Als Borderlands 3 im September 2019 erschien, waren die Erwartungen gigantisch. Nach sieben Jahren Wartezeit seit dem hochgelobten Borderlands 2 versprach Gearbox Software eine Fortsetzung, die das bewährte Erfolgsrezept des „Milliarden von Waffen”-Loot-Shooters auf die nächste Stufe heben sollte. Der Hype war real, und die ersten Verkaufszahlen sprachen Bände. Doch wie das oft so ist im schnelllebigen Gaming-Business, verfliegt der anfängliche Glanz rasch. Jahre später, mit allen DLCs, unzähligen Patches und dem Abstand, der eine objektivere Betrachtung ermöglicht, stellt sich die Frage: Wie gut ist Borderlands 3 heute wirklich? Hat es seinen Platz in der Ruhmeshalle der Loot-Shooter behaupten können, oder ist es nur eine weitere Randnotiz in einer überfüllten Genre-Landschaft? Tauchen wir ein in eine detaillierte Analyse.
Das Herzstück: Gunplay und Lootsystem
Eines der unbestreitbaren Highlights von Borderlands 3 war und ist sein Gunplay. Gearbox hat hier eine Meisterleistung vollbracht. Die Waffen fühlen sich ungemein befriedigend an: Jeder Schuss hat Gewicht, jedes Nachladen ist ein kleines Spektakel, und die schiere Vielfalt an Waffenmodellen und Herstellern sorgt für eine konstante Entdeckungslust. Die Waffen verfügen über alternative Feuermodi, was taktische Tiefe hinzufügt und das Experimentieren fördert. Egal ob es die klebrigen Geschosse von Tediore sind, die man werfen kann, oder die selbstfahrenden Mini-Mechs von Dahl – hier wurde Kreativität großgeschrieben. Es ist dieses direkte, organische Gefühl beim Schießen, das Borderlands 3 über viele seiner Konkurrenten hebt.
Das Lootsystem, der zweite Pfeiler des Franchise, wurde ebenfalls verfeinert. Das Fallrate-System, bei dem immer bessere Ausrüstung droppt, wenn man höhere Schwierigkeitsgrade spielt, funktioniert hervorragend. Das Gefühl, nach einem Bosskampf eine legendäre Waffe zu finden, die perfekt zum eigenen Build passt, ist immer noch ein unbeschreiblicher Nervenkitzel. Die Einführung von Anointment-Rolls, also spezifischen Bonus-Perks auf Waffen, hat die Jagd nach dem perfekten Item auf ein neues Level gehoben und bietet auch Jahre später noch Gründe zum Grinden. Dieses System ist komplex und motivierend zugleich, auch wenn es für Neueinsteiger anfangs überwältigend wirken kann.
Die Story und ihre Charaktere: Eine gespaltene Meinung
Hier scheiden sich die Geister bis heute. Die Geschichte von Borderlands 3 dreht sich um die Calypso Twins, Troy und Tyreen, die als Influencer-ähnliche Sektenführer die Galaxis ins Chaos stürzen wollen. Im Vergleich zum ikonischen Handsome Jack aus Borderlands 2 fielen die Calypso Twins bei vielen Spielern jedoch durch. Ihre „Streamer-Bösewicht”-Persona wirkte oft erzwungen und erreichte nicht die Charisma-Dichte und den tiefgründigen Zynismus ihres Vorgängers. Zwar gab es einige gelungene Momente und unterhaltsame Side-Quests, doch die Hauptgeschichte selbst litt unter einem ungleichmäßigen Pacing und der gelegentlichen Redundanz.
Die Vault Hunter – Amara, Zane, Moze und FL4K – sind hingegen größtenteils gut gelungen und bieten eine breite Palette an Spielstilen. Ihre individuellen Skill-Trees sind komplex und ermöglichen diverse Builds, die sich wirklich unterschiedlich anfühlen. Besonders FL4K mit seinen Tierbegleitern und Zane mit seinen Gadgets stechen hervor. Die Rückkehr vieler bekannter Charaktere wie Lilith, Brick, Mordecai, Tina und Rhys war ein Fan-Service, der größtenteils gut ankam, auch wenn einige Dialoge und Charakterentwicklungen (oder deren Fehlen) kritisiert wurden. Die Nostalgie ist spürbar, aber die neuen Impulse waren nicht immer so stark, wie man es sich erhofft hatte.
Endgame und Langzeitmotivation: Wo Borderlands 3 glänzt
Einer der Bereiche, in dem Borderlands 3 wirklich glänzt und auch heute noch viele Spieler fesselt, ist das Endgame. Nach dem Abschluss der Hauptkampagne öffnet sich eine Fülle von Aktivitäten:
- Mayhem Mode: Dieses System, das nach dem Launch deutlich überarbeitet wurde, skaliert die Schwierigkeit und die Belohnungen drastisch. Mit bis zu 11 Mayhem-Stufen und zufälligen Modifikatoren pro Stufe (die glücklicherweise anpassbar wurden), bietet es eine enorme Herausforderung und einen starken Anreiz, die besten Builds zu optimieren.
- True Vault Hunter Mode (TVHM): Die traditionelle „New Game+”-Option erlaubt es, die Kampagne mit allen freigeschalteten Fähigkeiten und der bereits gesammelten Ausrüstung erneut zu spielen, aber mit stärkeren Gegnern und besseren Drops.
- Takedowns: Diese raid-ähnlichen Missionen für bis zu vier Spieler (oder sehr gut ausgerüstete Solospieler) sind herausfordernd und belohnen mit exklusiver Ausrüstung. Der Maliwan-Takedown und der Guardian-Takedown bieten einzigartige Bosskämpfe und Mechanismen.
- Proving Grounds: Zeitbasierte Arenakämpfe mit Wellen von Gegnern und einem Endboss, die sich ideal zum schnellen Farmen von Ausrüstung eignen.
- Arms Race: Ein Roguelike-Modus ohne Skill-Trees, in dem man mit minimaler Ausrüstung startet und sich durch eine Zone kämpfen muss, um Beute zu sammeln und einen Extraktionspunkt zu erreichen. Eine willkommene Abwechslung zum Hauptspiel.
Die schiere Menge an Endgame-Content, kombiniert mit dem sich ständig weiterentwickelnden Meta der Builds und Waffen, sorgt dafür, dass Borderlands 3 auch Jahre nach dem Release eine hohe Langzeitmotivation bietet. Es gibt immer neue Waffen zu finden, neue Builds auszuprobieren und höhere Mayhem-Stufen zu meistern. Die regelmäßigen, wenn auch nicht mehr so häufigen, Balance-Anpassungen halten das Spiel frisch und fordern die Spieler heraus, ihre Strategien anzupassen.
Die DLCs: Ein gemischtes, aber oft lohnenswertes Paket
Die Post-Launch-Unterstützung durch DLCs ist ein entscheidender Faktor für die Langlebigkeit eines Loot-Shooters. Borderlands 3 hat insgesamt vier Story-DLCs im ersten Season Pass erhalten, gefolgt von einem zweiten Season Pass mit weiteren Inhalten.
- Moxxi’s Heist of the Handsome Jackpot: Ein starker Auftakt, der uns in ein Casino-Raubabenteuer entführt und den Charme von Handsome Jack durch seinen KI-Abdruck gekonnt wiederbelebt.
- Guns, Love, and Tentacles: The Marriage of Wainwright & Hammerlock: Eine skurrile Horrorgeschichte mit Cthulhu-Anleihen, die sich durch ihre einzigartige Atmosphäre und einige der besten neuen Charaktere auszeichnete. Viele Fans sehen diesen DLC als einen der besten des Spiels an.
- Bounty of Blood: A Fistful of Crumpets: Ein Western-Thema mit Samurai-Flair. Gutes Gunplay, aber eine weniger einprägsame Story und neue Charaktere.
- Psycho Krieg and the Fantastic Fustercluck: Eine Reise in den Geist des Psychos Krieg, die tiefgründig und emotional war und viele Fragen zur Lore der Psychos beantwortete. Ein mutiger und gelungener Abschluss des ersten Season Pass.
Der zweite Season Pass brachte den Arms Race-Modus und die Skill Tree-Erweiterungen für jeden Vault Hunter mit sich, die jeweils eine vierte Action-Skill-Option hinzufügten und somit die Build-Vielfalt noch einmal massiv erweiterten. Diese Erweiterungen waren für viele Spieler Gold wert, da sie komplett neue Spielweisen ermöglichten und frischen Wind in das Endgame brachten. Insgesamt sind die DLCs eine Bereicherung und bieten qualitativ hochwertige Inhalte, die oft die Schwächen der Hauptkampagne ausgleichen.
Technische Aspekte und Art Design
Zum Release hatte Borderlands 3 mit einigen technischen Problemen zu kämpfen, insbesondere auf weniger leistungsstarken PCs und älteren Konsolen. Performance-Einbrüche, Abstürze und eine teils unübersichtliche Menüführung trübten das Spielerlebnis. Glücklicherweise hat Gearbox über die Jahre massiv nachgebessert. Viele Performance-Probleme wurden behoben, Ladezeiten verkürzt und die allgemeine Stabilität verbessert. Die Einführung von Crossplay war ebenfalls ein großer Schritt nach vorne und hat die Community über verschiedene Plattformen hinweg zusammengebracht.
Das Art Design ist nach wie vor eine Stärke. Der einzigartige Comic-Look mit seinen schwarzen Outlines ist ikonisch und unverwechselbar. Die neuen Planeten sind visuell abwechslungsreich und bieten tolle Schauplätze. Die Charakter- und Gegnerdesigns sind kreativ und passen perfekt zur Borderlands-Ästhetik. Auch der Soundtrack liefert gewohnt gute, genretypische Klänge, die die Atmosphäre passend untermauern.
Vergleich zur Konkurrenz und Vorgängern
Im direkten Vergleich mit seinem übermächtigen Vorgänger, Borderlands 2, fällt Borderlands 3 in puncto Story und Bösewicht oft zurück. Doch in Sachen Gunplay, mechanischer Tiefe und Endgame-Vielfalt übertrifft es seinen Vorgänger an vielen Stellen. Die schiere Menge an Ausrüstungsoptionen, die Komplexität der Skill-Trees mit ihren alternativen Action-Skills und die vielen Endgame-Aktivitäten machen es zu einem äußerst reichhaltigen Paket.
Gegenüber anderen Loot-Shootern wie Destiny 2 oder The Division 2 behauptet sich Borderlands 3 durch seinen einzigartigen Humor, seinen Fokus auf PvE und sein kompromissloses Waffensammel-Motto. Es bietet ein weniger servicebasiertes Modell als viele Konkurrenten und konzentriert sich auf eine umfassende Einzelspieler- und Koop-Erfahrung ohne PvP-Zwang.
Fazit: Ist Borderlands 3 heute wirklich gut?
Jahre nach dem Hype lässt sich festhalten: Borderlands 3 ist heute ein exzellenter Loot-Shooter und ein würdiger, wenn auch nicht perfekter, Nachfolger. Es hat die Kernmechaniken der Serie – das befriedigende Gunplay und die Sucht nach Loot – auf ein neues Niveau gehoben. Die initialen Schwächen in der Story-Präsentation und bei der Performance wurden durch umfangreiche Updates und herausragende DLCs größtenteils ausgemildert.
Wer über die etwas schwächere Hauptgeschichte hinwegsehen kann und sich voll und ganz dem Grind nach der perfekten Ausrüstung und dem Experimentieren mit unzähligen Builds hingeben möchte, wird mit Borderlands 3 heute eine fantastische Zeit erleben. Das Endgame ist robust und motivierend, die Build-Vielfalt ist gigantisch, und das Gefühl, einen Raum voller Gegner mit einer verrückten Waffe zu säubern, ist nach wie vor unübertroffen. Es mag nicht die unangefochtene Story-Krone von Borderlands 2 tragen, aber in fast allen anderen relevanten Aspekten hat Gearbox ein Spiel abgeliefert, das auch Jahre nach seinem Erscheinen noch vollends überzeugen kann. Es ist nicht nur gut, es ist verdammt gut – besonders für Fans des Genres.