Als **The Last of Us Part 2** im Jahr 2020 erschien, spaltete es die Gaming-Welt wie kaum ein anderes Spiel zuvor. Im Zentrum dieser Kontroverse stand eine Figur, die das Spielerlebnis definierte und gleichzeitig die Gemüter erhitzte: **Abby Anderson**. Sie ist nicht einfach nur ein Antagonist; sie ist eine Wucht, eine narrative Bombe, die von Naughty Dog gezündet wurde, um die Spieler tiefgreifend zu fordern und zu provozieren. Doch warum ist Abby so **unbeliebt** bei einem erheblichen Teil der Spielerschaft, und warum wird sie gleichzeitig von anderen als Meisterleistung des Charakterdesigns gefeiert? Tauchen wir ein in die vielschichtigen Gründe, die Abby zur vielleicht **kontroversesten Figur der Gaming-Geschichte** machen.
Der Name **Abby** allein genügt oft, um hitzige Debatten auszulösen. Ihre Einführung in die Welt von The Last of Us war ein eiskalter Schock, der die Fundamente dessen erschütterte, was Spieler über die geliebte Serie zu wissen glaubten. In einer Gaming-Landschaft, die oft klare Helden und Bösewichte bevorzugt, zwang Naughty Dog die Spieler, sich mit einer Figur auseinanderzusetzen, die weit über Schwarz-Weiß-Denken hinausgeht.
**Der verheerende Schockmoment: Joels Tod**
Der unbestreitbar größte Auslöser für Abbys anfängliche und andauernde Unbeliebtheit ist ihre zentrale Rolle bei einem der traumatischsten Ereignisse der Spielgeschichte: dem **Tod von Joel Miller**. Joel war nicht nur der Protagonist des ersten Spiels, sondern für viele Spieler eine Vaterfigur, ein Beschützer und ein moralisch ambivalenter Held, dessen Beziehung zu Ellie das Herzstück von The Last of Us bildete. Sein brutaler Mord, ausgeführt von Abby und ihrer Gruppe, ist ein Verrat an dieser Bindung und an den emotionalen Investitionen, die Spieler über Jahre hinweg in seine Figur gesteckt hatten.
Niemand war auf diesen Moment vorbereitet. Joel wird gefangen genommen, schwer verletzt und schließlich von Abby mit einem Golfschläger ermordet, während Ellie hilflos zusehen muss. Dieses Ereignis war so schockierend und brutal, dass es bei vielen Spielern einen tiefen Hass auf Abby entfachte – einen Hass, der darauf abzielte, Rache für den verlorenen Helden zu nehmen. Dieser emotionale Schlag war so immens, dass er die Grundlage für die gesamte weitere Rezeption von Abby legte. Für viele war sie ab diesem Punkt die unversöhnliche Feindin, die den größten Fehler begangen hatte, den man im The Last of Us-Universum begehen konnte.
**Der erzwungene Perspektivwechsel: Spielen als die „Feindin“**
Als wäre Joels Tod nicht genug, geht **The Last of Us Part 2** einen noch radikaleren Schritt: Nach etwa der Hälfte des Spiels werden die Spieler dazu gezwungen, die Kontrolle über Abby zu übernehmen. Dieser **Perspektivwechsel** ist ein narratives Experiment, das darauf abzielt, Empathie für die „Gegenseite“ zu erzeugen, aber für viele kam er einer Unverfrorenheit gleich. Man sollte sich in die Haut der Frau versetzen, die den geliebten Joel ermordet hatte. Dies war für viele Spieler eine unüberwindbare Hürde.
Die Idee hinter diesem Schritt war klar: Naughty Dog wollte zeigen, dass Rache ein Kreislauf ist und dass jeder „Bösewicht” seine eigene Geschichte und seine eigenen Beweggründe hat. Indem man Abby spielt, erlebt man ihre Beziehungen, ihre Ängste, ihre Motivationen und ihre eigene moralische Reise. Man erfährt, dass auch sie Opfer von Verlust und Trauma ist. Doch der Zeitpunkt dieses Wechsels, so kurz nach dem emotionalen Tiefpunkt von Joels Tod, war für viele zu früh und zu erzwungen. Es fühlte sich an, als würde das Spiel die Spieler dazu zwingen, eine Person zu mögen oder zumindest zu verstehen, die sie aus tiefstem Herzen verabscheuten. Diese Abneigung gegen den erzwungenen Perspektivwechsel trug maßgeblich zu Abbys **Unbeliebtheit** bei.
**Abbys Motivation: Rache und die Moral der Fireflies**
Naughty Dog versuchte, Abbys Handlungen durch ihre Hintergrundgeschichte zu rationalisieren. Wir erfahren, dass Abby die Tochter eines **Firefly-Chirurgen** war, der von Joel am Ende von The Last of Us Part 1 getötet wurde. Dieser Chirurg war im Begriff, Ellie zu opfern, um ein Heilmittel gegen die Infektion zu finden. Aus Abbys Sicht war Joel der Mörder ihres Vaters, der die letzte Hoffnung der Menschheit auf eine Heilung zerstörte. Ihre Rache war also genauso persönlich und tief verwurzelt wie Ellies Rache an Abby.
Während diese Motivation auf einer logischen Ebene verständlich ist, scheiterte sie oft daran, die emotionale Barriere der Spieler zu durchbrechen. Spieler hatten zehn Stunden damit verbracht, Joels Seite der Geschichte zu erleben und seine Entscheidungen, so grausam sie auch waren, zu akzeptieren oder zu verstehen. Nun wurde ihnen eine neue Perspektive aufgezwungen, die ihre Loyalität auf die Probe stellte. Die Erzählung, dass Joels Handlungen aus der Perspektive anderer verwerflich waren, war für viele schwer zu schlucken, da es die moralische Komplexität des ersten Spiels, die sie so liebten, in Frage stellte.
**Das physische Design und seine kontroversen Reaktionen**
Ein weiterer, wenn auch weniger zentraler Punkt der Kritik, betraf **Abbys physisches Erscheinungsbild**. Sie ist extrem muskulös und athletisch, ein Ergebnis jahrelangen harten Trainings und Überlebens in einer brutalen Welt. Während dies im Kontext ihrer Rolle als Soldatin und Überlebende völlig logisch ist, stieß es bei einigen auf Widerstand. Kritiker sahen darin eine Übertriebenheit oder eine Abkehr von traditionellen weiblichen Charakterdarstellungen in Videospielen. Es gab sogar unbegründete Verschwörungstheorien und transphobe Kommentare, die jedoch schnell widerlegt wurden.
Abbys Design war eine bewusste Entscheidung, die Stärke und Entschlossenheit dieser Figur zu unterstreichen. Für viele brach es mit Klischees und zeigte eine realistische Darstellung einer Frau, die in einer postapokalyptischen Welt überleben muss. Doch für andere war es ein weiterer Punkt, der sie fremd und „unweiblich“ wirken ließ, was ihre Akzeptanz weiter erschwerte.
**Moralische Ambiguität und der Zyklus der Gewalt**
**The Last of Us Part 2** ist ein Spiel über den **Zyklus der Gewalt** und die verzehrende Natur der Rache. Es ist kein Spiel, das einfache Antworten oder klare Helden bietet. Sowohl Ellie als auch Abby sind im Kern rachedurstige Individuen, die unschuldige Menschen in ihren Konflikt hineinziehen und selbst schreckliche Taten begehen. Das Spiel zwingt die Spieler dazu, die Konsequenzen dieser Handlungen aus beiden Perspektiven zu erleben.
Diese **moralische Ambiguität** ist für viele Spieler unbequem. Sie wollen in Videospielen oft die klaren Grenzen zwischen Gut und Böse, um sich mit einem Helden identifizieren zu können, dessen Handlungen sie befürworten können. The Last of Us Part 2 verweigert dies und präsentiert stattdessen eine Welt voller Grautöne, in der jede Handlung ihre schmerzhaften Konsequenzen hat. Die Weigerung des Spiels, Abby als eindeutigen Bösewicht zu zeichnen und stattdessen ihre Menschlichkeit und ihre eigenen Leiden aufzuzeigen, war für viele ein Grund, sie weiterhin abzulehnen, da sie eine solche Relativierung von Joels Tod nicht akzeptieren wollten.
**Die Rolle von Leaks und Pre-Release-Hype**
Ein Faktor, der die negative Rezeption von Abby maßgeblich beeinflusste, waren die **Leaks und Spoiler** im Vorfeld der Veröffentlichung. Wichtige Handlungspunkte, insbesondere Joels Tod und der Perspektivwechsel zu Abby, gelangten ins Internet. Diese Informationen wurden oft aus dem Kontext gerissen und ohne das volle Verständnis der narrativen Absichten von Naughty Dog verbreitet.
Die Leaks schürten eine Welle der Empörung und Ablehnung, lange bevor die Spieler das Spiel selbst erleben konnten. Für viele war das Urteil über Abby und die Handlung des Spiels bereits gefällt, basierend auf unvollständigen oder verzerrten Informationen. Dies schuf eine feindselige Atmosphäre, die es vielen Spielern erschwerte, dem Spiel und Abbys Charakter eine faire Chance zu geben, als es endlich veröffentlicht wurde.
**Abbys Wandlung und ihre Menschlichkeit: Lev und Yara**
Trotz all der Kontroversen ist Abbys Charakterentwicklung eine der tiefgründigsten des Spiels. Im Laufe ihres Story-Abschnitts wird sie von ihrer eigenen Rache besessen zu einer Beschützerin. Ihre Beziehung zu den jungen Seraphiten-Aussteigern **Lev und Yara** ist der Wendepunkt. Durch sie beginnt Abby, ihren Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen und Empathie zu entwickeln. Sie riskiert alles, um die Geschwister zu retten, selbst wenn es bedeutet, sich gegen ihre eigene Gruppe zu stellen.
Diese menschlichen Facetten, ihre Verwundbarkeit und ihre Fähigkeit zur Liebe und Fürsorge, sollten die Spieler dazu bringen, sie als mehr als nur Joels Mörderin zu sehen. Für viele, die sich auf das Experiment einließen, war diese Entwicklung fesselnd und bewegend. Sie sahen in Abby nicht nur eine Täterin, sondern auch ein Opfer, das nach Erlösung suchte. Doch für jene, die den ersten emotionalen Schock nicht überwinden konnten, blieben diese Momente wirkungslos oder wurden sogar als manipulative Versuche der Spielentwickler abgetan.
**Kulturelle und soziale Kontexte der Gaming-Community**
Abbys Charakter und die Rezeption von The Last of Us Part 2 können auch im breiteren Kontext der Gaming-Community und ihrer manchmal toxischen Elemente betrachtet werden. Die Diskussionen um das Spiel waren oft von Aggressivität, Misogynie und sogar Drohungen geprägt. Die Ablehnung von Abby, einer starken, unkonventionellen weiblichen Figur, wurde von einigen als Teil einer größeren Gegenreaktion gegen „woke” oder „progressive” Themen in Videospielen interpretiert.
Es ist wichtig zu betonen, dass ein Großteil der Kritik an Abby und dem Spiel rein narrativer Natur war und aus einer echten Enttäuschung über die Geschichte resultierte. Doch es ist unbestreitbar, dass ein Teil der negativen Reaktion auch von einer Ablehnung von Diversität und komplexen Geschlechterrollen in Videospielen genährt wurde.
**Abbys bleibendes Erbe: Eine prägende Figur für die Zukunft des Gamings**
Unabhängig davon, ob man Abby liebt oder hasst, ist sie zweifellos eine der **prägendsten Figuren der Gaming-Geschichte**. Naughty Dog hat mit ihr eine mutige, kompromisslose Erzählung geschaffen, die Grenzen überschreitet und die Spieler dazu zwingt, sich mit unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen. Abby ist ein Beweis dafür, dass Videospiele ein Medium sind, das tiefe emotionale und moralische Konflikte erforschen kann.
Ihre Existenz als **kontroverseste Figur** hat die Debatte über narrative Designentscheidungen, Spieler-Empathie und die Erwartungen an Videospielcharaktere neu belebt. Sie zeigt, dass das Geschichtenerzählen in Spielen nicht immer dazu da sein muss, zu gefallen, sondern auch dazu, zu provozieren, herauszufordern und zum Nachdenken anzuregen.
**Fazit:**
Die **Unbeliebtheit** von **Abby aus The Last of Us Part 2** ist ein komplexes Phänomen, das sich aus einer Vielzahl von Faktoren speist: dem schockierenden Tod einer Ikone, dem erzwungenen Perspektivwechsel, ihrer ambivalenten Motivation, ihrem unkonventionellen Design und der harten moralischen Ambiguität des Spiels. Sie ist eine Figur, die Naughty Dogs erzählerische Ambitionen auf die Spitze trieb und dafür einen hohen Preis zahlte – in Form von Spieler-Ablehnung und intensiver Debatte.
Doch genau diese Kontroverse macht Abby so bedeutsam. Sie ist ein Symbol für die Reife des Mediums Videospiel, das sich nicht scheut, unbequeme Fragen zu stellen und die Spieler aus ihrer Komfortzone zu locken. Ob man sie nun verabscheut, versteht oder bewundert, eines ist klar: **Abby Anderson** hat sich unauslöschlich in die Annalen der Gaming-Geschichte eingebrannt und wird noch lange Zeit Gesprächsthema bleiben. Ihre Geschichte ist ein mutiger Bruch mit Konventionen und ein Zeugnis dafür, wie tief und komplex Videospielcharak sein können, selbst wenn sie die Spieler bis aufs Mark erschüttern.