Die digitale Transformation schreitet unaufhaltsam voran. Was für die einen eine Fülle neuer Möglichkeiten und Vereinfachungen birgt, stellt für andere eine zunehmende Hürde dar. Bankgeschäfte, Behördengänge, Arzttermine, ja selbst soziale Kontakte – all dies verlagert sich immer stärker ins Digitale. Doch was passiert mit jenen, die sich in dieser virtuellen Welt noch unsicher oder gar überfordert fühlen? Die Rede ist vom sogenannten „DAU” – dem „Dümmsten Anzunehmenden User“. Ein Begriff, der oft schmunzelnd, manchmal aber auch abfällig verwendet wird, doch im Kern eine wichtige Gruppe von Menschen beschreibt, die dringend Unterstützung benötigen. Hier verbirgt sich eine immense, bisher kaum erschlossene Marktlücke, und die Volkshochschule (VHS) könnte der ideale Ort sein, um sie zu füllen.
**Der „DAU“: Wer ist das eigentlich?**
Zunächst sei klargestellt: Der Begriff „DAU“ ist missverständlich und sollte nicht abwertend verstanden werden. Er bezeichnet nicht intellektuelle Defizite, sondern schlichtweg einen Mangel an digitalen Kompetenzen und Erfahrungen. Dies betrifft keineswegs nur Senioren, auch wenn diese Altersgruppe häufig im Fokus steht. Ein „DAU“ kann auch die 40-jährige Bürokauffrau sein, die seit Jahren dieselbe Software nutzt und mit ihrem neuen Smartphone überfordert ist, oder der handwerklich begabte Selbstständige, der seine Buchhaltung noch mit Stift und Papier erledigt, weil Online-Portale für ihn ein Buch mit sieben Siegeln sind.
Ihre gemeinsamen Merkmale sind oft:
* **Hemmungen und Ängste:** Die Furcht, etwas falsch zu machen, etwas zu zerstören oder sich bloßzustellen.
* **Wissenslücken:** Fehlen grundlegender Konzepte wie „Cloud”, „Passwortsicherheit” oder „App”.
* **Mangelnde Praxiserfahrung:** Wenig bis keine Übung im Umgang mit modernen Geräten und Software.
* **Isolierung:** Gefühl, vom digitalen Leben abgehängt zu werden.
* **Konkrete Probleme:** Unfähigkeit, Online-Formulare auszufüllen, Videoanrufe zu tätigen, Fotos zu versenden oder Smart-TVs zu bedienen.
Für diese Menschen sind herkömmliche Computerkurse an der VHS oft ungeeignet. Sie sind entweder zu schnell, setzen zu viel Grundwissen voraus oder behandeln Themen, die für den „DAU“ nicht relevant genug sind. Was sie brauchen, ist etwas anderes: Nachhilfe.
**Warum die Volkshochschule der ideale Ort für digitale Nachhilfe ist**
Die VHS genießt in der Bevölkerung ein hohes Ansehen als vertrauenswürdige Bildungseinrichtung. Sie ist lokal verankert, leicht zugänglich und bietet bereits heute ein breites Spektrum an Kursen an. Doch die Rolle der VHS könnte und sollte weit über das traditionelle Kursangebot hinausgehen, insbesondere im Bereich der Digitalisierung.
1. **Niederschwelligkeit und Vertrautheit:** Die VHS ist für viele eine bekannte Anlaufstelle. Die Atmosphäre ist oft weniger formal als in privaten Bildungseinrichtungen, was Ängste abbauen kann.
2. **Lokale Präsenz:** In fast jeder größeren Stadt und vielen Gemeinden gibt es eine VHS. Das macht sie für die Zielgruppe gut erreichbar.
3. **Bestehende Infrastruktur:** Viele Volkshochschulen verfügen bereits über Computerräume, Internetzugang und eine grundlegende technische Ausstattung.
4. **Flexibilität im Angebot:** Die VHS ist in der Lage, schnell auf gesellschaftliche Bedürfnisse zu reagieren und neue, spezifische Angebote zu entwickeln.
5. **Zielgruppenerfahrung:** Obwohl die speziellen Bedürfnisse des „DAU” noch nicht optimal bedient werden, hat die VHS Erfahrung im Umgang mit heterogenen Lerngruppen und dem Vermitteln von Grundkenntnissen.
**Das Konzept der „Digitalen Nachhilfe“ an der VHS**
Digitale Nachhilfe unterscheidet sich wesentlich von klassischen Computerkursen. Es geht nicht darum, in 10 Wochen eine Einführung in Excel zu geben. Es geht um konkrete Problemlösung, um Hilfestellung im Alltag und um den Abbau individueller Hürden.
Dabei sind folgende Aspekte entscheidend:
* **Individuelle oder Kleingruppen-Betreuung:** Die klassische Kursgröße ist hier kontraproduktiv. Ideal wären Einzelstunden oder sehr kleine Gruppen von maximal drei bis vier Personen, die ähnliche Problemstellungen haben.
* **Problemorientierter Ansatz:** Die Nachhilfe beginnt nicht mit der Software, sondern mit dem Problem des Nutzers. Beispiele: „Ich möchte mit meinem Enkel per Video telefonieren können“, „Ich muss meine Steuererklärung online machen, aber weiß nicht wie“, „Ich möchte E-Mails sicher versenden und empfangen“, „Mein Smart-TV ist zu kompliziert“.
* **Geduld und Empathie:** Die Lehrenden müssen über ein hohes Maß an Geduld und Einfühlungsvermögen verfügen. Sie müssen in der Lage sein, technische Sachverhalte einfach und verständlich zu erklären, ohne zu bevormunden oder zu unterfordern.
* **Praktische Übungen am eigenen Gerät:** Ideal ist es, wenn die Teilnehmer ihre eigenen Geräte (Smartphone, Tablet, Laptop) mitbringen können. So lernen sie direkt an dem, was sie zu Hause nutzen.
* **Modulare und flexible Buchung:** Anstatt fester Kurse könnten „Sprechstunden” oder „Themen-Workshops” zu spezifischen Fragen angeboten werden, die flexibel gebucht werden können.
**Eine ungenutzte Marktlücke mit enormem Potenzial**
Der Bedarf an dieser Art von Unterstützung ist gewaltig und wächst exponentiell. Mit zunehmender Digitalisierung aller Lebensbereiche steigt der Druck auf die Bevölkerung, digital kompetent zu sein.
* **Demografischer Wandel:** Eine immer älter werdende Gesellschaft, die den Umgang mit digitalen Technologien oft nicht in der Schule gelernt hat.
* **Technologischer Fortschritt:** Ständig neue Geräte, Apps und Online-Dienste erfordern kontinuierliches lebenslanges Lernen.
* **Obligatorische Digitalisierung:** Online-Banking, digitale Bürgerdienste, Telemedizin – vieles wird zur Norm und für Menschen ohne digitale Kompetenzen zum Ausschlusskriterium.
Das bedeutet, es gibt eine riesige Zielgruppe, die bereit ist, für diese Art von individueller Hilfe zu zahlen. Die VHS könnte hier ein attraktives Preismodell anbieten, das sowohl für die Teilnehmer erschwinglich ist als auch für die VHS selbst eine neue Einnahmequelle generiert. Denkbar wären Staffelpreise für Einzelstunden, vergünstigte 5er-Karten oder themenbezogene Mini-Workshops.
**Vorteile für alle Beteiligten**
**Für den „DAU“:**
* **Empowerment:** Die Fähigkeit, digitale Herausforderungen selbstständig zu meistern, stärkt das Selbstvertrauen und die Unabhängigkeit.
* **Teilhabe:** Ermöglicht die Teilnahme am digitalen und damit auch am gesellschaftlichen Leben. Keine Isolation mehr.
* **Effizienz im Alltag:** Online-Banking ohne Umweg zur Bank, schnelle Kommunikation mit Familie und Freunden, einfacher Zugang zu Informationen und Diensten.
* **Weniger Frustration:** Der Umgang mit Technik wird nicht mehr als Belastung, sondern als Erleichterung empfunden.
**Für die Volkshochschule:**
* **Neue Einnahmequelle:** Ein attraktives Geschäftsmodell, das über die reinen Kursgebühren hinausgeht.
* **Erhöhte Relevanz:** Die VHS positioniert sich als unverzichtbare Anlaufstelle für digitale Kompetenzen im lokalen Umfeld und erfüllt ihren Bildungsauftrag in einem hochaktuellen Bereich.
* **Attraktion neuer Zielgruppen:** Menschen, die bisher keinen Zugang zur VHS gefunden haben, werden durch dieses spezifische Angebot angesprochen.
* **Stärkung des öffentlichen Auftrags:** Die VHS leistet einen wichtigen Beitrag zur digitalen Inklusion und zur Überwindung der digitalen Spaltung in der Gesellschaft.
* **Imagegewinn:** Die VHS wird als modern, bürgernah und zukunftsorientiert wahrgenommen.
**Herausforderungen und Lösungsansätze**
Jede neue Geschäftsidee birgt Herausforderungen, doch diese sind mit strategischer Planung zu bewältigen:
1. **Personalakquise:** Benötigt werden nicht nur IT-Experten, sondern vor allem Menschen mit didaktischen Fähigkeiten, viel Geduld, Empathie und der Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach zu erklären. Hier könnten auch technisch versierte Ruheständler oder Studierende eine wertvolle Ressource sein, die eine sinnvolle Nebentätigkeit suchen.
2. **Marketing und Kommunikation:** Wie erreicht man die Zielgruppe, die oft nicht digital vernetzt ist?
* **Analoge Kanäle:** Plakate in Supermärkten, Apotheken, Ärztehäusern, Gemeindezentren. Flyer in der lokalen Bibliothek. Mundpropaganda über soziale Einrichtungen und Vereine.
* **Einfache Sprache:** Werbematerialien müssen leicht verständlich sein und die Ängste der Zielgruppe ansprechen, nicht technische Details. Betonung der Vorteile im Alltag.
* **Referenzen und Erfolgsgeschichten:** Positive Erfahrungen anderer Teilnehmer können die größten Hemmschwellen abbauen.
3. **Technische Ausstattung:** Nicht jede VHS hat die modernste Ausstattung. Es muss sichergestellt werden, dass gängige Geräte und Software für Demonstrationszwecke und Übungen zur Verfügung stehen. Das Konzept des „Bring Your Own Device” kann hier helfen.
4. **Preisgestaltung:** Die Preise müssen attraktiv und fair sein, um die Zielgruppe nicht abzuschrecken, aber gleichzeitig die Kosten decken und einen Gewinn ermöglichen. Sozial gestaffelte Preise oder Kooperationen mit Sozialverbänden könnten denkbar sein.
5. **Qualitätssicherung:** Regelmäßige Schulungen der Lehrenden und Feedback von den Teilnehmern sind unerlässlich, um die Qualität des Angebots langfristig zu gewährleisten.
**Erfolgsfaktoren für die Digitale Nachhilfe an der VHS**
* **Personalisierung:** Jede Nachhilfestunde muss auf die individuellen Bedürfnisse des Teilnehmers zugeschnitten sein.
* **Konkreter Nutzen:** Der Lernerfolg muss unmittelbar im Alltag sichtbar und spürbar sein.
* **Vertrauensaufbau:** Eine freundliche, unterstützende und nicht wertende Atmosphäre ist essenziell.
* **Kleine Erfolge feiern:** Jeden noch so kleinen Lernschritt wertschätzen und motivieren.
* **Nachhaltigkeit:** Aufzeigen, wie das Gelernte angewendet und vertieft werden kann.
**Fazit: Eine Win-Win-Situation mit Weitblick**
Die Idee der digitalen Nachhilfe für den „DAU” an der Volkshochschule ist mehr als nur eine nette Ergänzung des Kursangebots. Sie ist eine strategische Chance, eine immense Marktlücke zu schließen und gleichzeitig einen entscheidenden Beitrag zur digitalen Inklusion in unserer Gesellschaft zu leisten. Es ist eine Win-Win-Situation: Die Teilnehmer gewinnen an Selbstständigkeit und Lebensqualität, die VHS gewinnt an Relevanz, Einnahmen und Ansehen.
Es ist an der Zeit, das Potenzial der Volkshochschulen als primäre Anlaufstelle für bürgernahe Medienkompetenz zu erkennen und diese geniale Geschäftsidee mutig in die Tat umzusetzen. Wer weiß, vielleicht ist der „DAU” von heute der digital versierte Bürger von morgen – dank der individuellen Unterstützung seiner VHS.