Seit seiner Veröffentlichung im Februar 2022 hat Elden Ring, das epische Rollenspiel von FromSoftware, die Gaming-Welt im Sturm erobert. Es wurde für seine atemberaubende offene Welt, seine tiefgründige Lore und seinen unerbittlichen Schwierigkeitsgrad gefeiert – ein Markenzeichen der Souls-like-Spiele. Spieler berichteten von unzähligen Toden, frustrierenden Bosskämpfen und dem Triumph, unüberwindbar scheinende Hürden zu meistern. Doch was, wenn diese weitverbreitete Annahme, Elden Ring sei ein extrem schweres Spiel, in Wahrheit eine bequeme Illusion ist? Was, wenn FromSoftware mit diesem Titel, subtiler als je zuvor, ein Spielerlebnis geschaffen hat, das für viele wesentlich zugänglicher und ja, vielleicht sogar überraschend leicht sein kann?
Diese These mag auf den ersten Blick provokant klingen, besonders angesichts der unzähligen „Git Gud”-Memes und der glorifizierten Kultur des Scheiterns, die FromSoftware-Spiele umgibt. Doch bei genauerer Betrachtung der Spielmechaniken und des Game Designs offenbart sich ein Bild, das diese kontroverse Behauptung untermauert. Elden Ring bietet eine Fülle von Werkzeugen und Freiheiten, die, wenn sie bewusst oder unbewusst genutzt werden, die Herausforderungen des Zwischenlands dramatisch entschärfen können. Es ist nicht so, dass das Spiel keine harten Bosse oder gefährliche Gebiete hätte; vielmehr gibt es dem Spieler mehr Möglichkeiten als je zuvor, diese Schwierigkeiten zu umgehen, zu trivialsieren oder sich schlichtweg darüber hinwegzuentwickeln.
Die Illusion der Unerbittlichkeit: Warum Elden Ring anders ist
Der Ruf von FromSoftware-Spielen basiert auf einer unnachgiebigen Linearität und der Forderung, Fähigkeiten bis zur Perfektion zu meistern. In früheren Titeln wie Dark Souls oder Bloodborne gab es oft nur einen Weg vorwärts. Wenn ein Spieler auf einen Boss stieß, der unüberwindbar schien, gab es nur zwei Optionen: ihn besiegen oder das Spiel aufgeben. Das war der Kern der „Härte”. Elden Ring bricht jedoch radikal mit dieser Tradition. Es ist das erste Open-World-Spiel von FromSoftware, und diese Designentscheidung verändert die Dynamik der Schwierigkeit grundlegend.
Die weite, offene Welt des Zwischenlands ist nicht nur Kulisse, sondern integraler Bestandteil des Schwierigkeitsgrades. Wenn ein Spieler auf ein Hindernis stößt, sei es ein optionaler Feld-Boss oder ein Story-Boss, der zu stark erscheint, muss er nicht verzweifeln. Stattdessen kann er einfach umkehren, in eine andere Richtung reiten und neue Gebiete erkunden. Diese Freiheit, die dem Spieler in noch keinem anderen FromSoftware-Titel gegeben wurde, ist der erste und vielleicht wichtigste Faktor, der Elden Ring „leichter” macht. Die Tür zum „Überleveln” steht weit offen, und die Möglichkeit, sich durch Erkundung und alternative Routen zu verbessern, ist allgegenwärtig.
Die Freiheit des Zwischenlands: Eine Waffe gegen die Schwierigkeit
In linearen Spielen von FromSoftware wurden Spieler oft in Gebiete gedrängt, für die sie noch nicht bereit waren. Das erforderte ständige Anpassung, perfektes Timing und das Erlernen der Angriffsmuster des Gegners auswendig. Elden Ring hingegen erlaubt es dem Spieler, die Kontrolle über das Tempo und die Reihenfolge der Herausforderungen zu übernehmen. Das Gefühl, an einer Wand zu stehen und keinen Ausweg zu haben, ist hier selten.
Stattdessen können Spieler unzählige Dungeons, Höhlen und Katakomben erkunden, mächtige Ausrüstung finden, ihre Waffen aufwerten und vor allem Runen sammeln, um ihre Attribute zu verbessern. Jede dieser Aktivitäten trägt dazu bei, den Charakter stärker zu machen, bevor man sich erneut dem scheinbar unbesiegbaren Gegner stellt. Die schiere Menge an Inhalten, die abseits des Hauptpfades entdeckt werden kann, bedeutet, dass ein Spieler, der Schwierigkeiten hat, einfach woanders hingehen kann. Er kann neue Zauber, mächtige Ashes of War (Kriegsasche) oder einzigartige Waffen finden, die den Kampf drehen. Dieses „Überleveln durch Exploration” ist ein Konzept, das in früheren FromSoftware-Spielen kaum existierte und in Elden Ring zu einer effektiven Strategie wird, die den Schwierigkeitsgrad maßgeblich beeinflusst.
Geisterasche und Verbündete: Deine persönliche Armee
Eines der revolutionärsten Features in Elden Ring, das oft als eine Art „Easy Mode” diskutiert wird, ist die Einführung der Geisterasche. Diese beschwörbaren Verbündeten, die von einfachen Wölfen bis hin zu mächtigen Humanoiden oder gar Drachen reichen, können in den meisten Bosskämpfen und vielen schwierigen Gebieten eingesetzt werden. Sie lenken Feinde ab, fügen Schaden zu und fungieren als willkommene „Tank”-Option, die dem Spieler Zeit und Raum verschafft, um sich zu heilen, Zauber zu wirken oder eigene Angriffe anzubringen.
Die Geisterasche kann zudem aufgerüstet werden, was ihre Effektivität noch steigert. Eine voll aufgerüstete Mimic Tear oder Black Knife Tiche kann in vielen Kämpfen fast eigenständig agieren und den Boss-Gesundheitsbalken beträchtlich dezimieren. Während das Beschwören menschlicher Koop-Partner in früheren Souls-Spielen oft als „Erleichterung” angesehen wurde, sind die Geisteraschen eine feste, jederzeit verfügbare Mechanik, die FromSoftware selbst als integralen Bestandteil des Spielerlebnisses implementiert hat. Sie sind nicht optional im Sinne einer „Notlösung”, sondern ein von den Entwicklern vorgesehenes Werkzeug. Wer sie nicht nutzt, entscheidet sich aktiv dafür, das Spiel schwerer zu machen.
Mount und Mobilität: Torrents entscheidender Vorteil
Der treue Spektralross Torrent ist nicht nur ein Mittel zur schnellen Fortbewegung durch das weite Zwischenland; er ist auch ein mächtiges Werkzeug, das den Schwierigkeitsgrad beeinflusst. In vielen Feld-Bosskämpfen oder bei der Bewältigung gefährlicher Gebiete kann Torrent eingesetzt werden, um schnell zu entkommen, Angriffe auszuweichen oder sogar vom Pferderücken aus anzugreifen. Dies verleiht dem Spieler eine Mobilität und Agilität, die in früheren FromSoftware-Titeln undenkbar war.
Die Fähigkeit, im Kampf schnell die Distanz zu überbrücken oder zu schaffen, ist ein immenser Vorteil. Während in engen Dungeon-Passagen oder Hauptbosskämpfen auf Torrent verzichtet werden muss, macht er die Erkundung der offenen Welt deutlich sicherer und effizienter. Er minimiert das Risiko, von Gruppen von Gegnern überrannt zu werden, und ermöglicht es, gefährliche Situationen einfach zu umgehen oder zu fliehen, ohne größere Konsequenzen befürchten zu müssen.
Die Macht der Builds: OP-Strategien und Anpassungsfähigkeit
Elden Ring bietet eine beispiellose Vielfalt an Builds und Spielstilen, die von reinen Nahkämpfern über mächtige Zauberer und Astrologen bis hin zu flinken Assassinen reichen. Das Spiel ist voller Waffen, Zauber, Anrufungen und Ashes of War, die in bestimmten Kombinationen absurd starke Synergien erzeugen und selbst die schwierigsten Bosse in die Knie zwingen können. Man denke an die berüchtigte Rivers of Blood Katana vor ihren Nerfs, die spielerische Blutverlust-Builds trivialisierte, oder die legendäre Comet Azur Zauberei, die mit den richtigen Buffs Bosse in Sekundenbruchteilen schmelzen lässt.
Auch das Blocken mit Großschilden in Kombination mit der neuen „Guard Counter”-Mechanik kann unglaublich effektiv sein und viele Gegner quasi nutzlos machen. Spieler können sich auf Statuseffekte wie Blutung, Frost oder Scharlachfäule spezialisieren, die den Bossen erhebliche und anhaltende Schäden zufügen. Diese schiere Fülle an „Overpowered”-Strategien bedeutet, dass fast jeder Spieler, der bereit ist, ein wenig zu experimentieren oder im Internet nach den stärksten Builds zu suchen, einen Weg finden kann, das Spiel erheblich zu vereinfachen. Das „Schwergewicht” des Spiels liegt nicht in seiner Unbesiegbarkeit, sondern in seiner Bereitschaft, dem Spieler die Werkzeuge zu geben, sich selbst unbesiegbar zu machen.
Heilung und Ressourcen: Weniger Stress im Kampf
Im Vergleich zu früheren Souls-Spielen, wo Heilflaschen und FP (Fokus-Punkte) oft eine knappe Ressource waren, ist Elden Ring großzügiger. Spieler finden im Zwischenland eine Fülle von Goldenen Samen, die die maximale Anzahl an Heil- und FP-Flakons erhöhen, und Heiligen Tränen, die deren Wirksamkeit steigern. Dies bedeutet, dass Spieler oft mit einer wesentlich größeren Anzahl von Heilungen in Bosskämpfe gehen können, was Fehler verzeiht und längere Auseinandersetzungen ermöglicht.
Das Management von Ressourcen war in früheren Titeln ein kritischer Aspekt der Schwierigkeit. In Elden Ring ist es zwar immer noch wichtig, aber die schiere Menge an verfügbaren Upgrades und die Möglichkeit, die Aufteilung zwischen HP- und FP-Flaschen flexibel anzupassen, reduziert den Druck erheblich. Spieler können sich stärker auf den Kampf konzentrieren, anstatt ständig um ihre knappen Ressourcen fürchten zu müssen.
Rune Farming und Level-Spikes: Die Option zur Überlegenheit
Das Konzept des Rune-Farmings ist in Elden Ring so präsent und zugänglich wie nie zuvor. Es gibt mehrere bekannte Spots im Spiel (z.B. der Klippenpfad im Mohgwyn-Palast oder die Drachenhügel), an denen Spieler in kurzer Zeit immense Mengen an Runen verdienen können. Diese Runen können dann dazu verwendet werden, den Charakter auf ein Level zu bringen, das weit über dem für ein bestimmtes Gebiet oder einen Boss „vorgesehenen” Level liegt. Ein überlevelter Charakter mit stark aufgewerteter Ausrüstung macht selbst die gefürchtetsten Bosse zu einer viel geringeren Bedrohung.
Während dies in gewisser Weise eine bewusste Entscheidung des Spielers ist, sich das Spiel zu erleichtern, ist die Existenz und Zugänglichkeit dieser Farming-Methoden ein inhärenter Bestandteil des Spieldesigns, der die potenzielle Schwierigkeit des Titels dramatisch senkt. Der Spieler hat die Wahl, sich durchzukämpfen oder durch Grinden zu überwinden, eine Option, die in früheren FromSoftware-Titeln nicht in diesem Ausmaß vorhanden war.
Gnade und Marika-Pfähle: Kurze Wege zum nächsten Versuch
Ein weiterer Aspekt, der die wahrgenommene Härte von Elden Ring mindert, sind die weit verbreiteten Gnadenpunkte und die sogenannten Marika-Pfähle. In früheren Souls-Spielen konnten „Runbacks” zu Bossen nach einem Tod extrem frustrierend sein – lange Wege durch Horden von Gegnern, die das Scheitern nur noch schmerzhafter machten. Elden Ring reduziert diesen Frust erheblich.
Viele der härtesten Bosskämpfe werden entweder direkt von einem Gnadenpunkt oder einem Marika-Pfahl flankiert. Dies bedeutet, dass Spieler nach einem Tod sofort wieder in den Kampf springen können, oft nur wenige Schritte vom Bossnebel entfernt. Diese Reduzierung der „Bestrafung” für das Sterben trägt dazu bei, dass das Spiel weniger entmutigend wirkt und mehr Versuche unternommen werden können, ohne dass die Geduld des Spielers übermäßig strapaziert wird.
Die wahre „Schwierigkeit”: Eine Frage der Wahl
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die These, Elden Ring sei ein überraschend leichtes Spiel, nicht bedeutet, dass es keine anspruchsvollen Inhalte bietet oder dass jeder Spieler es ohne Mühe durchläuft. Es bedeutet vielmehr, dass das Spiel eine noch nie dagewesene Palette an Werkzeugen und Freiheiten bietet, die es dem Spieler ermöglichen, den Schwierigkeitsgrad aktiv zu beeinflussen und, wenn gewünscht, drastisch zu reduzieren.
Die „wahre” Schwierigkeit von Elden Ring liegt nicht in seiner Unnachgiebigkeit, sondern in der bewussten Entscheidung des Spielers, diese Hilfen anzunehmen oder abzulehnen. Wer auf Geisterasche verzichtet, keine Overpowered-Builds nutzt, sich nicht überlevelt und die offene Welt nur linear erkundet, wird eine Erfahrung machen, die der Reputation von FromSoftware gerecht wird. Wer jedoch alle vom Spiel gebotenen Möglichkeiten nutzt, wird feststellen, dass das Zwischenland weit weniger feindselig ist, als es zunächst scheint. In diesem Sinne ist Elden Ring vielleicht nicht „einfach”, aber es ist mit Sicherheit das „einfachste” FromSoftware-Spiel für jene, die es einfach haben wollen.
Fazit
Elden Ring hat zweifellos die Herzen vieler Spieler erobert, und seine Reputation als „hartes, aber faires” Spiel ist wohlverdient, wenn man es auf eine bestimmte Art spielt. Doch die Wahrheit ist nuancierter. Durch seine Open-World-Struktur, die Einführung mächtiger Geisterasche, die Vielzahl an „Break-the-Game”-Builds und die großzügige Verteilung von Ressourcen und Wiedereinstiegspunkten bietet Elden Ring so viele Wege zur Erleichterung wie kein Souls-Titel zuvor. Es ist ein Spiel, das dem Spieler die Kontrolle über seine eigene Herausforderung gibt. Und genau das macht es zu einem überraschend zugänglichen und, ja, unter den richtigen Umständen, sogar zu einem leicht zu bewältigenden Abenteuer im Zwischenland. Die Kontroverse bleibt, aber die Argumente für ein „leichteres” Elden Ring sind schwer zu ignorieren.