In der Welt der Indie-Videospiele gibt es nur wenige Namen, die so viel Respekt und Liebe hervorrufen wie Toby Fox. Sein Meisterwerk Undertale hat 2015 die Spielwelt im Sturm erobert und Konventionen herausgefordert. Einige Jahre später folgte mit Deltarune ein weiteres, scheinbar verwandtes, aber doch eigenständiges Werk, das die Fans gleichermaßen begeisterte und verwirrte. Beide Spiele teilen eine unverwechselbare Ästhetik, einen einzigartigen Humor und eine unverkennbare musikalische Handschrift. Doch die Frage, die seitdem in den Köpfen der Fans kreist, lautet: Welches ist das bessere Spiel? Ein „Showdown der Giganten” ist unausweichlich, um die Stärken und Eigenheiten dieser beiden Ausnahmetitel zu beleuchten.
Es ist wichtig zu verstehen, dass Undertale und Deltarune keine direkten Fortsetzungen im traditionellen Sinne sind, obwohl sie im selben kreativen Universum existieren und Charaktere sowie Motive teilen. Toby Fox selbst hat klargestellt, dass Deltarune eine „alternative Welt” ist, die parallel zu Undertale existiert. Dieser Artikel wird tief in die Seele beider Spiele eintauchen, ihre Narrative, ihr Gameplay, ihre Charaktere und ihre philosophischen Unterströmungen analysieren, um herauszufinden, ob ein eindeutiger Sieger gekürt werden kann oder ob sie schlichtweg für unterschiedliche Geschmäcker konzipiert wurden.
Undertale: Die Macht der Wahl und ihre Konsequenzen
Als Undertale 2015 erschien, war es ein Schock für das System. Das Spiel beginnt scheinbar wie ein typisches JRPG: Ein menschliches Kind fällt in eine Welt voller Monster unter der Erde. Doch schnell wird klar, dass Undertale weit mehr ist als die Summe seiner Teile. Sein Kernkonzept ist revolutionär: Der Spieler kann jeden Feind entweder besiegen oder verschonen. Diese scheinbar einfache Entscheidung durchzieht das gesamte Spiel und hat tiefgreifende Konsequenzen für die Handlung, die Charaktere und sogar das Ende.
Die Narrative von Undertale ist eine meisterhafte Erkundung von Empathie, Vergebung und der Natur des Bösen. Wenn Sie sich entscheiden, keinen einzigen Gegner zu töten (der sogenannte „Pazifisten-Run”), entfaltet sich eine herzerwärmende Geschichte über Freundschaft, Verständnis und die Überwindung von Vorurteilen. Die Charaktere – allen voran der wortspielende Skelett-Koch Papyrus, der geheimnisvolle Sans, die furchtlose Undyne, die schüchterne Alphys und der extravagante Mettaton – werden zu Freunden, die auf Ihre Gnade reagieren und sich gemeinsam mit Ihnen entwickeln. Der emotionale Impact dieser Route ist immens, da Sie sich aktiv dafür entschieden haben, Freundschaft über Kampf zu stellen.
Wählen Sie jedoch den Weg des Kampfes, verändert sich das Spiel drastisch. Jeder getötete Gegner, insbesondere jeder getötete Boss, hinterlässt eine Leere, sowohl im Spiel als auch im Spieler selbst. Der berüchtigte „Genozid-Run” ist ein erschütterndes Experiment in der Psychologie des Spielers, das die moralische Grenze des „nur weil ich es kann” auslotet und die Konsequenzen des rücksichtslosen Handelns auf schmerzhafte Weise aufzeigt. Undertale ist bekannt für seine Meta-Narrative, die oft die vierte Wand durchbricht und den Spieler direkt anspricht, seine Entscheidungen kommentiert und ihn für sein Handeln verantwortlich macht. Es ist ein Spiel, das Sie fragt: Was für ein Mensch (oder Spieler) sind Sie wirklich?
Das Gameplay ist eine einzigartige Mischung aus Bullet-Hell-Mechaniken während der Kämpfe und traditionellen RPG-Elementen. Die Kämpfe gegen die Bosse sind legendär, nicht nur wegen ihrer Komplexität, sondern auch wegen der musikalischen Untermalung und der erzählerischen Tiefe, die sie bieten. Die Musik von Toby Fox ist dabei kein bloßer Begleiter, sondern ein integraler Bestandteil des Storytellings, der die Emotionen der Szene perfekt einfängt und oft unvergessliche Melodien liefert, die sich ins Gedächtnis brennen.
Deltarune: Ein Märchen über Freundschaft und Schicksal
Deltarune, dessen erster Kapitel 2018 erschien (und weitere in Entwicklung sind), betritt die Bühne mit einer anderen Prämisse. Schon zu Beginn wird dem Spieler eine scheinbar tiefgründige Botschaft vermittelt: „Deine Entscheidungen spielen keine Rolle.” Dies steht in krassem Gegensatz zur Kernphilosophie von Undertale. Statt eines namenlosen menschlichen Kindes spielen wir hier Kris, einen Charakter mit einer vorgegebenen Identität, der in eine Welt gezogen wird, in der er gemeinsam mit der grobklotzigen Monsterin Susie und dem freundlichen Prinzen Ralsei eine Prophezeiung erfüllen muss, um die Welt vor der Dunkelheit zu retten.
Die Narrative von Deltarune ist weniger eine Geschichte über Spielerentscheidungen als vielmehr eine traditionellere Erzählung über Freundschaft, Zusammenarbeit und das Finden des eigenen Platzes in der Welt. Das Spiel konzentriert sich auf die Dynamik zwischen den drei Hauptcharakteren. Kris, Susie und Ralsei bilden ein ungleiches, aber liebenswertes Trio, dessen Entwicklung im Laufe der Kapitel das Herzstück der Geschichte ist. Während Undertale den Spieler dazu anregte, die Charaktere zu lieben, indem er sich um sie kümmerte, lädt Deltarune den Spieler ein, die Abenteuer dieser Gruppe mitzuerleben und Zeuge ihrer wachsenden Bindung zu werden.
Das Gameplay wurde ebenfalls verfeinert und erweitert. Während die Bullet-Hell-Elemente und die Möglichkeit, Gegner zu schonen, erhalten bleiben, führt Deltarune ein Party-System ein. Kris, Susie und Ralsei agieren als Team, nutzen verschiedene Fähigkeiten und Zauber und eröffnen so neue taktische Möglichkeiten im Kampf. Die Rätsel sind vielfältiger und oft in die Umgebung integriert, was dem Spiel ein stärkeres Gefühl eines traditionellen RPGs verleiht. Die Welt von Deltarune ist detaillierter und bietet mehr Interaktionsmöglichkeiten, was zu einem Gefühl der Erkundung und des Abenteuers beiträgt.
Obwohl Deltarune die philosophische Tiefe von Undertale nicht in Bezug auf Spielerentscheidungen wiederholt, hat es seine eigenen faszinierenden thematischen Unterströmungen. Die Idee, dass „deine Entscheidungen keine Rolle spielen”, ist selbst eine Form von Meta-Kommentar, der die Erwartungen der Spieler nach Undertale auf den Kopf stellt und eine neue Art von Erzählung über Schicksal vs. freiem Willen beginnt. Die Musik ist erneut herausragend und passt sich perfekt der melancholischen, aber auch hoffnungsvollen Atmosphäre an. Während Deltarune noch unvollständig ist, verspricht es, ein episches Abenteuer zu werden, das eine andere Facette von Toby Fox’ kreativer Genialität zeigt.
Der direkte Vergleich: Kopf an Kopf
Wenn wir Undertale und Deltarune direkt gegenüberstellen, treten ihre Unterschiede und Gemeinsamkeiten klar hervor:
Philosophie und Narrative: Wahl vs. Schicksal
Dies ist der größte und entscheidendste Unterschied. Undertale lebt von der Spieleragentur. Jede Aktion hat Gewicht, und das Spiel konfrontiert Sie unerbittlich mit den Konsequenzen. Es ist ein Experiment in Empathie und Moral. Deltarune hingegen erzählt eine vordefinierte Geschichte. Ihre Rolle ist die eines Beobachters, der die Reise von Kris und seinen Freunden begleitet. Dies erlaubt eine straffere, möglicherweise cineastischere Erzählung, die sich auf die Charakterentwicklung innerhalb der Geschichte konzentriert, anstatt dass der Spieler diese Entwicklung selbst prägt.
Charaktere und Interaktionen
In Undertale sind die Charaktere tief mit Ihren Entscheidungen verbunden. Ihre Beziehungen zu Papyrus, Sans oder Undyne sind das Ergebnis Ihrer Handlungen. Deltarune präsentiert uns ein Ensemble, dessen Chemie und Wachstum im Vordergrund stehen. Die Interaktionen zwischen Kris, Susie und Ralsei sind oft urkomisch und herzerwärmend, und es ist faszinierend zu sehen, wie sie sich gegenseitig beeinflussen. Beide Spiele brillieren mit unvergesslichen Persönlichkeiten, aber auf unterschiedliche Weise: Undertale durch die personalisierte Bindung des Spielers, Deltarune durch die dynamische Gruppendynamik.
Gameplay-Mechaniken
Undertale setzt auf eine schlanke, effektive Mechanik, die sich fast ausschließlich um die Entscheidung „kämpfen oder verschonen” dreht. Die Einfachheit unterstreicht die moralische Gewichtung. Deltarune erweitert das Ganze zu einem vollwertigeren RPG-Erlebnis mit einem Party-System, unterschiedlichen Charakterklassen (wenn auch informell) und mehr Komplexität in den Kämpfen und der Erkundung. Für Spieler, die sich mehr taktische Tiefe wünschen, bietet Deltarune einen Vorteil. Undertale punktet mit seiner Eleganz und der radikalen Neuinterpretation des Genres.
Musik und Ästhetik
Hier sind sich beide Spiele am ähnlichsten: Toby Fox’ unverwechselbarer Pixel-Art-Stil und seine legendäre Musik sind in beiden Titeln präsent. Die Soundtracks beider Spiele sind Meisterwerke, aber Undertale’s Musik ist vielleicht ikonischer, da sie enger mit den emotionalen Höhepunkten der Geschichte und den Entscheidungen des Spielers verknüpft ist. Deltarune’s Soundtrack ist ebenso brillant und trägt entscheidend zur Atmosphäre bei, besonders bei seinen energetischen Kampfthemen und melancholischen Erkundungsmelodien.
Wiederpielwert und Länge
Undertale bietet aufgrund seiner verschiedenen Routen (Pazifist, Neutral, Genozid) einen extrem hohen Wiederpielwert. Jede Route bietet eine signifikant andere Spielerfahrung und ein anderes Ende. Deltarune ist, zumindest in seinem aktuellen, unvollständigen Zustand, eher ein lineares Erlebnis. Sein Wiederspielwert liegt eher in der Entdeckung von Geheimnissen und Easter Eggs, anstatt in fundamental unterschiedlichen Story-Pfaden. Die Länge von Undertale ist aufgrund seiner Abgeschlossenheit klar definiert, während Deltarune noch in den Kinderschuhen steckt, aber mit jedem Kapitel mehr Inhalt liefert und das Potenzial für eine viel längere Gesamtspielzeit hat.
Das Urteil: Gibt es einen Sieger?
Die Frage, ob Undertale oder Deltarune das bessere Spiel ist, ist letztlich eine Frage der persönlichen Präferenz und dessen, was man von einem Spiel erwartet. Es gibt keinen eindeutigen „besseren” Titel, da beide Spiele brillante Beispiele für meisterhaftes Storytelling und Spieldesign sind, die jedoch unterschiedliche Schwerpunkte setzen.
Undertale ist die definitive Wahl für Spieler, die eine tiefgründige, moralische Erfahrung suchen, bei der ihre Entscheidungen wirklich zählen und die Geschichte auf ihre Handlungen reagiert. Es ist ein bahnbrechendes Spiel, das die Grenzen des Mediums auslotet und den Spieler emotional herausfordert. Seine emotionale Tiefe und die cleveren Meta-Kommentare haben einen dauerhaften Platz in der Geschichte der Videospiele gesichert. Wenn Sie nach einem Spiel suchen, das Sie zum Nachdenken anregt und Ihre Seele berührt, ist Undertale die erste Wahl.
Deltarune hingegen spricht jene an, die eine fesselnde, handlungsorientierte Erzählung mit einem erweiterten Rollenspiel-System und einer stärkeren Betonung der Team-Dynamik bevorzugen. Es ist ein Spiel, das seine Charaktere und deren Entwicklung in den Vordergrund stellt und gleichzeitig Toby Fox’ charakteristischen Humor und seine musikalische Brillanz beibehält. Für Fans, die sich ein traditionelleres RPG-Erlebnis wünschen, das dennoch die einzigartige Handschrift des Designers trägt und eine faszinierende Geschichte über Schicksal und Freundschaft erzählt, ist Deltarune die bessere Wahl – und es hat noch das Potenzial, mit seinen kommenden Kapiteln noch größer und komplexer zu werden.
Letztendlich sind beide Spiele Kunstwerke, die auf ihre eigene Weise glänzen. Undertale ist das abgeschlossene, revolutionäre Werk, das das Genre neu definiert hat. Deltarune ist das ehrgeizige, fortlaufende Projekt, das eine neue Richtung einschlägt und die Fans mit Spannung auf die nächste Episode warten lässt. Toby Fox hat mit beiden Titeln bewiesen, dass er ein Meistererzähler und Spieldesigner ist. Anstatt sie gegeneinander auszuspielen, sollten wir dankbar sein, dass wir beide dieser „Giganten” erleben dürfen, denn zusammen repräsentieren sie das Beste, was Indie-Spiele zu bieten haben.