Der Traum vom Dienst an der Gesellschaft, von Recht und Ordnung, von der Arbeit im Einsatz für die Sicherheit der Bürger – für viele junge Menschen in Deutschland führt kein Weg am Beruf des Polizeibeamten vorbei. Doch der Weg zur Polizeiausbildung ist anspruchsvoll und die Bewerberzahlen sind hoch. Angesichts dieser Herausforderung suchen einige Interessierte nach einem Wettbewerbsvorteil, einer Erfahrung, die sie von der Masse abhebt. Hier kommt eine häufig diskutierte Option ins Spiel: der Dienst bei der Bundeswehr als strategischer Umweg. Doch ist dieser vermeintliche „Umweg” tatsächlich ein ideales Sprungbrett, oder birgt er auch Risiken? Dieser Artikel beleuchtet die Facetten dieser Entscheidung detailliert.
### Warum die Bundeswehr als Sprungbrett? Die Argumente PRO
Der Dienst in den Streitkräften kann eine Fülle von Erfahrungen und Fähigkeiten vermitteln, die für den Polizeiberuf von unschätzbarem Wert sein können.
**1. Disziplin und Struktur:**
Die Bundeswehr ist eine Organisation, die auf strengen Hierarchien, klaren Befehlsketten und einer ausgeprägten Disziplin basiert. Rekruten lernen vom ersten Tag an, sich in ein System einzuordnen, Regeln zu befolgen und Verpflichtungen ernst zu nehmen. Pünktlichkeit, Ordnung, Gehorsam und die Fähigkeit, unter Anleitung zu agieren, werden fest verankert. Diese Eigenschaften sind fundamental für den Polizeidienst, wo das Einhalten von Vorschriften, das Befolgen von Anweisungen und eine strukturierte Arbeitsweise unerlässlich sind. Wer bei der Bundeswehr gelernt hat, morgens um 05:00 Uhr aufzustehen und den Tagesablauf präzise einzuhalten, wird sich im Frühdienst der Polizei kaum überfordert fühlen.
**2. Physische und psychische Belastbarkeit:**
Der Militärdienst fordert Körper und Geist gleichermaßen. Lange Märsche, anstrengende Übungen, Schlafentzug, das Ertragen von Widrigkeiten im Gelände und das Treffen von Entscheidungen unter Stress gehören zum Alltag. Soldaten lernen, ihre Grenzen zu erkennen und zu erweitern, mit Druck umzugehen und auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Diese erworbene Belastbarkeit, sowohl körperlich als auch mental, ist eine Kernkompetenz für angehende Polizisten. Sie müssen im Dienst oft Extremsituationen bewältigen, sei es bei der Verfolgung von Straftätern, der Bewältigung von Katastrophen oder der Deeskalation von Konflikten. Die Ausbildung bei der Bundeswehr kann hier eine hervorragende Vorbereitung sein.
**3. Teamfähigkeit und Führungserfahrung:**
In der Bundeswehr ist man Teil einer Gemeinschaft, einer Kameradschaft, in der man sich aufeinander verlassen muss. Das Erlernen von Teamfähigkeit, gegenseitiger Unterstützung und Vertrauen ist dabei von entscheidender Bedeutung. Übungen und Einsätze können nur erfolgreich gemeistert werden, wenn jeder seinen Teil beiträgt und sich auf seine Kameraden verlassen kann. Darüber hinaus bietet die Bundeswehr Möglichkeiten zur Übernahme von Verantwortung und zur Entwicklung von Führungserfahrung, zum Beispiel als Gruppenführer oder Zugführer. Die Fähigkeit, Teams zu führen, zu motivieren und Entscheidungen zu treffen, ist auch im Polizeidienst – sei es in der Streife, bei Großeinsätzen oder in Spezialkommandos – von großer Relevanz.
**4. Erste-Hilfe- und Spezialkenntnisse:**
Jeder Soldat erhält eine umfassende Ausbildung in Erster Hilfe, die oft über das zivile Niveau hinausgeht (z.B. Combat First Responder). Diese Kenntnisse können im Polizeidienst Leben retten. Zudem werden in der Bundeswehr oft Führerscheine für verschiedene Fahrzeugklassen erworben (z.B. LKW, Busse), die auch im zivilen Leben nützlich sind und im Polizeidienst von Vorteil sein können. Je nach Verwendung können auch spezialisierte Kenntnisse, etwa im Bereich Kommunikationstechnik, Logistik oder Personenschutz, erworben werden, die in speziellen Polizeieinheiten gefragt sind. Der verantwortungsvolle Umgang mit Ausrüstung und Waffen, unter strengen Sicherheitsauflagen, ist ebenfalls eine Erfahrung, die wertvolle Einsichten vermittelt.
**5. Berufliche Orientierung und persönliche Reife:**
Einige Jahre im Dienst der Bundeswehr können eine wertvolle Zeit der Selbstfindung sein. Abseits des Schulalltags und familiärer Strukturen lernen junge Menschen, auf eigenen Beinen zu stehen, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Diese Phase trägt maßgeblich zur Entwicklung von persönlicher Reife bei. Wer nach dem Abitur noch unsicher ist, ob der Polizeiberuf wirklich das Richtige ist, kann die Zeit bei der Bundeswehr nutzen, um sich beruflich zu orientieren und Klarheit über seine Zukunftswünsche zu gewinnen. Diese gewonnene Reife ist ein großer Pluspunkt im späteren Bewerbungsverfahren bei der Polizei.
**6. Finanzielle Aspekte und Vorteile:**
Während des Dienstes bei der Bundeswehr erhält man ein regelmäßiges Einkommen, das es ermöglicht, finanzielle Rücklagen zu bilden. Dies kann eine große Erleichterung sein, wenn man anschließend eine Ausbildung oder ein Studium bei der Polizei beginnt, da man weniger auf Nebenjobs angewiesen ist und sich voll auf die Ausbildung konzentrieren kann. Für Soldaten auf Zeit (SaZ) gibt es zudem nach Dienstzeitende den Berufsförderungsdienst (BFD), der finanzielle Unterstützung für Weiterbildungsmaßnahmen und Umschulungen anbietet. Diese staatliche Förderung kann einen erheblichen Beitrag zur Vorbereitung auf den Polizeidienst leisten.
**7. Pluspunkte im Bewerbungsverfahren:**
Viele Polizeibehörden sehen den Dienst bei der Bundeswehr als einen klaren Vorteil im Bewerbungsprozess. Die bereits erwähnten Kompetenzen wie Disziplin, Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Reife werden von den Auswahlkommissionen hoch bewertet. Sie signalisieren, dass der Bewerber bereits bewiesen hat, dass er sich in eine strenge Organisation einfügen kann und über die notwendigen Grundvoraussetzungen für einen fordernden Dienst verfügt. Der Lebenslauf eines ehemaligen Soldaten kann somit die Chancen erheblich steigern, die begehrte Zusage für die Polizeiausbildung zu erhalten.
### Die andere Seite der Medaille: Potenziale Nachteile und Überlegungen
So verlockend die Vorteile auch klingen mögen, der Dienst bei der Bundeswehr ist kein Garant für den späteren Erfolg bei der Polizei und birgt auch einige Nachteile, die bedacht werden sollten.
**1. „Verlorene Zeit”? Die Opportunitätskosten:**
Einige Kritiker argumentieren, dass die Jahre bei der Bundeswehr „verlorene Zeit” sein könnten, die man auch direkt in die Polizeiausbildung hätte investieren können. Die Polizeikarriere beginnt in der Regel mit der Ausbildung bzw. dem Studium und führt dann schrittweise zu höheren Dienstgraden und Pensionsansprüchen. Jedes Jahr, das man bei der Bundeswehr verbringt, ist ein Jahr, das man nicht im aktiven Polizeidienst verbracht hat. Dies kann sich auf die Dienstzeit, Beförderungschancen und letztendlich auf die Pensionshöhe auswirken. Es ist eine Abwägung zwischen der Beschleunigung des direkten Weges und der Bereicherung durch einen Umweg.
**2. Psychologische Auswirkungen und unterschiedliche Denkweisen:**
Militär und Polizei sind zwar beides Sicherheitsorganisationen, verfolgen aber unterschiedliche Aufträge und Funktionsweisen. Während die Bundeswehr auf Verteidigung, Gefecht und Durchsetzung von Zielen – auch mit militärischen Mitteln – ausgerichtet ist, steht bei der Polizei die innere Sicherheit, der Dienst am Bürger, die Deeskalation von Konflikten und die Durchsetzung von Recht und Gesetz *im Inland* im Vordergrund. Die Ausbildung bei der Bundeswehr kann eine bestimmte Denkweise prägen, die unter Umständen nicht immer direkt mit den Anforderungen des Polizeidienstes übereinstimmt. Eine stark auf Befehl und Gehorsam fixierte Haltung oder eine auf potenzielle Bedrohung fokussierte Sichtweise muss gegebenenfalls im Polizeidienst neu kalibriert werden, um den bürgernahen und rechtsstaatlichen Anforderungen gerecht zu werden.
**3. Spezifische Qualifikationen und Übertragbarkeit:**
Nicht alle militärischen Spezialisierungen sind direkt auf den Polizeidienst übertragbar. Ein Kampfpanzerfahrer wird seine spezifischen Fähigkeiten kaum im Streifendienst einsetzen können. Auch wenn grundlegende Fähigkeiten wie Disziplin und Teamfähigkeit universell sind, sind spezifisches taktisches Wissen oder der Umgang mit militärischen Waffensystemen nicht immer relevant für den Alltag eines Polizeibeamten. Es ist wichtig zu erkennen, welche Aspekte des Bundeswehrdienstes wirklich einen Mehrwert bieten und welche nicht.
**4. Anpassungsschwierigkeiten beim Wiedereinstieg:**
Nach einer längeren Zeit in einem stark reglementierten militärischen Umfeld kann der Übergang zurück in das zivile Leben oder in eine andere Sicherheitsorganisation mit anderen Regeln und Umgangsformen eine Herausforderung darstellen. Die Umstellung auf die spezifische Rechtslage im Polizeidienst, die Interaktion mit Bürgern und die Deeskalation von Konflikten statt militärischer Lösungen erfordern eine gewisse Anpassungsfähigkeit.
**5. Der Dienst bei der Bundeswehr ist keine Voraussetzung:**
Es ist entscheidend zu betonen: Der Dienst bei der Bundeswehr ist KEINE zwingende Voraussetzung für die Einstellung bei der Polizei. Tausende von Polizisten haben ihren Weg direkt nach der Schule oder einer zivilen Ausbildung gefunden. Es gibt viele andere Wege, die notwendige Reife und die geforderten Kompetenzen zu erwerben, sei es durch ein Studium, eine Ausbildung, ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder andere Praktika.
### Wichtige Überlegungen vor dem Schritt
Bevor man sich für den „strategischen Umweg” entscheidet, sollten einige Punkte sorgfältig abgewogen werden:
**1. Die eigene Motivation:**
Warum möchten Sie zur Bundeswehr gehen? Ist es wirklich der Wunsch, Soldat zu sein und die spezifischen Aufgaben der Bundeswehr zu erfüllen, oder sehen Sie es ausschließlich als Mittel zum Zweck, um zur Polizei zu kommen? Wenn Letzteres der Fall ist, könnte der Dienst frustrierend und wenig erfüllend sein. Ein echtes Interesse am Militärdienst ist wichtig, um die Zeit dort sinnvoll zu nutzen.
**2. Die Dauer des Dienstes:**
Möchten Sie den Freiwilligen Wehrdienst (FWDL) für wenige Monate oder Jahre leisten, oder streben Sie eine Karriere als Soldat auf Zeit (SaZ) an? Je länger die Dienstzeit, desto größer die „Opportunitätskosten”, aber auch die mögliche Tiefe der Erfahrung und die BFD-Ansprüche. Überlegen Sie genau, wie viel Zeit Sie investieren möchten.
**3. Vergleich der Berufsbilder:**
Informieren Sie sich intensiv über beide Berufe. Besuchen Sie Karriereberatungen der Bundeswehr und der Polizei. Sprechen Sie mit aktiven Soldaten und Polizisten. Der Alltag eines Soldaten, besonders in Kampfeinheiten, unterscheidet sich stark vom Alltag eines Polizisten im Streifendienst oder in der Kriminalpolizei. Es ist wichtig, ein realistisches Bild von beiden Berufen zu haben, um Enttäuschungen zu vermeiden.
**4. Gezielte Auswahl der Verwendung:**
Wenn der Dienst bei der Bundeswehr als Sprungbrett dienen soll, ist es ratsam, eine Verwendung zu wählen, die möglichst viele übertragbare Fähigkeiten vermittelt. Bereiche wie die Feldjäger (Militärpolizei), der Wachdienst, der Sanitätsdienst, die Logistik oder auch Infanterieeinheiten (wegen der hohen körperlichen und psychischen Anforderungen sowie der Teamarbeit) können besonders relevant sein. Eine Verwendung in der Verwaltung oder in einer hochspezialisierten technischen Nische bietet möglicherweise weniger direkte Vorteile für den Polizeidienst.
### Der Bewerbungsprozess: Wie sich Bundeswehrdienstleistende abheben können
Wer den Dienst bei der Bundeswehr absolviert hat, muss diese Erfahrung im Bewerbungsprozess bei der Polizei gekonnt präsentieren.
* **Lebenslauf:** Heben Sie klar hervor, welche Dienstgrade Sie erreicht haben, welche Ausbildungen Sie durchlaufen und welche Verantwortlichkeiten Sie übernommen haben.
* **Anschreiben und Vorstellungsgespräch:** Hier ist es entscheidend, die erworbenen Kompetenzen – wie Disziplin, Belastbarkeit, Teamfähigkeit, Führungserfahrung, Konfliktlösungsfähigkeit – präzise zu benennen und mit konkreten Beispielen aus dem Militäralltag zu untermauern. Zeigen Sie auf, wie diese Fähigkeiten direkt zum Polizeidienst passen. Erklären Sie Ihre Motivation für den Wechsel und wie die Bundeswehr Ihnen geholfen hat, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln.
### Fazit: Ein individueller Karriereweg
Ist der Dienst bei der Bundeswehr also das ideale Sprungbrett vor der Polizeiausbildung? Die Antwort ist nicht pauschal „Ja“ oder „Nein“. Es ist eine Option, die für viele Bewerber enorme Vorteile bieten kann, insbesondere in Bezug auf die Entwicklung von Disziplin, Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Reife. Diese Soft Skills sind für den Polizeiberuf essenziell und können die Chancen im Auswahlverfahren signifikant erhöhen.
Gleichzeitig ist es kein obligatorischer oder gar alternativloser Weg. Für manche mag der direkte Einstieg nach der Schule oder einer anderen zivilen Ausbildung der passendere und schnellere Weg sein. Die Entscheidung hängt stark von der individuellen Persönlichkeit, den eigenen Zielen, der genauen Verwendung bei der Bundeswehr und der persönlichen Motivation ab.
Wer sich bewusst für diesen „strategischen Umweg“ entscheidet, sollte dies mit voller Überzeugung tun, sich umfassend informieren und die Zeit bei der Bundeswehr aktiv nutzen, um die Fähigkeiten zu entwickeln, die für den angestrebten Polizeiberuf relevant sind. Dann kann der Dienst bei der Bundeswehr tatsächlich eine wertvolle Erfahrung und ein Sprungbrett für eine erfolgreiche Karriere bei der Polizei sein.