Hilfe verboten? Warum das Video-Ident-Verfahren nicht immer seniorengerecht ist

Hilfe verboten? Warum das Video-Ident-Verfahren nicht immer seniorengerecht ist

In der heutigen digitalen Welt ist das Video-Ident-Verfahren, kurz Video-Ident, ein fester Bestandteil vieler Online-Prozesse geworden. Ob bei der Eröffnung eines neuen Bankkontos, dem Abschluss eines Handyvertrags oder der Registrierung bei einem Online-Dienst – das Video-Ident-Verfahren soll die Identität des Nutzers schnell und unkompliziert überprüfen. Doch was für jüngere Generationen oft ein Kinderspiel ist, kann für ältere Menschen zu einer unüberwindbaren Hürde werden. Dieser Artikel beleuchtet die Problematik, dass das Video-Ident-Verfahren nicht immer seniorengerecht ist, und zeigt auf, wo die Schwierigkeiten liegen und welche Alternativen es gibt.

Was ist das Video-Ident-Verfahren?

Bevor wir tiefer in die Problematik eintauchen, ist es wichtig zu verstehen, was das Video-Ident-Verfahren genau ist. Es handelt sich um eine Methode zur Identitätsprüfung, die online per Videoanruf durchgeführt wird. Ein Mitarbeiter des jeweiligen Anbieters führt ein kurzes Gespräch mit dem Nutzer, vergleicht das Gesicht mit dem Ausweisdokument und prüft die Echtheit des Dokuments anhand verschiedener Sicherheitsmerkmale. Der Nutzer muss dabei seinen Personalausweis oder Reisepass vor die Kamera halten und bestimmte Anweisungen befolgen, um die Echtheit des Dokuments zu bestätigen.

Die Vorteile des Video-Ident-Verfahrens

Für Unternehmen und jüngere Nutzer bietet das Video-Ident-Verfahren viele Vorteile. Es ist schnell, bequem und ortsunabhängig. Man muss nicht mehr persönlich in eine Filiale gehen, um seine Identität nachzuweisen. Das spart Zeit und Kosten. Für Unternehmen bedeutet es eine effizientere Abwicklung und eine höhere Reichweite.

Die Herausforderungen für Senioren

Trotz seiner Vorteile birgt das Video-Ident-Verfahren erhebliche Herausforderungen für Senioren. Diese Herausforderungen lassen sich in verschiedene Bereiche unterteilen:

• Technische Hürden: Viele ältere Menschen sind mit der Bedienung von Smartphones, Tablets oder Computern nicht vertraut. Die Installation und Nutzung der benötigten Apps, die Bedienung der Kamera und des Mikrofons sowie die Bewältigung technischer Probleme können zu einer großen Belastung werden. Oftmals fehlt es an den notwendigen Kenntnissen, um die technischen Voraussetzungen für das Video-Ident-Verfahren zu erfüllen.
• Visuelle und auditive Einschränkungen: Im Alter nehmen Seh- und Hörvermögen oft ab. Kleine Schriften auf dem Bildschirm sind schwer zu lesen, und undeutliche Tonqualität kann die Kommunikation erschweren. Das Halten des Ausweisdokuments in der richtigen Position vor der Kamera kann ebenfalls aufgrund von motorischen Einschränkungen problematisch sein.
• Kognitive Einschränkungen: Ältere Menschen können Schwierigkeiten haben, komplexe Anweisungen zu verstehen und schnell umzusetzen. Auch die Konzentration kann im Alter nachlassen, was die Teilnahme am Video-Ident-Verfahren erschwert. Die Notwendigkeit, sich schnell auf neue Situationen einzustellen und unbekannte Technologien zu bedienen, kann zu Stress und Überforderung führen.
• Sprachliche Barrieren: Nicht alle älteren Menschen sind mit der Fachsprache oder dem schnellen Sprechtempo der Mitarbeiter vertraut. Missverständnisse können die Folge sein, was den Identifizierungsprozess zusätzlich erschwert.
• Vertrauensverlust und Angst vor Betrug: Viele ältere Menschen sind misstrauisch gegenüber Online-Prozessen und haben Angst vor Betrug. Die Vorstellung, sensible persönliche Daten über das Internet zu übertragen, kann Unsicherheit und Unbehagen auslösen.

Konkrete Beispiele für Schwierigkeiten

Um die Herausforderungen zu verdeutlichen, hier einige konkrete Beispiele:

• Eine 75-jährige Dame versucht, ein neues Bankkonto online zu eröffnen. Sie hat Schwierigkeiten, die benötigte App auf ihrem Smartphone zu installieren und zu bedienen. Die Schrift auf dem Bildschirm ist zu klein, und sie versteht die Anweisungen des Mitarbeiters nicht richtig. Frustriert bricht sie den Vorgang ab.
• Ein 80-jähriger Herr möchte einen Handyvertrag online abschließen. Er hat zwar einen Computer, aber keine Webcam. Er versucht, das Video-Ident-Verfahren mit seinem Tablet durchzuführen, aber die Verbindung ist schlecht, und das Bild ist unscharf. Der Mitarbeiter kann seinen Ausweis nicht richtig erkennen, und der Identifizierungsprozess scheitert.
• Eine 85-jährige Dame mit Hörgerät hat Schwierigkeiten, den Mitarbeiter während des Videoanrufs zu verstehen. Sie bittet ihren Enkel um Hilfe, aber der Mitarbeiter weist darauf hin, dass dies nicht erlaubt ist. Sie fühlt sich hilflos und überfordert.

„Hilfe verboten” – Ein ethisches Dilemma

Ein besonders problematischer Aspekt ist die Tatsache, dass älteren Menschen während des Video-Ident-Verfahrens oft keine Hilfe von Angehörigen oder Betreuern erlaubt ist. Dies mag aus Sicherheitsgründen verständlich sein, um Manipulationen vorzubeugen. Doch für viele Senioren, die auf Unterstützung angewiesen sind, bedeutet dies, dass sie von dem Prozess ausgeschlossen werden. Dieses „Hilfe verboten” wirft ein ethisches Dilemma auf: Einerseits soll die Identität des Nutzers zweifelsfrei festgestellt werden, andererseits wird älteren Menschen, die aufgrund von altersbedingten Einschränkungen nicht in der Lage sind, den Prozess alleine zu bewältigen, der Zugang zu wichtigen Dienstleistungen verwehrt.

Rechtliche Aspekte und Datenschutz

Neben den praktischen Schwierigkeiten spielen auch rechtliche Aspekte und der Datenschutz eine wichtige Rolle. Ältere Menschen sind oft besonders besorgt um den Schutz ihrer persönlichen Daten. Sie fragen sich, wer Zugriff auf ihre Daten hat und wie diese verwendet werden. Es ist daher wichtig, dass Unternehmen transparent über ihre Datenschutzrichtlinien informieren und sicherstellen, dass die Daten der Nutzer sicher gespeichert und verarbeitet werden.

Alternativen zum Video-Ident-Verfahren

Um sicherzustellen, dass ältere Menschen nicht von wichtigen Online-Dienstleistungen ausgeschlossen werden, ist es wichtig, alternative Identifizierungsverfahren anzubieten, die besser auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind. Einige mögliche Alternativen sind:

• PostIdent-Verfahren: Hierbei geht der Nutzer mit seinem Ausweisdokument zu einer Postfiliale und lässt seine Identität von einem Postmitarbeiter bestätigen. Dies ist eine bewährte und für viele ältere Menschen vertraute Methode.
• Persönliche Identifizierung in der Filiale: Viele Banken und andere Unternehmen bieten weiterhin die Möglichkeit an, sich persönlich in einer Filiale auszuweisen. Dies ermöglicht es älteren Menschen, ihre Fragen direkt zu stellen und Unterstützung von einem Mitarbeiter zu erhalten.
• Identifizierung durch einen zertifizierten Betreuer: In bestimmten Fällen könnte es möglich sein, dass ein zertifizierter Betreuer die Identität des älteren Menschen bestätigt. Dies würde es ermöglichen, dass ältere Menschen die notwendige Unterstützung erhalten, ohne die Sicherheitsstandards zu gefährden.
• Vereinfachte Video-Ident-Verfahren: Unternehmen könnten spezielle Video-Ident-Verfahren für ältere Menschen entwickeln, die einfacher zu bedienen sind und weniger technische Kenntnisse erfordern. Dies könnte beispielsweise durch größere Schriftarten, einfachere Menüführung und eine verständlichere Sprache erreicht werden.

Was Unternehmen tun können

Unternehmen, die das Video-Ident-Verfahren anbieten, sollten sich bewusst sein, dass diese Methode nicht für alle Nutzer gleichermaßen geeignet ist. Sie sollten daher Maßnahmen ergreifen, um die Zugänglichkeit für ältere Menschen zu verbessern:

• Schulung der Mitarbeiter: Mitarbeiter, die Video-Ident-Verfahren durchführen, sollten speziell geschult werden, um auf die Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen. Sie sollten geduldig sein, verständlich sprechen und bei technischen Problemen helfen können.
• Optimierung der Benutzeroberfläche: Die Benutzeroberfläche der Apps und Programme, die für das Video-Ident-Verfahren verwendet werden, sollte benutzerfreundlich gestaltet sein und auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sein.
• Bereitstellung von Hilfestellungen: Unternehmen sollten leicht verständliche Anleitungen und Hilfestellungen bereitstellen, die älteren Menschen bei der Durchführung des Video-Ident-Verfahrens helfen. Dies könnte beispielsweise in Form von Videos, Broschüren oder telefonischer Unterstützung erfolgen.
• Angebot von Alternativen: Unternehmen sollten alternative Identifizierungsverfahren anbieten, die für ältere Menschen besser geeignet sind.

Fazit

Das Video-Ident-Verfahren ist zweifellos eine praktische und effiziente Methode zur Identitätsprüfung. Allerdings darf nicht vergessen werden, dass diese Methode nicht für alle Nutzer gleichermaßen zugänglich ist. Insbesondere ältere Menschen stoßen aufgrund technischer, visueller, auditiver und kognitiver Einschränkungen sowie sprachlicher Barrieren auf erhebliche Schwierigkeiten. Das „Hilfe verboten” während des Prozesses verschärft die Problematik zusätzlich. Um sicherzustellen, dass ältere Menschen nicht von wichtigen Online-Dienstleistungen ausgeschlossen werden, ist es wichtig, alternative Identifizierungsverfahren anzubieten und die Zugänglichkeit des Video-Ident-Verfahrens zu verbessern. Unternehmen sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und Maßnahmen ergreifen, um älteren Menschen die Teilnahme an der digitalen Welt zu ermöglichen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Digitalisierung nicht zu einer Ausgrenzung älterer Generationen führt.