Das Tech-Paradoxon: Wie hat der Erfinder von WLAN eigentlich WLAN ohne WLAN erfunden?

Die moderne Welt ist ohne **WLAN** (Wireless Local Area Network) kaum vorstellbar. Ob zu Hause, im Café, im Büro oder unterwegs – die Fähigkeit, sich drahtlos mit dem Internet zu verbinden, ist eine Selbstverständlichkeit geworden, die unseren Alltag tiefgreifend prägt. Doch stellen Sie sich die Frage: Wie konnte das **WLAN** eigentlich erfunden werden, wenn es doch selbst noch nicht existierte? Dieses scheinbare Paradoxon ist faszinierend und führt uns auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Technologie, in der Genialität, beharrliche Forschung und eine Prise Zufall zusammenkamen, um die Grundlage für unsere vernetzte Welt zu legen.

Das „Erfinden ohne WLAN” bedeutet natürlich nicht, dass die Pioniere der **drahtlosen Kommunikation** aus dem Nichts arbeiteten. Vielmehr nutzten sie die grundlegenden Prinzipien der Elektrizität und des Elektromagnetismus, die lange vor der Konzeption eines drahtlosen Netzwerks bekannt waren. Es ist die Geschichte von grundlegender **Forschung**, von schrittweiser **Entwicklung** und von dem Zusammenspiel verschiedener Disziplinen, die letztlich zu dem führte, was wir heute als **Wi-Fi** kennen.

### Die Anfänge: Funkwellen und die Vision der drahtlosen Kommunikation

Die eigentliche Grundlage für jegliche drahtlose Technologie sind die **Funkwellen**. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts bewiesen Heinrich Hertz und Guglielmo Marconi die Existenz und Nutzbarkeit dieser elektromagnetischen Wellen für die Informationsübertragung. Marconi gelang es, die erste drahtlose Telegrafie zu etablieren, die über große Distanzen reichte. Dies war der erste Schritt auf dem Weg zur Überwindung physischer Kabelverbindungen und legte das Fundament für alle späteren **Funknetzwerke**. Die damalige Technologie war jedoch weit entfernt von der Komplexität eines modernen **WLANs**; es handelte sich um einfache Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zur Übertragung von Morsesignalen oder Sprachfunk.

### Die verborgene Genialität: Hedy Lamarr und das Frequenzsprungverfahren

Einer der entscheidendsten, aber oft übersehenen Beiträge zur **WLAN-Technologie** stammt von einer unerwarteten Quelle: der Hollywood-Schauspielerin Hedy Lamarr und dem Komponisten George Antheil. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelten sie ein **Frequenzsprungverfahren** (heute als **Spread Spectrum** bekannt), um Torpedosignale vor feindlicher Abhörung und Störung zu schützen. Ihre Idee war es, die Frequenz, auf der ein Signal gesendet wird, ständig und nach einem bestimmten Muster zu wechseln. Dies machte es extrem schwierig für den Gegner, das Signal zu verfolgen oder zu stören.

Lamarr und Antheil patentierten ihre Erfindung 1942. Obwohl das Militär ihre Technologie damals nicht sofort einsetzte, legte das **Frequenzspreizverfahren** den Grundstein für die heutige sichere und robuste **drahtlose Kommunikation**. Es ist eine der Kerntechnologien, die es **WLAN** und Bluetooth ermöglicht, zuverlässig und störungsarm zu funktionieren, indem es die Signale über ein breites Frequenzspektrum verteilt und so Interferenzen minimiert. Die Ironie ist, dass diese bahnbrechende Erfindung in einer Zeit entstand, in der drahtlose Datenübertragung, wie wir sie heute kennen, noch reine Science-Fiction war. Sie nutzten lediglich grundlegende elektronische Schaltkreise und ein synchronisiertes Klavierrollen-System zur Frequenzsteuerung – definitiv kein **WLAN**!

### Von kabelgebundenen Netzwerken zum Wunsch nach drahtloser Freiheit

Während die Forschung an Funktechnologien weiterging, begannen sich in den 1970er und 80er Jahren die ersten **Computernetzwerke** zu etablieren. Ethernet, das von Robert Metcalfe bei Xerox PARC entwickelt wurde, revolutionierte die Art und Weise, wie Computer in lokalen Netzwerken kommunizierten – allerdings ausschließlich über Kabel. Doch der Wunsch nach Mobilität und Flexibilität wuchs. Man stellte sich die Frage: Warum können nicht auch Computer drahtlos kommunizieren, ähnlich wie Radios oder Telefone?

Die Idee des **Packet Switchings**, also der Zerlegung von Daten in kleine Pakete, die einzeln gesendet und am Ziel wieder zusammengesetzt werden, war eine weitere entscheidende Entwicklung, die zuerst in kabelgebundenen Netzwerken wie ARPANET (dem Vorläufer des Internets) und dem ALOHAnet auf Hawaii erforscht wurde. Letzteres war ein frühes **Funknetzwerk**, das Datenpakete über Funk übertrug und zeigte, dass drahtlose Datenübertragung prinzipiell möglich war, wenn auch mit begrenzter Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit. Die Herausforderungen waren immens: Wie teilt man sich einen gemeinsamen Funkkanal effizient? Wie verhindert man Kollisionen, wenn mehrere Geräte gleichzeitig senden wollen?

### Die Geburtsstunde von IEEE 802.11: Standardisierung für Kompatibilität

Die wahre Geburtsstunde des modernen **WLANs** erfolgte nicht durch eine einzelne Erfindung, sondern durch einen Prozess der **Standardisierung**. In den späten 1980er und frühen 1990er Jahren begannen verschiedene Unternehmen, eigene drahtlose lokale Netzwerklösungen zu entwickeln. Diese waren jedoch proprietär und nicht miteinander kompatibel. Um eine breite Akzeptanz und Nutzbarkeit zu gewährleisten, war ein universeller Standard unerlässlich.

Hier kommt die **IEEE** (Institute of Electrical and Electronics Engineers) ins Spiel. 1990 wurde die Arbeitsgruppe **IEEE 802.11** gegründet, mit dem klaren Ziel, einen globalen Standard für drahtlose lokale Netzwerke zu definieren. Einer der maßgeblichen Köpfe in dieser Arbeitsgruppe war der Niederländer **Vic Hayes**, der oft als „Vater des Wi-Fi” bezeichnet wird. Er und sein Team standen vor der Mammutaufgabe, technische Spezifikationen zu erarbeiten, die verschiedene Technologien und Interessen unter einen Hut brachten.

Sie mussten festlegen, welche Frequenzbänder genutzt werden sollten (z.B. 2,4 GHz), wie die Daten kodiert und gesendet werden (unter Nutzung von **Spread Spectrum**), wie Geräte auf den Funkkanal zugreifen (Carrier Sense Multiple Access with Collision Avoidance – **CSMA/CA**), um Kollisionen zu vermeiden, und wie Sicherheit gewährleistet wird. All dies geschah in langen Konferenzen, Diskussionen und mit der Entwicklung von **Prototypen**, die natürlich mit kabelgebundenen Testgeräten und Messinstrumenten verbunden waren – aber eben ohne ein fertiges **WLAN**-Netzwerk im heutigen Sinne. Der erste **IEEE 802.11**-Standard wurde 1997 veröffentlicht und bot Datenraten von bis zu 2 Mbit/s.

### Die entscheidende australische Ingenieurskunst: Das CSIRO und OFDM

Während der **IEEE 802.11**-Standard eine wichtige Grundlage bildete, war er noch nicht perfekt. Die frühen Implementierungen waren oft langsam und störungsanfällig. Eine weitere technologische Revolution war nötig, um die Leistungsfähigkeit zu erreichen, die wir heute kennen. Diese kam maßgeblich vom australischen Forschungsinstitut **CSIRO** (Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation).

In den 1990er Jahren entwickelte ein Team von Forschern des **CSIRO** unter der Leitung von John O’Sullivan eine Technik namens **Orthogonal Frequency-Division Multiplexing (OFDM)**. Diese Methode ermöglicht es, Daten gleichzeitig auf vielen verschiedenen, eng beieinander liegenden Frequenzen zu senden, was die Übertragungsgeschwindigkeit und -zuverlässigkeit drastisch erhöht, insbesondere in Umgebungen mit vielen Störungen und Reflexionen (wie sie in Innenräumen typisch sind). Die **CSIRO**-Forschung und Patente spielten eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung der schnelleren **WLAN**-Standards wie **802.11a** und **802.11g**, die Datenraten von bis zu 54 Mbit/s ermöglichten und damit den kommerziellen Durchbruch von **Wi-Fi** einleiteten. Für diese bahnbrechende Arbeit erhielt das **CSIRO** später enorme Lizenzgebühren.

### Das Paradoxon aufgelöst: Wie es wirklich „ohne WLAN” erfunden wurde

Die Antwort auf das Tech-Paradoxon ist also vielschichtig:

1. **Auf bestehenden Grundlagen aufgebaut**: Die Erfinder nutzten fundamentale physikalische Prinzipien (**Funkwellen**) und bereits existierende Technologien (elektronische Schaltungen, Signalverarbeitung, **Packet Switching**).
2. **Inkrementelle Entwicklung**: **WLAN** war nicht das Ergebnis einer einzelnen „Aha”-Erfindung, sondern das Produkt jahrzehntelanger inkrementeller **Forschung** und **Entwicklung** durch unzählige Wissenschaftler und Ingenieure. Jede neue Erkenntnis und Technologie baute auf der vorherigen auf.
3. **Prototypen und Messgeräte**: Die Entwicklung erfolgte in Laboren, in denen **Prototypen** von Sendern und Empfängern gebaut und mit kabelgebundenen Messgeräten und Analyseinstrumenten getestet wurden. Man testete die Übertragung von Datenpaketen, die Fehleranfälligkeit, die Reichweite – alles mit Werkzeugen, die selbst nicht drahtlos kommunizierten, aber zur Messung drahtloser Kommunikation fähig waren.
4. **Standardisierung als Schlüssel**: Die **Standardisierung** durch Organisationen wie die **IEEE** war entscheidend, um die verschiedenen technischen Ansätze zu vereinheitlichen und Interoperabilität zu schaffen. Dieser Prozess des Konsenses und der Spezifikation war intellektuell, auf Diskussionen und Tests basierend, nicht auf der Nutzung eines bereits funktionierenden drahtlosen Netzwerks.
5. **Der „Erfinder” ist ein Kollektiv**: Es gibt nicht *den einen* Erfinder von **WLAN**. Es ist ein kollektives Werk von Vordenkern wie Hedy Lamarr, George Antheil, Vic Hayes, den Forschern von **CSIRO** und unzähligen anderen Ingenieuren und Wissenschaftlern, die ihre Beiträge über Jahrzehnte hinweg leisteten.

### Fazit: Eine Ode an die kollaborative Innovation

Das scheinbare Paradoxon, wie **WLAN** ohne **WLAN** erfunden wurde, löst sich auf, wenn wir die Geschichte als einen langen, kollaborativen Prozess verstehen, der auf fundamentalen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der ständigen Weiterentwicklung bestehender Technologien beruhte. Es ist eine faszinierende Geschichte von Visionären, die sich nicht scheuten, über den Tellerrand zu blicken, und von Ingenieuren, die unermüdlich daran arbeiteten, diese Visionen in die Realität umzusetzen.

Die drahtlose Kommunikation, die wir heute als selbstverständlich erachten, ist ein Denkmal für die menschliche **Innovationskraft**, die Fähigkeit, komplexe Probleme zu lösen, und die Bereitschaft, auf den Schultern von Giganten zu stehen, um immer höhere Ziele zu erreichen. Ohne diese Pioniere gäbe es kein **Wi-Fi**, keine Smartphones, keine Smart Homes – eine Welt, die wir uns heute kaum mehr vorstellen können.