Benutzt man in Deutschland wirklich noch das Fax? Eine Spurensuche im digitalen Zeitalter

Manchmal scheint es, als wäre die Zeit in Deutschland in bestimmten Büros ein wenig stehen geblieben. Während der Rest der Welt längst über Messenger-Dienste, cloudbasierte Dokumentenverwaltung und künstliche Intelligenz spricht, rattert in vielen Ecken der Bundesrepublik noch immer ein treuer Gefährte aus analogen Zeiten vor sich hin: das Faxgerät. Ist das nur ein hartnäckiges Klischee oder steckt dahinter eine tiefere Wahrheit? Begleiten Sie uns auf eine faszinierende Spurensuche in einem Land, das die Digitalisierung zwar umarmt, aber bestimmte Relikte nicht ganz loslassen will.

### Eine Zeitreise: Vom Wunderwerk zur Nostalgie

Erinnern Sie sich noch an die späten 80er und 90er Jahre? Das Fax war damals der Inbegriff von Geschwindigkeit und Modernität in der Geschäftskommunikation. Es revolutionierte die Art und Weise, wie Dokumente übermittelt wurden. Statt auf die Post warten zu müssen, konnten Verträge, Bestellungen oder wichtige Nachrichten binnen Minuten von einem Ort zum anderen gesendet werden. Eine bahnbrechende Technologie, die Grenzen überwand und die Geschäftswelt beschleunigte. Dann kam das Internet, die E-Mail, und plötzlich schien das Fax ein Auslaufmodell zu sein – ein technischer Dinosaurier, dessen Aussterben nur eine Frage der Zeit war. Doch in Deutschland scheint dieser Dinosaurier ein ungewöhnlich langes Leben zu führen.

### Die deutsche Eigenart: Warum gerade hier?

Deutschland gilt als Exportweltmeister, als High-Tech-Nation. Doch wenn es um die Digitalisierung der Verwaltung oder bestimmter Branchen geht, hinkt man international hinterher. Das hartnäckige Festhalten am Fax ist dabei ein oft zitiertes Phänomen. Woran liegt das? Es ist eine komplexe Mischung aus Bürokratie, gesetzlichen Rahmenbedingungen, Sicherheitsdenken und einer gewissen Beharrlichkeit, die man als „deutsche Gründlichkeit” umschreiben könnte. „Ordnung muss sein” – und manchmal bedeutet das, an Bewährtem festzuhalten, selbst wenn es nicht mehr das effizienteste ist. Das deutsche Recht und die Verwaltung fordern oft eine „Schriftform”, die viele traditionell mit einem Ausdruck und einer Unterschrift assoziieren, selbst wenn moderne digitale Signaturen längst existieren.

### Wo das Fax überraschend präsent ist: Eine Branchenübersicht

Die „Spurensuche” führt uns in verschiedene Sektoren, in denen das Fax – oft entgegen aller Erwartungen – noch immer einen festen Platz hat.

#### 1. Der Gesundheitssektor: Arztpraxen, Kliniken und Apotheken

Hier ist das Fax nicht nur ein Relikt, sondern in vielen Fällen noch immer ein zentrales Kommunikationsmittel. Befunde, Überweisungen, Laborergebnisse, sogar Rezepte werden häufig per Fax zwischen Arztpraxen, Krankenhäusern und Apotheken ausgetauscht. Warum?
* **Datenschutz:** Paradoxerweise wird das Fax oft als sicherer angesehen als die E-Mail, wenn es um sensible Patientendaten geht. Die Vorstellung, dass eine E-Mail leicht abgefangen werden könnte, während ein Fax auf einer dedizierten Leitung als abgeschlossener Vorgang gilt, hält sich hartnäckig. Auch wenn moderne Verschlüsselungsstandards für E-Mails längst sicherer wären, ist das Vertrauen in die alte Technologie groß.
* **Beweiskraft:** Eine Faxbestätigung mit Sendedatum und -uhrzeit wird als Nachweis der Übermittlung geschätzt, insbesondere wenn Fristen einzuhalten sind.
* **Infrastruktur:** Viele Praxen und kleinere Kliniken haben historisch gewachsene Systeme und eine Umstellung auf digitale Alternativen ist oft mit hohen Investitionskosten und Schulungsaufwand verbunden, der im ohnehin schon überlasteten Alltag nur schwer zu stemmen ist. Die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) und des E-Rezepts schreitet nur langsam voran, und das Fax füllt diese Lücke.

#### 2. Die öffentliche Verwaltung und Behörden

Ob Finanzamt, Gericht, Polizei oder die örtliche Meldebehörde – auch hier begegnet uns das Fax immer wieder. Offizielle Schreiben, Einreichungen bei Gericht oder die Kommunikation zwischen verschiedenen Ämtern laufen oft noch über diesen Kanal.
* **Rechtssicherheit:** Wie im Gesundheitswesen spielt die Rechtssicherheit eine zentrale Rolle. Ein fristgerecht eingereichtes Dokument per Fax, dessen Sendebericht als Beleg dient, ist vor Gericht oft mehr wert als eine E-Mail, deren Ankunft und Unversehrtheit schwieriger zu beweisen sein kann.
* **Verbindlichkeit:** Das Fax wird als verbindlicher angesehen, wenn es um fristgebundene Erklärungen oder Anträge geht. Es ist ein formellerer Kanal als die schnelle E-Mail.
* **Standardisierung:** Obwohl es Alternativen wie die De-Mail gibt, ist das Fax aufgrund seiner weiten Verbreitung immer noch ein „kleinster gemeinsamer Nenner” für die Kommunikation zwischen verschiedenen Behörden, die nicht immer über die gleiche IT-Infrastruktur verfügen.

#### 3. Das Rechtswesen: Anwälte und Notare

Auch in Kanzleien und Notariaten hat das Fax seinen festen Platz. Die Übermittlung von Schriftsätzen, Klagen, Verträgen oder anderen wichtigen Dokumenten erfolgt häufig per Fax, insbesondere wenn es um Fristen geht. Die Möglichkeit, einen Sendebericht mit Zeitstempel zu erhalten, ist hier Gold wert und kann über den Erfolg eines Verfahrens entscheiden.

#### 4. Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU)

Viele KMU, insbesondere solche mit langer Tradition oder in weniger digitalisierten Branchen, setzen weiterhin auf das Fax. Dies kann aus Gewohnheit, mangelnden Ressourcen für eine digitale Transformation oder der Notwendigkeit resultieren, mit Partnern zu kommunizieren, die selbst noch Faxgeräte nutzen.

### Gründe für die überraschende Langlebigkeit des Faxes

Die hartnäckige Präsenz des Faxes ist nicht nur ein Kuriosum, sondern hat handfeste Gründe:

* **Die Illusion der Sicherheit und des Datenschutzes:** Wie bereits erwähnt, wird das Fax oft als sicherer wahrgenommen als die E-Mail, insbesondere nach den Skandalen um unverschlüsselte E-Mails und Datenlecks. Das Faxgerät steht physisch im Büro, die Leitung wird als direkt und „abhörsicher” empfunden – eine Wahrnehmung, die technisch nicht immer korrekt ist, aber psychologisch stark wirkt. Die DSGVO hat das Bewusstsein für Datenschutz geschärft, und viele sehen im Fax einen „sicheren Hafen”.
* **Rechtliche Beweiskraft:** Der Sendebericht eines Faxes, der oft Inhalt, Datum, Uhrzeit und Empfänger-Faxnummer ausweist, wird in vielen rechtlichen Kontexten als hinreichender Nachweis für die Zustellung eines Dokuments akzeptiert. E-Mails bieten diese Art von Beweismittel in Deutschland nicht ohne Weiteres.
* **Unkompliziertheit und Vertrautheit:** Für viele Nutzer ist das Faxgerät ein einfach zu bedienendes, vertrautes Werkzeug. Es erfordert keine spezielle Software, keine Zugangsdaten, und man muss sich keine Sorgen über Dateiformate oder Kompatibilität machen.
* **Interoperabilität:** Nicht alle Kommunikationspartner haben die gleiche digitale Ausstattung oder nutzen die gleichen sicheren Kommunikationsplattformen. Das Fax stellt oft den kleinsten gemeinsamen Nenner dar, über den jeder Dokumente austauschen kann.
* **Investition und Trägheit:** Die Umstellung auf rein digitale Workflows erfordert nicht nur neue Hardware und Software, sondern auch Schulungen und eine Anpassung etablierter Prozesse. Diese Investitionen und der damit verbundene Aufwand werden oft gescheut, solange das alte System noch „funktioniert”.

### Das moderne Fax: Ein alter Hut mit neuen Kleidern

Es wäre falsch anzunehmen, dass das Fax immer noch ein klobiges, lautes Gerät mit Thermopapier ist. Die Technologie hat sich angepasst. Viele Unternehmen nutzen heute Cloud-Fax-Dienste oder Fax-to-E-Mail-Lösungen. Hierbei wird ein Dokument, das eigentlich per Fax gesendet werden soll, über einen digitalen Dienst in ein Faxsignal umgewandelt und an ein herkömmliches Faxgerät gesendet – oder umgekehrt. Man spart sich das physische Gerät, die Papierkosten und eine dedizierte Telefonleitung, behält aber die juristische Beweiskraft und die „Fax-Nummer” als Kommunikationsadresse bei. Dies zeigt, dass es oft nicht um die *Technologie des Sendens* geht, sondern um die *Prozesssicherheit und Akzeptanz*.

### Die Schattenseiten: Wo das Fax an seine Grenzen stößt

Trotz seiner Langlebigkeit hat das Fax gravierende Nachteile im Vergleich zu modernen digitalen Lösungen:
* **Ineffizienz:** Das Fax ist langsam. Einscannen, Senden, Warten auf den Sendebericht, ggf. mehrmaliges Probieren – all das kostet Zeit und Arbeitskraft.
* **Papierverschwendung:** Auch wenn Cloud-Lösungen den Papierverbrauch reduzieren, führt die Notwendigkeit, Dokumente für den Versand auszudrucken oder empfangene Faxe zu archivieren, immer noch zu erheblichem Papierverbrauch und damit zu Umweltbelastung.
* **Umweltbilanz:** Neben Papierverbrauch kommen noch Toner, Strom und der Versand der physischen Geräte hinzu.
* **Mangelnde Integration:** Faxe sind oft isolierte Dokumente, die nicht leicht in digitale Workflows integriert werden können. Sie müssen manuell erfasst, abgelegt oder weiterverarbeitet werden, was zu Medienbrüchen führt.
* **Echte Sicherheit:** Entgegen der landläufigen Meinung ist das Fax nicht per se sicher. Faxleitungen können abgehört werden, und Dokumente, die auf einem unbeaufsichtigten Gerät ankommen, sind für jeden zugänglich. Moderne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung, wie sie bei sicheren E-Mail-Diensten oder Messenger-Diensten üblich ist, bietet ein deutlich höheres Schutzniveau.

### Die Zukunft des Faxes in Deutschland: Ein langsamer Abschied?

Wird das Fax in Deutschland jemals vollständig verschwinden? Wahrscheinlich nicht über Nacht. Der Wandel ist im Gange, aber er vollzieht sich mit deutscher Beharrlichkeit. Die jüngeren Generationen, die mit digitalen Kommunikationsmitteln aufgewachsen sind, drängen auf Veränderungen. Die Politik treibt die Digitalisierung der Verwaltung voran (z.B. über das Onlinezugangsgesetz) und auch im Gesundheitswesen werden elektronische Lösungen wie die ePA und das E-Rezept hoffentlich bald flächendeckend zum Standard.

Alternativen existieren bereits: die De-Mail, das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), das besondere elektronische Notarpostfach (beN) oder das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). Diese Systeme bieten die notwendige Rechtssicherheit und Authentizität für verbindliche Kommunikation. Deren Akzeptanz und flächendeckende Nutzung braucht jedoch Zeit.

Es ist eine Wette auf die Zukunft, ob und wann die Digitalisierung das Fax endgültig in die Geschichtsbücher verbannt. Eines ist jedoch sicher: Deutschland befindet sich auf dem Weg, wenn auch manchmal mit der Geschwindigkeit einer Dampflok im ICE-Zeitalter. Das Fax wird wohl noch eine Weile als treuer, wenn auch etwas angestaubter Begleiter in spezifischen Nischen überdauern, bevor es seinen Platz vollständig an modernere, effizientere und wirklich sicherere digitale Lösungen abtritt.

### Fazit: Mehr als nur ein Klischee

Die Spurensuche hat gezeigt: Ja, man benutzt in Deutschland wirklich noch das Fax – und das keineswegs nur aus Nostalgie. Es ist eine Mischung aus gewachsenen Strukturen, rechtlichen Anforderungen, dem Wunsch nach Beweiskraft und einer tief verwurzelten Skepsis gegenüber manchen digitalen Alternativen. Das Fax ist in Deutschland mehr als ein technisches Relikt; es ist ein Symbol für eine bestimmte Herangehensweise an Kommunikation und Verwaltung, die Sicherheit und Formalität über pure Effizienz stellt. Doch der digitale Wandel klopft immer lauter an die Tür, und selbst der hartnäckigste analoge Dinosaurier wird sich irgendwann den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Es bleibt spannend zu beobachten, wie schnell dieser Abschied letztlich vollzogen wird.