Der absolute Super-GAU: Neuer PC zusammengebaut – und absolut nichts funktioniert

Stell dir vor: Wochenlange Vorfreude, das sorgfältige Auswählen jeder einzelnen Komponente, unzählige YouTube-Videos zum Zusammenbau studiert. Endlich liegen alle Teile auf dem Tisch. Du verbringst Stunden damit, jedes Kabel zu verlegen, jede Schraube festzuziehen, alles perfekt in das neue Gehäuse einzubauen. Der Moment der Wahrheit rückt näher. Mit einem triumphierenden Grinsen drückst du den Einschaltknopf deines brandneuen, selbstgebauten Gaming-PCs – und… nichts. Absolut nichts. Kein Lüfter dreht sich, keine LED leuchtet, kein Piepsen, kein Bild auf dem Monitor. Stille. Nur die eigene, panische Stille in deinem Kopf. Herzlich willkommen im absoluten Super-GAU des PC-Zusammenbaus!

Dieses Gefühl ist zutiefst frustrierend. Es ist eine Mischung aus Enttäuschung, Verzweiflung, Selbstzweifel und dem nagenden Verdacht, Tausende von Euros in einen nutzlosen Haufen Elektronik investiert zu haben. Aber keine Panik! Dieses Szenario ist weitaus häufiger, als du denkst, und in den meisten Fällen lässt sich das Problem mit Geduld und einer systematischen Fehlersuche beheben. Dieser Artikel ist dein Rettungsanker, deine Schritt-für-Schritt-Anleitung, um den vermeintlichen Albtraum in einen Triumph zu verwandeln.

Der erste Schock: Was bedeutet „absolut nichts funktioniert”?

Bevor wir in die Details gehen, definieren wir, was wir mit „absolut nichts” meinen. In diesem Kontext bedeutet es, dass dein PC beim Drücken des Power-Buttons keinerlei Lebenszeichen von sich gibt:

• Keine Lüfter drehen sich (CPU-Kühler, Gehäuselüfter, GPU-Lüfter, Netzteil-Lüfter).
• Keine LEDs leuchten (weder auf dem Mainboard noch am Gehäuse).
• Kein Piepton (BIOS/UEFI POST-Codes).
• Der Bildschirm bleibt komplett schwarz, zeigt kein Signal oder überhaupt keine Reaktion.

Wenn dein PC zwar Lüfter dreht oder LEDs leuchten, aber kein Bild kommt, sind das andere Probleme, die wir hier nur am Rande streifen. Dieser Artikel konzentriert sich auf den Fall, dass der Rechner *tot* zu sein scheint.

Phase 1: Ruhe bewahren und die grundlegendsten Dinge prüfen

Auch wenn es schwerfällt, atme tief durch. Die meisten Fehler sind simpler Natur. Beginne mit den offensichtlichsten Dingen:

1. Die Stromversorgung (Extern)

• Netzkabel richtig angeschlossen? Überprüfe, ob das Netzkabel sowohl fest im Netzteil als auch in der Steckdose steckt. Probiere eine andere Steckdose aus oder eine Mehrfachsteckdose, die du vorher an einem anderen Gerät getestet hast.
• Netzteil-Schalter an? Viele Netzteile haben auf der Rückseite einen kleinen Schalter (oft mit „I” und „O” oder „0” und „1” beschriftet). „I” oder „1” bedeutet AN. Dieser Schalter wird oft vergessen oder versehentlich umgelegt.
• Ist der Monitor angeschlossen und eingeschaltet? Ein häufiger Anfängerfehler ist die fehlende oder falsche Verbindung zum Monitor oder dessen ausgeschalteter Zustand. Wähle die richtige Eingangsquelle am Monitor (HDMI, DisplayPort etc.). Auch wenn der PC „tot” ist, sollte der Monitor zumindest anzeigen, dass kein Signal anliegt.

2. Die Stromversorgung (Intern)

Jetzt wird es spannend. Öffne das Gehäuse (wenn du es noch nicht offen hast) und überprüfe alle internen Stromkabel sorgfältig:

• Das 24-Pin ATX-Kabel: Dies ist das größte Kabel, das vom Netzteil zum Mainboard führt. Es liefert die Hauptstromversorgung. Stelle sicher, dass es fest und vollständig eingerastet ist. Manchmal muss man kräftig drücken, bis es hörbar einrastet.
• Das 8-Pin (oder 4+4 Pin) CPU-Stromkabel: Dieses Kabel, oft oben links am Mainboard, versorgt die CPU mit Strom. Auch hier: fest und vollständig einstecken. Manche Mainboards haben auch 8+4-Pin oder 8+8-Pin Anschlüsse, je nach Leistungsbedarf.
• Grafikkarten-Stromkabel (PCIe Power): Wenn du eine separate Grafikkarte hast, benötigt diese fast immer zusätzliche Stromkabel (6-Pin, 8-Pin oder Kombinationen davon). Diese kommen direkt vom Netzteil und müssen fest in die Grafikkarte eingesteckt sein.
• SATA-Stromkabel: Auch wenn diese nicht direkt für den Start relevant sind, stelle sicher, dass sie korrekt angeschlossen sind, um spätere Fehler zu vermeiden.

3. Die Front-Panel-Anschlüsse

Dies ist die Quelle vieler „PC startet nicht”-Probleme. Die kleinen Kabel vom Gehäuse (Power-Button, Reset-Button, HDD-LED, Power-LED) müssen korrekt an die entsprechenden Pins am Mainboard angeschlossen sein. Schau ins Mainboard-Handbuch! Die Belegung ist nicht universell und falsch angeschlossene Kabel können dazu führen, dass der Power-Button nicht funktioniert.

• Überprüfe die Beschriftung: Achte auf „PWR_BTN” oder „POWER SW”, „RESET SW”, „HDD LED”, „POWER LED” und die richtige Polarität (+/-).
• Test ohne Gehäuse-Schalter: Wenn du dir unsicher bist, kannst du den PC auch starten, indem du die beiden Pins für „POWER SW” am Mainboard mit einem Schraubenzieher kurz überbrückst. Sei vorsichtig und berühre nur diese beiden Pins. Wenn der PC dann startet, liegt das Problem an den Front-Panel-Kabeln oder dem Gehäuse-Schalter selbst.

Phase 2: Die tiefere Fehlersuche – Schritt für Schritt zur Komponententrennung

Wenn die einfachen Checks nichts gebracht haben, müssen wir systematischer vorgehen. Ziel ist es, den Fehler auf eine einzelne Komponente oder eine falsche Verbindung einzugrenzen.

1. Der Minimalstart (Barebones-Setup)

Die effektivste Methode, um einen Fehler einzugrenzen, ist der Minimalstart. Du entfernst alles, was nicht absolut notwendig ist, um den PC überhaupt zum POST (Power-On Self-Test) zu bewegen.

• Was du behältst:
  • Mainboard
  • CPU mit Kühler
  • Ein (!) RAM-Riegel
  • Netzteil
  • Bei fehlender integrierter Grafikeinheit: die Grafikkarte
• Was du entfernst:
  • Alle anderen RAM-Riegel
  • Alle Festplatten/SSDs (M.2-Laufwerke, SATA-Laufwerke)
  • Alle zusätzlichen PCIe-Karten (WLAN, Soundkarte etc.)
  • Alle Gehäuselüfter (außer CPU-Kühler)
  • Alle USB-Geräte, Maus, Tastatur (außer bei Bedarf für BIOS-Zugriff später)
  • Alle Front-Panel-Anschlüsse außer dem Power-Schalter oder überbrücke die Pins wie oben beschrieben.

Versuche den PC in dieser minimalistischen Konfiguration zu starten. Wenn er jetzt Lebenszeichen zeigt (Lüfter drehen, LEDs leuchten, evtl. sogar ein Piepton), dann liegt der Fehler an einer der entfernten Komponenten oder deren Anschluss. Du kannst die Komponenten dann einzeln wieder hinzufügen, um den Übeltäter zu finden.

2. RAM-Fehler ausschließen

Defekter oder falsch sitzender Arbeitsspeicher ist eine sehr häufige Ursache für Startprobleme.

• Neu Einsetzen: Nimm den einzelnen RAM-Riegel heraus und setze ihn fest wieder ein, bis die Halteklammern hörbar einrasten.
• Anderer Slot: Probiere den RAM-Riegel in einem anderen RAM-Slot aus. Manchmal ist ein Slot defekt.
• Anderer Riegel: Wenn du mehrere Riegel hast, teste jeden einzelnen Riegel in einem bekannten funktionierenden Slot.
• Kompatibilität: Stelle sicher, dass der RAM mit deinem Mainboard und deiner CPU kompatibel ist (Geschwindigkeit, Typ wie DDR4/DDR5).

3. Grafikkarte prüfen

Wenn dein PC Lüfter dreht, aber kein Bild kommt, ist die Grafikkarte ein heißer Kandidat. Bei „absolut nichts funktioniert” ist es weniger wahrscheinlich, aber dennoch relevant, wenn der Minimalstart fehlschlägt und du eine separate GPU benötigst.

• Integrierte Grafik: Wenn deine CPU eine integrierte Grafikeinheit (IGP) besitzt (Intel-CPUs ohne „F” im Namen, AMD APUs), entferne die dedizierte Grafikkarte komplett und schließe den Monitor direkt an das Mainboard an. Versuche zu starten. Wenn es funktioniert, liegt das Problem an der Grafikkarte oder ihrem PCIe-Slot/Stromanschluss.
• Fester Sitz: Stelle sicher, dass die Grafikkarte fest im PCIe-Slot sitzt und die Halteklammer eingerastet ist.
• Zusätzliche Stromversorgung: Überprüfe nochmals die zusätzlichen 6-Pin/8-Pin Stromkabel von der Grafikkarte.
• Anderer PCIe-Slot: Falls vorhanden, probiere die Grafikkarte in einem anderen PCIe-Slot.

4. CPU und CPU-Kühler

Eine falsch installierte CPU ist selten bei Totalausfall, aber möglich.

• Kühler: Stelle sicher, dass der CPU-Kühler korrekt installiert und die Stromversorgung für den Lüfter am „CPU_FAN”-Header auf dem Mainboard angeschlossen ist. Ein fehlender CPU-Lüfter-Anschluss kann den Start des Systems verhindern.
• CPU-Sitz: Wenn du einen Verdacht hast, dass die CPU nicht richtig sitzt oder Pins verbogen sind (bei AMD AM4/AM5), musst du den Kühler entfernen und die CPU überprüfen. Dies ist jedoch ein Risikofaktor und sollte nur erfolgen, wenn alle anderen Schritte erfolglos waren.

5. BIOS-Reset / CMOS-Clear

Manchmal sind die BIOS/UEFI-Einstellungen durcheinander. Ein CMOS-Reset setzt diese auf die Werkseinstellungen zurück.

• Methode 1 (Jumper): Die meisten Mainboards haben einen „CMOS_CLR” oder „JBAT1” Jumper. Schalte den PC aus, ziehe das Netzkabel. Überbrücke die beiden Pins für einige Sekunden (siehe Handbuch).
• Methode 2 (Batterie): Schalte den PC aus, ziehe das Netzkabel. Entferne die kleine Knopfzellenbatterie (CR2032) vom Mainboard für 1-2 Minuten. Setze sie wieder ein.

6. Mainboard-Diagnose-LEDs oder Debug-Codes

Viele moderne Mainboards haben kleine LEDs (oft mit „CPU”, „RAM”, „VGA”, „BOOT” beschriftet) oder ein kleines Display, das Debug-Codes anzeigt. Diese können ungemein hilfreich sein, um den Problembereich zu identifizieren. Konsultiere das Mainboard-Handbuch, um die Bedeutung der Codes oder leuchtenden LEDs zu entschlüsseln.

7. Das Netzteil testen (Paperclip-Test)

Wenn du wirklich unsicher bist, ob das Netzteil überhaupt Strom liefert, kannst du einen Paperclip-Test durchführen. ACHTUNG: Dies ist ein fortgeschrittener Schritt und sollte mit größter Vorsicht erfolgen, da du mit Strom arbeitest!

• Schalte das Netzteil aus und trenne alle Kabel vom Netzteil außer dem 24-Pin ATX-Kabel.
• Nimm eine aufgebogene Büroklammer oder ein Stück Draht.
• Führe die Büroklammer in den grünen Pin (Power_On) und einen der schwarzen Pins (Masse) des 24-Pin ATX-Kabels ein.
• Schalte das Netzteil ein. Wenn der Lüfter des Netzteils sich dreht, liefert es Strom. Wenn nicht, ist das Netzteil wahrscheinlich defekt.

Denke daran: Ein drehender Lüfter bedeutet, dass das Netzteil *Strom liefern kann*, aber nicht unbedingt, dass es *genug oder den richtigen Strom* für das System liefert. Es ist aber ein guter erster Indikator.

Phase 3: Häufige Stolperfallen und fortgeschrittene Szenarien

1. Mainboard-Standoffs

Haben die Abstandshalter (Standoffs) zwischen Mainboard und Gehäuse die richtige Position und Anzahl? Zu viele oder falsch platzierte Standoffs können Kurzschlüsse verursachen, die den Start des Systems komplett verhindern.

2. Gehäuse-Kurzschluss

Baue das System im Zweifelsfall außerhalb des Gehäuses auf einer antistatischen Unterlage oder der Mainboard-Verpackung zusammen. Wenn es dann funktioniert, verursacht das Gehäuse irgendwo einen Kurzschluss.

3. Defekte Komponenten

Es ist selten, aber nicht ausgeschlossen, dass eine brandneue Komponente defekt ist (DOA – Dead On Arrival). Wenn du die Möglichkeit hast, teste Komponenten wie RAM, Grafikkarte oder Netzteil in einem anderen System. Oder versuche, ein funktionierendes Teil (z.B. ein altes Netzteil oder einen RAM-Riegel) in dein neues System einzubauen, um den Fehler einzugrenzen.

4. BIOS-Kompatibilität

Besonders bei neueren CPU-Generationen, die auf älteren Mainboard-Chipsätzen laufen (z.B. Ryzen 5000 auf älteren B450-Mainboards), kann ein veraltetes BIOS/UEFI das Starten verhindern. Hier wäre ein BIOS-Update erforderlich, was ohne funktionierenden PC schwierig ist und oft einen älteren, kompatiblen Prozessor erfordert (oder eine spezielle BIOS-Flashback-Funktion des Mainboards).

Zusammenfassung und letzte Tipps

Der „Super-GAU”, dass dein neuer PC absolut nichts von sich gibt, ist eine ernste, aber oft behebbare Herausforderung. Der Schlüssel liegt in der systematischen Fehlersuche:

1. Ruhe bewahren: Panik führt zu mehr Fehlern.
2. Grundlagen checken: Kabel, Schalter, Monitor.
3. Minimalstart: Alles Unnötige entfernen.
4. Einzelne Komponenten prüfen: RAM, Grafikkarte, CPU-Sitz und -Kühler.
5. Mainboard-Diagnose: LEDs, Debug-Codes, CMOS-Reset.
6. Netzteil-Test: Nur wenn alle Stricke reißen und du weißt, was du tust.

Dokumentiere jeden Schritt, den du unternimmst. Mach Fotos von den Anschlüssen, bevor du etwas änderst. Nimm dir Zeit. Oft ist es eine Kleinigkeit, ein nicht ganz eingerastetes Kabel oder ein falsch platzierter Pin, der den ganzen Start verhindert.

Sollte nach all diesen Schritten immer noch nichts funktionieren, ist es an der Zeit, über einen Austausch von Komponenten (Garantie/RMA) oder die Hilfe eines Fachmanns nachzudenken. Aber sei versichert: Die meisten dieser Probleme lassen sich zu Hause lösen. Und wenn dein PC dann endlich mit einem leisen Summen zum Leben erwacht, ist das Gefühl der Genugtuung und des Triumphes umso größer. Viel Erfolg!