In den letzten Jahren haben E-Scooter die urbane Mobilität revolutioniert. Sie sind praktisch, umweltfreundlich und bieten eine spaßige Alternative zu herkömmlichen Verkehrsmitteln. Doch mit ihrer zunehmenden Beliebtheit wächst auch das Phänomen des „E-Scooter Tunings“. Viele Nutzer fragen sich, ob und wie sie die Leistung ihres Gefährts optimieren können, ohne dabei in rechtliche Schwierigkeiten zu geraten. Die Realität ist jedoch, dass sich hinter dem Wunsch nach mehr Geschwindigkeit und Power eine gefährliche **Grauzone** verbirgt, die ernsthafte Konsequenzen haben kann. Dieser Artikel beleuchtet umfassend, was es bedeutet, wenn ein E-Scooter getunt werden kann, was erlaubt ist und welche Risiken Sie eingehen, wenn Sie die gesetzlichen Grenzen überschreiten.
### E-Scooter Tuning: Was steckt dahinter?
Der Begriff „Tuning“ bezeichnet im Allgemeinen die Veränderung eines Fahrzeugs über seine ursprünglichen Werksspezifikationen hinaus, um dessen Leistung, Optik oder Fahreigenschaften zu verbessern. Bei E-Scootern konzentriert sich das Tuning meist auf die Erhöhung der **Höchstgeschwindigkeit**, der Beschleunigung oder der Reichweite. Obwohl die meisten E-Scooter für den Straßenverkehr auf eine maximale Geschwindigkeit von 20 km/h gedrosselt sind, sind viele Modelle technisch in der Lage, deutlich schneller zu fahren. Diese „ungenutzte” Leistung weckt bei vielen den Wunsch, das Potenzial ihres Scooters voll auszuschöpfen.
Warum die Versuchung so groß ist, liegt auf der Hand: Ein schnellerer Scooter verspricht eine zügigere Fortbewegung, mehr Fahrspaß und möglicherweise die Illusion, mit dem Verkehrsfluss besser mithalten zu können. Hinzu kommt die einfache Verfügbarkeit von Informationen und Anleitungen im Internet, die das Tuning oft als harmlosen Eingriff darstellen. Doch dieser Eindruck trügt gewaltig.
### Das strenge deutsche Gesetz: Der Rahmen für Elektrokleinstfahrzeuge
In Deutschland unterliegen E-Scooter als sogenannte „Elektrokleinstfahrzeuge“ (eKFV) sehr genauen gesetzlichen Bestimmungen. Diese Verordnung wurde speziell geschaffen, um diese neue Fahrzeugkategorie sicher in den Straßenverkehr zu integrieren. Die wichtigsten Regelungen sind:
1. **Höchstgeschwindigkeit:** E-Scooter dürfen eine bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit von maximal **20 km/h** aufweisen. Eine Toleranz ist hierbei nicht vorgesehen; bereits 1 km/h mehr kann rechtliche Folgen haben.
2. **Motorleistung:** Die maximale Nenndauerleistung des Motors darf **500 Watt** nicht überschreiten.
3. **Betriebserlaubnis (ABE):** Jeder E-Scooter, der am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen soll, benötigt eine Allgemeine Betriebserlaubnis (ABE) des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA). Diese ABE wird nur erteilt, wenn der Scooter alle technischen und sicherheitsrelevanten Anforderungen erfüllt.
4. **Versicherungspflicht:** Wie Mofas oder Roller müssen E-Scooter über eine **Haftpflichtversicherung** verfügen, die durch eine entsprechende Versicherungsplakette nachgewiesen wird. Ohne gültige Versicherung darf kein E-Scooter auf öffentlichen Straßen gefahren werden.
5. **Weitere Ausstattungsmerkmale:** Dazu gehören zwei voneinander unabhängige Bremsen, Beleuchtung (vorne weiß, hinten rot), Reflektoren und eine Klingel.
Jede Veränderung am E-Scooter, die diese Vorgaben tangiert, kann dazu führen, dass die **Betriebserlaubnis erlischt** und damit auch der Versicherungsschutz verloren geht.
### Arten des E-Scooter Tunings: Techniken und ihre Tücken
Das Tuning von E-Scootern kann auf verschiedene Weisen erfolgen, wobei jede Methode ihre eigenen Risiken und rechtlichen Implikationen mit sich bringt:
#### 1. Software-Tuning (Firmware-Modifikation)
Dies ist die wohl häufigste und einfachste Form des Tunings. Über spezielle Apps oder Software können Nutzer die **Firmware des Scooters modifizieren**. Dabei werden oft die im System hinterlegten Geschwindigkeitsbegrenzungen (z.B. 20 km/h) aufgehoben oder die Motorparameter so angepasst, dass mehr Leistung freigegeben wird.
* **Vorteile (aus Sicht der Tuner):** Oft kostenlos, leicht reversibel, keine sichtbaren äußeren Veränderungen.
* **Nachteile:** Führt zum sofortigen Erlöschen der Betriebserlaubnis und des Versicherungsschutzes. Im Falle einer Kontrolle oder eines Unfalls kann dies schwerwiegende Folgen haben, auch wenn der Eingriff unsichtbar ist.
#### 2. Hardware-Tuning
Diese Methode beinhaltet physische Veränderungen am E-Scooter:
* **Motorwechsel:** Einbau eines leistungsstärkeren Motors.
* **Akku-Upgrade:** Verwendung von Akkus mit höherer Spannung oder Kapazität, die mehr Leistung ermöglichen oder die Reichweite erhöhen.
* **Controller-Tausch:** Austausch der Steuerungseinheit, um höhere Ströme zu verarbeiten oder softwareseitige Begrenzungen zu umgehen.
* **Reifenwechsel:** Größere Reifen können die Übersetzung ändern und somit die Endgeschwindigkeit beeinflussen, auch wenn dies seltener direkt auf Leistung abzielt.
* **Nachteile:** Deutlich aufwendiger und kostspieliger. Solche Änderungen sind oft sichtbar und führen ebenfalls zum sofortigen Erlöschen der Betriebserlaubnis. Die verbauten Komponenten sind zudem oft nicht aufeinander abgestimmt, was zu erhöhter Brandgefahr (insbesondere bei Akkus) oder schnellerem Verschleiß führen kann.
### Die Grauzone im Detail: Woher kommt die Verwirrung?
Die Verwirrung um das E-Scooter Tuning entsteht hauptsächlich aus mehreren Faktoren:
1. **”Kann getunt werden”:** Viele E-Scooter-Modelle sind international erhältlich. Für Märkte mit höheren Geschwindigkeitsbegrenzungen (z.B. 25 km/h in einigen EU-Ländern) oder für den Off-Road-Einsatz sind sie oft von Haus aus leistungsstärker konzipiert. Für den deutschen Markt werden sie dann **softwareseitig gedrosselt**. Die Hardware bleibt jedoch meist identisch, was das nachträgliche Entdrosseln technisch einfach macht.
2. **Unzureichende Aufklärung:** Nicht alle Hersteller klären ihre Kunden ausreichend über die rechtlichen Risiken von Tuning-Maßnahmen auf. Auch die Verfügbarkeit von Tuning-Kits und Anleitungen im Internet trägt zur Verharmlosung bei.
3. **Die „privat”-Argumentation:** Oft wird argumentiert, dass das Tuning für die Nutzung auf **Privatgelände** ja erlaubt sei. Das stimmt zwar grundsätzlich, aber die Übergänge zum öffentlichen Verkehrsraum sind fließend. Sobald ein getunter E-Scooter auch nur kurzzeitig auf einem öffentlichen Weg genutzt wird, sind die vollen Konsequenzen anwendbar.
4. **Gefühlte geringe Entdeckungsgefahr:** Viele Nutzer unterschätzen das Risiko, von der Polizei kontrolliert zu werden. Doch die Kontrollen nehmen zu, und speziell geschulte Beamte können getunte E-Scooter oft anhand von Merkmalen wie ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit oder modifizierten Bauteilen erkennen.
Diese Faktoren schaffen eine trügerische Sicherheit, die viele unwissentlich in die Illegalität lockt.
### Was ist *eigentlich* erlaubt? Die klaren Grenzen.
Die gute Nachricht ist: Nicht jede Veränderung an Ihrem E-Scooter ist gleich Tuning oder illegal. Was Sie ohne Bedenken tun dürfen:
* **Wartung und Reparatur:** Erlaubt ist der Austausch von defekten Teilen durch **Originalersatzteile** oder baugleiche Komponenten, die keine Leistungssteigerung bewirken und die ABE nicht beeinflussen. Dazu gehören Bremsbeläge, Reifen (gleicher Größe und Spezifikation), Lichtquellen etc.
* **Zugelassenes Zubehör:** Die Anbringung von Zubehör wie **Handyhalterungen**, Taschen, Körben, zusätzlichen Reflektoren (sofern sie die vorgeschriebene Beleuchtung nicht beeinträchtigen) oder einer alternativen Klingel ist in der Regel unproblematisch, solange die Fahrsicherheit nicht beeinträchtigt wird und keine technischen Parameter verändert werden.
* **Optische Anpassungen:** Persönliche Gestaltung durch Aufkleber, Folierungen oder andere farbliche Akzente, solange diese nicht die gesetzlich vorgeschriebene Beleuchtung oder Reflektoren verdecken.
Wichtig ist die Grundregel: Jede Maßnahme, die die **bauartbedingte Höchstgeschwindigkeit, die Motorleistung oder die sicherheitsrelevanten Bauteile (Bremsen, Beleuchtung) beeinflusst**, ist ohne erneute Einzelabnahme und Eintragung illegal. Und eine solche Einzelabnahme für einen getunten E-Scooter ist in der Praxis fast unmöglich zu erhalten, da er dann die eKFV-Anforderungen nicht mehr erfüllen würde.
### Risiken und Gefahren: Mehr als nur ein Bußgeld
Die Verlockung, den E-Scooter zu tunen, ist groß, doch die potenziellen Konsequenzen sind es auch. Sie reichen von empfindlichen Bußgeldern bis hin zu strafrechtlichen Verfolgungen und existenzbedrohenden Forderungen.
#### 1. Rechtliche Konsequenzen
* **Erlöschen der Betriebserlaubnis:** Dies ist die Kernfolge. Ohne ABE darf der Scooter nicht im öffentlichen Verkehr bewegt werden. Das Fahren ohne ABE ist eine **Ordnungswidrigkeit**, die mit einem Bußgeld von **70 Euro** und einem Punkt in Flensburg geahndet wird.
* **Fahren ohne Versicherungsschutz:** Mit dem Erlöschen der ABE erlischt auch der **Versicherungsschutz**. Das Fahren ohne gültige Haftpflichtversicherung ist keine Kleinigkeit, sondern eine **Straftat** nach dem Pflichtversicherungsgesetz. Dies kann zu einer Geldstrafe in Höhe eines Monatsgehalts oder sogar einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr führen. Hinzu kommen zwei bis drei Punkte in Flensburg und im schlimmsten Fall der Entzug der Fahrerlaubnis oder eine Sperre für den Erwerb einer solchen.
* **Regressforderungen der Versicherung:** Kommt es mit einem getunten E-Scooter zu einem Unfall und verursacht dieser Personenschäden oder hohe Sachschäden, zahlt Ihre Kfz-Haftpflichtversicherung zwar zunächst den Schaden des Unfallgegners (um diesen nicht unversorgt zu lassen), wird sich die Summe aber vollständig oder zu großen Teilen von Ihnen zurückholen (Regressanspruch). Die Beträge können schnell in die Zehntausende oder Hunderttausende Euro gehen und Ihre finanzielle Existenz bedrohen.
* **Gefährdung des Straßenverkehrs:** Bei drastischen Leistungssteigerungen und daraus resultierender Kontrollverlust kann dies als **Gefährdung des Straßenverkehrs** gewertet werden, was ebenfalls eine Straftat ist und zu erheblichen Strafen führen kann.
* **Fahren ohne Fahrerlaubnis:** Je nach Leistungssteigerung kann ein getunter E-Scooter rechtlich als Kleinkraftrad eingestuft werden, für das ein Führerschein der Klasse AM (ab 16 Jahren) oder B erforderlich wäre. Wer diesen nicht besitzt, begeht die Straftat des **Fahrens ohne Fahrerlaubnis**, die ebenfalls mit Geld- oder Freiheitsstrafe geahndet wird.
#### 2. Sicherheitsrisiken
Die rechtlichen Folgen sind das eine, die direkten **Sicherheitsrisiken** das andere – und oft noch gefährlicher:
* **Instabilität und Kontrollverlust:** E-Scooter sind für Geschwindigkeiten bis 20 km/h konstruiert. Bei höheren Geschwindigkeiten werden sie instabil, die Lenkung wird unpräzise und der Schwerpunkt ungünstig. Das Unfallrisiko steigt drastisch.
* **Unzureichende Bremsleistung:** Die Bremsen der meisten E-Scooter sind nicht für wesentlich höhere Geschwindigkeiten und die damit verbundenen längeren Bremswege ausgelegt. Dies kann in Notsituationen fatal sein.
* **Überhitzung und Brandgefahr:** Motor und Akku sind nicht für Dauerleistungen über ihren Spezifikationen ausgelegt. Überhitzung kann zu Ausfällen, Kurzschlüssen und im schlimmsten Fall zu Akkubränden oder Explosionen führen – eine ernsthafte Gefahr für Fahrer und Umgebung.
* **Strukturversagen:** Der Rahmen, die Lenkstange und andere tragende Teile sind auf bestimmte Belastungen ausgelegt. Höhere Geschwindigkeiten und Kräfte können zu Materialermüdung und plötzlichem Bruch führen.
* **Garantie- und Gewährleistungsverlust:** Jegliche Form von Tuning führt zum sofortigen Erlöschen von Garantie- und Gewährleistungsansprüchen gegenüber dem Hersteller.
### Fazit und Empfehlungen: Sicher und legal unterwegs
Das Tuning eines E-Scooters mag auf den ersten Blick verlockend erscheinen, ist aber eine riskante Angelegenheit, die sich in den meisten Fällen nicht lohnt. Die geringe Geschwindigkeitszunahme steht in keinem Verhältnis zu den potenziellen rechtlichen, finanziellen und persönlichen Sicherheitsrisiken.
Unsere dringende Empfehlung lautet daher:
1. **Informieren Sie sich:** Bevor Sie über Tuning nachdenken, machen Sie sich mit den geltenden Gesetzen und Verordnungen vertraut. Wissen ist Ihr bester Schutz.
2. **Bleiben Sie legal:** Respektieren Sie die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von **20 km/h**. Diese Grenze dient Ihrer Sicherheit und der aller anderen Verkehrsteilnehmer.
3. **Priorisieren Sie Sicherheit:** Ein intakter, unveränderter E-Scooter, dessen Komponenten aufeinander abgestimmt sind, ist die sicherste Wahl. Ihre Gesundheit und die Ihrer Mitmenschen sollten immer an erster Stelle stehen.
4. **Denken Sie an die Konsequenzen:** Der kurze Kick einer höheren Geschwindigkeit ist es nicht wert, sich einem existenzbedrohenden Regressanspruch der Versicherung, hohen Geldstrafen oder gar einer Freiheitsstrafe auszusetzen.
5. **Kaufen Sie bewusst:** Wenn Ihnen die legale Höchstgeschwindigkeit zu niedrig ist, überlegen Sie, ob ein E-Scooter wirklich das richtige Fortbewegungsmittel für Sie ist oder ob vielleicht ein Pedelec oder ein S-Pedelec (mit Helm- und Führerscheinpflicht) besser zu Ihren Bedürfnissen passen würde.
Die **Grauzone Tuning** ist eine Falle, in die viele ahnungslose oder leichtsinnige E-Scooter-Nutzer geraten. Um sicher und stressfrei mobil zu sein, ist es entscheidend, die Regeln zu kennen und einzuhalten. Fahren Sie verantwortungsbewusst und genießen Sie Ihren E-Scooter, so wie er für den Straßenverkehr zugelassen wurde.