Die Simson S51 – für viele mehr als nur ein Moped. Sie ist ein Stück Geschichte, ein treuer Begleiter, ein Symbol für Freiheit auf zwei Rädern. Ihr unverwechselbarer Klang und ihre robuste Bauweise haben ihr Kultstatus eingebracht. Doch selbst die legendärste Technik ist nicht vor kleinen Eigenheiten gefeit. Eine dieser Eigenheiten, die schon so manchen Simson-Fahrer zur Verzweiflung getrieben hat, ist der Kickstarter. Er klemmt, blockiert, tritt ins Leere oder funktioniert auf unerklärliche Weise manchmal perfekt und dann wieder gar nicht. Ein wahres Mysterium, das wir heute gemeinsam entlüften werden.
Stellen Sie sich vor: Sie wollen zur Arbeit, zu Freunden oder einfach nur eine Spritztour machen. Sie schwingen sich auf Ihre geliebte S51, treten den Kickstarter – und nichts. Er bleibt hängen. Oder er schnellt durch, ohne den Motor zu bewegen. Nach ein paar frustrierenden Versuchen, vielleicht einem kleinen Schütteln am Moped, funktioniert er plötzlich wieder, als wäre nie etwas gewesen. Dieses intermittierende Problem ist nicht nur ärgerlich, sondern kann auch ein Anzeichen für tieferliegende Verschleißerscheinungen sein. Wir tauchen tief in die Materie ein, um nicht nur die Symptome zu verstehen, sondern auch die Ursachen zu beheben und somit die Zuverlässigkeit Ihrer Simson wiederherzustellen.
Die Faszination Simson S51: Mehr als nur ein Fortbewegungsmittel
Bevor wir uns dem Problem widmen, lassen Sie uns kurz innehalten und die Faszination der Simson S51 würdigen. Entwickelt in der ehemaligen DDR, war sie von 1980 bis 1989 der Inbegriff der Mobilität. Ihre 50 ccm und die Möglichkeit, bis zu 60 km/h zu fahren, machten sie zum Star auf deutschen Straßen. Auch heute noch erfreut sie sich größter Beliebtheit, nicht zuletzt wegen ihrer unkomplizierten Technik und der hervorragenden Ersatzteilversorgung. Doch genau diese Technik, so robust sie auch ist, erfordert ein gewisses Verständnis und regelmäßige Wartung, um ihre Langlebigkeit zu garantieren. Der Kickstarter-Mechanismus ist ein Paradebeispiel dafür.
Das „Mysterium” entmystifiziert: Die Anatomie des Kickstarter-Mechanismus
Um das Problem des klemmenden Kickstarters zu verstehen, müssen wir uns zuerst dessen Aufbau im Motorblock der Simson S51 ansehen. Es ist ein cleveres System, das die Kraft Ihres Fußes in eine Drehbewegung der Kurbelwelle umwandelt, um den Motor zu starten. Die Hauptkomponenten, die sich unter dem Kupplungsdeckel verbergen, sind:
- Die Kickstarterwelle (Mitnehmer): Dies ist die Welle, die Sie mit dem Kickstarterhebel betätigen. Sie besitzt an ihrem inneren Ende Zähne oder eine Verzahnung.
- Das Kickstartersegment (Sperrklinke): Eine halbkreisförmige Zahnradscheibe, die in die Zähne der Kickstarterwelle eingreift. Sie ist über eine Feder mit dem Motorblock verbunden und dreht bei Betätigung die Kurbelwelle an.
- Die Kickstarterfeder: Eine starke Spiralfeder, die den Kickstarterhebel nach dem Treten wieder in seine Ausgangsposition zurückbringt und gleichzeitig das Kickstartersegment in Position hält.
- Lagerbuchsen/Anlaufscheiben: Diese sorgen für die Führung der Kickstarterwelle und reduzieren Reibung.
- Dichtungen: Zwischen Kupplungsdeckel und Motorblock, um das Austreten von Öl zu verhindern.
Wenn Sie den Kickstarter betätigen, dreht die Welle das Segment, welches die Kurbelwelle über das Getriebe mitnimmt. Sobald der Motor anspringt und Sie den Fuß vom Hebel nehmen, zieht die Kickstarterfeder das Segment aus dem Eingriff und den Hebel zurück. Ein scheinbar einfacher Vorgang, der bei Verschleiß jedoch hochkomplex wird.
Die Symptome verstehen: Wann der Kickstarter „klemmt” und wann er „wieder funktioniert”
Die Art und Weise, wie Ihr Simson S51 Kickstarter „spinnt”, gibt oft schon Aufschluss über die mögliche Ursache. Die Probleme äußern sich in verschiedenen Formen:
- Der Kickstarter klemmt vollständig: Er lässt sich kaum oder gar nicht nach unten treten. Das kann ein Zeichen für blockierte oder stark verschlissene Zahnräder, verbogene Wellen oder Fremdkörper sein.
- Der Kickstarter rutscht durch: Sie treten den Hebel, spüren aber keinen Widerstand; er bewegt den Motor nicht. Dies deutet meist auf abgenutzte Zähne am Mitnehmer oder Kickstartersegment hin, die nicht mehr richtig ineinandergreifen.
- Der Kickstarter kommt nicht zurück: Nach dem Treten bleibt der Hebel unten oder kehrt nur sehr langsam in seine Ausgangsposition zurück. Dies ist ein klares Indiz für eine ermüdete oder gebrochene Kickstarterfeder oder für erhöhte Reibung durch fehlende Schmierung oder Verunreinigungen.
- Das intermittierende Problem (das Mysterium): Mal funktioniert er perfekt, mal klemmt er, mal rutscht er durch. Dies ist oft das schwierigste, aber auch das häufigste Problem. Es deutet auf einen beginnenden Verschleiß hin, bei dem die Komponenten unter bestimmten Umständen (z.B. Temperatur, genauer Winkel der Zahnstellung) noch greifen, unter anderen aber versagen. Die Abnutzung ist noch nicht so extrem, dass sie permanent ausfällt, aber schon so weit fortgeschritten, dass die Funktion unzuverlässig wird.
Die Übeltäter entlarven: Häufige Ursachen für das Kickstarter-Dilemma
Die Ursachen für die genannten Symptome sind vielfältig, lassen sich aber meist auf wenige Verschleißteile zurückführen, die unter dem Kupplungsdeckel verborgen sind.
1. Verschleiß der Kickstarterwelle (Mitnehmer)
Der Mitnehmer ist das Herzstück des Kickstarter-Mechanismus. Seine Zähne werden bei jedem Start stark beansprucht. Mit der Zeit schleifen sich diese Zähne ab, werden rund oder bekommen Grate. Ein leicht abgenutzter Mitnehmer kann bei genauer Zahnstellung noch greifen, bei einer anderen Stellung (die zufällig beim Startversuch auftritt) aber durchrutschen oder klemmen. Dieses Problem führt oft zum intermittierenden Durchrutschen oder einem Gefühl, als ob der Kickstarter „hängenbleibt”, bevor er dann doch wieder freigegeben wird.
2. Verschleiß am Kickstartersegment (Sperrklinke)
Ähnlich wie der Mitnehmer ist auch das Kickstartersegment dem Verschleiß ausgesetzt. Seine Zähne können ebenfalls abgenutzt, verbogen oder sogar abgebrochen sein. Eine besonders kritische Stelle ist die Sperrklinke oder der Anschlag, der das Segment in seiner Position hält. Ist dieser abgenutzt, kann das Segment überdrehen oder nicht korrekt in den Mitnehmer eingreifen. Auch die Feder, die das Segment in Position hält, kann ermüden oder brechen, was zu unzuverlässiger Funktion führt.
3. Ermüdung oder Bruch der Kickstarterfeder
Die Kickstarterfeder ist für das Zurückführen des Kickstarters in die Ausgangsposition verantwortlich. Ist sie ermüdet oder bricht sie sogar, dann bleibt der Kickstarter unten hängen oder kommt nur schleppend zurück. Eine geschwächte Feder kann auch dazu führen, dass das Kickstartersegment nicht fest genug in den Mitnehmer gedrückt wird, was ein Durchrutschen begünstigt – besonders bei kaltem Motoröl, das die Beweglichkeit zusätzlich erschwert.
4. Abgenutzte Lagerbuchsen oder Anlaufscheiben
Die Kickstarterwelle und das Segment sind in Lagerbuchsen oder auf Anlaufscheiben gelagert. Wenn diese verschleißen, entsteht zu viel Spiel. Dieses Spiel kann dazu führen, dass die Zahnräder nicht mehr sauber ineinandergreifen, sich verkanten oder einfach nur unzuverlässig arbeiten. Das Ergebnis ist oft ein Klemmen oder Hakeln des Kickstarters, das mal mehr, mal weniger stark ausgeprägt ist.
5. Falsches oder altes Getriebeöl / Ölmangel
Das Getriebeöl im Motor spielt eine entscheidende Rolle für die Schmierung aller beweglichen Teile, einschließlich des Kickstarters. Verunreinigtes, zu altes oder gar falsches Öl kann seine Schmierfähigkeit verlieren. Dies erhöht die Reibung erheblich, was dazu führt, dass der Kickstarter schwergängig wird, klemmt oder nicht sauber zurückspringt. Auch ein zu niedriger Ölstand hat katastrophale Folgen für die Schmierung und damit für die Lebensdauer der Komponenten.
6. Fremdkörper oder Ablagerungen
Manchmal sind es die kleinen Dinge, die große Probleme verursachen. Metallspäne, alte Dichtungsreste oder andere Verunreinigungen im Getriebe können den Mechanismus blockieren oder die Beweglichkeit der Teile einschränken. Diese Partikel können sich unregelmäßig festsetzen und so das intermittierende Klemmen erklären.
7. Unsachgemäße Montage oder Einstellung
Nach einer früheren Reparatur können Fehler bei der Montage dazu führen, dass der Kickstarter klemmt. Eine falsch eingebaute Feder, nicht korrekt ausgerichtete Zahnräder oder fehlende Anlaufscheiben können langfristig Probleme verursachen, die sich anfangs vielleicht nur sporadisch zeigen.
Die Diagnose: Detektivarbeit am Moped
Um das Problem zu beheben, müssen Sie den genauen Übeltäter identifizieren. Hier ist Ihr innerer Mechaniker gefragt:
- Erste Prüfung von außen: Überprüfen Sie, ob der Kickstarterhebel selbst verbogen ist oder an etwas schleift. Manchmal ist das Problem banal.
- Ablassen des Getriebeöls: Bevor Sie den Deckel öffnen, lassen Sie das Getriebeöl in ein sauberes Gefäß ab. Achten Sie auf Metallspäne im Öl – das wäre ein deutliches Warnsignal für internen Verschleiß.
- Demontage des Kupplungsdeckels: Dies ist der erste große Schritt. Entfernen Sie vorsichtig den Kupplungsdeckel. Merken Sie sich die Position der Schrauben und passen Sie auf die Dichtung auf.
- Sichtprüfung der Komponenten:
- Kickstarterwelle (Mitnehmer): Überprüfen Sie die Zähne. Sind sie spitz, rundgeschliffen oder haben sie Grate? Auch das Zahnprofil sollte scharf sein.
- Kickstartersegment (Sperrklinke): Untersuchen Sie auch hier die Zähne und die Arretierung. Ist die kleine Feder, die das Segment in Position hält, intakt und unter Spannung?
- Kickstarterfeder: Ist sie gebrochen, verbogen oder sieht sie „lahm” aus? Testen Sie ihre Spannkraft.
- Lagerbuchsen/Anlaufscheiben: Prüfen Sie das Spiel der Wellen. Gibt es übermäßiges Wackeln oder Kippeln?
- Beweglichkeitsprüfung: Versuchen Sie, die Kickstarterwelle und das Segment manuell zu bewegen. Haken sie? Drehen sie sich leicht und ohne Widerstand?
Die Heilung: Schritt-für-Schritt zur Reparatur
Haben Sie den Übeltäter identifiziert, ist die Reparatur meist unkompliziert, erfordert aber Sorgfalt. Gehen Sie methodisch vor:
- Vorbereitung: Sorgen Sie für eine saubere Arbeitsumgebung, legen Sie Werkzeug bereit (Ringschlüssel, Schraubendreher, Drehmomentschlüssel, Auffangwanne für Öl) und halten Sie die benötigten Ersatzteile (Mitnehmer, Segment, Feder, Dichtung, neues Getriebeöl) bereit. Verwenden Sie möglichst hochwertige Ersatzteile, um eine lange Lebensdauer zu gewährleisten.
- Demontage der defekten Teile:
- Wenn der Mitnehmer oder das Kickstartersegment defekt ist, müssen oft weitere Komponenten wie die Kupplung und das Primärritzel demontiert werden, um Zugang zu erhalten. Merken Sie sich genau die Reihenfolge und Position der Teile! Machen Sie Fotos.
- Die Kickstarterfeder ist oft einfacher zugänglich. Lösen Sie die Halterung und tauschen Sie die Feder aus. Achten Sie auf die korrekte Einbaulage und Vorspannung.
- Reinigung: Reinigen Sie alle Komponenten gründlich von alten Ölrückständen und möglichen Spänen. Eine saubere Oberfläche ist entscheidend für die neue Dichtung und die Funktion.
- Montage der Neuteile: Setzen Sie die neuen Teile (Mitnehmer, Segment, Feder, Lagerbuchsen) sorgfältig ein. Schmieren Sie alle beweglichen Teile vor dem Zusammenbau leicht mit Getriebeöl. Achten Sie auf die korrekte Ausrichtung der Zähne und die spielfreie, aber leichtgängige Lagerung.
- Dichtung ersetzen: Verwenden Sie immer eine neue Dichtung für den Kupplungsdeckel. Tragen Sie gegebenenfalls eine dünne Schicht Dichtmasse auf, um absolute Dichtheit zu gewährleisten.
- Kupplungsdeckel montieren: Setzen Sie den Kupplungsdeckel vorsichtig auf und ziehen Sie die Schrauben über Kreuz und in mehreren Schritten mit dem vorgeschriebenen Drehmoment an. Ein zu festes Anziehen kann den Deckel verziehen, ein zu loses führt zu Undichtigkeiten.
- Neues Getriebeöl einfüllen: Füllen Sie das empfohlene Getriebeöl (z.B. SAE 80 oder 80W-90) in der korrekten Menge ein. Der Ölstand ist entscheidend für die Schmierung.
- Funktionstest: Treten Sie den Kickstarter mehrmals vorsichtig. Er sollte jetzt leichtgängig sein, sauber einrasten und wieder in seine Ausgangsposition zurückkehren. Starten Sie den Motor und prüfen Sie auf Leckagen.
Vorbeugen ist besser als Heilen: Pflegetipps für einen zuverlässigen Kickstarter
Ein wenig Wartung kann viel Ärger ersparen. Hier sind Tipps, um Ihr Simson S51 Kickstarter-Mysterium gar nicht erst entstehen zu lassen:
- Regelmäßiger Ölwechsel: Das A und O. Wechseln Sie das Getriebeöl gemäß den Herstellervorgaben (oder öfter, wenn Sie viel fahren). Verwenden Sie immer die korrekte Ölsorte und Füllmenge.
- Qualität des Öls: Sparen Sie nicht am falschen Ende. Gutes Getriebeöl schützt vor Verschleiß.
- Schonender Umgang: Treten Sie den Kickstarter nicht wie wild durch. Ein kräftiger, aber kontrollierter Tritt ist effektiver und schont die Mechanik. Lassen Sie den Hebel sauber zurückschnellen, begleiten Sie ihn nicht mit dem Fuß.
- Frühes Erkennen von Problemen: Achten Sie auf ungewöhnliche Geräusche, ein Hakeln oder ein leichtes Durchrutschen. Je früher Sie eingreifen, desto kleiner ist der Schaden.
- Regelmäßige Inspektion: Wenn Sie den Ölwechsel vornehmen, ist das eine gute Gelegenheit, auch den Kupplungsdeckel einmal abzunehmen und eine Sichtprüfung der Kickstarter-Komponenten durchzuführen. So können Sie beginnenden Verschleiß frühzeitig erkennen.
Fazit: Vom Mysterium zur Meisterleistung
Das anfängliche „Mysterium” des Simson S51 Kickstarters, der mal klemmt und mal funktioniert, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als ein klassisches Verschleißproblem, das mit dem richtigen Wissen und etwas handwerklichem Geschick leicht behoben werden kann. Es ist ein Beweis dafür, dass die Simson, trotz ihrer robusten Bauweise, Pflege und Aufmerksamkeit benötigt.
Indem Sie die Ursachen verstehen, eine gründliche Diagnose durchführen und die Reparatur sorgfältig ausführen, verwandeln Sie das frustrierende Problem in ein Erfolgserlebnis. Nicht nur funktioniert Ihr Moped wieder einwandfrei, Sie haben auch ein tieferes Verständnis für Ihre Simson gewonnen und ihre Zuverlässigkeit für viele weitere Kilometer sichergestellt. Und das ist doch die wahre Freude am Besitz eines solchen Kultfahrzeugs: Es nicht nur zu fahren, sondern es auch zu verstehen und am Leben zu erhalten.