Außerorts zu schnell gefahren? Diese Toleranzen, Strafen und Risiken sollten Sie kennen

Die Landstraße: Eine scheinbar endlose Strecke, gesäumt von Feldern, Wäldern oder kleinen Ortschaften, die zum zügigen Fahren einlädt. Doch gerade hier, wo die Versuchung groß ist, das Gaspedal etwas tiefer zu treten, lauern oft unerkannte Gefahren und rechtliche Konsequenzen. Eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts ist nicht nur eine Lappalie, sondern kann weitreichende Folgen haben – von empfindlichen Bußgeldern über Punkte in Flensburg und Fahrverboten bis hin zu schwerwiegenden Unfällen. Doch welche Spielräume gibt es eigentlich, wie hoch fallen die Strafen aus und welche Risiken nehmen Sie tatsächlich in Kauf? Dieser Artikel beleuchtet umfassend, was Sie wissen müssen, wenn Sie außerorts zu schnell gefahren sind oder es in Zukunft vermeiden wollen.

Warum die Geschwindigkeit außerorts so gefährlich ist

Im Gegensatz zum Stadtverkehr, wo ständiges Anfahren, Bremsen und Abbiegen die Geschwindigkeiten automatisch drosselt, herrscht außerorts oft ein kontinuierlicherer Verkehrsfluss. Die erlaubte Höchstgeschwindigkeit liegt in Deutschland meist bei 100 km/h für Pkw (sofern nicht anders beschildert), was vielen als „entspanntes” Fahren erscheint. Doch genau diese höheren Geschwindigkeiten in Kombination mit oft unübersichtlichen Kurven, fehlenden Geh- und Radwegen, Wildwechsel, überhöhter Geschwindigkeit anderer Verkehrsteilnehmer und dem plötzlichen Auftauchen von Hindernissen machen das Fahren auf Landstraßen besonders anspruchsvoll und gefährlich. Jedes zusätzliche km/h über dem Limit erhöht das Risiko exponentiell.

Die magischen Grenzen: Toleranzen beim Blitzer

Niemand ist perfekt, und auch Messgeräte sind es nicht zu 100 Prozent. Um Messungenauigkeiten auszugleichen und Autofahrern einen gewissen Spielraum einzuräumen, werden bei Geschwindigkeitsmessungen sogenannte Toleranzen abgezogen. Diese Toleranzen sind gesetzlich festgelegt und variieren je nach gefahrener Geschwindigkeit:

• Bei einer gemessenen Geschwindigkeit unter 100 km/h: Es werden pauschal 3 km/h vom gemessenen Wert abgezogen. Fährt man also 58 km/h in einer 50er-Zone außerorts und wird geblitzt, so werden nur 55 km/h als Überschreitung zur Anzeige gebracht (58 km/h – 3 km/h = 55 km/h).
• Bei einer gemessenen Geschwindigkeit ab 100 km/h: Hier werden 3 Prozent des gemessenen Wertes als Toleranz abgezogen. Fährt man beispielsweise 120 km/h auf einer Landstraße, wo 100 km/h erlaubt sind, so werden 3,6 km/h (3 % von 120 km/h) abgezogen. Die zur Anzeige gebrachte Geschwindigkeit beträgt dann 116,4 km/h.

Diese Abzüge sind unabhängig davon, ob die Messung per Blitzer, Laserpistole oder mit einem Videofahrzeug erfolgte. Sie dienen dem Schutz des Autofahrers und sollen sicherstellen, dass nur zweifelsfrei festgestellte Überschreitungen geahndet werden. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass diese Toleranzen keine „Freifahrtscheine” sind, um schneller zu fahren, sondern lediglich technische Korrekturfaktoren.

Der Bußgeldkatalog: Was droht bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts?

Der deutsche Bußgeldkatalog ist das zentrale Regelwerk, das die Sanktionen für Verkehrsverstöße festlegt. Die Strafen für zu schnelles Fahren außerorts sind gestaffelt und richten sich nach dem Ausmaß der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Neben finanziellen Bußgeldern drohen auch Punkte in Flensburg und unter Umständen ein Fahrverbot.

Bußgelder für Pkw außerorts (Stand 2024, nach Toleranzabzug):

• Bis 10 km/h zu schnell: 48,50 Euro
• 11 – 15 km/h zu schnell: 68,50 Euro
• 16 – 20 km/h zu schnell: 88,50 Euro
• 21 – 25 km/h zu schnell: 128,50 Euro
• 26 – 30 km/h zu schnell: 178,50 Euro, 1 Punkt in Flensburg
• 31 – 40 km/h zu schnell: 238,50 Euro, 1 Punkt in Flensburg
• 41 – 50 km/h zu schnell: 348,50 Euro, 2 Punkte in Flensburg, 1 Monat Fahrverbot
• 51 – 60 km/h zu schnell: 508,50 Euro, 2 Punkte in Flensburg, 1 Monat Fahrverbot
• 61 – 70 km/h zu schnell: 633,50 Euro, 2 Punkte in Flensburg, 2 Monate Fahrverbot
• Über 70 km/h zu schnell: 738,50 Euro, 2 Punkte in Flensburg, 3 Monate Fahrverbot

Es ist wichtig zu beachten, dass diese Angaben die reinen Bußgelder zuzüglich einer Verwaltungsgebühr und Auslagen darstellen. Die genauen Beträge können je nach Einzelfall und spezifischen Umständen leicht variieren. Auch für Lkw gelten abweichende, in der Regel höhere Strafen.

Punkte in Flensburg

Ab einer Überschreitung von 26 km/h außerorts erhalten Sie einen Punkt im Fahreignungsregister in Flensburg. Bei 8 Punkten ist der Führerschein weg. Punkte bleiben für eine bestimmte Dauer bestehen (2,5 Jahre für 1 Punkt, 5 Jahre für 2 Punkte, 10 Jahre für 3 Punkte) und verfallen automatisch, wenn keine neuen Verstöße hinzukommen.

Fahrverbot

Ein Fahrverbot droht bei einer Überschreitung von 41 km/h oder mehr außerorts. Bei dieser Kategorie ist in der Regel ein einmonatiges Fahrverbot vorgesehen. Ab 61 km/h Überschreitung können es bereits zwei Monate sein, und bei über 70 km/h sogar drei Monate. Ein Fahrverbot bedeutet, dass Sie für die Dauer des Verbots keinerlei Kraftfahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr führen dürfen. Für sogenannte Wiederholungstäter (zweimalige Überschreitung von 26 km/h oder mehr innerhalb eines Jahres) kann bereits ein einmonatiges Fahrverbot verhängt werden, auch wenn die einzelne Überschreitung noch kein Fahrverbot vorsieht.

Die unterschätzten Gefahren: Was sind die wahren Risiken?

Über die reinen gesetzlichen Strafen hinaus birgt eine Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts eine Reihe von ernsthaften Risiken, die oft unterschätzt werden. Diese betreffen nicht nur den Geldbeutel oder den Führerschein, sondern können existenzielle Dimensionen annehmen.

Erhöhtes Unfallrisiko und dessen Folgen

• Längere Bremswege: Die kinetische Energie eines Fahrzeugs steigt quadratisch mit der Geschwindigkeit. Das bedeutet: Schon eine geringe Erhöhung der Geschwindigkeit führt zu einem erheblich längeren Bremsweg. Bei 100 km/h beträgt der Anhalteweg (Reaktionsweg + Bremsweg) unter guten Bedingungen etwa 80-100 Meter. Fährt man nur 20 km/h schneller, verlängert sich dieser Weg drastisch, oft um mehrere Zehnermeter.
• Geringere Reaktionszeit: Schnelleres Fahren verkürzt die Zeit, die dem Fahrer für die Wahrnehmung von Gefahren und die Reaktion darauf bleibt. Plötzlich auftauchendes Wild, ein langsam fahrender Traktor, ein abbiegender Radfahrer oder eine schlecht einsehbare Kurve werden zu unüberwindbaren Hindernissen.
• Schwerere Unfallfolgen: Bei höheren Geschwindigkeiten sind die Aufprallenergien enorm. Das Risiko schwerer Verletzungen oder gar tödlicher Unfälle für alle Beteiligten (Fahrer, Beifahrer, andere Verkehrsteilnehmer, Fußgänger) steigt drastisch. Selbst moderne Sicherheitssysteme können physikalische Grenzen nicht überwinden.
• Verlust der Fahrzeugkontrolle: Gerade auf kurvigen Landstraßen oder bei nasser Fahrbahn kann zu hohe Geschwindigkeit schnell zum Verlust der Kontrolle über das Fahrzeug führen.

Rechtliche Folgen jenseits des Bußgeldes

Ein schwerwiegender Unfall durch Geschwindigkeitsüberschreitung kann über den Bußgeldkatalog hinaus strafrechtliche Konsequenzen haben. Dazu gehören:

• Körperverletzung oder Tötung im Straßenverkehr: Wer durch grob fahrlässiges Verhalten (wie extreme Geschwindigkeitsüberschreitung) einen Unfall verursacht, bei dem Menschen verletzt oder getötet werden, muss mit einer Anklage wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung rechnen. Dies führt zu Geldstrafen oder sogar Haftstrafen.
• Gefährdung des Straßenverkehrs: Besonders rücksichtsloses Verhalten, das Leib oder Leben anderer Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, kann als Straftat nach § 315c StGB gewertet werden.
• Illegale Straßenrennen: Wer mit überhöhter Geschwindigkeit ein „Rennen” fährt oder sich als Einzelfahrer unangepasst fortbewegt, um die höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen, macht sich strafbar nach § 315d StGB.
• Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU): Bei wiederholten schweren Verkehrsverstößen oder einer extremen Geschwindigkeitsüberschreitung kann die Führerscheinstelle eine MPU anordnen, um die Fahreignung zu überprüfen. Die Kosten und der Aufwand für eine MPU sind erheblich, und viele fallen beim ersten Versuch durch.

Finanzielle Einbußen

Die Risiken einer Geschwindigkeitsüberschreitung sind auch finanzieller Natur und gehen weit über das Bußgeld hinaus:

• Erhöhte Versicherungsprämien: Nach einem Unfall oder dem Erhalt von Punkten stufen Versicherungen den Fahrer oft in eine schlechtere Schadensfreiheitsklasse ein, was zu deutlich höheren Beiträgen führt. Bei grober Fahrlässigkeit kann die Versicherung sogar Leistungen kürzen oder verweigern.
• Anwalts- und Gerichtskosten: Wenn Sie gegen einen Bußgeldbescheid vorgehen oder in einen Unfall verwickelt sind, können hohe Kosten für Rechtsberatung und Gerichtsverfahren anfallen.
• Sachschaden und Personenschaden: Die Reparatur des eigenen Fahrzeugs und der Schadenersatz für den Unfallgegner können immens sein. Bei Personenschäden kommen Kosten für medizinische Behandlungen, Reha, Schmerzensgeld und möglicherweise lebenslange Rentenzahlungen hinzu.
• Kosten für MPU und Nachschulungen: Wie bereits erwähnt, sind die Kosten für eine MPU und eventuell angeordnete Nachschulungen beträchtlich.
• Folgekosten durch Fahrverbot: Ein Fahrverbot kann den Verlust des Arbeitsplatzes bedeuten, wenn man beruflich auf den Führerschein angewiesen ist, oder erhebliche Kosten für alternative Transportmittel verursachen.

Psychische und soziale Belastungen

Die emotionalen und sozialen Folgen eines Unfalls, der durch überhöhte Geschwindigkeit verursacht wurde, sind oft verheerend. Schuldgefühle, Traumata, der Verlust der Mobilität und die damit verbundenen Einschränkungen im Berufs- und Privatleben können das Leben dauerhaft beeinflussen. Auch die Stigmatisierung als „Raser” oder „Verkehrssünder” kann belastend sein.

Prävention und bewusster fahren: Tipps für eine sichere Fahrt außerorts

Angesichts der umfassenden Risiken ist es essenziell, sich des eigenen Fahrverhaltens bewusst zu werden und präventive Maßnahmen zu ergreifen:

• Geschwindigkeit anpassen: Fahren Sie nie schneller, als es die Bedingungen (Wetter, Sicht, Verkehrsdichte, Straßenzustand) zulassen – auch wenn das Limit höher ist.
• Vorausschauend fahren: Beobachten Sie die Umgebung genau, achten Sie auf mögliche Gefahrenquellen wie Wildwechsel-Schilder, Hofausfahrten, unübersichtliche Kurven oder Kreuzungen.
• Schilder beachten: Achten Sie auf Geschwindigkeitsbegrenzungen, Überholverbote und andere Gefahrenhinweise.
• Ausreichend Abstand halten: Mehr Abstand gibt Ihnen mehr Zeit zum Reagieren und Bremsen.
• Pausen einlegen: Müdigkeit ist ein großer Risikofaktor. Legen Sie regelmäßig Pausen ein, um konzentriert zu bleiben.
• Keine Ablenkung: Hände weg vom Smartphone. Konzentrieren Sie sich voll und ganz auf den Verkehr.

Fazit

Außerorts zu schnell gefahren zu sein, ist weit mehr als nur ein Kavaliersdelikt. Die vermeintliche Zeitersparnis oder der kurze Nervenkitzel stehen in keinem Verhältnis zu den potenziellen Konsequenzen. Die Toleranzen sind minimale Sicherheitsmargen, keine Einladung zum Gas geben. Die Strafen aus dem Bußgeldkatalog können empfindlich sein, aber die wahren Risiken – von schweren Unfällen mit Verletzten oder Toten über strafrechtliche Verfolgung bis hin zu finanziellen Ruin und psychischem Leid – sind ungleich gravierender. Seien Sie sich dieser Gefahren bewusst und fahren Sie stets umsichtig, verantwortungsvoll und der Situation angemessen. Ihre Sicherheit und die Sicherheit anderer Verkehrsteilnehmer haben immer oberste Priorität.