Verkehrspolitik ist ein Minenfeld. Jeder hat eine Meinung, jeder fühlt sich betroffen, und die Gräben zwischen den verschiedenen Lagern scheinen unüberbrückbar. Doch jenseits hitziger Debatten und ideologischer Verblendung lauert ein noch größeres Problem: eine alarmierende Realitätsferne. Eine Realitätsferne, die dazu führt, dass sinnvolle Lösungen blockiert, Probleme ignoriert und die Lebensqualität aller Bürgerinnen und Bürger unnötig eingeschränkt wird. Es ist Zeit für eine Abrechnung.
Die Romantik des „Autoland Deutschland”
Ein hartnäckiges Narrativ, das sich in den Köpfen vieler festgesetzt hat, ist die Vorstellung vom „Autoland Deutschland„. Ein Land, in dem das Auto nicht nur ein Fortbewegungsmittel, sondern ein Statussymbol, ein Ausdruck von Freiheit und Individualität ist. Dieses Narrativ mag in der Vergangenheit seine Berechtigung gehabt haben, doch in der heutigen Realität ist es schlichtweg überholt. Unsere Städte ersticken im Verkehr, die Luftqualität ist schlecht, und der Lärmpegel ist unerträglich. Trotzdem klammern sich viele an die Vorstellung, dass das Auto die einzig wahre Lösung für alle Verkehrsprobleme sei. Jeder Versuch, den öffentlichen Nahverkehr zu stärken, Fahrradfahren attraktiver zu machen oder gar Tempo 30 einzuführen, wird als Angriff auf die persönliche Freiheit und als „ideologische Gängelung” abgetan.
Die Realität sieht jedoch anders aus: In vielen Städten ist das Auto längst nicht mehr das schnellste oder bequemste Verkehrsmittel. Staus, Parkplatzsuche und hohe Benzinkosten machen das Autofahren oft zu einer Geduldsprobe. Gleichzeitig bieten alternative Verkehrsmittel wie Busse, Bahnen und Fahrräder in vielen Fällen eine attraktive und umweltfreundliche Alternative. Warum also so viele Menschen dennoch am Auto festhalten? Ein Grund dafür ist sicherlich Gewohnheit und Bequemlichkeit. Ein anderer Grund ist jedoch auch die mangelnde Attraktivität der Alternativen. Solange der öffentliche Nahverkehr unzuverlässig und überfüllt ist und Radwege fehlen oder in einem schlechten Zustand sind, werden viele Menschen weiterhin aufs Auto angewiesen sein.
Die Ignoranz gegenüber den Folgen des Autoverkehrs
Ein weiterer Aspekt der Realitätsferne ist die Ignoranz gegenüber den negativen Folgen des Autoverkehrs. Abgase, Lärm, Unfälle und Flächenverbrauch werden oft als unvermeidliche Begleiterscheinungen unseres modernen Lebens abgetan. Doch die Realität ist: Der Autoverkehr verursacht massive Schäden für die Umwelt, die Gesundheit und die Lebensqualität. Luftverschmutzung durch Stickoxide und Feinstaub führt zu Atemwegserkrankungen und Herz-Kreislauf-Problemen. Lärmbelästigung beeinträchtigt die Konzentrationsfähigkeit und den Schlaf. Verkehrsunfälle fordern jedes Jahr tausende Menschenleben. Und der Flächenverbrauch durch Straßen und Parkplätze versiegelt wertvolle Böden und zerstört Lebensräume.
Diese Probleme sind längst bekannt und wissenschaftlich belegt. Trotzdem werden sie in der Verkehrspolitik oft ignoriert oder verharmlost. Anstatt konsequent Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs zu ergreifen, werden weiterhin neue Straßen gebaut und Parkplätze geschaffen. Anstatt in den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs zu investieren, wird das Geld lieber für den Bau von Umgehungsstraßen ausgegeben. Diese Politik ist nicht nur kurzsichtig, sondern auch verantwortungslos. Sie ignoriert die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger, die unter den negativen Folgen des Autoverkehrs leiden, und sie gefährdet die Zukunft unserer Städte und unserer Umwelt.
Das Festhalten an überholten Konzepten
Ein weiteres Problem ist das Festhalten an überholten Konzepten und Denkmustern. Viele Verkehrspolitiker und Planer scheinen noch immer in der Vergangenheit zu leben, als das Auto das Nonplusultra der Mobilität war. Sie ignorieren die Tatsache, dass sich die Welt verändert hat und dass neue Technologien und Konzepte entstanden sind, die eine nachhaltigere und lebenswertere Mobilität ermöglichen. Die Elektromobilität wird oft als Allheilmittel für alle Verkehrsprobleme dargestellt, doch die Realität ist: Auch Elektroautos benötigen Platz und Energie. Solange der Strom nicht aus erneuerbaren Energien stammt, sind sie auch nicht wirklich klimaneutral. Und solange sie nicht geteilt werden, tragen sie auch nicht zur Reduzierung des Verkehrsaufkommens bei.
Die Zukunft der Mobilität liegt nicht in der reinen Elektrifizierung des Autoverkehrs, sondern in der Entwicklung integrierter und multimodaler Verkehrssysteme. Systeme, die verschiedene Verkehrsmittel intelligent miteinander verknüpfen und den Bürgerinnen und Bürgern eine flexible und bedarfsgerechte Mobilität ermöglichen. Dazu gehören der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Förderung des Radverkehrs, die Einführung von Carsharing- und Ridepooling-Angeboten und die Schaffung von Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen. Nur wenn wir bereit sind, neue Wege zu gehen und über den Tellerrand hinauszuschauen, können wir eine Verkehrspolitik gestalten, die den Bedürfnissen aller Bürgerinnen und Bürger gerecht wird und die Umwelt schont.
Die Lösung: Mehr Realismus und weniger Ideologie
Wie können wir also aus dieser Realitätsferne ausbrechen und eine Verkehrspolitik gestalten, die auf Fakten und Vernunft basiert? Der erste Schritt ist, sich von ideologischen Scheuklappen zu befreien und die Realität anzuerkennen. Wir müssen uns eingestehen, dass das Auto nicht die Lösung für alle Verkehrsprobleme ist und dass es alternative Verkehrsmittel gibt, die in vielen Fällen eine attraktivere und nachhaltigere Option darstellen. Wir müssen uns auch eingestehen, dass der Autoverkehr massive Schäden für die Umwelt, die Gesundheit und die Lebensqualität verursacht und dass wir dringend Maßnahmen ergreifen müssen, um diese Schäden zu reduzieren.
Der zweite Schritt ist, eine offene und ehrliche Debatte über die Zukunft der Mobilität zu führen. Eine Debatte, die auf Fakten und wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert und in der alle Perspektiven berücksichtigt werden. Wir müssen uns von persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten lösen und uns fragen, welche Verkehrspolitik am besten geeignet ist, um die Bedürfnisse aller Bürgerinnen und Bürger zu befriedigen und die Umwelt zu schonen. Wir müssen uns auch fragen, welche Kosten wir bereit sind, für eine nachhaltige und lebenswerte Mobilität zu tragen.
Der dritte Schritt ist, konsequent Maßnahmen zur Reduzierung des Autoverkehrs und zur Förderung alternativer Verkehrsmittel zu ergreifen. Dazu gehören der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Förderung des Radverkehrs, die Einführung von Carsharing- und Ridepooling-Angeboten, die Schaffung von Fußgängerzonen und verkehrsberuhigten Bereichen, die Erhebung von Parkgebühren und Mautgebühren sowie die Einführung von Tempo 30 in Wohngebieten. Diese Maßnahmen sind nicht immer populär, aber sie sind notwendig, um eine nachhaltige und lebenswerte Mobilität zu gewährleisten.
Es ist an der Zeit, dass wir uns von der Realitätsferne verabschieden und eine Verkehrspolitik gestalten, die auf Fakten, Vernunft und dem Gemeinwohl basiert. Nur so können wir eine Zukunft gestalten, in der unsere Städte lebenswert sind, unsere Umwelt geschont wird und alle Bürgerinnen und Bürger eine flexible und bedarfsgerechte Mobilität genießen können.