Rückwärts zu schnell gefahren und geblitzt? Die überraschende Antwort auf eine knifflige Verkehrsfrage

Stellen Sie sich ein Szenario vor, das so absurd klingt, dass es fast schon filmreif ist: Ein Fahrzeug rast – aus welchem unerklärlichen Grund auch immer – im Rückwärtsgang über eine Straße, ein Parkplatzgelände oder vielleicht sogar eine nicht-öffentliche Teststrecke. Plötzlich durchzuckt ein greller Blitz die Luft. Ein Blitzer hat ausgelöst. Die Szene ist so unwahrscheinlich, dass sie schon komisch wirkt. Doch die Frage, die sich unweigerlich stellt, ist alles andere als trivial: Kann ein Blitzer überhaupt ein rückwärts fahrendes Fahrzeug erfassen? Und welche rechtlichen Konsequenzen hätte ein solches Manöver, das über die bloße Geschwindigkeitsüberschreitung hinausgeht? Die Antwort ist überraschender, als man denkt, und geht weit über ein gewöhnliches Bußgeld hinaus. Tauchen wir ein in eine der kniffligsten Fragen des Verkehrsrechts.

### Die Mechanik des Blitzers: Wie funktioniert Geschwindigkeitsmessung?

Bevor wir uns den juristischen Implikationen widmen, ist es entscheidend zu verstehen, wie Geschwindigkeitsmessgeräte, umgangssprachlich als Blitzer bekannt, überhaupt funktionieren. Es gibt verschiedene Technologien, die im Einsatz sind:

1. **Radarmessgeräte:** Diese Geräte senden elektromagnetische Wellen aus, die vom Fahrzeug reflektiert werden. Durch den sogenannten Doppler-Effekt ändert sich die Frequenz der reflektierten Wellen proportional zur Geschwindigkeit des Fahrzeugs. Der Blitzer kann so messen, wie schnell sich ein Fahrzeug nähert oder entfernt. Für das Radargerät ist es dabei unerheblich, ob das Fahrzeug vorwärts oder rückwärts fährt – es registriert lediglich die relative Bewegung und deren Geschwindigkeit.
2. **Lasermessgeräte (Lidar):** Lasermessgeräte senden kurze Laserpulse aus und messen die Zeit, die diese benötigen, um vom Fahrzeug reflektiert zu werden und zum Gerät zurückzukehren. Aus der Zeitdifferenz und der bekannten Lichtgeschwindigkeit wird die Entfernung berechnet. Durch mehrere aufeinanderfolgende Messungen kann die Geschwindigkeitsänderung und somit die Geschwindigkeit des Fahrzeugs ermittelt werden. Auch hier gilt: Die Fahrtrichtung im Sinne von „vorwärts“ oder „rückwärts“ ist für die physikalische Messung irrelevant; es geht um die Veränderung der Distanz pro Zeiteinheit.
3. **Lichtschranken- oder Piezosensor-Messungen:** Diese Systeme sind in der Fahrbahn verbaut. Sie bestehen aus mehreren Sensoren (Lichtschranken, Induktionsschleifen oder Piezosensoren), die in bestimmten Abständen zueinander liegen. Fährt ein Fahrzeug darüber, werden die Sensoren in einer bestimmten Reihenfolge aktiviert. Aus den Zeitintervallen zwischen den Aktivierungen und den bekannten Abständen kann die Geschwindigkeit präzise berechnet werden. Hier ist die „Richtung” relevanter, da die Sensoren sequenziell ausgelöst werden. Allerdings würden auch hier die Sensoren bei einem rückwärts fahrenden Fahrzeug ausgelöst, nur eben in umgekehrter Reihenfolge – die Geschwindigkeit ließe sich dennoch ermitteln. Das System könnte zwar „falsche Richtung” erkennen, aber die Geschwindigkeit wäre trotzdem messbar.

**Die Kernaussage zur Technik:** Ja, ein Blitzer kann in der Tat ein rückwärts fahrendes Fahrzeug messen und auslösen. Die Geräte sind darauf ausgelegt, jede Bewegung zu erfassen, die einen bestimmten Geschwindigkeitswert überschreitet, unabhängig davon, ob das Fahrzeug im Vorwärts- oder Rückwärtsgang unterwegs ist. Die physikalischen Prinzipien der Geschwindigkeitsmessung sind richtungsunabhängig oder können die Geschwindigkeit auch bei umgekehrter Auslöserreihenfolge erfassen. Die Technologie selbst unterscheidet nicht zwischen „korrekter” und „falscher” Fahrtrichtung, sondern lediglich zwischen Bewegung und Stillstand sowie der relativen Geschwindigkeit.

### Rückwärtsfahren im Verkehrsrecht: Die StVO als Wegweiser

Nachdem wir geklärt haben, dass die Technik eine Geschwindigkeitsmessung im Rückwärtsgang ermöglicht, stellt sich die Frage nach der rechtlichen Bewertung. Hier verlassen wir den Bereich der Physik und treten in das komplexfere Terrain des Verkehrsrechts, insbesondere der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) und des Strafgesetzbuches (StGB).

**§ 9 StVO – Rückwärtsfahren und Wenden:**
Die StVO regelt das Rückwärtsfahren explizit in § 9. Dort heißt es: „Wer ein Fahrzeug führt, muss beim Rückwärtsfahren […] besondere Vorsicht walten lassen. Er hat sich dabei so zu verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist.“ Dieser Paragraph legt fest, dass Rückwärtsfahren nur unter strengen Sicherheitsvorkehrungen erfolgen darf. Ein „schnelles“ Rückwärtsfahren, das über die für das Rangieren oder Wenden erforderliche Geschwindigkeit hinausgeht, ist per definitionem bereits ein Verstoß gegen diese Vorschrift. „Besondere Vorsicht“ und „Ausschluss einer Gefährdung“ schließen hohe Geschwindigkeiten im Rückwärtsgang kategorisch aus. Das Fahren mit einer Geschwindigkeit, die hoch genug wäre, um einen Blitzer auszulösen, würde diesen Paragraphen eklatant verletzen.

**§ 3 StVO – Geschwindigkeit:**
Darüber hinaus gilt § 3 StVO, der die allgemeine Geschwindigkeit regelt: „Wer ein Fahrzeug führt, darf nur so schnell fahren, dass das Fahrzeug ständig beherrscht wird. Die Geschwindigkeit ist insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen sowie den persönlichen Fähigkeiten und den Eigenschaften von Fahrzeug und Ladung anzupassen.“ Ein Fahrzeug im Rückwärtsgang bei hoher Geschwindigkeit ist extrem schwer zu beherrschen, die Sicht stark eingeschränkt und das Risiko eines Unfalls immens. Auch hier wäre ein Verstoß gegen die angepasste Geschwindigkeit evident.

### Die Überraschende Antwort: Mehr als nur ein Bußgeld

Hier kommt der „überraschende” Teil ins Spiel. Wenn ein Blitzer ein rückwärts fahrendes Fahrzeug erfasst, das zu schnell unterwegs ist, ist das resultierende Bußgeld wegen Geschwindigkeitsüberschreitung tatsächlich das geringste Problem des Fahrers. Die wahren Konsequenzen sind weitaus gravierender und reichen weit in das Strafrecht hinein.

Ein solches Manöver erfüllt fast immer den Tatbestand der **Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c des Strafgesetzbuches (StGB)**. Dieser Paragraph besagt:

„(1) Wer im Straßenverkehr (§ 1 Abs. 1) ein Fahrzeug führt, obwohl er
1. infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel oder
2. infolge geistiger oder körperlicher Mängel
nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, oder
wer als Führer eines Fahrzeugs
3. grob verkehrswidrig und rücksichtslos
a) die Vorfahrt nicht beachtet,
b) falsch überholt oder sonst bei Überholvorgängen falsch fährt,
c) an unübersichtlichen Stellen, an Straßenkreuzungen, Straßeneinmündungen oder Bahnübergängen zu schnell fährt,
d) an unübersichtlichen Stellen wendet, rückwärtsfährt oder abbiegt,
e) an Fußgängerüberwegen falsch fährt,
f) an unübersichtlichen Stellen hält oder parkt oder
g) nicht die rechte Seite der Fahrbahn benutzt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Ein „schnelles“ Rückwärtsfahren auf einer öffentlichen Straße, das zu einer Geschwindigkeitsüberschreitung führt, ist zweifellos „grob verkehrswidrig und rücksichtslos“. Insbesondere der Punkt „an unübersichtlichen Stellen wendet, rückwärtsfährt oder abbiegt“ trifft hier voll zu. Durch die hohe Geschwindigkeit und die stark eingeschränkte Sicht beim Rückwärtsfahren ist die Gefährdung von Leib oder Leben anderer Verkehrsteilnehmer oder von Sachwerten von bedeutendem Wert nahezu unvermeidlich.

**Die Konsequenzen einer Gefährdung des Straßenverkehrs sind drastisch:**

* **Freiheitsstrafe oder hohe Geldstrafe:** Anders als bei einem reinen Bußgeld handelt es sich hier um eine Straftat. Das Gericht kann eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine empfindliche Geldstrafe verhängen.
* **Entzug der Fahrerlaubnis:** In der Regel wird die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung angeordnet. Das bedeutet, dass man seinen Führerschein für längere Zeit verliert und ihn auch nicht einfach wiederbekommt. Oftmals ist eine **Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU)** erforderlich, bevor eine Neuerteilung überhaupt in Betracht gezogen wird.
* **Punkte in Flensburg:** Selbstverständlich werden auch Punkte im Fahreignungsregister (FAER) in Flensburg eingetragen. Bei einer Straftat sind dies in der Regel drei Punkte, die das Punktekonto schnell an die kritische Grenze bringen können.
* **Versicherungsprobleme:** Die Kfz-Versicherung kann bei einem grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Verkehrsverstoß die Leistung verweigern oder den Fahrer in Regress nehmen. Dies kann zu erheblichen finanziellen Belastungen führen, insbesondere wenn Sach- oder Personenschäden entstanden sind.

### Das Foto als Beweismittel

Angenommen, der Blitzer hat ausgelöst und ein Foto gemacht. Was würde dieses Foto zeigen?
Es würde ein Fahrzeug im Rückwärtsgang zeigen, das die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreitet. Dieses Bild wäre ein unzweifelhaftes Beweismittel für die Geschwindigkeitsüberschreitung und die Art des Manövers. Ein Sachverständiger könnte anhand des Fotos und der Messdaten die Fahrtrichtung bestätigen. Der Beweis wäre also nicht nur für die Geschwindigkeit erbracht, sondern auch für die grob verkehrswidrige Fahrweise.

### Szenarien und ihre Bewertung

Es ist wichtig zu differenzieren, wo ein solches Ereignis stattfindet:

* **Öffentliche Straßen (StVO-Geltungsbereich):** Hier greifen alle oben genannten Paragraphen vollumfänglich. Eine schnelle Rückwärtsfahrt wäre fast immer eine Straftat nach § 315c StGB.
* **Private Grundstücke/Parkplätze:** Auf Privatgelände, das nicht dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist, gelten die Regeln der StVO nicht direkt in vollem Umfang. Jedoch ist auch hier die Gefährdung von Personen oder Sachen nach anderen Gesetzen (z.B. § 303 StGB Sachbeschädigung, oder zivilrechtliche Haftung) relevant. Ein „Geblitztwerden” wäre hier zwar technisch möglich, aber die rechtlichen Konsequenzen wären anders zu bewerten. Selbst auf Privatgelände ist das rücksichtslose Fahren rückwärts mit hoher Geschwindigkeit grob fahrlässig und kann zu erheblichen Problemen führen.
* **Abgeschlossene Teststrecken:** Auf eigens dafür vorgesehenen und abgesperrten Teststrecken, auf denen keine allgemeine Verkehrsgefährdung besteht, wäre eine solche Messung nur für Testzwecke relevant und hätte keine strafrechtlichen Konsequenzen.

### Fazit: Das geringste Übel ist das Bußgeld

Die Frage „Rückwärts zu schnell gefahren und geblitzt?” mag auf den ersten Blick kurios klingen. Die technische Antwort ist ein klares Ja: Ein Blitzer ist durchaus in der Lage, die Geschwindigkeit eines rückwärts fahrenden Fahrzeugs zu erfassen und auszulösen.

Die überraschende und entscheidende Antwort liegt jedoch in den rechtlichen Konsequenzen. Ein solches Manöver auf öffentlichen Straßen ist weit mehr als nur eine einfache Geschwindigkeitsüberschreitung oder ein Verstoß gegen die Regeln zum Rückwärtsfahren. Es stellt eine massive und grobe Missachtung der Verkehrssicherheit dar und erfüllt in den allermeisten Fällen den Tatbestand der **Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB**.

Dies bedeutet, dass der Fahrer nicht mit einem einfachen Bußgeld rechnen muss, sondern mit einer möglichen Freiheitsstrafe, dem Entzug der Fahrerlaubnis und einer Reihe weiterer schwerwiegender Folgen, die das Leben nachhaltig beeinflussen können. Die Gefährdung von Menschenleben und Sachwerten wiegt in unserem Rechtssystem sehr schwer.

Deshalb ist die klare Empfehlung: Lassen Sie solche waghalsigen Experimente sein. Rückwärtsfahren erfordert stets höchste Konzentration und minimale Geschwindigkeit. Die Idee, „rückwärts zu schnell” zu fahren, ist nicht nur physikalisch riskant, sondern rechtlich eine Einladung zu extrem schwerwiegenden Problemen. Die Vorstellung, dabei auch noch geblitzt zu werden, macht die Angelegenheit nur noch deutlicher: Das vermeintliche Kuriosum entpuppt sich als potenziell verhängnisvolle Straftat.