Der Schock sitzt tief, der Magen zieht sich zusammen: Gerade eben an der Tankstelle gestanden, den Rüssel in den Tank der geliebten Simson gesteckt und – oh Schreck – reines Benzin statt des vorgeschriebenen Gemischs eingefüllt. Dieser Moment ist der Albtraum vieler Zweirad-Enthusiasten. Einmal unaufmerksam, und schon steht man vor einem potenziellen Desaster. Doch keine Panik! Obwohl reines Benzin für einen Simson-Motor ein ernstes Problem darstellt, ist nicht sofort alles verloren. Mit dem richtigen Wissen und schnellem Handeln lassen sich oft schlimmere Schäden vermeiden. Dieser Artikel erklärt detailliert, warum reines Benzin so gefährlich ist, was im schlimmsten Fall passieren kann und vor allem: Was du jetzt tun musst.
Der Albtraum jedes Simson-Fahrers: Das falsche Gemisch im Tank
Du stehst da, der Motor deines geliebten Mopeds schreit nach der richtigen Mischung, nach dem Lebenselixier aus Benzin und Zweitaktöl. Doch in einem Moment der Unachtsamkeit, vielleicht abgelenkt, müde oder einfach nur zu schnell, hast du zum falschen Zapfhahn gegriffen. Oder du hast Benzin gekauft, das bereits fertig gemischt sein sollte, es aber doch nicht war. Das Ergebnis ist dasselbe: Reines Benzin im Tank deines Simson-Mopeds. Der erste Gedanke ist oft pure Panik. Hat es den Motor schon zerrissen? Ist das ein wirtschaftlicher Totalschaden? Diese Fragen sind berechtigt, aber bevor du in Verzweiflung gerätst, solltest du wissen, dass es entscheidend ist, wie du jetzt reagierst. Dieser umfassende Leitfaden soll dir helfen, die Situation richtig einzuschätzen und die notwendigen Schritte einzuleiten, um deine Simson zu retten und für die Zukunft vor solchen Fehlern zu schützen.
Warum reines Benzin ein Problem ist: Das Herz des Simson-Motors
Um zu verstehen, warum reines Benzin so schädlich für eine Simson ist, müssen wir einen Blick auf das Funktionsprinzip ihres Motors werfen. Simson-Mopeds sind mit Zweitaktmotoren ausgestattet. Im Gegensatz zu Viertaktmotoren, die ein separates Ölsystem zur Schmierung von Kurbelwelle, Pleuel und Kolben besitzen, erfolgt die Schmierung bei Zweitaktmotoren über das Kraftstoff-Luft-Gemisch. Das bedeutet, das Motoröl wird dem Benzin beigemischt und verbrennt gemeinsam mit diesem im Zylinder.
Dieses beigemischte Motoröl ist absolut entscheidend. Es bildet einen Schmierfilm auf allen beweglichen Teilen des Motors, die mit dem Kraftstoff in Kontakt kommen: den Kolben, dem Zylinder, den Kurbelwellenlagern und dem Pleuellager. Ohne diesen Schmierfilm steigt die Reibung dramatisch an. Reibung erzeugt Hitze, und exzessive Hitze führt zu Metallausdehnung und letztlich zu einem Fressen der beweglichen Teile. Ein solcher Kolbenfresser oder ein Lagerschaden ist der Super-Gau für jeden Zweitaktmotor und kann einen Totalschaden bedeuten oder zumindest eine kostspielige Reparatur nach sich ziehen.
Moderne Zweitaktöle sind speziell darauf ausgelegt, auch unter hohen Temperaturen einen stabilen Schmierfilm zu gewährleisten und gleichzeitig rückstandsarm zu verbrennen. Reines Benzin bietet keinerlei Schmiereigenschaften. Es ist ein Lösungsmittel, das sogar vorhandene Ölfilme entfernen kann, anstatt sie zu ergänzen. Daher ist es für einen Simson-Motor, der auf diese externe Schmierung angewiesen ist, absolut verheerend.
Die erste Reaktion: Panik oder kühler Kopf?
Der Moment der Erkenntnis ist entscheidend. Deine Reaktion in den ersten Sekunden nach dem Fehlertanken bestimmt oft das Ausmaß des möglichen Schadens. Die wichtigste Frage, die du dir sofort stellen musst, ist:
**”Habe ich den Motor bereits gestartet oder gar damit gefahren?”**
Diese Frage trennt die Spreu vom Weizen, denn je nachdem, ob der Motor schon gelaufen ist oder nicht, variieren die notwendigen Maßnahmen und das Risiko eines Schadens erheblich.
Szenario 1: Du hast den Motor noch NICHT gestartet!
Glückwunsch! Du hast noch einmal Glück gehabt und das Problem rechtzeitig erkannt. Dies ist das beste Szenario, und die Chancen stehen sehr gut, dass deine Simson keinen Schaden genommen hat. Schnelles und gründliches Handeln ist jetzt aber trotzdem gefragt.
1. **Motorrad nicht bewegen oder starten:** Lasse das Moped genau dort stehen, wo es steht. Keinen einzigen Startversuch unternehmen, weder mit dem Kickstarter noch mit Anschieben. Jeder noch so kurze Lauf des Motors ohne Schmierung kann bereits Schäden verursachen.
2. **Benzinhahn schließen:** Der erste Handgriff sollte sein, den Benzinhahn am Tank sofort auf „Zu” oder „Off” zu stellen. Dadurch wird verhindert, dass weiteres reines Benzin in den Vergaser und die Kraftstoffleitungen nachfließt.
3. **Tank entleeren:** Das reine Benzin muss vollständig aus dem Tank entfernt werden.
* **Methode 1 (Empfohlen):** Besorge dir einen sauberen Behälter (Kanister, Flasche) und einen Schlauch. Idealerweise sollte ein kleiner Schlauch (z.B. ein dünner Kraftstoffschlauch) in den Tank gesteckt werden, um das Benzin abzusaugen (ansaugen mit dem Mund, dann in den Behälter laufen lassen – Vorsicht, Benzin nicht schlucken!).
* **Methode 2 (Weniger ideal):** Wenn dein Benzinhahn eine Siebpatrone besitzt, kannst du den Kraftstoffschlauch am Benzinhahn abziehen und das Benzin direkt durch den Benzinhahn ablaufen lassen. Achte darauf, dass der Behälter groß genug ist. Vergewissere dich, dass wirklich alles Benzin aus dem Tank läuft. Schwenke den Tank leicht, um auch die letzten Reste zu erwischen.
4. **Vergaser entleeren:** Nachdem der Tank leer ist, befindet sich immer noch reines Benzin im Vergaser. Dieser muss ebenfalls entleert werden. Die meisten Simson-Vergaser haben eine Ablassschraube an der Unterseite der Schwimmerkammer. Löse diese vorsichtig und lasse das Benzin in einen geeigneten Behälter abfließen. Achte darauf, auch hier alles restliche Benzin zu entfernen.
5. **Kraftstoffleitungen spülen:** Es ist ratsam, auch die Kraftstoffleitungen einmal zu spülen. Nachdem alles entleert ist, füllst du eine kleine Menge der korrekten Benzin-Öl-Mischung in den Tank. Öffne den Benzinhahn und lasse die Mischung kurz durch die Leitungen in einen externen Behälter laufen, bis die Leitungen „gespült” sind. Schließe dann den Benzinhahn wieder.
6. **Korrekte Mischung einfüllen:** Fülle nun die richtige Benzin-Öl-Mischung (z.B. 1:50 für neuere Modelle, 1:33 für ältere oder eingefahrene Motoren, siehe Bedienungsanleitung deiner Simson!) in den Tank. Achte darauf, dass die Mischung frisch ist und das richtige Mischungsverhältnis aufweist.
7. **Erster Startversuch vorsichtig:** Öffne den Benzinhahn und warte einen Moment, bis der Vergaser wieder mit der richtigen Mischung gefüllt ist. Choke ziehen und dann vorsichtig mit dem Kickstarter starten. Höre aufmerksam auf ungewöhnliche Geräusche. Der Motor sollte normal anspringen und laufen. Mach eine kurze Probefahrt, aber vermeide hohe Drehzahlen und Vollgas für die ersten Kilometer.
Wenn du diese Schritte sorgfältig befolgst, hast du gute Chancen, dass dein Motor unbeschadet bleibt.
Szenario 2: Du hast den Motor BEREITS gestartet (und bist vielleicht sogar gefahren)!
Dieses Szenario ist ernster, aber nicht zwangsläufig ein Todesurteil für deine Simson. Das Ausmaß des Schadens hängt davon ab, wie lange der Motor ohne Schmierung gelaufen ist und unter welcher Last. Auch hier gilt: Sofortiges Handeln ist entscheidend.
1. **Motor sofort abstellen:** Das Wichtigste ist, den Motor sofort auszuschalten. Wenn du noch fährst, kupple aus, lass den Motor ausrollen und stelle ihn dann ab. Keine weiteren Meter fahren, kein Gas geben, nicht versuchen, noch nach Hause zu kommen. Jeder weitere Meter ohne Schmierung erhöht das Risiko eines irreparablen Schadens exponentiell.
2. **Motor nicht mehr starten:** Selbst wenn der Motor noch läuft, stelle ihn ab. Versuche nicht, ihn wieder anzulassen.
3. **Restliche Schritte wie in Szenario 1:**
* **Benzinhahn schließen.**
* **Tank entleeren.**
* **Vergaser entleeren.**
* **Kraftstoffleitungen spülen.**
* **Korrekte Mischung einfüllen.**
4. **Zusätzliche Überprüfungen und Vorsichtsmaßnahmen:**
* **Zündkerze überprüfen:** Schraube nach dem Entleeren und Neubefüllen die Zündkerze heraus. Begutachte das Kerzenbild. Ist es stark verrußt (was auf eine überfettete Mischung hindeutet) oder völlig blank/hell (was auf mangelnde Schmierung und zu hohe Temperaturen hindeuten könnte)? Im letzteren Fall, oder wenn du unsicher bist, tausche die Zündkerze am besten direkt gegen eine neue aus.
* **Kompressionstest (empfohlen):** Wenn du die Möglichkeit hast oder dir unsicher bist, führe einen Kompressionstest durch. Ein stark verminderter Kompressionsdruck kann auf einen Schaden an Kolben, Kolbenringen oder Zylinder hinweisen. Normale Werte liegen je nach Motorzustand bei ca. 8-10 bar.
* **Motor vorsichtig starten:** Nachdem alles korrekt befüllt und geprüft wurde, versuche den Motor zu starten. Achte genau auf ungewöhnliche Geräusche. Ein Klingeln, Rasseln, starker Leistungsverlust oder das Gefühl, dass der Motor „klemmt”, sind Alarmzeichen.
* **Kurze Probefahrt:** Wenn der Motor normal anspringt und ruhig läuft, mache eine sehr kurze Probefahrt (einige hundert Meter). Achte auf:
* **Leistungsabfall:** Zieht der Motor nicht mehr richtig?
* **Ungewöhnliche Geräusche:** Klingelt, klopft oder rasselt der Motor bei Last?
* **Rauchentwicklung:** Extrem starke Rauchentwicklung (außer dem normalen bläulichen Zweitaktrauch) oder ein verbrannter Geruch können auf Probleme hindeuten.
* **Überhitzung:** Wird der Motor ungewöhnlich heiß?
5. **Langfristige Beobachtung:** Selbst wenn der Motor nach dem Vorfall scheinbar normal läuft, solltest du ihn in den nächsten Wochen und Monaten genau beobachten. Ein Mangel an Schmierung kann auch zu einem schleichenden Verschleiß führen, der sich erst später in Form von Leistungsverlust, höherem Kraftstoffverbrauch oder Lagerschäden bemerkbar macht. Eine vorsorgliche Kontrolle des Zylinderkopfes und des Kolbens, eventuell sogar der Lager, kann bei Unsicherheit ratsam sein. Im Zweifelsfall ist eine fachmännische Begutachtung durch eine Werkstatt immer die sicherste Option.
**Mögliche Schäden bei Motorlauf mit reinem Benzin:**
* **Kolbenfresser:** Der Kolben klemmt im Zylinder fest, oft begleitet von einem abrupten Motorstillstand und blockiertem Hinterrad. Dies ist der schwerwiegendste und häufigste Schaden.
* **Zylinderverschleiß:** Selbst wenn es nicht zum Fresser kommt, kann die erhöhte Reibung die Zylinderlaufbahn stark beschädigen. Dies führt zu Kompressionsverlust und Leistungsabfall.
* **Lagerschäden:** Die Kurbelwellenlager und das Pleuellager sind ebenfalls auf die Schmierung angewiesen. Ein Mangel kann zu erhöhtem Spiel, Geräuschen (Klappern, Rasseln) und letztlich zum Ausfall führen.
* **Kolbenringbruch:** Die Kolbenringe können durch die Hitze und Reibung beschädigt werden oder brechen, was ebenfalls zu Kompressionsverlust führt.
Prävention ist alles: Nie wieder falsch tanken
Der beste Weg, um Schäden zu vermeiden, ist, erst gar nicht falsch zu tanken. Hier sind einige Tipps, die dir helfen können:
* **Aufkleber am Tank:** Bringe einen gut sichtbaren Aufkleber am Tankdeckel oder direkt am Tank an, der das korrekte Mischungsverhältnis (z.B. „1:50 NUR Gemisch”) deutlich macht.
* **Eigene Mischflasche/Kanister:** Wenn du oft an der Tankstelle mischst, verwende eine spezielle Mischflasche oder einen kleinen Kanister mit den richtigen Skalen, um das Öl exakt abzumessen. Noch besser: Tanke immer reines Benzin in einen separaten, deutlich beschrifteten Kanister, und mische das Öl dann zu Hause in Ruhe zu. So vermeidest du Stress und Ablenkung an der Tankstelle.
* **Routine entwickeln:** Nimm dir immer ein paar Sekunden Zeit, um zweimal zu prüfen, welchen Zapfhahn du benutzt.
* **Fertigmischungen an der Tankstelle?** Manche Tankstellen bieten Säulen mit „Fertigem Gemisch” an. Sei hier vorsichtig und informiere dich über das Mischungsverhältnis. Oft ist es 1:50, was für viele Simson-Motoren passend ist. Für ältere Modelle (z.B. Schwalbe KR51/1) oder während der Einfahrzeit kann jedoch 1:33 nötig sein. Auch ist die Qualität des beigemischten Öls nicht immer optimal. Als Notlösung in Ordnung, aber nicht als Dauerlösung empfehlen wir eine selbst gemischte Qualität.
* **Mischungsverhältnis kennen:** Weißt du das genaue Mischverhältnis für dein Modell auswendig? Für die meisten Simson-Modelle der S50, S51, SR50, KR51/2 Generationen ist ein Verhältnis von 1:50 vorgeschrieben (20 ml Öl pro Liter Benzin). Für die älteren Modelle (z.B. KR51/1, Star, Spatz) ist es 1:33 (30 ml Öl pro Liter Benzin), sowie generell für die ersten 500 km nach einer Motorregeneration oder -reparatur.
Mythen und Missverständnisse rund um das Thema
Rund um das Thema „falsch tanken” kursieren viele Halbwahrheiten. Hier ein paar Richtigstellungen:
* **”Ein bisschen macht nichts”:** Falsch. Auch eine kleine Menge reines Benzin, das nach dem Entleeren im Vergaser oder den Leitungen verbleibt, kann bei den ersten Umdrehungen des Motors ausreichen, um kurzfristig keine Schmierung zu gewährleisten.
* **”Modernes Benzin schmiert besser”:** Falsch. Obwohl modernem Benzin Additive zugesetzt sind, haben diese keine schmierende Wirkung für einen Zweitaktmotor. Sie sind kein Ersatz für das spezielle Zweitaktöl.
* **”Synthetisches Öl macht es besser”:** Hochwertige (vollsynthetische) Zweitaktöle bieten zwar überragende Schmiereigenschaften und eine bessere Verbrennung, aber auch sie müssen in der korrekten Menge beigemischt werden. Ohne Beimischung hilft auch das beste Öl nichts.
* **”Der Motor läuft einfach nicht, wenn kein Öl drin ist”:** Falsch. Er wird anspringen und eine Zeit lang laufen, bevor die Schäden eintreten. Dies ist die tückische Gefahr.
Wann der Gang zur Werkstatt unumgänglich ist
Manchmal ist trotz aller Vorsicht und Selbsthilfe der Schaden so groß oder die Unsicherheit so hoch, dass professionelle Hilfe nötig ist. Ein Gang zur Werkstatt ist ratsam, wenn:
* Der Motor nach dem Vorfall nicht mehr anspringt oder nur mit extremen Schwierigkeiten.
* Du deutliche, ungewöhnliche Geräusche hörst (Klingeln, Rasseln, Klopfen) auch nach dem erneuten Betanken mit richtigem Gemisch.
* Ein massiver Leistungsverlust oder eine starke Rauchentwicklung (außer dem normalen Zweitaktrauch) auftritt.
* Der Verdacht auf einen Kolbenfresser oder einen Lagerschaden besteht.
* Du dir unsicher bist, ob du alle Schritte korrekt ausgeführt hast oder der Motor weiterhin Probleme bereitet.
Eine Fachwerkstatt verfügt über die notwendigen Werkzeuge und das Know-how, um eine genaue Diagnose zu stellen und eventuelle Motorschäden fachgerecht zu beheben. Investitionen in eine professionelle Reparatur können sich lohnen, um die Lebensdauer deiner Simson zu erhalten.
Fazit: Vorsicht, Wissen und schnelle Reaktion sind der Schlüssel
Falsch getankt mit der Simson ist ein ernstes Problem, das niemand erleben möchte. Doch wie wir gesehen haben, ist es kein automatisches Todesurteil für dein geliebtes Moped. Entscheidend sind schnelles, überlegtes Handeln und das Wissen um die Funktionsweise deines Zweitaktmotors.
Bleibe ruhig, stelle den Motor sofort ab, wenn er gelaufen ist, und folge den Schritten zum vollständigen Entleeren und Neubefüllen des Tanks und Vergasers. Die beste Prävention ist jedoch, den Fehler gar nicht erst zu machen. Eine klare Beschriftung, eine feste Routine an der Tankstelle und das Wissen um das korrekte Mischverhältnis sind deine besten Verbündeten.
Mit etwas Vorsicht und dem richtigen Vorgehen kannst du deine Simson vor schlimmeren Folgen bewahren und weiterhin viele unbeschwerte Kilometer auf ihr genießen. Denn am Ende des Tages soll das Fahren mit deiner Simson vor allem eines sein: eine Freude!