Der Moment, wenn das Abschlusszeugnis in den Händen liegt und die Blicke auf die ungeliebten „5en“ fallen, ist für viele Schulabgänger ein Schock. Sofort kreisen die Gedanken: Ist das der Todesstoß für meinen Traum von der Ausbildung? Werde ich überhaupt noch eine Chance auf dem Arbeitsmarkt haben? Die Angst, dass schlechte Noten auf dem Abschlusszeugnis die Tür zu einer erfolgreichen beruflichen Zukunft für immer verschließen, ist weit verbreitet und verständlich. Doch ist diese Sorge wirklich begründet, oder gibt es mehr Nuancen, als es auf den ersten Blick scheint?
Dieser Artikel taucht tief in die Welt der Ausbildungsplatzsuche ein und beleuchtet die Frage, ob zwei „Ungenügend“ (die deutsche Note 5) auf dem Zeugnis tatsächlich die Bereitschaft der Firmen, Azubis einzustellen, drastisch sinken lässt. Wir werden die Perspektive der Unternehmen beleuchten, alternative Wege aufzeigen und wertvolle Tipps geben, wie man auch mit Noten, die nicht ideal sind, den gewünschten Ausbildungsplatz bekommen kann.
Der erste Schock und die große Frage: Sind 5en das Aus?
Zunächst einmal: Ja, Noten spielen eine Rolle. Sie sind für viele Unternehmen ein erster Filter im Auswahlprozess. Eine „5“ im Zeugnis – insbesondere in Kernfächern wie Mathematik, Deutsch oder Englisch, je nach angestrebtem Beruf – kann auf den ersten Blick abschreckend wirken. Sie suggeriert Wissenslücken oder mangelnde Leistungsbereitschaft. Doch hier beginnt die Differenzierung: Eine Note ist nur eine Momentaufnahme und spiegelt nicht die gesamte Persönlichkeit, die tatsächliche Begabung oder das Potenzial eines Menschen wider. Die pauschale Annahme, dass eine schlechte Note automatisch zu einer schlechten Ausbildung führt, ist schlichtweg falsch.
Es ist entscheidend zu verstehen, dass Unternehmen heute mehr denn je ganzheitlich auf Bewerber schauen. Besonders in Zeiten des Fachkräftemangels sind sie gezwungen, umzudenken und ihren Fokus zu erweitern. Das bedeutet: Noten sind ein Faktor, aber bei weitem nicht der einzige und oft nicht der entscheidende.
Was Unternehmen wirklich suchen: Jenseits von Zensuren
Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Unternehmen, das einen neuen Azubi sucht. Würden Sie wirklich nur auf die Noten schauen und alle Bewerber mit einer 5 sofort aussortieren? Oder würden Sie nicht auch wissen wollen, was der Mensch hinter dem Zeugnis ist? Viele Arbeitgeber haben längst erkannt, dass neben fachlichem Wissen vor allem andere Qualitäten für den Erfolg in der Ausbildung und im späteren Berufsleben entscheidend sind:
- Motivation und Lernbereitschaft: Der wichtigste Faktor! Ist der Bewerber bereit, sich ins Zeug zu legen, Neues zu lernen und sich weiterzuentwickeln? Jemand mit durchschnittlichen Noten, aber einer hohen Motivation, kann einen „Einser-Schüler” ohne Elan bei Weitem übertreffen.
- Soft Skills: Diese Fähigkeiten sind Gold wert. Dazu gehören Teamfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit, Zuverlässigkeit, Eigeninitiative, Pünktlichkeit, Kritikfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Unternehmen suchen Menschen, die gut ins Team passen und sich in den Arbeitsalltag integrieren können. Eine 5 in Englisch sagt nichts darüber aus, ob jemand teamfähig oder zuverlässig ist.
- Praktische Erfahrungen: Haben Sie bereits ein Praktikum in dem Bereich absolviert? Oder haben Sie vielleicht in Ihrer Freizeit an Projekten gearbeitet, die Relevanz für den gewünschten Ausbildungsberuf haben? Praktische Erfahrungen zeigen nicht nur echtes Interesse, sondern auch, dass Sie bereit sind, praktische Fähigkeiten zu erwerben und sich in der Arbeitswelt zu orientieren. Sie überbrücken oft Notenlücken.
- Persönlichkeit und Authentizität: Unternehmen möchten Menschen kennenlernen. Wer im Vorstellungsgespräch authentisch auftritt, seine Stärken und Schwächen kennt und einen klaren Willen zeigt, kann auch mit einer „Problem-Note” überzeugen.
Gerade in handwerklichen Berufen oder Berufen mit hohem Kundenkontakt sind praktische Fähigkeiten und soziale Kompetenzen oft wichtiger als theoretisches Wissen, das in der Schule vermittelt wird. Hier zählt mehr das handwerkliche Geschick, das Verständnis für technische Zusammenhänge oder die Freude am Umgang mit Menschen.
Die Perspektive der Unternehmen: Klein vs. Groß, Handwerk vs. Büro
Die Art des Unternehmens spielt ebenfalls eine große Rolle, wenn es um die Bewertung von Noten geht:
- Kleine und mittlere Unternehmen (KMU): Diese Betriebe sind oft flexibler und persönlicher in ihrem Auswahlprozess. Sie kennen ihre Bewerber in der Regel schneller persönlich und legen großen Wert auf den menschlichen Faktor. Für sie ist oft wichtiger, ob der Bewerber zum Team und zur Unternehmenskultur passt und ob er lernwillig ist. Sie haben weniger standardisierte HR-Prozesse und sind eher bereit, eine zweite Chance zu geben, wenn das Potenzial erkennbar ist. Sie suchen oft händeringend nach Auszubildenden und sind daher offener.
- Großunternehmen: Größere Firmen haben oft striktere Auswahlverfahren und nutzen teilweise auch automatisierte Filter, die Bewerbungen mit bestimmten Noten unter einem Schwellenwert aussortieren könnten. Das liegt oft an der schieren Masse an Bewerbungen. Doch auch hier findet ein Umdenken statt. Viele große Konzerne haben erkannt, dass sie mit einer zu starren Notenfixierung Talente übersehen. Sie setzen zunehmend auf Assessment Center und persönliche Gespräche, um ein umfassenderes Bild zu erhalten.
- Branchenspezifische Unterschiede: Eine 5 in Mathematik ist für einen angehenden Bankkaufmann sicherlich kritischer als für einen Floristen. Eine 5 in Deutsch kann für einen angehenden Journalist problematisch sein, für einen Mechatroniker aber weniger. Es kommt immer darauf an, welche Fächer für den angestrebten Beruf wirklich relevant sind. Eine 5 in Sport oder Kunst wird in den meisten Ausbildungsberufen keine Rolle spielen.
Es ist daher ratsam, sich nicht nur auf die großen Namen zu konzentrieren, sondern auch gezielt kleinere und mittlere Unternehmen in den Blick zu nehmen. Dort sind die Chancen oft größer, dass Persönlichkeit und Engagement mehr zählen als der reine Notenschnitt.
Die „5” erklären: Wie man Schwächen in Stärken umwandelt (oder zumindest relativiert)
Wenn Sie eine oder zwei Fünfen auf dem Zeugnis haben, ist es entscheidend, wie Sie damit umgehen. Verstecken oder schönreden ist der falsche Weg. Stattdessen sollten Sie eine proaktive Strategie verfolgen:
- Ehrlichkeit und Selbstreflexion: Stehen Sie zu Ihren Noten, aber erklären Sie sie. Gab es private Probleme, die Ihre schulische Leistung beeinträchtigt haben? Fehlte Ihnen die Motivation für *dieses eine* Fach, aber nicht für die Arbeit an sich? Haben Sie zu spät erkannt, wie wichtig die Schule ist? Wichtig ist, dass Sie daraus gelernt haben.
- Verbesserungswillen zeigen: Was haben Sie unternommen oder was wollen Sie unternehmen, um die Lücken zu schließen? Haben Sie Nachhilfe genommen? Online-Kurse belegt? Oder sind Sie bereit, im Betrieb zusätzliche Schulungen zu besuchen, um sich fehlendes Wissen anzueignen? Zeigen Sie, dass Sie aus Fehlern lernen und bereit sind, sich anzustrengen.
- Alternative Nachweise: Können Sie andere Qualifikationen vorweisen, die Ihre Schwäche in diesem Fach relativieren? Wenn Sie eine 5 in Englisch haben, aber in Ihrer Freizeit regelmäßig englische Bücher lesen oder Serien schauen und somit gute Grundkenntnisse besitzen, erwähnen Sie das! Haben Sie ein Zertifikat für einen Computerkurs, obwohl Sie eine 5 in Informatik haben? Auch das zählt.
Die Bewerbung ist Ihre erste Visitenkarte. Nutzen Sie das Anschreiben und das Vorstellungsgespräch, um Ihre Situation zu erläutern und Ihre Stärken hervorzuheben. Formulieren Sie positiv: „Obwohl meine Note in Mathematik nicht optimal ist, bin ich bereit und motiviert, diese Lücken durch Fleiß und zusätzliche Anstrengung im Rahmen der Ausbildung zu schließen. Mein Interesse am Handwerk XY ist jedoch ungebrochen, wie ich durch mein Praktikum bei ZXY unter Beweis stellen konnte.“
Der Fachkräftemangel als Game-Changer: Unternehmen denken um
Einer der größten positiven Faktoren für Bewerber mit nicht perfekten Noten ist der aktuelle und sich verschärfende Fachkräftemangel in vielen Branchen. Unternehmen suchen händeringend nach qualifiziertem Nachwuchs. Das bedeutet:
- Sinkende Anforderungen: Manche Betriebe senken bewusst ihre Notenanforderungen, um mehr Bewerber anzusprechen.
- Fokus auf Potenzial: Anstatt nur auf das bereits Vorhandene zu schauen, suchen sie nach Potential. Sie sind bereit, in die Ausbildung zu investieren und Lücken zu schließen, wenn sie sehen, dass der Bewerber motiviert und lernwillig ist.
- Zweite Chancen: Viele Unternehmen sind offener dafür, auch Bewerbern mit „Ecken und Kanten” eine zweite Chance zu geben, da sie wissen, dass perfekte Schüler selten sind und nicht immer die besten Mitarbeiter werden.
- Einstiegsqualifizierung (EQ): Dies ist eine tolle Brücke! Die EQ ist ein Langzeitpraktikum von 6 bis 12 Monaten, das oft als Vorbereitung auf eine Ausbildung dient. Hier können Sie zeigen, was Sie draufhaben, und den Betrieb von Ihrer Motivation überzeugen. Viele Unternehmen übernehmen EQ-Absolventen direkt in die Ausbildung, unabhängig von ihren Schulnoten.
Nutzen Sie diese Situation zu Ihrem Vorteil! Zeigen Sie den Unternehmen, dass Sie die Lösung für ihr Problem sind – ein motivierter, engagierter Auszubildender, der zwar nicht die besten Noten hat, aber bereit ist, hart zu arbeiten und sich voll einzubringen.
Konkrete Tipps für Bewerber mit „Problemnoten”
- Recherche ist alles: Finden Sie heraus, welche Unternehmen in Ihrer Wunschbranche möglicherweise offener für Bewerber mit nicht perfekten Noten sind. Oft sind das kleinere Betriebe oder solche, die aktiv um Azubis werben.
- Das Anschreiben: Ihre Bühne! Nutzen Sie die Möglichkeit, Ihre Persönlichkeit und Ihre Motivation zu zeigen. Erklären Sie kurz und prägnant, warum Ihre Noten in bestimmten Fächern schwächer sind, und stellen Sie sofort Ihre Stärken und Ihr Engagement für den gewünschten Beruf heraus.
- Praktika, Praktika, Praktika: Dies ist Ihr Ass im Ärmel! Absolvieren Sie so viele Praktika wie möglich im gewünschten Berufsfeld. Sie sammeln nicht nur wertvolle Erfahrungen, sondern können auch den Betrieb von Ihrer Arbeitsmoral, Zuverlässigkeit und Ihrem Talent überzeugen. Oft führt ein gelungenes Praktikum direkt zu einem Ausbildungsplatz, weil die Noten dann zweitrangig werden.
- Initiativbewerbungen: Warten Sie nicht auf ausgeschriebene Stellen. Bewerben Sie sich proaktiv bei Unternehmen, die Sie interessieren. Dies zeigt Eigeninitiative und Engagement.
- Netzwerken: Sprechen Sie mit Handwerkern, Freunden, Familie. Oft ergeben sich über persönliche Kontakte und Empfehlungen die besten Chancen.
- Seien Sie ehrlich und selbstbewusst im Vorstellungsgespräch: Wenn die Noten zur Sprache kommen, bleiben Sie ruhig. Erklären Sie Ihre Situation, ohne Ausreden zu suchen. Betonen Sie, was Sie daraus gelernt haben und wie motiviert Sie sind, sich in der Ausbildung zu beweisen. Zeigen Sie Begeisterung für den Beruf und das Unternehmen.
- Alternative Wege in Betracht ziehen: Wenn es mit der direkten Ausbildung nicht klappt, denken Sie über eine Einstiegsqualifizierung (EQ), ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder ein Freiwilliges Ökologisches Jahr (FÖJ) nach. Diese Programme bieten Ihnen die Möglichkeit, praktische Erfahrungen zu sammeln, Reife zu zeigen und sich für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren.
Fazit: Eine „5” ist kein Todesurteil – aber eine Herausforderung
Die pauschale Antwort auf die Frage, ob zwei 5en auf dem Abschlusszeugnis die Bereitschaft der Firmen zur Einstellung drastisch sinken lässt, ist ein klares: Jein. Es ist eine Hürde, keine Frage. Aber es ist kein Ausschlusskriterium, das alle Türen verschließt. Es bedeutet lediglich, dass Sie sich möglicherweise mehr anstrengen müssen, um zu beweisen, dass Sie mehr sind als nur Ihre Noten.
Unternehmen suchen heute nicht nur nach den besten Schulabgängern, sondern nach den am besten geeigneten und motiviertesten Persönlichkeiten. Zeigen Sie Lernbereitschaft, bringen Sie Soft Skills mit, sammeln Sie Praktika und treten Sie im Vorstellungsgespräch selbstbewusst auf. Der aktuelle Arbeitsmarkt bietet Ihnen Chancen, die es vielleicht vor einigen Jahren noch nicht gab.
Lassen Sie sich von ein paar schlechten Noten nicht entmutigen. Nehmen Sie die Herausforderung an, nutzen Sie die genannten Tipps und gehen Sie Ihren Weg. Ihr Potenzial und Ihre Motivation sind oft die wahren Schlüssel zum Erfolg – und die lassen sich nicht in Schulnoten fassen.