Die Motorradkette ist ein entscheidendes Bauteil, das die Kraft des Motors auf das Hinterrad überträgt. Ihre korrekte Spannung ist nicht nur für die Fahrleistung, sondern vor allem für die Sicherheit und Langlebigkeit deines Motorrads von größter Bedeutung. Als Motorrad-Anfänger mag die Idee, selbst Hand anzulegen, zunächst einschüchternd wirken. Doch keine Sorge: Das Spannen der Kette ist eine grundlegende Wartungsarbeit, die jeder Biker mit etwas Geduld und dem richtigen Wissen erlernen kann. Dieser umfassende Guide führt dich Schritt für Schritt durch den Prozess und erklärt, wann und wie du deine Motorradkette korrekt nachspannst.
Warum die richtige Kettenspannung so wichtig ist
Eine falsch gespannte Kette kann eine Vielzahl von Problemen verursachen, die von geringfügigen Leistungseinbußen bis hin zu gefährlichen Situationen reichen. Es ist ein Balanceakt: Die Kette darf weder zu locker noch zu straff sein.
Wenn die Kette zu locker ist:
- Kettenschlagen: Eine lose Kette schlägt beim Beschleunigen und Bremsen gegen die Schwinge. Das erzeugt nicht nur unangenehme Geräusche, sondern kann auch zu Beschädigungen an der Schwinge und dem Kettenschutz führen.
- Schlechte Kraftübertragung: Die Kraft wird nicht effizient vom Motor auf das Rad übertragen, was sich in einem „ruckeligen” Fahrgefühl äußern kann.
- Erhöhter Verschleiß: Lockere Ketten verschleißen schneller und belasten auch die Ritzel stärker, da die Kette ungleichmäßig aufliegt.
- Gefahr des Abspringens: Im schlimmsten Fall kann eine extrem lockere Kette vom Ritzel springen. Dies kann zu einem plötzlichen Blockieren des Hinterrads führen – eine extrem gefährliche Situation, die einen Sturz verursachen kann.
Wenn die Kette zu straff ist:
- Erhöhter Verschleiß an Kette und Ritzeln: Eine zu straffe Kette steht unter ständigem Zug, was zu einem schnellen Verschleiß der Kettenglieder und der Zähne von Ritzel und Kettenblatt führt.
- Beschädigung der Lager: Die übermäßige Spannung belastet die Lager des Hinterrads und des Getriebeausgangs (Primärwelle) erheblich, was zu vorzeitigem Verschleiß und teuren Reparaturen führen kann.
- Beeinträchtigung der Federung: Eine straffe Kette schränkt den Arbeitsweg der Hinterradfederung ein. Die Federung kann nicht frei ein- und ausfedern, was den Fahrkomfort reduziert und das Fahrverhalten, insbesondere in unebenem Gelände, negativ beeinflusst.
- Leistungsverlust: Die erhöhte Reibung durch eine zu straffe Kette führt zu einem unnötigen Leistungsverlust.
Die richtige Kettenspannung sorgt also für maximale Sicherheit, optimale Leistung und eine lange Lebensdauer deines Kettenkits.
Wann sollte die Motorradkette nachgespannt werden?
Die Kettenspannung ist keine einmalige Einstellung, sondern erfordert regelmäßige Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung. Hier sind die wichtigsten Zeitpunkte und Indikatoren:
- Regelmäßige Routinekontrolle: Überprüfe die Kettenspannung alle 500 bis 1.000 Kilometer, oder mindestens einmal im Monat. Bei sportlicher Fahrweise, häufigem Soziusbetrieb oder Fahrten unter widrigen Bedingungen (Regen, Schmutz) sollte die Kontrolle häufiger erfolgen.
- Nach langen Fahrten: Nach längeren Touren, insbesondere mit Gepäck oder Sozius, kann sich die Kette durch Hitze und Beanspruchung leicht längen.
- Vor längeren Touren: Prüfe die Kettenspannung immer vor Antritt einer längeren Reise, um Problemen unterwegs vorzubeugen.
- Nach der Kettenpflege: Nach dem Reinigen und Schmieren der Kette kann es sinnvoll sein, die Spannung kurz zu überprüfen, da die Kette durch die Bewegung manchmal ihre Position leicht verändert.
- Nach Regenfahrten oder Fahrten bei Nässe: Feuchtigkeit kann den Kettenschmiermittel entfernen und den Verschleiß beschleunigen, was sich auf die Spannung auswirken kann.
- Bei Veränderungen im Fahrverhalten: Wenn du ein Ruckeln beim Gasgeben oder eine unruhige Geräuschkulisse von der Kette bemerkst, ist dies ein klares Zeichen für eine Überprüfung.
- Nach dem Austausch von Reifen oder Kettenkit: Auch wenn es selbstverständlich erscheinen mag, muss nach solchen Arbeiten die Spannung neu eingestellt werden.
Was du zum Kettenspannen benötigst:
Bevor du loslegst, stelle sicher, dass du alle notwendigen Werkzeuge griffbereit hast:
- Montageständer oder Hauptständer: Absolut notwendig, um das Hinterrad frei drehen zu können. Ein Montageständer für die Schwinge ist ideal.
- Dein Motorrad-Handbuch: Dies ist dein wichtigstes Nachschlagewerk! Hier findest du die exakten Angaben zur Kettendurchhang und die Anzugsdrehmomente für die Achsmutter.
- Maßband oder Lineal: Zum Messen des Kettendurchhangs.
- Gabelschlüssel / Ringschlüssel oder Steckschlüssel: In den passenden Größen für die Hinterachsmutter und die Kettenspanner-Schrauben. Oft sind das Größen wie 17, 19, 22 oder 24 mm.
- Drehmomentschlüssel: Unverzichtbar, um die Hinterachsmutter nach dem Spannen mit dem korrekten Wert anzuziehen. Zu fest oder zu locker kann gefährlich sein.
- Eventuell Markierstift oder Kreide: Hilfreich zum Markieren der Position der Kettenspanner.
- Handschuhe: Schützen deine Hände vor Schmiere und Schmutz.
- Reinigungstücher: Zum Säubern der Hände und Werkzeuge.
Schritt-für-Schritt-Anleitung: Motorradkette nachspannen
Nehme dir Zeit für diesen Vorgang. Präzision ist hier wichtiger als Geschwindigkeit.
Schritt 1: Vorbereitung des Motorrads
- Motorrad aufbocken: Stelle dein Motorrad sicher auf den Hauptständer oder einen Hinterrad-Montageständer, sodass das Hinterrad frei in der Luft hängt und sich drehen lässt.
- Motor aus und Getriebe in Neutral: Stelle sicher, dass der Motor ausgeschaltet ist und das Getriebe im Leerlauf ist.
- Handbuch konsultieren: Schlage in deinem Motorrad-Handbuch nach, um den vom Hersteller empfohlenen Kettendurchhang (oft in mm oder Zoll angegeben) und die genaue Messmethode zu erfahren. Achtung: Der Durchhang wird bei den meisten Motorrädern gemessen, wenn das Hinterrad unbelastet ist. Bei einigen Modellen ist jedoch eine Messung unter Belastung (z.B. mit Fahrer) vorgesehen, was für eine korrekte Einstellung entscheidend ist!
Schritt 2: Aktuellen Kettendurchhang messen
- Messpunkt finden: Finde den vom Handbuch angegebenen Messpunkt. Dieser befindet sich meist mittig zwischen dem vorderen Ritzel und dem hinteren Kettenblatt auf der Unterseite der Kette.
- Kette bewegen: Drücke die Kette an diesem Punkt mit einem Finger zuerst vollständig nach oben und markiere dir die Oberkante. Drücke sie dann vollständig nach unten und markiere dir die Unterkante.
- Durchhang messen: Messe den Abstand zwischen diesen beiden Punkten. Das ist dein aktueller Kettendurchhang.
- An mehreren Stellen messen: Drehe das Hinterrad einige Male und wiederhole die Messung an verschiedenen Stellen der Kette. Das ist wichtig, da sich Ketten mit der Zeit ungleichmäßig längen können und „Strammstellen” entwickeln. Wenn du signifikante Unterschiede feststellst, ist die Kette möglicherweise am Ende ihrer Lebensdauer und sollte ausgetauscht werden. Gehe bei der Einstellung immer von der Stelle mit dem geringsten Durchhang aus, um die Kette nicht zu straff zu spannen.
Schritt 3: Hinterachsmutter lockern
Mit dem passenden Schlüssel (meist ein großer Maulschlüssel oder eine Stecknuss) die Hinterachsmutter lösen. Du musst sie nur so weit lockern, dass sich das Hinterrad leicht bewegen lässt und die Kettenspanner Spiel bekommen. Sie muss nicht komplett entfernt werden.
Schritt 4: Kettenspannung einstellen
An beiden Enden der Schwinge, hinter der Hinterachse, findest du die Kettenspanner. Dies sind meistens zwei Schrauben mit Kontermuttern oder ein Verstellblock.
- Kontermuttern lösen: Wenn vorhanden, löse zuerst die Kontermuttern der Kettenspanner.
- Gleichmäßig verstellen: Nun drehe die Einstellschrauben (oder verschiebe die Blöcke) auf beiden Seiten gleichmäßig.
- Um die Kette zu straffen, drehe die Schrauben im Uhrzeigersinn (das Rad bewegt sich nach hinten).
- Um die Kette zu lockern, drehe die Schrauben gegen den Uhrzeigersinn (das Rad bewegt sich nach vorne).
Drehe immer nur kleine Schritte (z.B. eine viertel Umdrehung), da schon geringe Veränderungen große Auswirkungen auf die Spannung haben.
- Immer wieder messen: Nach jeder kleinen Anpassung misst du den Kettendurchhang erneut, bis du den im Handbuch angegebenen Wert erreicht hast.
Schritt 5: Hinterradausrichtung überprüfen
Dies ist ein entscheidender Schritt, der oft vernachlässigt wird. Eine falsch ausgerichtete Hinterachse führt nicht nur zu ungleichmäßigem Ketten- und Reifenverschleiß, sondern kann auch das Fahrverhalten und die Stabilität des Motorrads negativ beeinflussen.
- Referenzmarkierungen nutzen: Die meisten Schwingen haben auf beiden Seiten Referenzmarkierungen oder Skalen, an denen du ablesen kannst, wie weit das Rad nach hinten geschoben wurde. Stelle sicher, dass die Kettenspanner auf beiden Seiten auf derselben Markierung stehen.
- Sichtkontrolle: Eine einfache Sichtkontrolle aus der Hocke von hinten kann helfen, grobe Fehlstellungen zu erkennen.
- Fortgeschrittene Methoden: Für absolute Präzision kannst du auch spezielle Ausrichtwerkzeuge verwenden, wie etwa ein Kettenfluchtlaser oder die Schnurmethode. Für Anfänger reichen die Markierungen auf der Schwinge und ein sorgfältiges Vorgehen aber in der Regel aus.
Schritt 6: Axmutter festziehen und Kontermuttern sichern
- Achsmutter festziehen: Halte die Kettenspanner eventuell fest, damit sie sich beim Anziehen der Achsmutter nicht verschieben. Ziehe die Hinterachsmutter mit dem Drehmomentschlüssel auf den im Handbuch angegebenen Wert an. Dieser Wert ist sehr wichtig für die Sicherheit.
- Kontermuttern festziehen: Ziehe anschließend die Kontermuttern der Kettenspanner wieder fest, um die Einstellung zu sichern.
Schritt 7: Letzte Überprüfung und Testfahrt
- Erneute Messung: Messe den Kettendurchhang ein letztes Mal, nachdem alle Muttern festgezogen sind. Es kann sein, dass sich die Spannung beim Anziehen leicht verändert hat. Überprüfe auch nochmals die Ausrichtung.
- Kontrolle mit Fahrer-Gewicht (falls zutreffend): Einige Hersteller empfehlen, den Kettendurchhang bei auf dem Motorrad sitzendem Fahrer zu überprüfen, um die Kompression der Federung zu berücksichtigen. Das Handbuch gibt hier Auskunft. Wenn deine Kette im unbelasteten Zustand gut eingestellt ist, kann sie unter voller Einfederung zu straff werden. Ein zu großer Durchhang im unbelasteten Zustand ist oft die sicherere Wahl, wenn keine Angaben für das Beladen vorhanden sind.
- Räder drehen: Drehe das Hinterrad mehrmals von Hand, um sicherzustellen, dass sich alles leichtgängig bewegt und keine ungewöhnlichen Geräusche auftreten.
- Bremsen testen: Trete kurz die Hinterradbremse, um ihre Funktion zu prüfen.
- Kette schmieren: Wenn nicht bereits geschehen, ist jetzt ein guter Zeitpunkt, die Kette zu reinigen und zu schmieren.
- Testfahrt: Fahre eine kurze Runde in sicherem Bereich. Achte auf das Fahrgefühl, mögliche Geräusche oder Vibrationen.
Wichtige Tipps für Anfänger
- Das Handbuch ist dein bester Freund: Nichts ist wichtiger als die spezifischen Angaben des Herstellers für dein Motorradmodell. Die Werte für den Kettendurchhang können je nach Modell stark variieren.
- Lieber etwas zu locker als zu straff: Im Zweifelsfall ist ein minimal zu lockerer Durchhang besser für die Lebensdauer der Kette und der Lager als eine zu straffe Einstellung.
- Regelmäßige Pflege: Eine regelmäßig gereinigte und geschmierte Kette hält nicht nur länger, sondern erleichtert auch das Spannen, da die Glieder nicht so stark verhärten oder rosten.
- Kettenzustand prüfen: Achte beim Spannen auch auf den allgemeinen Zustand der Kette. Sind Roststellen, lose Rollen oder gar verformte Glieder erkennbar? Ist die Kette ungleichmäßig gelängt und es gibt starke „Strammstellen”, ist es Zeit für ein neues Kettenkit (Kette, Ritzel, Kettenblatt).
- Geduld: Gerade am Anfang kann das Spannen etwas länger dauern. Nimm dir die Zeit und gehe sorgfältig vor. Übung macht den Meister!
- Bei Unsicherheit Hilfe holen: Wenn du dir unsicher bist, frage einen erfahrenen Motorradfahrer oder deinen Mechaniker um Hilfe. Es ist keine Schande, dazuzulernen.
Fazit
Das korrekte Spannen der Motorradkette ist eine grundlegende Fähigkeit, die jeder Biker beherrschen sollte. Es trägt maßgeblich zur Sicherheit im Straßenverkehr, zum Fahrkomfort und zur Langlebigkeit deines Motorrads bei. Mit dieser Anleitung, den richtigen Werkzeugen und einer Prise Geduld bist du bestens ausgerüstet, um diese wichtige Wartungsarbeit selbst durchzuführen. Regelmäßige Kontrolle und Pflege deiner Kette werden dir viele sorgenfreie Kilometer bescheren und dein Fahrerlebnis auf ein neues Niveau heben. Gute Fahrt!