Im schnelllebigen Universum der Smartphones vergehen Jahre wie Jahrzehnte. Ein Gerät, das vor einigen Jahren die Schlagzeilen dominierte und als Speerspitze der technologischen Entwicklung galt, kann heute schnell in Vergessenheit geraten. Doch was, wenn man einem dieser ehemaligen Stars die Chance gibt, sich im Langzeit-Check erneut zu beweisen? Wir haben genau das getan mit dem Huawei Mate 9, das Ende 2016 auf den Markt kam und damals mit einem kraftvollen SoC, einer innovativen Dual-Kamera von Leica und einem riesigen Akku punktete.
Die Frage, die uns umtreibt, ist einfach: Wie schlägt sich ein solches Gerät, fünf bis sechs Jahre nach seinem Debüt, im modernen Alltag? Kann es noch überzeugen, wo liegen seine Stärken und wo sind die Spuren der Zeit unübersehbar? Begleiten Sie uns auf dieser Reise in die Vergangenheit und Gegenwart der Smartphone-Technik, um herauszufinden, ob das Mate 9 noch immer ein zuverlässiger Begleiter sein kann.
Das Huawei Mate 9 – Eine Zeitreise in die Oberklasse von 2016
Als das Huawei Mate 9 vorgestellt wurde, positionierte es sich selbstbewusst in der Riege der Top-Smartphones. Es war nicht nur ein Nachfolger des erfolgreichen Mate 8, sondern sollte mit neuen Technologien und einer überarbeiteten Designsprache neue Maßstäbe setzen. Im Fokus standen dabei der damals brandneue Kirin 960 Prozessor, die zweite Generation der Leica Dual-Kamera (eine Kooperation, die Huawei viel Prestige einbrachte) und ein beeindruckender 4000 mAh Akku, der auf dem Papier für exzellente Laufzeiten sorgte.
Mit seinem großen 5,9-Zoll-IPS-Display, dem Metallgehäuse und dem rückseitigen Fingerabdrucksensor strahlte das Mate 9 Robustheit und Premium-Qualität aus. Es war für Power-User konzipiert, die Wert auf Performance, eine gute Kamera und vor allem eine lange Akkulaufzeit legten. Doch kann ein solches Vermächtnis in der heutigen Smartphone-Landschaft, geprägt von 5G, KI-Kameras und 120-Hz-Displays, noch Bestand haben?
Das Herzstück: Moderne SoC-Leistung im Langzeittest (Kirin 960)
Der Kirin 960 war seinerzeit ein absolutes Kraftpaket. Als erster SoC mit Cortex-A73-Kernen und einer Mali-G71-GPU bot er eine beeindruckende Leistung, die mit den Snapdragon-Topmodellen seiner Zeit mithalten konnte. Doch wie steht es heute um die Performance dieses Chipsatzes?
Im Alltagseinsatz überrascht das Mate 9 tatsächlich noch positiv. Das Öffnen und Wechseln zwischen Apps wie WhatsApp, E-Mail-Clients, Browser (Chrome) und sozialen Medien (Instagram, Facebook, Twitter) funktioniert weitgehend flüssig. Es gibt zwar gelegentlich kleine Verzögerungen oder Ruckler, die man von modernen Top-Smartphones nicht mehr kennt, aber für die meisten grundlegenden Aufgaben ist das Gerät erstaunlich schnell. Multitasking mit zwei oder drei gleichzeitig geöffneten Apps ist in Ordnung, bei mehr Anwendungen kann es jedoch vorkommen, dass ältere Apps neu geladen werden müssen.
Anders sieht es beim Gaming aus. Während leichte und ältere Spiele wie Candy Crush Saga oder Clash Royale ohne Probleme laufen, stoßen anspruchsvollere Titel an ihre Grenzen. Moderne 3D-Spiele wie Genshin Impact oder Call of Duty Mobile sind zwar theoretisch installierbar, die Performance ist jedoch oft nur auf niedrigsten Grafikeinstellungen mit deutlichen Frame-Einbrüchen akzeptabel, wenn überhaupt. Hier merkt man deutlich, dass sowohl die CPU als auch die GPU nicht für die Grafikpracht heutiger Mobile-Games optimiert sind. Zudem kann sich das Gerät bei längeren Gaming-Sessions merklich erwärmen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Software. Das Mate 9 erhielt sein letztes großes Android-Update auf Android 9 Pie mit EMUI 9.1. Seitdem gibt es keine offiziellen Updates mehr, weder für das Betriebssystem noch für die Android-Sicherheitspatches. Dies ist ein erheblicher Nachteil, da das Gerät somit potenziellen Sicherheitslücken ausgesetzt ist und moderne App-Features, die höhere Android-Versionen voraussetzen, möglicherweise nicht mehr funktionieren. Die EMUI-Oberfläche selbst ist funktional, wirkt aber im Vergleich zu aktuellen Android-Versionen und anderen Benutzeroberflächen etwas altbacken und weniger intuitiv.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Kirin 960 für Standardaufgaben immer noch solide Leistung liefert. Wer jedoch ein Smartphone für anspruchsvolles Gaming oder die neuesten Software-Features sucht, wird hier an seine Grenzen stoßen. Für einen durchschnittlichen Nutzer, der primär kommunizieren, surfen und soziale Medien nutzen möchte, ist das Mate 9 aber immer noch überraschend brauchbar.
Die Augen der Leica: Wie gut ist die Dual-Kamera heute noch?
Die Leica Dual-Kamera des Mate 9 war damals ein echtes Highlight. Mit einem 20-Megapixel-Monochrom-Sensor und einem 12-Megapixel-RGB-Sensor, beide mit einer f/2.2-Blende und optischer Bildstabilisierung (OIS) auf dem RGB-Sensor, versprach sie hervorragende Details, natürliche Farben und beeindruckende Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Doch wie schneidet diese Konfiguration im Zeitalter der computational photography ab?
Bei Tageslichtaufnahmen liefert das Mate 9 immer noch respektable Ergebnisse. Die Fotos sind detailreich, die Farben wirken natürlich und die Belichtung ist in den meisten Situationen präzise. Der Monochrom-Sensor ist nach wie vor ein Genuss für Liebhaber von Schwarz-Weiß-Fotografie und produziert Bilder mit Tiefe und Charakter, die man bei vielen modernen Smartphones vermisst. Auch der dynamische Bereich ist für seine Zeit gut, stößt aber an sonnigen Tagen an seine Grenzen, wo moderne HDR-Algorithmen deutlich bessere Ergebnisse liefern würden.
Sobald die Lichtverhältnisse jedoch abnehmen, offenbaren sich die Schwächen des Systems. Bei schlechten Lichtverhältnissen oder in der Dämmerung nimmt das Bildrauschen schnell zu, Details gehen verloren und die Farben wirken blasser. Dedizierte Nachtmodi, wie sie heute Standard sind und durch KI-Algorithmen mehrere Aufnahmen zu einem rauscharmen und hellen Bild kombinieren, fehlen dem Mate 9 vollständig. Hier kann es mit aktuellen Mittelklasse-Smartphones nicht mehr mithalten.
Der Porträtmodus, der eine künstliche Hintergrundunschärfe (Bokeh) erzeugt, war damals innovativ. Heute ist die Kantenerkennung oft unsauber, und die Übergänge zwischen Vorder- und Hintergrund wirken manchmal unnatürlich. Auch die Videoqualität in 4K bei 30fps ist solide, aber die Stabilisierung ist nicht auf dem Niveau moderner Geräte, und die Aufnahmen wirken oft etwas weniger dynamisch und scharf.
Insgesamt ist die Leica-Kamera des Mate 9 immer noch gut für spontane Schnappschüsse bei guten Lichtverhältnissen und beeindruckt weiterhin mit ihren einzigartigen Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Für anspruchsvolle Fotografen oder für Aufnahmen unter schwierigen Bedingungen stößt sie jedoch an ihre Grenzen und kann mit der modernen Konkurrenz, selbst im Mittelklasse-Segment, nicht mehr mithalten.
Der Marathonläufer: Großer Akku im Dauerbetrieb (4000 mAh)
Eines der größten Verkaufsargumente des Huawei Mate 9 war der riesige 4000 mAh Akku. In einer Zeit, in der 3000 mAh noch als guter Durchschnitt galt, versprach das Mate 9 eine beeindruckende Akkulaufzeit von bis zu zwei Tagen. Doch wie sieht es nach Jahren intensiver Nutzung und natürlicher Degradation aus?
Die Batteriedegradation ist ein unvermeidlicher Prozess bei Lithium-Ionen-Akkus. Auch wenn das Mate 9 mit einem großen Akku gesegnet war, hat die Kapazität über die Jahre abgenommen. Anstatt der ursprünglichen zwei Tage Nutzungsdauer erreichen die meisten Mate 9-Geräte heute bei durchschnittlicher Nutzung (Surfen, Social Media, Messaging) eine Akkulaufzeit von etwa einem Arbeitstag. Das ist immer noch ein respektabler Wert für ein Gerät dieses Alters, liegt aber natürlich unter den Erwartungen an ein Neugerät.
Im Standby-Modus hält das Mate 9 die Ladung erstaunlich gut, was für eine gute Optimierung der EMUI-Software spricht, auch wenn sie nicht mehr aktualisiert wird. Die SuperCharge-Technologie von Huawei, die das Mate 9 unterstützt, funktioniert weiterhin tadellos. Mit dem passenden Ladegerät lädt der Akku in etwa 90 Minuten von 0 auf 100 Prozent, was auch heute noch schnell genug ist und ein klarer Vorteil gegenüber vielen Budget-Smartphones darstellt.
Es ist wichtig zu beachten, dass die tatsächliche Akkulaufzeit stark vom Nutzungsverhalten und dem individuellen Zustand des Akkus abhängt. Ein Mate 9, das von Anfang an intensiv genutzt wurde, wird eine stärkere Degradation aufweisen als ein Gerät, das nur selten geladen wurde. Dennoch kann man sagen, dass der Akku des Mate 9 auch heute noch zu den besseren gehört, insbesondere wenn man den Altersfaktor berücksichtigt. Es ist definitiv kein Dauerläufer mehr, aber es ist auch kein Gerät, das mittags schon wieder an die Steckdose muss.
Das Gesamtpaket: Display, Haptik, Software und mehr
Abseits der drei Kernbereiche gibt es weitere Aspekte, die das Mate 9 ausmachen. Das 5,9-Zoll-IPS-LCD-Display mit Full-HD-Auflösung (1920×1080 Pixel) liefert auch heute noch ein klares und ausreichend scharfes Bild. Die Farben sind lebendig und die Helligkeit ist für die meisten Situationen ausreichend, auch wenn es bei direktem Sonnenlicht an die Grenzen stößt. Ein 120-Hz-Display vermisst man im direkten Vergleich, aber das ist ein Luxus, den man bei einem Gerät dieser Generation nicht erwarten darf.
Die Haptik und das Design des Mate 9 sind nach wie vor hochwertig. Das Metallgehäuse fühlt sich robust an, und die Verarbeitung ist tadellos. Trotz der Größe liegt es überraschend gut in der Hand. Der physische Fingerabdrucksensor auf der Rückseite ist schnell und zuverlässig, oft sogar schneller als so mancher In-Display-Sensor moderner Geräte. Auch die Existenz eines klassischen 3,5-mm-Klinkenanschlusses für Kopfhörer wird viele Musikliebhaber freuen.
Wie bereits erwähnt, ist die Software (EMUI 9.1 auf Android 9 Pie) der größte Schwachpunkt. Das Fehlen von Sicherheitsupdates ist ein ernstes Problem, das das Gerät anfällig für Malware und Hacks macht. Auch die App-Kompatibilität könnte in Zukunft zum Problem werden, wenn Entwickler die Unterstützung für ältere Android-Versionen einstellen. Die Benutzeroberfläche selbst ist Geschmackssache; sie ist funktional, aber im Vergleich zu modernen Android-Iterationen wirkt sie überladen und weniger elegant. Positiv ist jedoch, dass das Gerät keine unnötige Bloatware enthält, was der Performance zugutekommt.
Die Konnektivität mit Wi-Fi 802.11ac, Bluetooth 4.2 und NFC ist für die meisten Anwendungsfälle immer noch ausreichend. 5G fehlt natürlich, aber das war damals noch kein Thema. Die Sprachqualität bei Telefonaten ist gut, und die Stereo-Lautsprecher liefern einen ordentlichen Klang, der für gelegentliches Musikhören oder Videos ausreicht.
Fazit: Lohnt sich das Huawei Mate 9 heute noch?
Unser Langzeit-Check des Huawei Mate 9 zeigt ein gemischtes Bild. Es ist beeindruckend, wie gut sich ein Smartphone, das vor mehr als einem halben Jahrzehnt auf den Markt kam, in einigen Kernbereichen immer noch schlägt. Der Kirin 960 ist für alltägliche Aufgaben nach wie vor ausreichend, die Leica Dual-Kamera liefert bei gutem Licht immer noch schöne Fotos und der große 4000 mAh Akku sorgt für eine solide Laufzeit, auch wenn die ursprüngliche Kapazität natürlich gelitten hat.
Doch die Zeit hinterlässt auch deutliche Spuren. Das größte Manko ist zweifellos die fehlende Software-Unterstützung und die veralteten Sicherheits-Updates. Dies macht das Mate 9 für viele Nutzer zu einer unsicheren Wahl, insbesondere wenn es um sensible Daten geht. Auch die Performance bei anspruchsvollen Spielen und die Kamera bei schlechten Lichtverhältnissen können mit modernen Geräten nicht mehr mithalten.
Für wen ist das Huawei Mate 9 heute noch geeignet? Es könnte eine Option sein für:
- Nutzer mit einem sehr geringen Budget, die ein zuverlässiges Zweitgerät suchen.
- Nostalgiker oder Sammler, die ein Stück Smartphone-Geschichte in den Händen halten möchten.
- Personen, die ihr Smartphone hauptsächlich zum Telefonieren, Surfen und für einfache Apps nutzen und keinen Wert auf die neuesten Features oder Gaming legen.
Als Haupt-Smartphone im Jahr 2024 ist das Huawei Mate 9 jedoch nur noch bedingt empfehlenswert. Die mangelnde Software-Wartung, die Einschränkungen bei anspruchsvollen Anwendungen und die veraltete Kamera-Performance im Low-Light-Bereich sprechen dagegen. Es war ein hervorragendes Gerät seiner Zeit, und es hat sich über die Jahre tapfer geschlagen. Aber die Entwicklung ist weitergegangen, und die Ansprüche an ein modernes Smartphone haben sich ebenfalls gewandelt.
Das Huawei Mate 9 ist ein Zeugnis dessen, was mit guter Hardware und sorgfältiger Verarbeitung erreicht werden kann, selbst wenn die Software-Unterstützung endet. Es ist nicht mehr das Flaggschiff, das es einmal war, aber es beweist, dass gute Ingenieurskunst auch nach Jahren noch einen gewissen Charme und Nutzen haben kann.