Der Führerschein ist für viele junge Menschen ein Symbol für Freiheit und Unabhängigkeit. Doch mit dieser Freiheit kommt auch eine große Verantwortung, besonders in der Probezeit. Plötzlich rast der Punkte-Tacho unerwartet schnell nach oben, und die Sorge um den Verlust der mühsam erworbenen Fahrerlaubnis wächst. Eine häufig gestellte Frage in dieser stressigen Situation ist: Kann ein Fahreignungsseminar (FES) helfen, Punkte abzubauen und den Führerschein zu retten?
In diesem umfassenden Artikel beleuchten wir das deutsche Punktesystem, die Besonderheiten der Probezeit und klären detailliert, ob und wie ein FES in dieser kritischen Phase zum Punkteabbau beitragen kann. Wir geben Ihnen alle notwendigen Informationen, um die Situation richtig einzuschätzen und die besten Schritte einzuleiten.
Das deutsche Punktesystem im Überblick: Punkte, Punkte, Punkte!
Bevor wir uns der Probezeit und dem FES widmen, ist es wichtig, das grundlegende Punktesystem in Flensburg zu verstehen. Seit der Reform 2014 werden Verkehrsverstöße je nach Schwere mit 1 bis 3 Punkten bewertet:
- 1 Punkt: Geringfügige Ordnungswidrigkeiten mit Auswirkung auf die Verkehrssicherheit (z.B. kleinere Geschwindigkeitsüberschreitungen).
- 2 Punkte: Grobe Ordnungswidrigkeiten mit Fahrverbot oder Straftaten ohne Entzug der Fahrerlaubnis (z.B. größere Geschwindigkeitsüberschreitungen, Rotlichtverstoß).
- 3 Punkte: Straftaten mit Entzug der Fahrerlaubnis (z.B. Trunkenheit am Steuer, Fahrerflucht).
Das System ist darauf ausgelegt, auffällige Fahrer zu identifizieren und durch abgestufte Maßnahmen zur Besserung anzuhalten. Die Konsequenzen staffeln sich wie folgt:
- 1 bis 3 Punkte: Keine unmittelbaren Maßnahmen, aber die Punkte werden registriert.
- 4 bis 5 Punkte: Schriftliche Ermahnung durch das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA). Hinweis auf die Möglichkeit eines freiwilligen Fahreignungsseminars zur Reduzierung eines Punktes.
- 6 bis 7 Punkte: Schriftliche Verwarnung und Empfehlung zur Teilnahme an einem FES. Eine Punktreduzierung ist in dieser Stufe nicht mehr möglich.
- 8 Punkte: Entzug der Fahrerlaubnis. Der Führerschein ist weg! Nach einer Sperrfrist muss er neu beantragt werden.
Wichtig ist, dass Punkte nach einer bestimmten Frist automatisch gelöscht werden. Die Tilgungsfristen variieren je nach Schwere des Verstoßes zwischen 2,5 und 10 Jahren.
Die Probezeit – Eine besondere Phase der Bewährung
Für Fahranfänger ist die Probezeit eine Bewährungsphase von zwei Jahren nach Erwerb des Führerscheins. Sie soll sicherstellen, dass junge Fahrerinnen und Fahrer die im Fahrunterricht erlernten Regeln und die damit verbundene Verantwortung verinnerlichen. In dieser Zeit gelten verschärfte Regeln und Konsequenzen bei Verkehrsverstößen.
Man unterscheidet zwischen zwei Kategorien von Verstößen:
- A-Verstöße (schwerwiegende Verstöße): Dazu zählen z.B. Geschwindigkeitsüberschreitungen von über 20 km/h, Rotlichtverstöße, Handy am Steuer, Abstandsverstöße oder unerlaubtes Überholen.
- B-Verstöße (weniger schwerwiegende Verstöße): Dazu gehören z.B. Parkverstöße, die Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer, geringfügige Überschreitungen der Hauptuntersuchungsfrist oder das Fahren mit abgefahrenen Reifen.
Konsequenzen in der Probezeit: Stufe für Stufe
Die Probezeit kennt keine Gnade, wenn es um wiederholte oder schwerwiegende Verstöße geht. Die Maßnahmen bauen aufeinander auf:
- Ein A-Verstoß oder zwei B-Verstöße:
- Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar (ASF).
- Verlängerung der Probezeit um weitere zwei Jahre.
- Zwei weitere A-Verstöße oder weitere vier B-Verstöße nach dem Aufbauseminar:
- Schriftliche Verwarnung.
- Empfehlung zur Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung (VPB).
- Drei weitere A-Verstöße oder weitere sechs B-Verstöße nach der Empfehlung zur VPB:
- Entzug der Fahrerlaubnis.
Diese Kaskade zeigt deutlich, dass in der Probezeit bereits kleinere oder wenige Verstöße drastische Konsequenzen haben können, die weit über die „normalen” Punktesanktionen hinausgehen.
Punkte in der Probezeit: Wenn der „Punkte-Tacho” rasant steigt
Nun kombinieren wir die beiden Systeme: Punkte und Probezeit. Jeder Verstoß, der Punkte nach sich zieht, wirkt sich natürlich auch auf die Probezeit aus. Der „Punkte-Tacho voll” ist in der Probezeit schneller erreicht, nicht nur wegen der 8-Punkte-Grenze, sondern auch wegen der zusätzlichen Maßnahmen.
Ein Beispiel: Ein Fahranfänger fährt 25 km/h zu schnell. Das ist ein A-Verstoß und zieht in der Regel 1 Punkt nach sich. Die Folge:
- Bußgeld
- 1 Punkt in Flensburg
- Anordnung zur Teilnahme an einem Aufbauseminar
- Verlängerung der Probezeit um zwei Jahre
Sie sehen: Schon ein einziger Punkt in der Probezeit kann die oben genannte Lawine ins Rollen bringen. Die 8-Punkte-Grenze, die zum Führerscheinentzug führt, bleibt zwar bestehen, aber die Maßnahmen der Probezeit können diesen Prozess erheblich beschleunigen oder den Führerschein bereits vorher in Gefahr bringen, wenn die Probezeit-Maßnahmenkette vollständig durchlaufen wird.
Das Fahreignungsseminar (FES) – Eine Rettung in Sicht?
Das Fahreignungsseminar (FES) wurde 2014 eingeführt und ersetzte den früheren Punkteabbau-Kurs (PAK). Es besteht aus zwei Teilen:
- Verkehrspädagogischer Teil: Vier Fahrlehrer-Module, die Einzeln oder in Kleingruppen absolviert werden. Hier werden die Ursachen des Fehlverhaltens analysiert und Strategien für sicheres Fahren erarbeitet.
- Verkehrspsychologischer Teil: Zwei Sitzungen bei einem Verkehrspsychologen, die ebenfalls Einzeln stattfinden. Hier geht es um die persönlichen Einstellungsmuster und Risikobereitschaft des Fahrers.
Ziel des FES ist es, durch eine Kombination aus pädagogischen und psychologischen Ansätzen das Fahrverhalten nachhaltig zu verbessern und die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
FES zum Punkteabbau: Wann ist es möglich?
Für „normale” Autofahrer, die sich nicht in der Probezeit befinden, ist das FES eine attraktive Möglichkeit, um einen Punkt abzubauen, wenn sie zwischen 1 und 5 Punkten in Flensburg haben. Das FES kann nur einmal innerhalb von fünf Jahren zur Punktreduzierung genutzt werden.
FES in der Probezeit: Die Gretchenfrage des Punkteabbaus
Und hier kommt die entscheidende Frage für unseren Artikel: Ist das FES in der Probezeit zum Punkteabbau möglich?
Die klare Antwort lautet: In der Regel NEIN, wenn es darum geht, die obligatorischen Maßnahmen der Probezeit zu umgehen oder Punkte aktiv abzubauen, die zu diesen Maßnahmen geführt haben.
Der Grund ist einfach: Das Gesetz sieht für die Probezeit ganz spezifische, zwingende Maßnahmen vor, die auf die besondere Situation von Fahranfängern zugeschnitten sind. Diese Maßnahmen, insbesondere das Aufbauseminar (ASF) und die Verlängerung der Probezeit, haben Vorrang vor der Möglichkeit des freiwilligen Punkteabbaus durch ein FES.
Wenn Sie also einen A-Verstoß oder zwei B-Verstöße begehen, ist die Konsequenz ein Aufbauseminar und eine Probezeitverlängerung. Die Punkte, die Sie dafür bekommen, können Sie nicht durch ein FES abbauen, um die Anordnung des ASF oder die Probezeitverlängerung zu verhindern. Das FES ist ein freiwilliges Angebot zur präventiven Punktreduktion für erfahrene Fahrer, die *noch keine* kritischen Punktemarken erreicht haben und *nicht* in einer verpflichtenden Maßnahme stecken.
Das bedeutet:
- Ein FES kann die Anordnung eines Aufbauseminars in der Probezeit nicht ersetzen.
- Ein FES kann die Probezeitverlängerung nicht verhindern.
- Punkte, die zu einer dieser Maßnahmen führen, können durch ein FES nicht abgebaut werden, um die Maßnahmen rückgängig zu machen.
Der Gesetzgeber möchte in der Probezeit eine klare pädagogische Linie fahren und die Fahranfänger durch spezifische Kurse wie das ASF direkt adressieren, anstatt ihnen eine „Abkürzung” durch einen Punkteabbau anzubieten, der diese pädagogischen Ziele untergraben würde.
Gibt es Ausnahmen oder Nuancen?
Im strengsten Sinne des „Punkteabbaus zur Vermeidung von Probezeitmaßnahmen” gibt es keine Ausnahmen. Es könnte allenfalls eine theoretische Konstellation geben, die aber in der Praxis kaum relevant ist für die akute Problematik des „Punkte-Tachos voll in der Probezeit”:
Angenommen, Sie haben Ihre Probezeit-Maßnahmen (z.B. Aufbauseminar und Probezeitverlängerung) bereits vollständig absolviert und danach *weitere* Punkte gesammelt, die noch *unterhalb* der nächsten Eskalationsstufe der Probezeit liegen und auch *unterhalb* der 8-Punkte-Grenze, aber Sie haben immer noch Punkte auf dem Konto. In einem solchen sehr spezifischen und unwahrscheinlichen Szenario, *nachdem* alle Probezeit-Maßnahmen durchlaufen und die Probezeit immer noch läuft, könnte man theoretisch über ein FES nachdenken, um einen Punkt zu reduzieren. Aber wie gesagt, dies ist hochspekulativ und nicht die Situation, die die meisten Fahranfänger befürchten, wenn sie von einem „vollen Punkte-Tacho in der Probezeit” sprechen. Der Fokus liegt immer auf den verpflichtenden Maßnahmen.
Alternativen und Präventionsmaßnahmen: Was tun, wenn es brennt?
Wenn Sie in der Probezeit mit Verkehrsverstößen und Punkten konfrontiert sind, gibt es andere Wege, die Sie gehen müssen oder können:
- Aufbauseminar (ASF): Dies ist die zwingende Maßnahme nach dem ersten A-Verstoß oder zwei B-Verstößen. Nehmen Sie es ernst! Es ist eine Chance, Ihr Fahrverhalten zu reflektieren und zu verbessern. Die Nichtteilnahme oder das Nichtbestehen führt zum Entzug der Fahrerlaubnis.
- Verkehrspsychologische Beratung (VPB): Nach weiteren Verstößen wird eine VPB empfohlen. Auch wenn sie nicht zwingend ist, kann sie wertvolle Einsichten liefern und helfen, den Führerschein zu behalten.
- Rechtliche Beratung: Lassen Sie sich frühzeitig von einem Fachanwalt für Verkehrsrecht beraten. Oft können Bescheide auf Fehler geprüft oder zumindest die beste Strategie für das weitere Vorgehen gefunden werden. Manchmal können geringfügige Verstöße, die Punkte nach sich ziehen würden, in solche ohne Punkte umgewandelt werden, oder ein Fahrverbot abgewendet werden.
- Prävention ist der beste Schutz: Die beste Methode, um Probleme mit Punkten und der Probezeit zu vermeiden, ist ein vorausschauender, defensiver und regelkonformer Fahrstil. Überprüfen Sie regelmäßig Ihr Fahrverhalten, vermeiden Sie Ablenkungen und seien Sie immer aufmerksam.
Fazit: Verantwortung übernehmen und die Regeln kennen
Ein „Punkte-Tacho voll in der Probezeit” ist eine ernste Angelegenheit. Die Annahme, ein Fahreignungsseminar (FES) könnte hier als schnelle Lösung zum Punkteabbau dienen und die obligatorischen Maßnahmen der Probezeit umgehen, ist ein weit verbreiteter Irrtum. Der Gesetzgeber hat bewusst die Probezeit mit verschärften, zwingenden Maßnahmen wie dem Aufbauseminar und der Probezeitverlängerung ausgestattet, um Fahranfänger zur verantwortungsvollen Teilnahme am Straßenverkehr zu erziehen.
Wenn Sie in dieser Situation sind, konzentrieren Sie sich auf die vorgeschriebenen Maßnahmen und nutzen Sie diese als Chance zur Verbesserung. Scheuen Sie sich nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Denken Sie daran: Der Führerschein ist ein Privileg, das mit der Einhaltung der Regeln und der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer einhergeht. Fahren Sie vorausschauend, bleiben Sie aufmerksam, und geben Sie dem „Punkte-Tacho” keine Chance, in Ihrer Probezeit vollzulaufen.