Als Genshin Impact im September 2020 das Licht der Gaming-Welt erblickte, war der Aufschrei groß. Ein kostenloses Open-World-Action-Rollenspiel im Anime-Stil, das frappierend an Titel wie The Legend of Zelda: Breath of the Wild erinnerte, gespickt mit einem Gacha-System, das für viele ein rotes Tuch war. Schnell stieg es zu einem globalen Phänomen auf, eroberte unzählige Herzen und brach Rekorde. Doch wie so oft bei Hype-Phänomenen stellt sich die Frage: Was bleibt, wenn der erste Glanz verblasst? Ist Genshin Impact wirklich ein Meisterwerk, das seine Versprechen hält, oder doch eine Enttäuschung, die von geschicktem Marketing getragen wird? Wir wagen einen tiefen Blick hinter die Kulissen.
### Der Explosive Start: Was den Hype entfachte
Die anfängliche Begeisterung um Genshin Impact war nicht unbegründet. Schon beim ersten Start wurde klar, dass HoYoverse (damals noch miHoYo) hier etwas Besonderes geschaffen hatte. Die **offene Welt von Teyvat** war von Anfang an beeindruckend: atemberaubende Landschaften, vielfältige Biome von sonnigen Stränden über schneebedeckte Gipfel bis hin zu dichten Wäldern, gespickt mit Geheimnissen, Puzzles und Gegnern. Die schiere Größe und die Freiheit der Erkundung waren für ein kostenloses Spiel revolutionär. Man konnte klettern, gleiten, schwimmen – all das ohne Ladebildschirme zwischen den Regionen (abgesehen von Dungeons und bestimmten Gebäuden).
Ein weiterer Eckpfeiler des Erfolgs war das **innovative Kampfsystem**. Anstatt sich auf stupides Button-Mashing zu verlassen, setzte Genshin Impact auf Elementarreaktionen. Jeder Charakter gehört einem von sieben Elementen an (Pyro, Hydro, Anemo, Electro, Dendro, Cryo, Geo), und die Kombination dieser Elemente führt zu verheerenden Effekten wie Vaporize, Melt oder Superconduct. Das schnelle Wechseln zwischen bis zu vier Charakteren im Team, um diese Reaktionen auszulösen, verleiht den Kämpfen eine enorme taktische Tiefe und macht sie zu einem dynamischen und visuell ansprechenden Erlebnis. Das Gefühl, mit den richtigen Kombinationen gewaltige Mengen an Schaden zu verursachen, ist unglaublich befriedigend.
Nicht zu vergessen sind die **Charaktere und der künstlerische Stil**. Genshin Impact schwelgt in einem wunderschönen Anime-Look, der von vielen als charmant und ansprechend empfunden wird. Die Charaktere sind mit aufwendigen Designs, detaillierten Animationen und exzellenter Vertonung (sowohl auf Englisch als auch auf Japanisch, Koreanisch und Chinesisch) liebevoll gestaltet. Jeder neue Charakter bringt nicht nur neue Fähigkeiten, sondern auch eine eigene Persönlichkeit und Hintergrundgeschichte mit, die zum Entdecken einlädt. Dies, kombiniert mit einer fesselnden Story um einen Reisenden, der seinen verlorenen Zwilling sucht, schuf eine sofortige emotionale Bindung zur Welt und ihren Bewohnern. Das Versprechen, ein hochwertiges **Action-RPG** kostenlos spielen zu können, war schlichtweg unwiderstehlich.
### Das Langzeiterlebnis: Was die Spieler bei der Stange hält
Drei Jahre nach seinem Start ist Genshin Impact immer noch hochrelevant. Das liegt nicht zuletzt an HoYoverses beeindruckender Strategie, das Spiel als **Live-Service-Game** kontinuierlich weiterzuentwickeln. Regelmäßige Updates, meist alle sechs Wochen, bringen eine Fülle an neuem Content:
* **Neue Regionen:** Teyvat wächst stetig. Nach Mondstadt, Liyue und Inazuma wurden Sumeru und Fontaine eingeführt, jede mit ihrer eigenen einzigartigen Kultur, Ästhetik, Musik und Rätseln. Diese Erweiterungen sind oft so umfangreich wie ein eigenständiges Spiel und halten die Erkundung frisch und spannend.
* **Neue Charaktere und Waffen:** Mit jeder Version erscheinen neue spielbare Charaktere und passende Waffen. Diese erweitern nicht nur die Teambau-Möglichkeiten, sondern treiben auch die Handlung voran und bereichern die Welt von Teyvat.
* **Story-Kapitel und Events:** Die Hauptgeschichte wird regelmäßig fortgesetzt, und es gibt eine Fülle von zeitlich begrenzten Events, die oft neue Gameplay-Mechaniken einführen, Belohnungen bieten und die Charaktere in neuen Situationen zeigen. Diese Events sind oft unterhaltsam und geben dem Spiel eine dynamische Komponente.
* **Qualität der Inhalte:** Besonders hervorzuheben ist die konstant hohe Qualität der Musik, die für jede Region und sogar für bestimmte Charaktere individuell komponiert wird und maßgeblich zur Atmosphäre beiträgt. Auch die Cinematics und die allgemeine Präsentation sind oft kinoreif.
Die Tiefe der **Lore** und die komplexen Beziehungen zwischen den Charakteren haben eine riesige und engagierte Community hervorgebracht. Spieler diskutieren Theorien, erstellen Fan-Art, Cosplays und teilen ihre Erlebnisse. Genshin Impact ist längst mehr als nur ein Spiel; es ist ein kulturelles Phänomen, das Menschen auf der ganzen Welt verbindet. Die Möglichkeit, das Spiel fast vollständig **kostenlos zu spielen**, macht es auch weiterhin für ein breites Publikum zugänglich, selbst wenn man nur die Story erleben und die Welt erkunden möchte, ohne stark in das Gacha-System zu investieren.
### Die Schattenseiten: Wo der Hype auf Enttäuschung trifft
Trotz all dieser Stärken gibt es Aspekte, die bei vielen Spielern für Frustration und Enttäuschung sorgen. Der prominenteste unter ihnen ist das **Gacha-System**, auch bekannt als „Wunsch”-System. Hier werden neue Charaktere und Waffen durch zufällige Ziehungen gewonnen, die mit einer speziellen Währung namens „Urgestein” bezahlt werden. Während es ein „Mitleids”-System gibt (Pity), das garantiert, dass man nach einer bestimmten Anzahl von Zügen einen 5-Sterne-Charakter oder eine Waffe erhält, ist die Wahrscheinlichkeit, genau den gewünschten Charakter zu bekommen, ohne viel Geld auszugeben, gering.
Das Gacha-System führt zu mehreren Problemen:
* **Monetarisierung:** Wer alle oder viele Charaktere besitzen möchte, muss entweder unglaublich viel Zeit in das Sammeln von Urgestein investieren oder – und das ist der Kern des Geschäftsmodells – **echtes Geld ausgeben**. Die Preise für Urgestein können schnell astronomische Summen erreichen, und das Spiel ist bekannt für seine „Whales”, die Tausende von Euros ausgeben.
* **Frustration und FOMO (Fear Of Missing Out):** Wenn ein beliebter Charakter im Banner ist, kann der Druck, ihn zu bekommen, groß sein. Wer Pech hat und den 50/50-Pity verliert (was bedeutet, dass man einen Standard-5-Sterne-Charakter statt des Banner-Charakters erhält), muss noch mehr Züge machen. Das kann zu enormer Enttäuschung führen und das Spielgefühl trüben.
* **Langzeitmotivation für F2P-Spieler:** Während man die Story ohne jeden Gacha-Charakter spielen kann, kann das Sammeln und Optimieren der Charaktere für viele einen Großteil des Reizes ausmachen. Für Free-to-Play (F2P)-Spieler ist das ein langsamer und oft frustrierender Prozess, der strategisches Sparen und Glück erfordert.
Ein weiterer Kritikpunkt ist das **Harz-System (Resin)**. Dies ist ein Energiesystem, das für fast alle Endgame-Aktivitäten benötigt wird, wie das Erhalten von Belohnungen aus Dungeons (Artefakte, Aufstiegsmaterialien), Weltbossen oder Ley-Linien. Das Harz regeneriert sich langsam (1 Harz pro 8 Minuten) und begrenzt so die Menge an Farmen, die man pro Tag betreiben kann. Viele Spieler empfinden dies als künstliche Bremse, die den Fortschritt unnötig verlangsamt und das Gefühl vermittelt, dass man nicht so viel spielen kann, wie man möchte. Es zwingt Spieler dazu, sich nur kurz einzuloggen und dann wieder aufzuhören, was der Langzeitmotivation für einige schadet.
Auch das **Endgame-Content** ist ein häufiger Streitpunkt. Abgesehen vom Spiral Abyss, einem sich monatlich zurücksetzenden Herausforderungsdungeon, gibt es wenig wiederholbaren Content, der eine ernsthafte Herausforderung für gut ausgerüstete Teams darstellt. Die täglichen Aufträge sind repetitiv, und das Sammeln von Artefakten ist extrem zufallsbasiert und kann sehr frustrierend sein. Viele Spieler wünschen sich mehr verschiedene Endgame-Aaktivitäten, die ihre aufgebauten Charaktere wirklich auf die Probe stellen und belohnen. Die meisten Events sind eher entspannt und weniger kampfzentriert.
Die **Story und das Pacing** werden ebenfalls gelegentlich kritisiert. Während die Hauptstory spannende Momente und tiefe Lore bietet, können einzelne Quest-Abschnitte langatmig sein, mit übermäßig langen Dialogen oder „Fetch-Quests”, die sich wie Füllmaterial anfühlen. Das kann dazu führen, dass man sich durch bestimmte Story-Abschnitte quälen muss, um zu den wirklich interessanten Teilen zu gelangen.
### Fazit: Hype oder Enttäuschung? Die Antwort ist komplex
Die Frage, ob Genshin Impact Hype oder Enttäuschung ist, lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Es ist eine faszinierende Mischung aus beidem, die je nach individueller Spielerfahrung und Erwartungshaltung variiert.
Für diejenigen, die ein wunderschönes, **kostenloses Open-World-Abenteuer** mit fesselnder Story, charmanten Charakteren und einem spaßigen Kampfsystem suchen, ist Genshin Impact ein absolutes Meisterwerk. Es bietet Hunderte von Stunden qualitativ hochwertiger Unterhaltung, ohne einen Cent ausgeben zu müssen. Die Welt ist lebendig, die Musik grandios, und die kontinuierlichen Updates halten das Spiel frisch. In dieser Hinsicht hat es den Hype nicht nur erfüllt, sondern oft übertroffen.
Für Spieler, die kompetitive Endgame-Inhalte erwarten, sich über Gacha-Systeme ärgern oder von künstlichen Progressionsbremsen frustriert sind, kann Genshin Impact jedoch schnell zur Enttäuschung werden. Das Gefühl, dass man bezahlen muss, um „mithalten” zu können, oder die Sucht nach dem perfekten Charakter, kann das Spielerlebnis trüben. Die Designentscheidungen rund um Harz und Gacha sind zweifellos darauf ausgelegt, Einnahmen zu maximieren, und das spürt man an manchen Stellen deutlich.
Letztendlich ist **Genshin Impact** ein außergewöhnlich erfolgreiches und ambitioniertes Live-Service-Spiel, das seine Stärken in der Zugänglichkeit, der Weltgestaltung und der Charaktervielfalt hat. Es hat die Gaming-Landschaft verändert und gezeigt, wie ein Free-to-Play-Modell in Kombination mit Premium-Qualität funktionieren kann. Es ist ein Spiel, das man selbst erleben muss, um sich eine Meinung zu bilden. Ob es für Sie persönlich eher Hype oder Enttäuschung ist, hängt davon ab, was Sie von einem Spiel erwarten und wie tolerant Sie gegenüber seinen – zugegebenermaßen – problematischen Monetarisierungsstrategien sind. Eines ist jedoch sicher: Genshin Impact hat seine Spuren hinterlassen und wird dies wohl auch noch lange tun.