In der heutigen PC-Landschaft streben Nutzer stets nach maximaler Leistung und Flexibilität. Wer sich für ein AMD-System entschieden hat, findet oft eine leistungsstarke Kombination aus einer dedizierten Grafikkarte (dGPU) und einer im Prozessor integrierten Grafikeinheit (iGPU). Ein klassisches Beispiel hierfür ist die Nutzung einer AMD Radeon RX 5500 XT als dGPU gepaart mit einer AMD Vega 8 iGPU, die in vielen Ryzen-APUs zu finden ist. Die Verlockung, beide Grafikeinheiten gleichzeitig zu betreiben, ist groß – sei es für mehr Monitoranschlüsse, dedizierte Aufgaben oder einfach für eine verbesserte Systemflexibilität. Doch eine häufige Hürde dabei ist die einwandfreie Funktion von Radeon ReLive (mittlerweile in AMD Software: Adrenalin Edition als „Aufnehmen & Streamen“ integriert). Dieser Artikel beleuchtet umfassend, wie Sie diese Herausforderung meistern und das Beste aus Ihrem Hybrid-AMD-Setup herausholen können, ohne auf die praktischen Funktionen von ReLive verzichten zu müssen.
Warum beide GPUs gleichzeitig nutzen? Die Vorteile eines Hybrid-Setups
Die Idee, eine RX 5500 XT und eine Vega 8 iGPU parallel zu betreiben, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen, bietet aber eine Reihe von attraktiven Vorteilen:
* Erweiterte Monitorunterstützung: Dedizierte Grafikkarten wie die RX 5500 XT verfügen über eine begrenzte Anzahl von Videoausgängen. Wenn Sie mehr Monitore als die dGPU Anschlüsse hat, können die zusätzlichen Ausgänge der iGPU genutzt werden, um das Desktop-Erlebnis zu erweitern. Dies ist ideal für Multitasking-Profis oder Content Creator, die eine ausgedehnte Arbeitsfläche benötigen.
* Dedizierte Aufgabenverteilung: Die iGPU ist energieeffizient und leise. Für alltägliche Aufgaben wie Web-Browsing, Textverarbeitung oder Videowiedergabe kann die Vega 8 die primäre Rolle übernehmen, während die leistungsstärkere RX 5500 XT für anspruchsvolle Anwendungen wie Gaming oder Videobearbeitung reserviert bleibt. Dies kann die Leistungsaufnahme im Leerlauf senken und die Lebensdauer der dGPU potenziell verlängern, indem sie weniger unter Last steht.
* Optimiertes Streaming und Aufnehmen (mit ReLive): Dies ist der Kernpunkt und oft der schwierigste Aspekt. Theoretisch könnte die iGPU für das Encoding von Streams oder Aufnahmen genutzt werden, während die dGPU das Spiel rendert. Dies würde die Belastung der dGPU reduzieren und potenziell zu einer stabileren Gaming-Performance während des Streamings führen. In der Praxis wählt ReLive meist die GPU, die die Anwendung rendert, aber ein korrektes Setup stellt sicher, dass ReLive auf der richtigen Hardware aktiv ist.
* Redundanz und Flexibilität: Im Falle eines Problems mit der dGPU können Sie immer noch die iGPU nutzen, um Ihr System zu starten und Fehler zu beheben. Es bietet eine zusätzliche Schicht der Zuverlässigkeit.
Die Herausforderung: Dual-GPUs und Radeon Software/ReLive
Die gleichzeitige Nutzung von dGPU und iGPU ist unter Windows im Grunde möglich, doch die AMD Software: Adrenalin Edition und insbesondere die Funktion „Aufnehmen & Streamen” (ehemals Radeon ReLive) können dabei anspruchsvoll sein. Häufige Probleme umfassen:
* Treiberkonflikte: Wenn die Treiber nicht korrekt installiert sind oder miteinander inkompatibel sind, kann dies zu Systeminstabilität oder zur Nichterkennung einer der GPUs führen.
* Radeon Software Verwirrung: Die Software könnte Schwierigkeiten haben, die primäre Grafikkarte für bestimmte Aufgaben zu identifizieren, oder die „Aufnehmen & Streamen”-Funktion könnte fälschlicherweise melden, dass sie nicht verfügbar ist.
* Fehlfunktion von ReLive: Die Funktion „Aufnehmen & Streamen” ist eng an die Rendering-GPU gekoppelt. Wenn das Spiel auf der RX 5500 XT läuft, aber die Software die iGPU als primären Display-Ausgang interpretiert oder umgekehrt, kann ReLive streiken. Laptops mit Hybrid-Grafik lösen dies oft mit MUX-Switches oder speziellen Treibermechanismen, die bei Desktop-PCs nicht immer direkt anwendbar sind.
Technische Voraussetzungen und BIOS/UEFI-Einrichtung
Bevor wir uns den Software-Details widmen, ist eine korrekte Hardware- und BIOS-Konfiguration entscheidend:
1. Hardware-Check:
* Stellen Sie sicher, dass Ihr Mainboard über Videoausgänge (HDMI, DisplayPort) für die iGPU verfügt.
* Vergewissern Sie sich, dass Ihre CPU eine Vega 8 iGPU (z.B. Ryzen 5 3400G, 4600G, 5600G) besitzt.
* Ihre Radeon RX 5500 XT ist natürlich physisch korrekt im PCIe-Slot installiert und mit Strom versorgt.
2. BIOS/UEFI-Einstellungen (der wichtigste Schritt):
* Starten Sie Ihren PC neu und rufen Sie das BIOS/UEFI auf (meist durch Drücken von Entf, F2 oder F10 beim Start).
* Suchen Sie nach Einstellungen, die sich auf „Integrated Graphics”, „iGPU”, „Internal Graphics” oder „Multi-Monitor” beziehen.
* Aktivieren Sie die iGPU: Stellen Sie sicher, dass diese Option auf „Enabled” oder „Always Enabled” steht. Einige Mainboards schalten die iGPU automatisch ab, wenn eine dedizierte Grafikkarte erkannt wird. Das muss hier unterbunden werden.
* Primären Display-Ausgang festlegen: Dies ist extrem wichtig. Setzen Sie den primären Videoausgang auf den PCIe-Slot, in dem sich Ihre RX 5500 XT befindet (z.B. „PEG/PCIe 1” oder „dGPU”). Dadurch wird sichergestellt, dass Ihre Hauptanzeige von der dGPU verwaltet wird und Windows sowie die AMD Software dies als primäre Grafikkarte erkennen.
* CSM (Compatibility Support Module) deaktivieren: Für moderne Hardware und Windows 10/11 ist es ratsam, CSM zu deaktivieren und im reinen UEFI-Modus zu starten. Dies kann die Kompatibilität und Leistung verbessern.
* Speichern Sie die BIOS-Änderungen und starten Sie neu.
3. Verkabelung und Monitore:
* Verbinden Sie Ihren Haupt-Gaming-Monitor IMMER mit der RX 5500 XT. Dies ist entscheidend für ReLive.
* Verbinden Sie alle zusätzlichen Monitore, die von der iGPU profitieren sollen, mit den Videoausgängen Ihres Mainboards (die zur Vega 8 gehören).
Software-Konfiguration: Der Schlüssel zum Erfolg
Nach der BIOS-Konfiguration liegt der Fokus auf der Software-Seite. Eine korrekte Treiberinstallation und Windows-Einstellungen sind hier Gold wert.
1. Treiberinstallation – Der saubere Weg:
* Es wird dringend empfohlen, eine saubere Neuinstallation der Treiber durchzuführen. Laden Sie das neueste AMD Software: Adrenalin Edition-Paket direkt von der AMD-Website herunter. Dieses Paket sollte die Treiber für *beide* GPUs enthalten.
* Verwenden Sie den „Display Driver Uninstaller” (DDU) im abgesicherten Modus, um alle vorherigen AMD-Grafiktreiber vollständig zu entfernen. Dies verhindert Konflikte.
* Starten Sie im normalen Modus neu und installieren Sie das heruntergeladene Adrenalin-Paket. Der Installer sollte *beide* Ihre GPUs erkennen und die entsprechenden Treiber installieren. Überprüfen Sie nach der Installation im Geräte-Manager unter „Grafikkarten”, ob sowohl die RX 5500 XT als auch die Vega 8 korrekt aufgeführt sind.
2. Windows-Anzeigeeinstellungen:
* Klicken Sie mit der rechten Maustaste auf den Desktop und wählen Sie „Anzeigeeinstellungen”.
* Stellen Sie sicher, dass alle angeschlossenen Monitore erkannt werden und ordnen Sie sie nach Ihren Wünschen an. Identifizieren Sie, welcher Monitor welcher GPU zugewiesen ist (meist wird der primäre Gaming-Monitor, der an der RX 5500 XT hängt, als „Anzeige 1” oder „Hauptanzeige” geführt).
3. Windows-Grafikeinstellungen – Für optimale Performance:
* Gehen Sie in den Windows-Einstellungen zu „System” > „Anzeige” > „Grafikeinstellungen” (oder suchen Sie nach „Grafikeinstellungen”).
* Hier können Sie spezifischen Anwendungen oder Spielen manuell eine GPU zuweisen. Für alle Ihre Spiele und leistungshungrigen Anwendungen wählen Sie „Leistung” und stellen Sie sicher, dass diese die RX 5500 XT nutzen. Für weniger anspruchsvolle Anwendungen wie Browser oder Media Player können Sie „Energiesparmodus” (was die iGPU nutzen sollte) oder „Systemstandard” belassen.
* Aktivieren Sie die „Hardware-beschleunigte GPU-Planung”, falls verfügbar und gewünscht. Dies kann die Leistung bei hoher GPU-Auslastung verbessern.
4. AMD Software: Adrenalin Edition – Die ReLive-Konfiguration:
* Öffnen Sie die AMD Software: Adrenalin Edition.
* Gehen Sie zum Reiter „Gaming” > „Anzeigen”. Hier sehen Sie idealerweise beide Grafikkarten und die daran angeschlossenen Monitore. Ihre RX 5500 XT sollte als „Haupt-GPU” oder ähnlich markiert sein.
* Navigieren Sie zum Reiter „Aufnehmen & Streamen”.
* Wenn alles korrekt eingerichtet ist, sollte diese Funktion aktiv und nutzbar sein. Der wichtigste Punkt ist: Radeon ReLive (Aufnehmen & Streamen) wird in den meisten Fällen die GPU zum Encodieren verwenden, die auch die Anwendung (z.B. das Spiel) rendert.
* Da Sie Ihren Haupt-Gaming-Monitor an die RX 5500 XT angeschlossen und das Spiel dieser GPU zugewiesen haben, wird ReLive automatisch den Encoder der RX 5500 XT nutzen. Dies ist die bevorzugte Methode, da die dGPU in der Regel über einen leistungsstärkeren Encoder verfügt.
* Stellen Sie sicher, dass unter „Aufnehmen & Streamen” > „Einstellungen” die gewünschten Qualitätseinstellungen konfiguriert sind. Wenn Sie eine Fehlermeldung erhalten, dass „Aufnehmen & Streamen” nicht verfügbar ist, liegt ein Problem mit der Treiberinstallation, der BIOS-Konfiguration oder der GPU-Erkennung vor.
Potenzielle Probleme und Fehlerbehebung
Trotz sorgfältiger Einrichtung können manchmal Probleme auftreten:
* ReLive funktioniert nicht:
* Überprüfen Sie im Task-Manager (Tab „Leistung” > „GPU”), welche GPU die Anwendung tatsächlich rendert. Ist es die RX 5500 XT?
* Stellen Sie sicher, dass der Haupt-Gaming-Monitor *ausschließlich* an der RX 5500 XT hängt.
* Führen Sie einen sauberen Treiber-Reinstall mit DDU durch.
* Deaktivieren Sie vorübergehend andere Aufnahmesoftware (z.B. Xbox Game Bar, NVIDIA ShadowPlay, OBS), um Konflikte auszuschließen.
* Anzeigeprobleme / Schwarzer Bildschirm:
* Nach BIOS-Änderungen kann es zu einem schwarzen Bildschirm kommen. Setzen Sie das BIOS auf die Standardeinstellungen zurück (Clear CMOS).
* Überprüfen Sie alle Kabelverbindungen.
* Performance-Einbrüche:
* Während die iGPU für sekundäre Aufgaben genutzt wird, sollte dies die dGPU-Leistung nicht stark beeinträchtigen. Überprüfen Sie jedoch, ob Hintergrundprozesse auf der iGPU ungewöhnlich hohe Last verursachen.
* Stellen Sie sicher, dass die Spiele die RX 5500 XT verwenden und nicht fälschlicherweise die Vega 8.
Alternative: OBS Studio als flexibles Tool
Sollte die integrierte „Aufnehmen & Streamen”-Funktion der AMD Software trotz aller Bemühungen Schwierigkeiten bereiten, bietet OBS Studio eine hervorragende und oft flexiblere Alternative. OBS ermöglicht es Ihnen, den Encoder manuell auszuwählen. Sie können hier explizit den „AMD HW H.264/HEVC Encoder (AMF)” der RX 5500 XT wählen, selbst wenn die iGPU aktiv ist und andere Monitore betreibt. Dies gibt Ihnen volle Kontrolle und ist oft robuster im Hybrid-GPU-Betrieb.
Best Practices und Empfehlungen
* Hauptmonitor an dGPU: Dies ist die goldene Regel. Ihr primärer Gaming-Monitor MUSS an der RX 5500 XT angeschlossen sein.
* Treiber aktuell halten: Regelmäßige Updates der AMD Software: Adrenalin Edition stellen sicher, dass Sie von den neuesten Optimierungen und Fehlerbehebungen profitieren.
* Windows-Grafikeinstellungen nutzen: Weisen Sie leistungshungrige Anwendungen explizit der RX 5500 XT zu.
* DDU bei Problemen: Bei unerklärlichen Fehlern oder Instabilitäten ist ein sauberer Treiber-Reinstall mit DDU oft die schnellste Lösung.
* Testen, Testen, Testen: Nach jeder größeren Änderung, insbesondere im BIOS oder bei den Treibern, testen Sie die „Aufnehmen & Streamen”-Funktion ausgiebig.
Fazit
Die gleichzeitige Nutzung einer AMD Radeon RX 5500 XT und einer AMD Vega 8 iGPU ist definitiv machbar und bietet eine beeindruckende Flexibilität für Multitasking, erweiterte Monitor-Setups und sogar optimierte Streaming-Workflows. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einer sorgfältigen BIOS-Konfiguration, einer peniblen Treiberinstallation und der korrekten Zuweisung von Anwendungen zu den jeweiligen GPUs in Windows.
Wenn Sie diese Schritte befolgen, können Sie die Vorteile beider Grafiklösungen voll ausschöpfen und dabei die praktische „Aufnehmen & Streamen”-Funktion der AMD Software: Adrenalin Edition uneingeschränkt nutzen. Experimentieren Sie mit den Einstellungen und finden Sie die optimale Konfiguration für Ihr individuelles System und Ihre Anforderungen. Die Welt der Hybrid-Grafik bietet immense Möglichkeiten – es gilt nur, die richtigen Hebel zu finden und umzulegen.