Im Bus angeschrien und bedroht wegen eines Sitzplatzes: So verhalten Sie sich richtig!

Öffentliche Verkehrsmittel sind ein fester Bestandteil unseres Alltags. Sie bringen uns zur Arbeit, zur Schule, zu Freunden oder zum Einkaufen. Meistens sind diese Fahrten ereignislos und unkompliziert. Doch manchmal kann aus einer alltäglichen Situation ein wahrer Albtraum werden – zum Beispiel, wenn Sie wegen eines Sitzplatzes unvermittelt von einer fremden Person angeschrien, beleidigt oder sogar bedroht werden. Ein solcher Vorfall kann zutiefst verunsichern, schockieren und sogar Traumata hinterlassen. Wie verhält man sich in so einer unerwarteten und aufgeladenen Situation richtig, um sich selbst zu schützen und die Situation nicht eskalieren zu lassen?

Dieser Artikel soll Ihnen einen umfassenden Leitfaden an die Hand geben, wie Sie in einer solchen Konfrontation im Bus – oder generell in öffentlichen Verkehrsmitteln – besonnen und sicher reagieren können. Wir beleuchten Strategien zur Deeskalation, Maßnahmen zur eigenen Sicherheit und Schritte, die Sie nach einem solchen Vorfall unternehmen können.

Der Schockmoment: Was tun im ersten Augenblick?

Ein lautes Anschreien, plötzliche aggressive Gesten oder beleidigende Worte sind ein Schock. Ihr Körper reagiert instinktiv mit Stress: Herzrasen, flache Atmung, das Gefühl von Angst oder Wut. In dieser ersten Phase ist es entscheidend, nicht instinktiv zurückzuschreien oder aggressiv zu reagieren, auch wenn der Impuls stark ist. Eine Eskalation bedeutet oft eine größere Gefahr für alle Beteiligten.

• Bewahren Sie Ruhe (so gut es geht): Auch wenn es unglaublich schwerfällt, versuchen Sie, ruhig zu bleiben. Atmen Sie tief durch. Eine ruhige Reaktion von Ihrer Seite kann der aufgebrachten Person signalisieren, dass Sie keine Bedrohung darstellen und an keiner Eskalation interessiert sind.
• Analysieren Sie die Situation schnell: Handelt es sich um eine Person, die unter starkem Alkoholeinfluss steht, psychisch angeschlagen wirkt oder gezielt auf Konfrontation aus ist? Diese Einschätzung kann Ihre weiteren Reaktionen beeinflussen.
• Körpersprache prüfen: Ihre Körperhaltung spricht Bände. Vermeiden Sie eine konfrontative Haltung (z.B. verschränkte Arme, direkte Blickduelle, Hände in die Hüften gestemmt). Versuchen Sie, eine offene, aber schützende Haltung einzunehmen. Eine seitliche Drehung zum Aggressor kann die Konfrontation mindern, ohne dass Sie ihm den Rücken zukehren.
• Sprechen Sie nicht zurück (zunächst): Der Impuls, sich zu verteidigen oder zu rechtfertigen, ist stark. In den ersten Sekunden kann es jedoch effektiver sein, gar nichts zu sagen, um dem Angreifer keine weitere Angriffsfläche oder Rechtfertigung für sein Verhalten zu geben. Lassen Sie ihn erst einmal „Luft ablassen”.

Deeskalation ist der Schlüssel: Verbale und nonverbale Strategien

Das primäre Ziel in einer Konfrontationssituation ist die Deeskalation – also das Herunterfahren der Spannung und das Vermeiden einer physischen Auseinandersetzung. Hier sind bewährte Strategien:

Verbale Deeskalation:

• Sprechen Sie ruhig und leise: Passen Sie Ihre Stimmlage an. Wenn jemand schreit, ist es kontraproduktiv, zurückzuschreien. Eine ruhige, tiefe Stimme kann beruhigend wirken und dem Gegenüber signalisieren, dass Sie die Situation ernst nehmen, aber nicht in den Kampfmodus gehen.
• Verwenden Sie „Ich”-Botschaften: Anstatt anklagend zu sein („Sie schreien mich an!”), formulieren Sie Ihre Gefühle: „Ich fühle mich durch Ihre Worte sehr unwohl” oder „Ich verstehe nicht, warum Sie so wütend sind, und das macht mir Angst.” Das nimmt den direkten Angriff auf die Person heraus und fokussiert auf Ihre Empfindung.
• Erkennen Sie das Gefühl an (nicht das Verhalten): Sagen Sie beispielsweise: „Ich sehe, dass Sie sehr wütend sind” oder „Es tut mir leid, wenn ich Sie unabsichtlich verärgert habe.” Damit signalisieren Sie Verständnis für die Emotion, ohne das aggressive Verhalten zu billigen.
• Bieten Sie einfache Lösungen an: Geht es wirklich um den Sitzplatz? „Es tut mir leid, wenn Sie diesen Platz wollten. Ich kann gerne aufstehen, wenn Sie ihn brauchen.” Manchmal reicht eine solche Geste, um die Person aus ihrer Aggression zu holen, auch wenn es sich um einen völlig ungerechtfertigten Anspruch handelt.
• Setzen Sie klare, aber ruhige Grenzen: „Bitte schreien Sie mich nicht an” oder „Ich möchte das Gespräch gerne fortsetzen, aber nur, wenn wir ruhig reden.” Dies ist eine Aufforderung zur Kooperation, keine Provokation.
• Ignorieren Sie Provokationen: Aggressoren suchen oft eine Reaktion. Beleidigungen oder persönliche Angriffe sollten, wenn möglich, ignoriert werden. Bleiben Sie bei der Sache und versuchen Sie, die Situation zu beruhigen, statt auf jede Provokation einzugehen.

Nonverbale Deeskalation:

• Halten Sie Abstand: Schaffen Sie, wenn möglich, eine sichere Distanz zwischen sich und der aggressiven Person. Stehen Sie auf oder wechseln Sie den Platz, wenn dies gefahrlos möglich ist.
• Augenkontakt sparsam einsetzen: Direkter, starrer Augenkontakt kann als Herausforderung empfunden werden. Blicken Sie stattdessen ab und zu auf die Person, dann wieder zur Seite oder auf deren Oberkörper. Vermeiden Sie es, sich wegzudrehen, da dies auch als Schwäche oder Verweigerung interpretiert werden kann.
• Offene Gesten: Halten Sie Ihre Hände sichtbar und offen. Vermeiden Sie es, Fäuste zu ballen oder Ihre Arme zu verschränken. Dies signalisiert, dass Sie keine Bedrohung sind.
• Keine hastigen Bewegungen: Langsame, überlegte Bewegungen vermitteln Ruhe und Kontrolle.

Wenn Deeskalation nicht funktioniert oder Gefahr droht: Hilfe holen!

Es gibt Situationen, in denen Deeskalation nicht möglich ist oder die Gefahr bereits zu groß ist. In solchen Fällen ist es entscheidend, aktiv Hilfe zu suchen und Ihre eigene Sicherheit an erste Stelle zu setzen.

• Informieren Sie den Busfahrer / die Busfahrerin: Dies ist Ihr erster und wichtigster Ansprechpartner. Der Fahrer ist für die Sicherheit der Fahrgäste verantwortlich und hat Möglichkeiten einzugreifen. Drücken Sie den Notfallknopf, falls vorhanden, oder sprechen Sie den Fahrer direkt an. Er kann anhalten, die Polizei rufen oder die Türen öffnen, damit Sie aussteigen können.
• Suchen Sie Zeugen: Machen Sie andere Fahrgäste auf die Situation aufmerksam. Ein einfacher, direkter Appell wie „Können Sie mir bitte helfen?” oder „Bitte rufen Sie die Polizei!” kann andere dazu bewegen, einzugreifen oder zumindest die Situation zu bezeugen. Mehrere Zeugen können den Angreifer abschrecken und sind später für eine mögliche Anzeige von unschätzbarem Wert.
• Rufen Sie die Polizei (Notruf 110): Wenn Sie sich massiv bedroht fühlen, Gewalt angedroht wird oder bereits körperliche Übergriffe stattfinden, zögern Sie nicht, den Notruf 110 zu wählen. Geben Sie den genauen Standort (Buslinie, Richtung, nächste Haltestelle) und eine kurze Beschreibung der Situation und der beteiligten Person an. Bleiben Sie, wenn möglich, am Telefon, bis die Polizei eintrifft oder Sie Anweisungen erhalten.
• Schaffen Sie physische Distanz: Wenn es sicher ist, wechseln Sie den Platz, gehen Sie weiter weg oder steigen Sie an der nächsten Haltestelle aus. Ihre körperliche Unversehrtheit hat oberste Priorität.
• Dokumentieren Sie diskret: Wenn die Situation es erlaubt und Sie sich dabei sicher fühlen, versuchen Sie, Details zu merken: Aussehen der Person (Kleidung, besondere Merkmale), genaue Zeit, Buslinie, Fahrtrichtung, genaue Worte der Bedrohung. Von direktem Filmen oder Fotografieren ist abzuraten, da dies in Deutschland ohne Einverständnis der Person rechtliche Konsequenzen haben kann, insbesondere wenn es sich nicht um eine offensichtliche Straftat handelt oder zur unmittelbaren Beweissicherung dient. Merken Sie sich stattdessen die Details.

Nach dem Vorfall: Umgang mit den Auswirkungen und weiteren Schritten

Ein solcher Vorfall ist nicht einfach so abgehakt. Er kann psychologische Auswirkungen haben, die von Schock über Angst bis hin zu Schlafstörungen reichen können. Es ist wichtig, sich selbst nach dem Vorfall zu kümmern und die notwendigen Schritte zu unternehmen.

• Sprechen Sie darüber: Vertrauen Sie sich Freunden, Familie oder einer Vertrauensperson an. Das Reden über das Erlebte kann helfen, den Schock zu verarbeiten und das Gefühl der Isolation zu mindern.
• Erstatten Sie Anzeige bei der Polizei: Auch wenn Sie physisch unversehrt geblieben sind, stellen verbale Drohungen, Beleidigungen oder Nötigung eine Straftat dar. Eine Anzeige erstatten ist wichtig. Es hilft nicht nur, den Täter zur Rechenschaft zu ziehen, sondern trägt auch dazu bei, dass solche Vorfälle ernst genommen werden und sich nicht wiederholen. Gehen Sie zur nächsten Polizeidienststelle und schildern Sie den Vorfall detailliert. Erwähnen Sie alle Zeugen, die Sie gefunden haben.
• Informieren Sie das Verkehrsunternehmen: Melden Sie den Vorfall dem Busunternehmen (z.B. über die Kundenhotline oder per E-Mail). Geben Sie Datum, Uhrzeit, Linie und alle relevanten Details an. Dies hilft dem Unternehmen, mögliche Sicherheitslücken zu erkennen und gegebenenfalls Maßnahmen zu ergreifen (z.B. Schulungen für Fahrer, verstärkte Kontrollen).
• Suchen Sie professionelle Hilfe: Wenn Sie feststellen, dass der Vorfall Sie nachhaltig belastet, Sie Angst haben, wieder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, oder unter Schlafstörungen und Flashbacks leiden, zögern Sie nicht, psychologische Unterstützung zu suchen. Ein Therapeut oder eine Therapeutin kann Ihnen helfen, das Trauma zu verarbeiten und wieder ein Gefühl von Sicherheit zu entwickeln.

Prävention und allgemeine Tipps für mehr Sicherheit im ÖPNV

Auch wenn man nicht jeden Vorfall verhindern kann, gibt es einige Verhaltensweisen, die das Risiko minimieren können:

• Seien Sie aufmerksam: Achten Sie auf Ihre Umgebung. Wer wirkt angespannt? Gibt es Personen, die aggressiv wirken oder andere belästigen?
• Suchen Sie strategisch Ihren Platz: Wenn möglich, wählen Sie einen Sitzplatz in der Nähe des Fahrers oder in der Mitte des Busses, wo mehr Menschen sind. Vermeiden Sie abgelegene Ecken, besonders wenn Sie sich unwohl fühlen.
• Vermeiden Sie Provokationen: Auch wenn es selbstverständlich sein sollte, achten Sie auf Ihr eigenes Verhalten. Laute Telefongespräche, rücksichtsloses Verhalten oder unnötige Konfrontationen können unter Umständen Öl ins Feuer gießen.
• Helfen Sie anderen (mit Bedacht): Wenn Sie Zeuge eines solchen Vorfalls werden, überlegen Sie, wie Sie helfen können, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Dies kann durch Ansprechen des Fahrers, Rufen der Polizei oder einfach durch das Anbieten Ihrer Zeugenaussage geschehen. Manchmal reicht schon die Anwesenheit von Zeugen, um einen Aggressor abzuschrecken.

Rechtliche Aspekte im Überblick

Verbales Anschreien und Bedrohen kann verschiedene Straftatbestände erfüllen:

• Beleidigung (§ 185 StGB): Die Äußerung von Missachtung oder Geringschätzung einer Person.
• Bedrohung (§ 241 StGB): Das In-Aussicht-Stellen eines Verbrechens gegen die betroffene Person oder eine ihr nahestehende Person.
• Nötigung (§ 240 StGB): Eine Person wird mit Gewalt oder Drohung zu einem Verhalten gezwungen, das sie eigentlich nicht möchte (z.B. den Platz räumen).
• Körperverletzung (§ 223 StGB): Falls es zu körperlichen Übergriffen kommt.

Das Wissen um diese Straftatbestände kann Ihnen die Motivation geben, Anzeige zu erstatten und Ihre Rechte wahrzunehmen. Dokumentation und Zeugenaussagen sind dabei entscheidend für den Erfolg einer Strafverfolgung.

Fazit: Ihre Sicherheit steht an erster Stelle

Konflikte in öffentlichen Verkehrsmitteln sind leider eine Realität, auch wenn sie selten sind. Es ist wichtig, vorbereitet zu sein. Der Schlüssel liegt in der Deeskalation, dem Schutz der eigenen Sicherheit und dem Wissen, wann und wie man Hilfe holt. Niemand sollte sich im Bus oder in der Bahn wegen eines Sitzplatzes bedroht oder angeschrien fühlen müssen. Ihr Wohlbefinden und Ihre Sicherheit sind von größter Bedeutung. Zögern Sie nicht, im Notfall Hilfe in Anspruch zu nehmen und die notwendigen Schritte nach einem solchen Vorfall zu unternehmen, um sich selbst zu schützen und zur Sicherheit aller beizutragen.