Fast 15 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung bleibt Assassin’s Creed II (AC2) ein Thema leidenschaftlicher Diskussionen, ein Maßstab, an dem neue Open-World-Action-Adventure-Spiele oft gemessen werden. Es ist mehr als nur eine nostalgische Erinnerung; es ist ein Testament an außergewöhnliches Spieldesign, Storytelling und Charakterentwicklung, das auch heute noch neue Generationen von Spielern fesselt. Aber was genau macht dieses Spiel, das 2009 erschien, so anhaltend populär? Warum wird es auch heute noch so krass gefeiert? Lasst uns tief in die vielschichtigen Gründe eintauchen, die AC2’s Status als unbestrittenen Gaming-Klassiker zementieren.
Die Geburt einer Ikone: Ezio Auditore da Firenze
Der wohl offensichtlichste und emotional packendste Grund für die anhaltende Popularität von AC2 ist sein Protagonist: Ezio Auditore da Firenze. Wir lernen Ezio als unbeschwerten, charmanten florentinischen Adligen kennen, der sein Leben in vollen Zügen genießt. Doch innerhalb weniger Stunden wird seine Welt durch einen brutalen Akt des Verrats und der Ungerechtigkeit zerschmettert. Die Hinrichtung seiner Familie vor seinen Augen ist ein Wendepunkt, der ihn auf einen Pfad der Rache und später der Selbstfindung führt. Diese Transformation ist es, die Ezio so menschlich und nachvollziehbar macht. Wir sehen ihn wachsen – vom impulsiven Jugendlichen zum weisen Mentor und Meister-Assassinen.
Anders als Altaïr aus dem ersten Teil, der oft als distanzierter und prinzipientreuer dargestellt wurde, erlaubt uns Ezio, an seiner emotionalen Reise teilzuhaben. Seine Witze, seine Flirts, seine Momente der Verzweiflung und des Triumphs – all das lässt eine tiefe Bindung zwischen Spieler und Charakter entstehen. Er ist nicht nur ein Werkzeug der Handlung, sondern ein Freund, dessen Entwicklung wir über Jahrzehnte hinweg begleiten dürfen (auch in den Fortsetzungen Brotherhood und Revelations). Diese tiefe emotionale Verbindung zu Ezio ist ein Eckpfeiler des Erfolgs von AC2 und ein Faktor, der es von vielen anderen Spielen abhebt. Er ist mehr als nur eine Spielfigur; er ist eine Persönlichkeit, die in den Köpfen der Spieler weiterlebt.
Das lebendige Gemälde der Renaissance
Ein weiterer unbestreitbarer Triumph von AC2 ist seine atemberaubende Kulisse: die italienische Renaissance. Ubisoft Montreal hat hier nicht einfach nur eine Umgebung geschaffen, sondern eine Epoche zum Leben erweckt. Von den verwinkelten Gassen Florenz’, über die majestätischen Kanäle Venedigs bis hin zu den malerischen Hügeln der Toskana – jede Stadt und jede Region ist mit einer unglaublichen Liebe zum Detail gestaltet. Die Architektur, die Kleidung der NPCs, die geschäftigen Marktplätze, die melancholischen Klänge der Musik – all das verschmilzt zu einem authentischen und immersiven Erlebnis.
Das Spiel nimmt sich zwar künstlerische Freiheiten, respektiert aber die historische Substanz. Man trifft auf ikonische Persönlichkeiten wie Leonardo da Vinci, Niccolò Machiavelli oder Lorenzo de’ Medici, die nicht nur als Statisten dienen, sondern aktiv in die Handlung eingreifen und Ezio auf seiner Reise unterstützen. Leonardos Werkstätten, in denen er Gadgets für Ezio baut, sind ein Paradebeispiel für die clevere Integration historischer Figuren in das Gameplay. Die Renaissance war eine Zeit des Umbruchs, der Kunst, der Wissenschaft und der Machtkämpfe – ein perfekter Spielplatz für die Assassinen gegen die Templer. Diese Welt ist nicht nur eine Kulisse, sondern ein integraler Bestandteil der Geschichte und des Gameplays, der zum Erkunden und Staunen einlädt. Die vertikale Freiheit, die das Parkour-System bietet, fühlt sich in diesen detaillierten Städten besonders organisch und befriedigend an.
Eine Geschichte, die fesselt: Rache, Familie und Verschwörung
Die narrative Tiefe von AC2 ist bemerkenswert. Im Kern ist es eine klassische Rachegeschichte, aber sie entwickelt sich zu etwas viel Größerem. Es geht um Familie – die biologische Familie, die Ezio verloren hat, und die neue Familie der Assassinen, die er findet. Es geht um Verrat, Loyalität und die Suche nach der Wahrheit hinter einer jahrhundertealten Verschwörung zwischen den Assassinen und den Templern. Die Geschichte ist emotional, dramatisch und mit vielen Wendungen gespickt, die den Spieler von Anfang bis Ende fesseln.
Die Pacing ist hervorragend, mit Momenten intensiver Action, ruhiger Erkundung und bedeutungsvoller Dialoge. Die Nebencharaktere sind gut geschrieben und tragen zur Welt und Ezios Entwicklung bei. Der Konflikt zwischen den Ideologien der Assassinen (Freiheit durch freie Entscheidung) und der Templer (Frieden durch Kontrolle) wird subtil, aber wirkungsvoll dargestellt. Die Einbindung der „Ersten Zivilisation” und die übergeordnete Sci-Fi-Storyline um Desmond Miles fügt eine weitere Ebene der Komplexität hinzu, die zum Nachdenken anregt. AC2 gelang es, eine persönliche Geschichte mit einer epischen Mythologie zu verbinden, ohne dass eine davon die andere überstrahlte. Das macht die Story zu einem seiner größten Stärken.
Das Meisterwerk des Gameplays: Freiheit in jeder Bewegung
Während die Story und der Charakter von Ezio die Herzen der Spieler eroberten, war es das raffinierte Gameplay, das sie immer wieder zurückkehren ließ. AC2 baute auf den Fundamenten seines Vorgängers auf und verfeinerte nahezu jeden Aspekt.
- Flüssiges Parkour und Bewegung: Das Parkour-System war in AC2 revolutionär verbessert. Ezio bewegte sich mit einer beispiellosen Anmut und Effizienz durch die komplexen Umgebungen. Das Klettern an Gebäuden, das Springen über Dächer und das Überwinden von Hindernissen fühlte sich instinktiv und befriedigend an. Die Integration von freiem Klettern und schnellen Abwärtsbewegungen (Absprünge in Heuhaufen) machte die vertikale Erkundung zu einem Vergnügen statt zu einer Last. Es war ein Gefühl von grenzenloser Freiheit.
- Verbesserter Kampf und Stealth: Das Kampfsystem wurde erweitert, mit einer größeren Vielfalt an Waffen, neuen Konter-Moves und der Möglichkeit, Gegner zu entwaffnen und deren Waffen zu nutzen. Es war immer noch intuitiv, aber fordernder und visuell ansprechender. Der Stealth-Aspekt erhielt ebenfalls eine Überarbeitung: Die Möglichkeit, sich in Menschenmengen zu verstecken, Attentate aus der Deckung auszuführen und soziale Tarnung zu nutzen, machte das Meucheln deutlich taktischer und befriedigender. Die versteckte Klinge (Hidden Blade) war nicht mehr nur eine Waffe, sondern ein Symbol für Ezios Identität.
- Wirtschaft und Besitz: Monteriggioni als Basis: Eine der genialsten Ergänzungen war das Wirtschaftssystem rund um die Villa Auditore in Monteriggioni. Spieler konnten die Stadt wieder aufbauen und verbessern, indem sie Geschäfte, Banken und Ärztehäuser renovierten. Dies generierte nicht nur Einnahmen, die Ezio für neue Waffen, Rüstungen und Medikamente nutzen konnte, sondern schuf auch eine tiefe emotionale Bindung an diesen sicheren Hafen. Es war Ezios Heimat, sein Erbe, und die Investition in dessen Wiederaufbau gab dem Spieler ein Gefühl von Fortschritt und Bedeutung jenseits der Hauptmissionen.
- Vielfalt der Aktivitäten: AC2 war vollgepackt mit Inhalten. Neben den fesselnden Hauptmissionen gab es unzählige Nebenquests: Auftragsmorde, Wettrennen, Botenaufträge. Das Sammeln von Glyphen und das Lösen der Wahrheit-Rätsel boten spannende Hintergrundinformationen zur Lore. Das Aufspüren von Templer-Verstecken und das Freischalten neuer Rüstungsteile hielt die Spieler bei der Stange. Das Spiel schaffte es, eine Open World zu erschaffen, die sich lebendig, interaktiv und lohnenswert anfühlte.
Der Klang der Renaissance: Jesper Kyds unvergesslicher Soundtrack
Man kann über die Brillanz von AC2 nicht sprechen, ohne den außergewöhnlichen Soundtrack von Jesper Kyd zu erwähnen. Seine Kompositionen sind nicht nur Begleitmusik, sondern ein integraler Bestandteil des Erlebnisses. Stücke wie „Ezio’s Family”, „Venice Rooftops” oder „Flight Over Venice” sind ikonisch und wecken sofort Erinnerungen an unvergessliche Momente im Spiel. Der Soundtrack fängt die Atmosphäre der Renaissance perfekt ein – mal melancholisch und episch, mal leichtfüßig und abenteuerlich. Er verstärkt die emotionalen Höhen und Tiefen der Geschichte und untermalt die Erkundung der wunderschönen Welt auf eine Weise, die tief unter die Haut geht. Es ist ein Soundtrack, der auch isoliert gehört noch Gänsehaut bereitet und die Qualität des gesamten Werks unterstreicht.
Innovationen, die Maßstäbe setzten
Als AC2 2009 erschien, war es in vielerlei Hinsicht wegweisend. Es perfektionierte das Konzept der „Social Stealth”, indem es den Spieler dazu anregte, sich in Menschenmassen zu tarnen und Umgebungsfaktoren zu nutzen. Die Integration von Wirtschaft und Immobilienverwaltung war für ein Action-Adventure neu und bot eine zusätzliche Ebene der Immersion und des Fortschritts. Die nahtlose Verschmelzung von Parkour, Kampf und Stealth in einer riesigen, detaillierten Open World war für seine Zeit bahnbrechend. Es setzte neue Standards für Charakterentwicklung und erzählerische Tiefe in Open-World-Spielen und beeinflusste unzählige Titel, die folgten. Es zeigte, wie eine Fortsetzung nicht nur besser, sondern exponentiell besser sein kann als ihr Vorgänger.
Die Seele des Spiels: Warum AC2 mehr als nur ein Spiel ist
Über all diese technischen und kreativen Errungenschaften hinaus hat AC2 eine Seele. Es ist die Geschichte eines Menschen, der seine Familie verliert und sich seinen Weg durch eine brutale Welt bahnen muss, um Gerechtigkeit zu finden und sein Erbe anzutreten. Es ist eine Geschichte über das Erwachsenwerden, über die Akzeptanz von Verantwortung und darüber, dass man über sich hinauswachsen kann. Diese universellen Themen, gepaart mit einem Charme, einer Detailverliebtheit und einem Gameplay, das heute noch Spaß macht, sind der Grund, warum Spieler immer wieder zu diesem Titel zurückkehren.
Es ist die Nostalgie, ja, aber es ist auch die Erkenntnis, dass hier ein Spiel geschaffen wurde, das seiner Zeit voraus war und dessen Qualität nicht altert. Es ist ein Spiel, das man erleben muss, um es zu verstehen – ein Meisterwerk der Gaming-Kunst, das seinen Platz im Pantheon der Videospielgeschichte mehr als verdient hat.
Fazit
Assassin’s Creed 2 ist weit mehr als nur ein weiterer Eintrag in einer langen Serie; es ist ein kulturelles Phänomen, ein Lehrstück in Sachen Game Design und ein Leuchtturm für das, was Videospiele erreichen können, wenn Story, Charakter, Gameplay und Welt in perfekter Harmonie zusammenkommen. Von der unvergesslichen Reise Ezio Auditores über die lebendige italienische Renaissance bis hin zu seinem bahnbrechenden Gameplay und dem ikonischen Soundtrack – jeder Aspekt trägt dazu bei, dass dieses Spiel auch heute noch mit Recht als zeitloser Klassiker gefeiert wird. Es ist nicht nur ein Stück Geschichte, sondern ein lebendiges, atmendes Erlebnis, das seinen Platz in den Herzen der Spieler für immer behalten wird. Es ist ein Spiel, das nicht altert, sondern mit jedem neuen Spieler, der seine Klingen ausfährt und über die Dächer Venedigs schwebt, eine neue Renaissance erlebt.