellen RAM. Für aktuelle Intel- und AMD-Systeme sind 3200 MHz oder 3600 MHz der Sweet Spot. Die Leistungssteigerung der iGPU durch schnelleren RAM ist signifikant.
- Menge: 16 GB RAM sind das absolute Minimum. Für ambitioniertere Aufgaben oder gelegentliches Gaming sind 32 GB RAM die bessere Wahl, da ein Teil davon fest für die iGPU reserviert wird.
3. Mainboard mit passenden Videoausgängen
Stellen Sie sicher, dass Ihr Mainboard über die notwendigen Videoausgänge (HDMI, DisplayPort) verfügt, um Ihre Monitore anzuschließen. Überprüfen Sie auch die maximale unterstützte Auflösung und Bildwiederholfrequenz der Ausgänge.
4. Netzteil für das zukünftige Upgrade planen
Auch wenn eine iGPU deutlich weniger Strom verbraucht, sollten Sie beim Kauf des Netzteils bereits Ihr zukünftiges Upgrade im Hinterkopf haben. Wenn Sie planen, später eine leistungsstarke dedizierte Grafikkarte einzubauen, wählen Sie ein Netzteil mit ausreichend Watt (z.B. 650W – 850W für Mittelklasse- bis High-End-GPUs), um nicht später ein zweites Mal kaufen zu müssen.
5. Schneller Speicher für ein reaktionsschnelles System
Eine schnelle NVMe-SSD verbessert die allgemeine Systemreaktion und Ladezeiten erheblich. Dies ist zwar nicht direkt mit der iGPU verbunden, trägt aber maßgeblich zur positiven Nutzererfahrung bei.
Die iGPU als Sprungbrett in die Zukunft
Der Bau eines PCs mit iGPU ist nicht nur eine Sparmaßnahme, sondern eine zukunftsorientierte Strategie. Sie legen ein solides Fundament mit einem leistungsstarken Prozessor, ausreichend RAM und schnellem Speicher. Diese Kernkomponenten sind oft langlebiger als eine Grafikkarte, die in einigen Jahren möglicherweise wieder ausgetauscht wird.
Wenn sich der Markt beruhigt hat oder Sie das nötige Kleingeld beiseitegelegt haben, können Sie Ihre Wunsch-GPU erwerben und problemlos in Ihr bestehendes System integrieren. Der Übergang ist nahtlos, und Sie haben von Anfang an einen voll funktionsfähigen PC genutzt, anstatt monatelang auf den idealen Moment zu warten.
Fazit: Kein Opfer, sondern eine kluge Wahl
Die Tage, in denen man beim Bau eines PCs ohne dedizierte Grafikkarte auf eine schwarze Leinwand starrte, sind vorbei. Moderne interne Grafikeinheiten sind leistungsstark genug, um die meisten alltäglichen Aufgaben, Multimedia-Konsum, leichte Bild- und Videobearbeitung und sogar viele Spiele mühelos zu bewältigen.
In Zeiten extremer Grafikkartenpreise bietet ein PC mit CPU-Grafik eine rationale, budgetfreundliche und sofort umsetzbare Übergangslösung. Es ist kein Kompromiss, der die Nutzererfahrung stark einschränkt, sondern eine bewusste Entscheidung, die Smartheit über sofortige Spitzenleistung stellt. Lassen Sie sich nicht vom teuren GPU-Markt davon abhalten, Ihren neuen PC zu bauen. Setzen Sie auf die interne Grafik der CPU – Sie werden überrascht sein, wie viel sie leisten kann, bis Ihre Traum-GPU bereit für den Einbau ist.