Jeder kennt es: Voller Vorfreude startet man eine Bandbreitenmessung-App auf dem Smartphone oder PC, um zu überprüfen, ob die versprochene Geschwindigkeit des Internetanbieters auch wirklich ankommt. Doch die Ernüchterung folgt oft auf dem Fuße. Statt der gebuchten 250 Mbit/s zeigt die App vielleicht nur 120 Mbit/s an. Ein Aufschrei, ein Anruf beim Provider? Doch dann startet man einen Download bei Steam, und siehe da: Die Leitung glüht, die Werte schnellen in die Höhe und die Anzeige schwingt sich tatsächlich in Regionen, die dem gebuchten Tarif sehr nahekommen. Was ist hier los? Lügt die App? Oder lügt Steam? Die Wahrheit ist komplexer und faszinierender, als man denkt. Es ist keine bewusste Täuschung, sondern ein Zusammenspiel technischer Gegebenheiten, Optimierungsstrategien und schlichtweg unterschiedlicher Messmethoden, die zu dieser scheinbaren Diskrepanz führen. Tauchen wir ein in die Welt der Bits und Bytes, um dieses Mysterium zu lüften.
Die Frustration: Ein alltägliches Szenario
Stellen Sie sich vor, Sie haben einen brandneuen Internetvertrag mit einer High-Speed-Leitung abgeschlossen. Voller Erwartung öffnen Sie eine der populären Speedtest-Apps – sei es Speedtest.net, Fast.com oder eine ähnliche Anwendung. Das Ergebnis: Die Download-Geschwindigkeit liegt deutlich unter dem versprochenen Wert. Ihre erste Reaktion ist wahrscheinlich Ärger. „Ich zahle für mehr!”, denken Sie. Doch kurz darauf möchten Sie das neueste Spiel über Steam herunterladen, und plötzlich rauschen die Gigabytes nur so auf Ihre Festplatte. Der Fortschrittsbalken füllt sich in rasender Geschwindigkeit, die angezeigten Download-Werte übertreffen die Mess-App bei Weitem und kratzen an der Obergrenze Ihrer Leitung. Dieser Widerspruch lässt viele Nutzer ratlos zurück und nährt den Verdacht, dass hier jemand nicht die ganze Wahrheit sagt.
Wie Bandbreitenmess-Apps funktionieren (und warum sie „scheitern” können)
Um zu verstehen, warum Speedtest-Apps oft unterperformen, müssen wir einen Blick hinter die Kulissen ihrer Funktionsweise werfen. Im Kern versuchen diese Apps, Ihre maximale Internetgeschwindigkeit zu ermitteln, indem sie eine bestimmte Datenmenge von einem Testserver herunterladen und hochladen und dabei die benötigte Zeit messen.
- Der Testserver: Eine einzelne Quelle mit begrenzter Kapazität
Die meisten Speedtest-Apps verbinden sich mit einem einzelnen, oft geografisch nahen Testserver. Dieser Server muss in der Lage sein, Ihre volle Bandbreite zu bedienen. Ist er überlastet, zu weit entfernt oder durch andere Nutzer beansprucht, kann er Ihre Leitung nicht vollständig auslasten. Anders als bei großen Diensten wie Steam, die auf unzählige Server zurückgreifen, ist hier die Last oft konzentriert. - Einzelne Verbindung vs. Multiple Verbindungen
Viele traditionelle Speedtests nutzen eine einzige TCP-Verbindung, um die Daten zu übertragen. Das TCP-Protokoll ist darauf ausgelegt, Daten zuverlässig zu übertragen, nicht unbedingt mit maximaler Geschwindigkeit über eine einzige Verbindung, insbesondere bei hoher Latenz. Wenn auch nur ein Paket auf dem Weg verloren geht oder verzögert wird, bremst das die gesamte Verbindung aus. Moderne Tests nutzen zwar oft mehrere parallele Verbindungen, doch auch diese haben ihre Grenzen. - Protokoll-Overhead und Latenz
Jede Datenübertragung im Internet ist mit einem gewissen „Overhead” verbunden – zusätzliche Informationen, die für die korrekte Adressierung und Zustellung der Datenpakete notwendig sind (z.B. TCP/IP-Header). Bei einer einzelnen, kurzlebigen Verbindung, wie sie bei einem Speedtest oft vorkommt, kann dieser Overhead im Verhältnis zur Nutzdatenmenge ins Gewicht fallen. Auch die Latenz (die Zeit, die ein Datenpaket zum Server und zurück benötigt) spielt eine Rolle. Hohe Latenz kann den TCP-Flusskontrollmechanismus beeinträchtigen und die effektive Übertragungsrate reduzieren, da der Sender auf Bestätigungen warten muss. - Browser- und Systemlimitierungen
Wenn Sie den Speedtest über einen Webbrowser starten, sind Sie den Limitierungen des Browsers und der zugrunde liegenden JavaScript-Engine unterworfen. Browser sind nicht primär für die Messung maximaler Netzwerkdurchsatzraten konzipiert. Hintergrundprozesse, Adblocker oder Sicherheitssoftware können ebenfalls das Ergebnis verfälschen. - Kurze Messdauer
Speedtests laufen oft nur wenige Sekunden. Diese kurze Zeitspanne reicht möglicherweise nicht aus, um die volle Kapazität Ihrer Leitung über alle Störfaktoren hinweg stabil zu ermitteln oder eventuelle „Anlaufzeiten” einer Verbindung zu überbrücken.
Warum Steam (und andere Big Player) so viel besser sind
Im Gegensatz zu den Mess-Apps sind große Plattformen wie Steam, Netflix, YouTube oder die Download-Server von Microsoft (für Windows-Updates) wahre Meister darin, Ihre Internetleitung bis zum letzten Bit auszureizen. Das liegt an einer Reihe von cleveren Netzwerkoptimierung-Strategien und einer massiven Infrastruktur:
- Content Delivery Networks (CDNs): Globale Server-Power
Der vielleicht wichtigste Faktor: Steam und andere Giganten nutzen riesige Content Delivery Networks. Das sind Netzwerke von Servern, die auf der ganzen Welt verteilt sind und Inhalte redundant speichern. Wenn Sie ein Spiel herunterladen, werden die Daten nicht von einem einzigen Server in den USA geladen, sondern von dem Server, der Ihnen geografisch am nächsten ist und die geringste Auslastung hat. Dies minimiert die Latenz und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass ein Server Ihre volle Bandbreite bedienen kann. Diese Server sind zudem extrem leistungsfähig und speziell für hohe Durchsatzraten optimiert. - Multi-Threading und Parallele Verbindungen
Steam und ähnliche Download-Manager sind darauf ausgelegt, Downloads in vielen kleinen Chunks (Teilen) gleichzeitig zu verarbeiten. Das bedeutet, dass sie nicht eine, sondern Dutzende oder sogar Hunderte von parallelen TCP-Verbindungen zu verschiedenen CDN-Servern aufbauen können. Selbst wenn eine einzelne Verbindung durch Latenz oder Paketverlust beeinträchtigt wird, können die anderen Verbindungen die Arbeit fortsetzen. Diese Aggregation kleinerer Ströme maximiert den Gesamtdurchsatz und ist der Schlüssel zur Vollauslastung der Leitung. - Optimierte Protokolle und Fließkontrolle
Während der Kern für Downloads in der Regel immer noch TCP ist, implementieren große Anbieter dieses Protokoll oft mit spezialisierten Einstellungen und Algorithmen. Sie können intelligente Pufferungsmechanismen und adaptive Fließkontrollen nutzen, die sich dynamisch an die Netzwerkbedingungen anpassen. Das Ziel ist es, den „Fenstergrößen”-Mechanismus von TCP optimal auszunutzen, um so viel Daten wie möglich gleichzeitig zu senden, ohne das Netzwerk zu überlasten. - Verteiltes Caching und Lastverteilung
CDNs verfügen über intelligente Algorithmen zur Lastverteilung. Sie können erkennen, welche Server frei sind und welche überlastet. So wird sichergestellt, dass Ihre Anfrage immer an den optimalen Endpunkt geleitet wird. Auch Ihr ISP kann Caching-Server betreiben, die oft genutzte Inhalte (wie beliebte Steam-Spiele) lokal vorhalten, um die Last auf dem eigenen Netz zu reduzieren und die Download-Geschwindigkeit für Nutzer zu erhöhen. - Langzeit-Verbindungen
Ein Spiel-Download dauert oft Stunden. Diese langen Verbindungsdauern erlauben es dem TCP-Protokoll, sich optimal an die Gegebenheiten Ihrer Leitung anzupassen und seine maximale Leistung zu entfalten, im Gegensatz zu den kurzlebigen Speedtest-Verbindungen.
Die „Lügen” der Zahlen: Mbit/s vs. MB/s
Bevor wir uns über die scheinbare Diskrepanz zwischen App und Steam aufregen, sollten wir noch einen ganz entscheidenden Faktor beleuchten, der oft für Verwirrung sorgt: Die Einheiten. Mbit/s vs. MB/s.
- Mbit/s (Megabit pro Sekunde): Dies ist die Einheit, in der Internetanbieter ihre Geschwindigkeiten angeben (z.B. 250 Mbit/s). Auch die meisten Speedtest-Apps zeigen Ergebnisse in Mbit/s an.
- MB/s (Megabyte pro Sekunde): Dies ist die Einheit, in der Download-Manager wie Steam oder Ihr Browser oft die tatsächliche Download-Geschwindigkeit anzeigen (z.B. 30 MB/s).
Der Haken: 1 Byte besteht aus 8 Bit. Das bedeutet, um Ihre angezeigte Geschwindigkeit von MB/s in Mbit/s umzurechnen (oder umgekehrt), müssen Sie den Faktor 8 berücksichtigen.
Beispiel: Wenn Ihre Speedtest-App 250 Mbit/s anzeigt, dann entspricht das ungefähr 31,25 MB/s (250 / 8 = 31,25). Wenn Steam Ihnen 30 MB/s anzeigt, dann sind das umgerechnet 240 Mbit/s (30 * 8 = 240). Diese Zahlen liegen plötzlich viel näher beieinander!
Viele Nutzer vergleichen unbewusst eine Angabe in Megabit mit einer Angabe in Megabyte und kommen so zu dem Trugschluss, dass die Download-Geschwindigkeit von Steam achtmal höher sei, als die der App. Dies ist eine der häufigsten Ursachen für die wahrgenommene Diskrepanz.
Faktoren, die Ihre Internetgeschwindigkeit zusätzlich beeinflussen (und die App nicht „kennt”)
Neben den technischen Unterschieden zwischen Mess-Apps und großen Download-Diensten gibt es noch eine Reihe von Faktoren in Ihrem eigenen Heimnetzwerk, die die gemessene und die tatsächlich erlebbare Geschwindigkeit beeinflussen können:
- WLAN vs. LAN: Eine Kabelverbindung (Ethernet) ist fast immer schneller und stabiler als WLAN. Funkwellen unterliegen Störungen, Reichweitenbegrenzungen und der Anzahl der gleichzeitig verbundenen Geräte. Ein Speedtest über WLAN kann daher deutlich niedrigere Werte zeigen als über ein Kabel.
- Alte oder minderwertige Hardware: Ein alter Router, ein schwaches Modem oder eine veraltete Netzwerkkarte im PC können zum Flaschenhals werden, selbst wenn die Leitung vom Provider top ist.
- Hintergrundprozesse und andere Geräte: Lädt Ihr PC im Hintergrund Updates herunter? Streamt jemand in Ihrem Haushalt 4K-Videos? Sind viele Smart-Home-Geräte aktiv? All diese Aktivitäten teilen sich Ihre Bandbreite und können die Ergebnisse eines Speedtests oder die Performance einzelner Anwendungen beeinflussen.
- Qualität der Heimverkabelung: Auch die Qualität Ihrer Ethernet-Kabel kann eine Rolle spielen, insbesondere bei längeren Strecken oder schlechter Abschirmung.
Wie Sie Ihre Bandbreite richtig messen
Um ein möglichst realistisches Bild Ihrer Internetgeschwindigkeit zu erhalten, sollten Sie folgende Punkte beachten:
- Nutzen Sie eine Kabelverbindung: Verbinden Sie Ihren PC direkt mit dem Router per Ethernet-Kabel.
- Trennen Sie alle anderen Geräte: Schalten Sie alle anderen Geräte im Netzwerk (Smartphones, Tablets, Smart-TVs, andere PCs) vom Internet ab oder versetzen Sie sie in den Flugmodus.
- Beenden Sie alle Hintergrundprozesse: Schließen Sie alle unnötigen Anwendungen auf Ihrem Test-PC, die Bandbreite nutzen könnten (Cloud-Sync, Updates, etc.).
- Wählen Sie einen nahen Testserver: Die meisten Speedtest-Apps ermöglichen die Auswahl des Servers. Wählen Sie einen, der Ihnen geografisch am nächsten ist.
- Testen Sie zu verschiedenen Zeiten: Die Netzauslastung variiert über den Tag. Führen Sie Tests morgens, mittags und abends durch, um einen Durchschnittswert zu erhalten.
- Nutzen Sie verschiedene Speedtest-Anbieter: Verlassen Sie sich nicht nur auf eine App. Probieren Sie Speedtest.net, Fast.com (von Netflix) und den Breitbandmessung.de der Bundesnetzagentur, um eine breitere Datenbasis zu erhalten.
- Verstehen Sie die Einheiten: Achten Sie immer darauf, ob die Ergebnisse in Mbit/s oder MB/s angezeigt werden und rechnen Sie gegebenenfalls um.
Fazit: Keine Lüge, sondern unterschiedliche Realitäten
Die scheinbare Diskrepanz zwischen Ihrer Bandbreitenmess-App und Diensten wie Steam ist keine „Lüge” im eigentlichen Sinne, sondern das Ergebnis unterschiedlicher technischer Ansätze, Optimierungsgrade und der grundlegenden Funktionsweise des Internets. Speedtest-Apps bieten eine Momentaufnahme unter oft idealisierten oder aber eben auch durch ihre eigene Beschränkung beeinflussten Bedingungen. Sie sind nützlich, um eine grobe Einschätzung zu erhalten oder größere Probleme zu identifizieren. Sie sind jedoch nicht immer in der Lage, die maximale Leistungsfähigkeit Ihrer Leitung so effizient abzurufen wie ein riesiger Content-Lieferant, der Milliarden in seine Infrastruktur investiert hat.
Steam, mit seinen globalen CDNs, parallelen Verbindungen und optimierten Protokollen, ist ein Paradebeispiel dafür, wie man das Maximum aus einer Internetverbindung herausholt. Die wichtigste Erkenntnis für Sie als Nutzer ist das Verständnis für die Einheiten (Mbit/s vs. MB/s) und die Faktoren, die Ihr Heimnetzwerk beeinflussen. Mit diesem Wissen können Sie die Zahlen besser interpretieren, Ihr eigenes Netzwerk optimieren und letztendlich eine reibungslosere und frustfreiere Online-Erfahrung genießen. Ihre Bandbreiten-App zeigt nicht unbedingt „lächerliche Werte” – sie zeigt Werte unter ihren spezifischen Testbedingungen, die sich von den hochoptimierten Umgebungen der Big Player drastisch unterscheiden.