Der Motorradmarkt ist voller Verlockungen, aber für frischgebackene Besitzer des Führerscheins A2 kann die Auswahl des ersten Bikes eine echte Herausforderung sein. Man möchte etwas, das begeistert, aber auch beherrschbar bleibt. Inmitten der üblichen Verdächtigen wie 300er und 400er Twin-Zylinder-Maschinen taucht seit Kurzem ein exotischer Name auf, der die Herzen höher schlagen lässt: die Kawasaki ZX-4RR. Ein vollwertiger Supersportler mit Reihenvierzylinder, der sich auf 48 PS drosseln lässt. Doch ist dieser „Mini-Ninja“ wirklich das ideale A2 Motorrad für Einsteiger oder birgt er unerkannte Fallstricke?
Die Faszination ZX-4RR: Was macht sie so besonders?
Die Kawasaki ZX-4RR ist kein typisches Einsteigerbike. Sie ist ein Statement. Ihr Herzstück ist ein flüssigkeitsgekühlter Reihenvierzylinder mit 399 cm³, der in ungedrosseltem Zustand satte 77 PS (bzw. 80 PS mit Ram-Air-Effekt) bei atemberaubenden 14.500 U/min leistet. Das ist eine Drehzahlorgie, die man sonst nur von deutlich größeren, reinrassigen Supersportlern kennt. Dazu gesellen sich ein hochwertiges Fahrwerk mit voll einstellbaren Showa-Federelementen, radiale Bremszangen und ein umfassendes Elektronikpaket inklusive verschiedener Fahrmodi, Traktionskontrolle und serienmäßigem Quickshifter. Optisch ist sie eine Miniaturausgabe der legendären ZX-10R – aggressiv, sportlich und absolut unverwechselbar.
Diese Kombination aus High-End-Technik, beeindruckender Leistung (im ungedrosselten Zustand) und dem unvergleichlichen Sound eines hochdrehenden Vierzylinders macht die ZX-4RR zu einem absoluten Hingucker und einem Traum für viele Motorradenthusiasten. Doch gerade diese Faszination wirft die Frage auf: Passt sie auch zu den Anforderungen und dem Können eines Motorrad Anfängers?
Die A2-Drosselung: Potenzial trifft Begrenzung
Der Schlüssel zur Eignung als A2-Motorrad liegt in der Möglichkeit der Leistungsreduzierung. Gemäß den Bestimmungen für den Führerschein A2 dürfen Motorräder eine maximale Leistung von 35 kW (48 PS) aufweisen und ein Ausgangsleistungsgewicht von 0,2 kW/kg nicht überschreiten. Die ZX-4RR erfüllt diese Kriterien, indem sie mittels eines Drosselkits (meist in Form einer ECU-Anpassung oder eines mechanischen Gaswegbegrenzers) auf exakt 35 kW heruntergeregelt wird. Das zulässige Leistungsgewicht wird ebenfalls eingehalten, da das Motorrad ungedrosselt über die dafür nötige Maximalleistung von 70 kW (95 PS) verfügt (die ZX-4RR mit 77 PS liegt deutlich darunter).
Die A2 Drosselung bedeutet, dass der Vierer-Reihenmotor seine volle Drehzahl zwar noch erreichen kann, aber die Leistungskurve stark beschnitten wird. Das typische „Bollern” und „Kreischen” des Vierzylinders ist zwar noch da, aber der brachiale Schub bleibt aus. Für den Fahranfänger bedeutet das, dass er ein Motorrad fährt, das sich zwar wie ein Supersportler anfühlt und aussieht, dessen Leistungsabgabe aber auf ein beherrschbares Maß reduziert ist. Nach zwei Jahren, wenn der A2-Führerschein auf A erweitert werden kann, lässt sich die Drosselung legal entfernen, und das volle Potenzial des Hochdrehzahlmotors wird freigesetzt.
Vorteile der ZX-4RR für A2-Einsteiger: Mehr als nur PS
1. Das überlegene Fahrwerk und die Bremsen
Einer der größten Vorteile der ZX-4RR gegenüber vielen typischen A2-Bikes ist ihre hochwertige Ausstattung. Während andere Einsteigermodelle oft auf einfache Komponenten setzen müssen, profitiert die ZX-4RR von ihrer Supersport-DNA. Das Fahrwerk ist präzise, stabil und bietet hervorragendes Feedback. Die voll einstellbare Showa SFF-BP Gabel und der horizontal gelagerte Back-Link-Stoßdämpfer ermöglichen eine individuelle Anpassung an Fahrstil und Gewicht, was für mehr Vertrauen und Sicherheit sorgt. Auch die Bremsanlage mit radial montierten Sätteln ist über jeden Zweifel erhaben und bietet exzellente Verzögerung und Dosierbarkeit – ein essenzieller Sicherheitsfaktor für jeden Fahrer.
2. Exzellentes Handling und Agilität
Trotz ihres sportlichen Anspruchs ist die ZX-4RR mit einem Gewicht von ca. 188 kg fahrfertig erstaunlich handlich. Der leichte Aluminiumrahmen (oder der Gitterrohrrahmen, je nach genauer Bauart bei Kawasaki) in Kombination mit der sportlichen Geometrie sorgt für eine beeindruckende Agilität. Kurvenfahren wird zum Vergnügen, und das Bike lässt sich präzise in die gewünschte Linie steuern. Dies fördert das Fahrgefühl und hilft dem A2-Fahranfänger, seine Fähigkeiten schnell zu entwickeln und ein tiefes Verständnis für die Dynamik eines Motorrades aufzubauen.
3. Das „Reifen hineinwachsen”: Langfristige Freude ohne Neukauf
Dies ist vielleicht der überzeugendste Punkt für die ZX-4RR. Viele A2-Fahrer sind nach zwei Jahren und dem Erwerb des A-Führerscheins frustriert, weil ihr „kleines” Bike an seine Grenzen stößt und der Wunsch nach mehr Leistung groß wird. Die ZX-4RR löst dieses Problem elegant: Nach dem Entdrosseln verwandelt sie sich von einem beherrschbaren A2-Bike in einen echten Supersportler mit 77 PS. Man behält das vertraute Fahrwerk und die Ergonomie, bekommt aber einen massiven Leistungsschub. Dies spart nicht nur Geld für einen Neukauf, sondern ermöglicht auch eine kontinuierliche Entwicklung auf demselben Motorrad.
4. Prestige und der „Supersportler-Faktor”
Die ZX-4RR sieht aus wie ein großer Supersportler, klingt wie einer und bietet die Ausstattung eines solchen. Für viele ist das schon Grund genug. Das Gefühl, einen hochwertigen Sportler zu fahren, auch wenn er gedrosselt ist, steigert das Selbstvertrauen und die Freude am Hobby. Der unverwechselbare Sound des Reihenvierzylinders bei hohen Drehzahlen ist ein Genuss, den man bei vielen anderen A2-Motorrädern vermisst.
Nachteile und Bedenken: Die Kehrseite der Medaille
1. Der Preis: Ein Luxus für Einsteiger?
Der wohl größte Hinderungsgrund für viele ist der Preis. Mit einem Neupreis von über 9.000 Euro (Stand 2024) ist die ZX-4RR deutlich teurer als die meisten anderen A2-Motorräder. Eine Kawasaki Ninja 400 oder eine Yamaha R3 kosten mehrere Tausend Euro weniger. Dieser hohe Anschaffungspreis kann für einen Fahranfänger, der vielleicht noch nicht sicher ist, ob das Motorradfahren dauerhaft sein Hobby sein wird, eine erhebliche Investition darstellen. Man muss abwägen, ob das Potenzial für die Zukunft diesen Preis rechtfertigt.
2. Die aggressive Sitzposition und Ergonomie
Die ZX-4RR ist ein Supersportler – und das spürt man. Die Sitzposition ist sportlich geneigt, mit hohem Soziussitz, niedrigen Lenkerstummeln und höher positionierten Fußrasten. Für kurze, sportliche Ausfahrten mag das passen, aber für längere Touren oder den täglichen Arbeitsweg kann dies für den ungeübten Fahrer schnell ermüdend werden. Nacken, Handgelenke und Rücken werden stärker beansprucht als auf einer komfortableren Naked Bike oder einem Sporttourer. Ein Anfänger sollte unbedingt eine Probefahrt machen, um zu sehen, ob er sich mit dieser Ergonomie wohlfühlt.
3. Wartung und Unterhaltskosten
Ein Reihenvierzylinder, der auf hohe Drehzahlen ausgelegt ist, kann im Unterhalt teurer sein als ein einfacher Einzylinder oder Twin. Mehr Zylinder bedeuten mehr Zündkerzen, mehr Ventile, potenziell komplexere Wartungsarbeiten. Auch der Verbrauch kann, besonders wenn man den Motor ausreizt (auch gedrosselt), höher sein als bei sparsameren A2-Bikes. Versicherungsprämien für ein „Supersportler”-Modell könnten ebenfalls höher ausfallen, selbst wenn es gedrosselt ist.
4. „Zuviel” Motorrad trotz Drosselung?
Auch wenn die Leistung auf 48 PS begrenzt ist, ist die ZX-4RR immer noch ein vollwertiges Supersportmotorrad mit allen dessen Eigenheiten. Die scharfe Gasannahme, die Empfindlichkeit des Fahrwerks und die Notwendigkeit, hohe Drehzahlen zu fahren, um das gedrosselte Leistungsmaximum zu erreichen, können für einen absoluten Motorrad Neuling anfangs überfordernd sein. Das Bike verzeiht vielleicht weniger Fahrfehler als eine gutmütige Naked Bike mit moderaterem Charakter. Es erfordert eine gewisse Disziplin und Sensibilität, um es sicher zu beherrschen.
Alternativen im A2-Segment: Der Vergleich
Es gibt zahlreiche hervorragende A2-Motorräder auf dem Markt, die eine ernstzunehmende Konkurrenz zur ZX-4RR darstellen:
- Kawasaki Ninja 400: Deutlich günstiger, leichter, sehr anfängerfreundlich, aber „nur” ein Zweizylinder und weniger High-End-Ausstattung. Eine sehr beliebte Wahl für Motorrad Anfänger.
- KTM RC 390: Aggressive Optik, sehr sportlich, leicht, aber nur ein Einzylinder mit geringerer Laufkultur und dem typischen KTM-Charakter.
- Yamaha R3: Eleganter Twin, gutmütig, gute Ausstattung für den Preis, aber ebenfalls kein Vierzylinder.
- Honda CBR500R: Komfortabler, größerer Twin, gute Langstreckentauglichkeit, aber weniger sportlich im reinen Supersport-Sinn.
Diese Alternativen bieten oft ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis für den reinen A2-Zeitraum und sind ergonomisch für viele Einsteiger angenehmer. Die ZX-4RR spielt in einer eigenen Liga, sowohl preislich als auch technisch.
Für wen ist die Kawasaki ZX-4RR als A2-Motorrad die richtige Wahl?
Die ZX-4RR ist sicherlich nicht für jeden A2-Fahranfänger geeignet. Aber für eine bestimmte Gruppe kann sie die perfekte Wahl sein:
- Der ambitionierte Einsteiger: Wer von Anfang an weiß, dass er dem Supersportler-Segment treu bleiben möchte und langfristig plant, wird die Möglichkeit zu schätzen wissen, ein Bike „mitwachsen” zu lassen.
- Der Technik-Enthusiast: Wer Wert auf hochwertige Komponenten, modernste Elektronik und den Mythos eines Reihenvierzylinders legt, auch wenn er gedrosselt ist.
- Der Sound-Liebhaber: Wer den einzigartigen Klang eines hochdrehenden Vierzylinders liebt und nicht bereit ist, Kompromisse einzugehen.
- Der Budget-flexible: Wer bereit ist, den höheren Preis für die gebotene Technik und das spätere Leistungspotenzial zu zahlen.
- Der Zweitbesitzer: Auch als Gebrauchtfahrzeug könnte sie interessant werden, wenn der Erstbesitzer die „Vorarbeit” der Drosselung und Einfahrzeit geleistet hat und der Preis etwas moderater wird.
Fazit: Eine Investition in die Zukunft des Fahrvergnügens
Die Kawasaki ZX-4RR als A2 Motorrad ist ein faszinierendes Konzept und definitiv kein gewöhnliches Einsteigerbike. Sie ist ein Premium-Produkt, ein waschechter Supersportler, der sich temporär dem A2-Reglement unterwirft, um später sein volles Potenzial zu entfalten. Für den richtigen Fahrertyp – den ambitionierten, technikbegeisterten und finanziell flexiblen Motorrad Anfänger, der von Anfang an eine langfristige Beziehung zu seinem Bike aufbauen möchte – kann sie eine exzellente Wahl sein. Man bekommt ein überragendes Fahrwerk, Top-Bremsen und die Gewissheit, dass das Bike mit dem eigenen Können mitwächst. Wer jedoch ein möglichst günstiges, komfortables und unkompliziertes erstes Motorrad sucht, sollte sich eher bei den traditionellen A2-Modellen umsehen. Die ZX-4RR ist eine Investition in die Zukunft des Fahrvergnügens, die sich für den passenden Fahrer definitiv auszahlen kann.