Als **Cyberpunk 2077** im Dezember 2020 das Licht der Welt erblickte, war die Erwartungshaltung gigantisch. **CD Projekt Red**, die Schöpfer des von Kritikern gefeierten „The Witcher 3: Wild Hunt“, versprachen ein immersives, düsteres Sci-Fi-**Open-World**-**RPG**, das die Spieler in die pulsierende Metropole **Night City** entführen sollte. Was folgte, war jedoch eines der größten Gaming-Debakel der Geschichte. Fast vier Jahre später stellt sich die Frage: Hat sich **Cyberpunk 2077** von seinem katastrophalen **Release** erholt und ist es zu dem **Meisterwerk** gereift, das es immer sein sollte, oder bleibt es trotz aller Bemühungen eine ewige **Enttäuschung**?
Der Hype um **Cyberpunk 2077** war beispiellos. Jahrelange Entwicklungszeit, spektakuläre Trailer und die Zusicherung einer unvergleichlichen Spielerfahrung ließen die Vorfreude ins Unermessliche steigen. Als das Spiel dann endlich erschien, zerplatzten diese Träume wie Seifenblasen. Insbesondere auf den Last-Gen-Konsolen (PlayStation 4 und Xbox One) war der Zustand des Spiels unzumutbar: unzählige Bugs, Grafikfehler, grobe Performance-Probleme und Abstürze machten es für viele Spieler nahezu unspielbar. Doch auch auf leistungsstärkeren PCs war das Erlebnis oft von technischen Mängeln getrübt. Die anfängliche **Enttäuschung** war riesig, das Vertrauen in **CD Projekt Red** erschüttert. Rückerstattungsaktionen, die Entfernung aus dem PlayStation Store und eine Welle der Empörung in der Gaming-Community waren die unmittelbaren Folgen.
Der lange Weg der Wiedergutmachung: CD Projekt Reds unermüdlicher Einsatz
Doch anstatt das sinkende Schiff aufzugeben, entschied sich **CD Projekt Red** für einen steinigen, aber entschlossenen Kurs: Wiedergutmachung. In den Monaten und Jahren nach dem **Release** wurde **Cyberpunk 2077** mit einer Flut von Patches und Updates versorgt. Jeder dieser Updates zielte darauf ab, Bugs zu beheben, die Performance zu verbessern und fehlende oder unzureichende Features nachzuliefern. Es war ein Prozess, der oft an die Geschichte von „No Man’s Sky“ erinnerte – ein Spiel, das ebenfalls einen desaströsen Start hatte und sich über Jahre hinweg zu einem Fan-Favoriten entwickelte.
Diese Phase der Stabilisierung war lang und mühsam, aber sie legte den Grundstein für das, was kommen sollte. Spieler, die das Spiel frühzeitig abgeschrieben hatten, begannen langsam, eine Verbesserung zu bemerken. Die Welt von **Night City** wurde stabiler, die KI der NPCs realistischer und die technischen Probleme wurden weniger dominant. Doch der eigentliche Wendepunkt sollte erst noch kommen.
Patch 2.0 und Phantom Liberty: Die Geburtsstunde eines Meisterwerks?
Der Herbst 2023 markierte eine Zäsur in der Geschichte von **Cyberpunk 2077**. Mit der Veröffentlichung von **Patch 2.0** und der ersten und einzigen großen Erweiterung **Phantom Liberty** erreichte das Spiel einen Zustand, den viele Spieler als revolutionär bezeichnen. **Patch 2.0** war kein gewöhnliches Update; es war eine umfassende Überarbeitung zentraler Spielsysteme. Das gesamte Fertigkeitenbaum-System wurde neu gestaltet, der Fahrzeugkampf implementiert, die Polizei-KI komplett überarbeitet und viele weitere Quality-of-Life-Verbesserungen eingeführt. Es war das Update, das **Cyberpunk 2077** zu dem **Open-World**-**RPG** machte, das es von Anfang an hätte sein sollen.
Parallel dazu erschien **Phantom Liberty**, ein DLC, der von Kritikern und Spielern gleichermaßen gefeiert wurde. Die Erweiterung fügte nicht nur ein neues Gebiet, Dogtown, hinzu, sondern auch eine fesselnde Spionage-Thriller-Geschichte mit Hollywood-Größe Idris Elba und einer Rückkehr von Keanu Reeves als Johnny Silverhand. Die Missionen waren komplex, die Charaktere tiefgründig und die Entscheidungen hatten spürbare Konsequenzen. Für viele war **Phantom Liberty** nicht nur eine exzellente Erweiterung, sondern der finale Beweis, dass **Cyberpunk 2077** sein volles Potenzial entfalten konnte.
Was **Cyberpunk 2077** heute ist: Ein leuchtendes Beispiel der Erlösung
Nach all den Updates und der Erweiterung steht **Cyberpunk 2077** heute als ein gänzlich anderes Spiel da. Doch ist es nun ein **Meisterwerk** oder bleibt der Schatten der Vergangenheit zu lang?
Argumente für das Meisterwerk:
- Storytelling und Charaktere: Die Hauptgeschichte um V und Johnny Silverhand ist tiefgründig, emotional und voller unvergesslicher Momente. Die Nebenquests sind oft so detailreich und bedeutsam wie die Hauptquest, mit unvergesslichen Charakteren und moralischen Dilemmata. **CD Projekt Red** zeigt hier erneut seine Stärke im narrativen Bereich.
- Night City: Die ultimative Cyberpunk-Metropole: Die Stadt selbst ist ein Kunstwerk. **Night City** ist atemberaubend schön und gleichzeitig schmutzig, voller Leben und versteckter Details. Ihre Architektur, die Neonlichter, die Musik und die verschiedenen Distrikte schaffen eine einzigartige und immersive Atmosphäre. Es ist eine der glaubwürdigsten **Open Worlds** der Gaming-Geschichte, die zum Erkunden einlädt.
- Gameplay-Vielfalt: Das überarbeitete **RPG**-System bietet eine enorme Freiheit bei der Charakterentwicklung. Ob man als schleichender Netrunner, brachialer Solo mit Schusswaffen und Cyberware oder als Techie mit smarten Gadgets spielen möchte – **Cyberpunk 2077** bietet vielfältige Spielstile, die sich alle befriedigend anfühlen. Der Fahrzeugkampf und die verbesserte KI machen die Auseinandersetzungen dynamischer und spannender.
- Ästhetik und Sounddesign: Visuell ist das Spiel auf aktuellen Systemen eine Wucht. Raytracing, Path Tracing und die detailreichen Texturen erschaffen eine visuelle Pracht, die ihresgleichen sucht. Das Sounddesign, der Soundtrack und die hervorragende deutsche Synchronisation tragen maßgeblich zur Immersion bei.
- Thematischer Tiefgang: **Cyberpunk 2077** scheut sich nicht, komplexe Themen wie Transhumanismus, Kapitalismus, Identität, Macht und die Konsequenzen von Technologie zu beleuchten. Es regt zum Nachdenken an und bietet mehr als nur oberflächliche Action.
Argumente gegen das Meisterwerk / Bleibende Kritikpunkte:
- Verlorenes Potenzial: Trotz aller Verbesserungen sind einige Features, die vor dem **Release** angedeutet oder erhofft wurden (wie ein funktionierendes U-Bahn-System, tiefere Beziehungen zu Gangs oder eine noch stärkere Prägung der Geschichte durch frühe Entscheidungen), nicht im Spiel enthalten. Das wirft die Frage auf, was noch hätte sein können.
- Der bleibende Makel des Starts: Für viele Spieler ist der katastrophale **Release** ein unverzeihlicher Makel. Sie können das Spiel nicht mehr unvoreingenommen betrachten oder lehnen es prinzipiell ab, da sie das Vertrauen in **CD Projekt Red** verloren haben. Dies ist eine psychologische Barriere, die selbst das beste Produkt nur schwer überwinden kann.
- Noch immer nicht perfekt (aber nahe dran): Obwohl die Technik stark verbessert wurde, sind kleinere Bugs und Glitches auch heute noch vorhanden, wenn auch selten. Auf älterer Hardware mag das Spielerlebnis trotz aller Patches immer noch nicht optimal sein.
- RPG-Elemente im Vergleich: Obwohl das Spiel als **RPG** beworben wird, sind die Rollenspiel-Entscheidungen und deren weitreichende Konsequenzen für die Welt nicht immer so ausgeprägt wie in anderen **RPG**-Giganten (wie z.B. „The Witcher 3“ oder „Baldur’s Gate 3“). Es ist mehr ein Action-**RPG** mit starkem Fokus auf die Story.
Fazit: Vom Sündenbock zum Triumph – Eine zweite Chance, die sich auszahlt
Die Reise von **Cyberpunk 2077** ist eine einzigartige in der Geschichte der Videospiele. Vom vielgepriesenen Hoffnungsträger zum Prügelknaben der Branche und schließlich zur gefeierten Erfolgsgeschichte – es ist eine Saga, die Bände über Ausdauer, Leidenschaft und die Bedeutung der Spielerzufriedenheit spricht. Für diejenigen, die das Spiel nach **Patch 2.0** und **Phantom Liberty** zum ersten Mal erleben oder ihm eine zweite Chance gegeben haben, ist die Antwort klar: **Cyberpunk 2077** ist heute ein wahres **Meisterwerk**.
Es mag nicht das *perfekte* Spiel sein, und der katastrophale **Release** wird immer ein Teil seiner Geschichte bleiben. Doch was **CD Projekt Red** in den Jahren nach dem Debakel geleistet hat, ist bemerkenswert. Sie haben nicht nur ein gebrochenes Spiel repariert, sondern es in ein packendes, visuell atemberaubendes und emotional tiefgründiges Erlebnis verwandelt, das in der dystopischen Welt von **Night City** seinesgleichen sucht. Es ist ein Triumph der Entwickler, der zeigt, dass sich Engagement und der Mut, Fehler einzugestehen und zu beheben, am Ende auszahlen können. Für viele ist **Cyberpunk 2077** heute nicht nur gut, sondern essenziell – eine definitive Empfehlung für jeden Fan von tiefgründigen Sci-Fi-Geschichten und Open-World-Abenteuern.