Angst oder Vorurteil? Eine ehrliche Analyse der Frage: Ist es sexistisch, wenn ich mich nicht von einer Frau fliegen lassen würde?

Die Vorstellung, in einem tonnenschweren Metallvogel zehntausend Meter über dem Erdboden zu schweben, löst bei vielen Menschen bereits ein gewisses Unbehagen aus. Wenn dann noch die Frage hinzukommt, wer am Steuer sitzt – Mann oder Frau – kann dies weitere, oft unbewusste Reaktionen hervorrufen. Die Frage: „Ist es sexistisch, wenn ich mich nicht von einer Frau fliegen lassen würde?“, mag provokant klingen, doch sie verdient eine ehrliche und tiefgehende Analyse. Es geht nicht darum, Schuld zuzuweisen, sondern darum, unbewusste Denkmuster zu hinterfragen und einen Beitrag zu einem offeneren Diskurs zu leisten.

### Die Realität in der Luftfahrt: Zahlen und Fakten

Beginnen wir mit der Realität. Die Luftfahrt ist traditionell eine von Männern dominierte Branche. Obwohl es keine offiziellen globalen Statistiken gibt, wird geschätzt, dass der Anteil weiblicher Pilotinnen weltweit bei lediglich 5-7% liegt. In Deutschland sind es sogar nur etwa 4%. Diese Zahlen sind erschütternd gering, wenn man bedenkt, dass in vielen anderen Berufsfeldern die Geschlechterverteilung weit ausgeglichener ist. Warum ist das so? Liegt es an mangelndem Interesse von Frauen oder an strukturellen Barrieren und Vorurteilen?

Historisch gesehen wurden Frauen im Cockpit lange nicht akzeptiert. Selbst heute noch erleben Pilotinnen oft Skepsis oder überraschte Reaktionen, wenn sie ihren Beruf nennen. Doch die Fakten sind eindeutig: Es gibt keinerlei wissenschaftliche Grundlage oder empirische Daten, die belegen würden, dass Frauen schlechtere Pilotinnen sind als Männer. Im Gegenteil, Studien und die Erfahrung der Fluggesellschaften zeigen, dass die Leistung im Cockpit ausschließlich von Ausbildung, Erfahrung, Kompetenz und Persönlichkeit abhängt – und nicht vom Geschlecht. Fluggesellschaften stellen Pilot*innen aufgrund ihrer Qualifikationen ein, nicht aufgrund ihres Geschlechts. Die Kriterien für die Flugtauglichkeit, die Ausbildung und die fortlaufenden Überprüfungen sind für alle gleich streng. Eine Pilotin, die ein Flugzeug fliegt, hat dieselben Prüfungen bestanden und dieselben Standards erfüllt wie ihr männlicher Kollege.

### Die Rolle von Angst und Vorurteil: Eine Unterscheidung

Um die eingangs gestellte Frage zu beantworten, müssen wir zwischen zwei grundlegenden menschlichen Reaktionen unterscheiden: Angst und Vorurteil.

**Angst:** Flugangst ist ein weit verbreitetes Phänomen. Turbulenzen, technische Probleme oder die schiere Größe des Flugzeugs können Furcht auslösen. Diese Angst ist oft irrational, aber menschlich. Könnte die Abneigung gegen eine Pilotin einfach eine Manifestation dieser allgemeinen Flugangst sein, die sich auf ein ungewohntes Bild projiziert? Vielleicht. Wenn jemand sowieso schon panische Angst vor dem Fliegen hat und dann im Cockpit eine Frau sieht, könnte die ungewohnte Situation (da weibliche Pilotinnen selten sind) die Angst verstärken. Hier ist die Angst jedoch nicht direkt auf das Geschlecht gerichtet, sondern auf die Ungewissheit, die wiederum durch eine geringe Vertrautheit mit weiblichen Pilotinnen verstärkt wird. Es ist eher eine Angst vor dem „Andersartigen” im Kontext einer bereits vorhandenen Unsicherheit.

**Vorurteil:** Ein Vorurteil hingegen ist eine vorgefasste, oft negative Meinung über eine Person oder Gruppe, die auf Stereotypen beruht und nicht auf rationalen Fakten oder persönlicher Erfahrung. Wenn die Abneigung, von einer Frau geflogen zu werden, auf der Annahme basiert, dass Frauen grundsätzlich weniger technisch versiert, emotionaler, weniger entscheidungsfreudig unter Druck oder einfach „nicht für diesen Job gemacht” seien, dann sprechen wir klar von einem Geschlechterstereotyp und somit von einem Vorurteil. Diese Vorurteile können offen zutage treten oder subtil und unbewusst wirken.

Viele Menschen würden sich selbst nicht als sexistisch bezeichnen und doch unbewusst bestimmte Rollenbilder oder Kompetenzen mit Geschlechtern verknüpfen. Der Gedanke „Ich fühle mich bei einem Mann einfach sicherer” ist oft genau ein solches unbewusstes Vorurteil. Es basiert nicht auf logischen Argumenten oder persönlichen schlechten Erfahrungen mit Pilotinnen, sondern auf tief verwurzelten gesellschaftlichen Prägungen, die Männern traditionell technische und führungsstarke Rollen zuschreiben.

### Psychologische Aspekte und unbewusste Voreingenommenheit

Der menschliche Geist ist darauf programmiert, Informationen schnell zu verarbeiten und Kategorien zu bilden. Diese Kategorien können zu „Heuristiken” oder mentalen Abkürzungen führen, die uns im Alltag helfen, sind aber auch der Nährboden für Vorurteile. Wir sprechen hier von **impliziter Voreingenommenheit** (implicit bias).

Implizite Vorurteile sind unbewusste Einstellungen und Stereotypen, die unser Verständnis, unsere Handlungen und Entscheidungen beeinflussen. Sie entwickeln sich durch Sozialisation, Medien, kulturelle Darstellungen und persönliche Erfahrungen. Wenn das Bild eines Piloten in Filmen, Büchern und Nachrichten fast ausschließlich männlich ist, festigt sich im kollektiven Unterbewusstsein ein „Piloten-Archetyp”, der maskulin ist. Eine Frau im Cockpit passt nicht in dieses vertraute Schema.

Wenn dann jemand sagt: „Es ist nicht sexistisch, ich habe nur ein mulmiges Gefühl bei einer Pilotin”, so mag das subjektiv empfunden werden. Doch dieses mulmige Gefühl ist oft das Ergebnis eines impliziten Vorurteils. Es ist nicht die individuelle Frau, die Angst auslöst, sondern die Abweichung von der verinnerlichten Norm, die wiederum auf Geschlechterstereotypen basiert. Der Gedanke, dass eine Frau diesen hochtechnischen und verantwortungsvollen Beruf genauso gut ausüben kann, ist für manche Menschen schlicht ungewohnt und widerspricht dem verinnerlichten Bild.

### Die Frage des Sexismus: Eine Definition

Um die Frage eindeutig zu beantworten, müssen wir Sexismus definieren. Sexismus ist Diskriminierung oder Vorurteil aufgrund des Geschlechts. Er äußert sich in der Annahme, dass ein Geschlecht dem anderen überlegen ist oder dass bestimmte Rollen oder Eigenschaften einem bestimmten Geschlecht zugeschrieben werden sollten.

Wenn die Abneigung, sich von einer Frau fliegen zu lassen, direkt auf der Annahme beruht, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts weniger geeignet sind, diesen Beruf auszuüben, dann ist dies definitionsgemäß sexistisch. Auch wenn die Person, die dieses Gefühl hegt, sich selbst nicht als sexistisch sieht oder aktiv Frauen diskriminiert, so ist der Kern des Gefühls ein Geschlechtervorurteil.

Es ist ein Unterschied, ob man eine *allgemeine* Präferenz für einen männlichen Piloten hat, die vielleicht auf Gewohnheit beruht, oder ob man eine *aktive Ablehnung* gegenüber einer Pilotin hegt, weil sie eine Frau ist. Letzteres ist problematisch. Wenn man bewusst die Fähigkeiten einer Person aufgrund ihres Geschlechts in Frage stellt oder ihr die Kompetenz abspricht, ist das eine Form der Diskriminierung.

Die Schwere des Sexismus variiert natürlich. Ein unbewusstes, mulmiges Gefühl ist anders zu bewerten als eine bewusste Weigerung, ein Flugzeug zu besteigen, weil eine Frau am Steuer sitzt. Doch selbst das unbewusste Gefühl hat seine Wurzeln in gesellschaftlichen Stereotypen, die Frauen in bestimmten Berufen benachteiligen.

### Die persönliche Ebene: Selbstreflexion und Verantwortung

Jeder von uns trägt im Laufe des Lebens unbewusste Vorurteile in sich. Das ist kein Makel, sondern eine menschliche Eigenart, die es zu erkennen und zu hinterfragen gilt. Die entscheidende Frage ist: Wie gehe ich damit um, wenn ich merke, dass ich solche Gefühle hege?

* Woher kommen diese Gefühle? Sind sie das Ergebnis persönlicher Erfahrung oder nur übernommene Stereotypen?
* Sind sie rational? Gibt es irgendeinen Beweis, dass eine Frau am Steuer gefährlicher ist als ein Mann? Die Antwort ist ein klares Nein.
* Welche Auswirkungen haben diese Gefühle? Nicht nur auf die Pilotin, die sich ständig beweisen muss, sondern auch auf die Gesellschaft insgesamt, wenn solche Vorurteile bestehen bleiben.

Es ist eine Form von Selbstreflexion, die uns dazu bringt, unsere eigenen Denkmuster zu überprüfen. Wenn Sie feststellen, dass Sie eine Präferenz aufgrund des Geschlechts haben, fragen Sie sich, warum. Wenn es keine rationale Erklärung gibt, ist es wahrscheinlich ein Vorurteil. Und Vorurteile sind die Grundlage für Diskriminierung.

### Konsequenzen und gesellschaftliche Auswirkungen

Die Auswirkungen von Geschlechtervorurteilen in Berufen wie der Luftfahrt sind weitreichend:
1. **Für die Pilotinnen:** Sie müssen sich ständig doppelt beweisen. Jede Entscheidung, jede Kommunikation wird vielleicht genauer beäugt. Das ist eine zusätzliche Belastung und kann zu Frustration führen. Es erschwert den Zugang und das Vorankommen in einer ohnehin schon anspruchsvollen Karriere.
2. **Für die Gesellschaft:** Solche Vorurteile bremsen den Fortschritt hin zu einer truly gleichberechtigten Gesellschaft. Sie senden die Botschaft aus, dass bestimmte Berufe „männlich” oder „weiblich” sind, und schränken so die Wahlmöglichkeiten und Potenziale von Individuen ein.
3. **Wirtschaftliche Aspekte:** Die Luftfahrtbranche benötigt dringend qualifiziertes Personal. Wenn ein ganzer Pool von Talenten aufgrund veralteter Geschlechterbilder nicht voll ausgeschöpft wird, ist das auch ein wirtschaftlicher Nachteil.

### Was tun? Wege zur Überwindung von Vorurteilen

Das Erkennen eines Vorurteils ist der erste Schritt zu seiner Überwindung. Hier sind einige Wege:

1. **Aufklärung und Information:** Informieren Sie sich über die Ausbildung und die hohen Standards, die Pilot*innen erfüllen müssen. Verstehen Sie, dass Kompetenz geschlechtsneutral ist.
2. **Sichtbarkeit:** Mehr Frauen in Führungspositionen und in traditionell männlichen Berufen zu sehen, hilft, das „Piloten-Archetyp”-Bild zu ändern. Medien spielen hier eine wichtige Rolle, indem sie Frauen in diesen Rollen positiv und selbstverständlich darstellen.
3. **Bewusste Selbstreflexion:** Wenn das ungute Gefühl aufkommt, hinterfragen Sie es aktiv. Fragen Sie sich: „Warum empfinde ich das so? Gibt es einen logischen Grund, oder ist es ein gelerntes Muster?”
4. **Positive Erfahrungen suchen:** Wenn sich die Gelegenheit bietet, versuchen Sie, bewusst von einer Pilotin geflogen zu werden. Eine positive Erfahrung ist oft der effektivste Weg, Vorurteile abzubauen.
5. **Empathie:** Versetzen Sie sich in die Lage einer Pilotin, die weiß, dass einige Passagiere ihr aufgrund ihres Geschlechts misstrauen. Wie würde sich das anfühlen?

### Schlussfolgerung

Die Frage, ob es sexistisch ist, sich nicht von einer Frau fliegen lassen zu wollen, ist nicht trivial. Eine ehrliche Analyse zeigt, dass ein solches Gefühl, wenn es auf dem Geschlecht der Pilotin basiert, seine Wurzeln in Geschlechterstereotypen und unbewussten Vorurteilen hat. Diese Vorurteile sind definitionsgemäß ein Bestandteil von Sexismus.

Es geht nicht darum, Menschen an den Pranger zu stellen. Es geht darum, die eigene innere Landschaft zu erkunden und zu verstehen, dass selbst scheinbar harmlose Präferenzen weitreichende Auswirkungen auf die Gleichberechtigung und die Chancen von Frauen in Berufen haben können.

Die Aufgabe ist es, diese unbewussten Muster zu erkennen, sie zu hinterfragen und bewusst zu versuchen, sie abzubauen. Nur so können wir eine Gesellschaft schaffen, in der die Kompetenz und das Talent eines Menschen – unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder anderen Merkmalen – das einzige Kriterium für seine Bewertung ist. Der Himmel ist groß genug für alle Talente, männlich wie weiblich. Es ist Zeit, alte Denkmuster aufzubrechen und Frauen ihren verdienten Platz im Cockpit ohne Vorbehalte zuzugestehen. Das ist ein wichtiger Schritt in Richtung einer wahrhaft egalitären Welt.