Ist der Bachelorabschluss aus dem dualen Hebammenstudium dem eines regulären FH-Studiengangs ebenbürtig?

Die Akademisierung vieler Gesundheitsberufe in Deutschland ist ein Prozess, der in den letzten Jahren an Fahrt aufgenommen hat. Eines der prominentesten Beispiele hierfür ist das duale Hebammenstudium, das die traditionelle Berufsausbildung durch einen akademischen Abschluss ersetzt hat. Doch mit dieser Neuerung stellt sich für viele die Frage: Ist der Bachelorabschluss aus dem dualen Hebammenstudium wirklich dem eines „regulären“ Fachhochschul-Studiengangs ebenbürtig? Oder handelt es sich um eine Art „Bachelor zweiter Klasse“, der aufgrund seiner starken praktischen Ausrichtung an akademischem Tiefgang einbüßt? Dieser Artikel beleuchtet umfassend die Strukturen, Inhalte und Zielsetzungen beider Studienmodelle, um eine fundierte Antwort auf diese wichtige Frage zu geben.

Die Evolution des Hebammenberufs: Vom Ausbildungsberuf zum akademischen Studium

Jahrzehntelang wurde der Hebammenberuf in Deutschland über eine schulische Ausbildung an speziellen Berufsfachschulen erlernt. Eine umfassende praktische Ausbildung war dabei stets Kern der Qualifikation. Mit dem fortschreitenden Bologna-Prozess und der europäischen Harmonisierung der Bildungslandschaft wurde jedoch klar, dass Deutschland, um international anschlussfähig zu bleiben, die Hebammenausbildung auf akademisches Niveau heben musste. Die EU-Richtlinie 2013/55/EU forderte die Akademisierung der Hebammenausbildung, um die Freizügigkeit und Anerkennung der Berufsqualifikationen innerhalb der EU zu gewährleisten. Dies führte in Deutschland zur Einführung des dualen Hebammenstudiums.

Das duale Hebammenstudium ist ein innovatives Modell, das Theorie und Praxis untrennbar miteinander verbindet. Es handelt sich um ein Vollzeitstudium an einer Fachhochschule (FH) oder Universität, das parallel eine umfassende praktische Ausbildung in Kliniken, Geburtshäusern und bei freiberuflichen Hebammen beinhaltet. Studierende sind dabei sowohl immatrikuliert als auch als Auszubildende vertraglich an eine Praxiseinrichtung gebunden. Dieses Modell ist bewusst so konzipiert, dass die Studierenden von Anfang an tief in den Berufsalltag eintauchen, während sie gleichzeitig wissenschaftlich fundiertes Wissen erwerben. Die Integration von Theorie und Praxis ist hier nicht nur eine Option, sondern die strukturelle Grundlage des gesamten Studiums.

Merkmale des dualen Hebammenstudiums

Das duale Hebammenstudium ist in der Regel auf eine Dauer von sieben bis acht Semestern (3,5 bis 4 Jahre) ausgelegt und schließt mit dem akademischen Grad Bachelor of Science (B.Sc.) ab. Die Studieninhalte sind breit gefächert und umfassen nicht nur medizinische und geburtshilfliche Kenntnisse, sondern auch wissenschaftliche Methoden, Ethik, Kommunikation, Management und rechtliche Grundlagen. Typische Studienmodule umfassen:

• Grundlagen der Anatomie, Physiologie und Pathologie
• Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett – Physiologie und Pathologie
• Neonatologie und Pädiatrie
• Pharmakologie und Arzneimittellehre
• Psychosoziale Aspekte der Elternschaft
• Wissenschaftliches Arbeiten und Forschungsmethoden
• Berufsrecht und Berufssoziologie
• Gesundheitsförderung und Prävention

Die Praxisphasen sind dabei fest in den Studienplan integriert und machen einen erheblichen Anteil der Studienzeit aus. Sie finden in verschiedenen Settings statt, darunter Kreißsäle, Wochenstationen, Kinderkliniken und externe Praxiseinsätze, um ein möglichst breites Spektrum an Erfahrungen zu gewährleisten. Die Studierenden werden von qualifizierten Praxisanleiterinnen und -anleitern betreut und müssen eine bestimmte Anzahl an Geburten, Untersuchungen und Betreuungsfällen eigenverantwortlich, aber unter Aufsicht, durchführen.

Der „reguläre“ FH-Studiengang: Ein Vergleich

Wenn wir von einem „regulären“ FH-Studiengang sprechen, meinen wir in der Regel ein Bachelorstudium an einer Fachhochschule, das nicht primär als duales Modell konzipiert ist. FHs sind traditionell dafür bekannt, eine stärkere Anwendungsorientierung als Universitäten zu haben. Sie legen Wert auf praxisnahe Lehre und die Vermittlung von Kompetenzen, die direkt im Berufsleben eingesetzt werden können. Studiengänge an FHs, beispielsweise im Bereich Ingenieurwissenschaften, Betriebswirtschaft oder Sozialer Arbeit, umfassen oft Praktika, Projektarbeiten und Fallstudien, die den Bezug zur Praxis herstellen.

Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in der Integration der Praxis. Während Praktika in regulären FH-Studiengängen oft als separate Blöcke oder Semester absolviert werden, sind sie im dualen Hebammenstudium untrennbarer Bestandteil des Curriculums, der sich über die gesamte Studienzeit erstreckt. Im dualen Modell wird die Praxis nicht nur als Ergänzung zur Theorie gesehen, sondern als gleichberechtigter Lernort, an dem theoretisches Wissen unmittelbar angewendet, vertieft und reflektiert wird. Dies führt zu einer sehr engen Verzahnung von Lernen und Tun.

Gleichwertigkeit auf akademischer Ebene: Der Bachelor als Qualitätssiegel

Die gute Nachricht vorweg: In Deutschland und innerhalb des Europäischen Hochschraums ist der Bachelorabschluss des dualen Hebammenstudiums in vollem Umfang dem eines regulären FH-Studiengangs ebenbürtig. Dafür gibt es mehrere triftige Gründe:

1. Akademischer Grad und Niveau: Beide Studiengänge schließen mit einem Bachelorabschluss ab, der im Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) und im Europäischen Qualifikationsrahmen (EQR) auf Niveau 6 eingeordnet ist. Dies bedeutet, dass beide Absolventengruppen über vergleichbare Kompetenzen verfügen, wie z.B. die Fähigkeit zur Problemlösung, zur kritischen Reflexion, zur Anwendung wissenschaftlicher Methoden und zur Übernahme von Verantwortung. Der Grad „Bachelor of Science“ (B.Sc.) ist ein international anerkannter akademischer Titel, der für Hebammenstudierende genauso gilt wie für Absolventen anderer naturwissenschaftlicher oder technischer Studiengänge an einer FH.
2. ECTS-Punkte: Beide Studienmodelle arbeiten mit dem European Credit Transfer and Accumulation System (ECTS). Ein Bachelorstudiengang erfordert in der Regel 180 bis 240 ECTS-Punkte, die den studentischen Arbeitsaufwand widerspiegeln. Das duale Hebammenstudium ist so konzipiert, dass es diese ECTS-Anforderungen vollständig erfüllt, wobei sowohl theoretische Studienleistungen als auch die umfangreichen Praxisphasen adäquat angerechnet werden. Dies stellt sicher, dass der Gesamtumfang und das Lernpensum denen anderer Bachelorstudiengänge entsprechen.
3. Akkreditierung und Qualitätssicherung: Alle staatlich anerkannten Studiengänge in Deutschland, einschließlich des dualen Hebammenstudiums, unterliegen strengen Akkreditierungsverfahren. Diese Verfahren stellen sicher, dass die Studieninhalte, die Studienorganisation, die Qualifikation der Lehrenden und die Ausstattung den nationalen und internationalen Qualitätsstandards entsprechen. Akkreditierte Studiengänge garantieren ein hohes Niveau und damit die Gleichwertigkeit der Abschlüsse.
4. Zugang zu Masterstudiengängen: Absolventinnen und Absolventen des dualen Hebammenstudiums sind grundsätzlich zum Studium in konsekutiven Masterstudiengängen berechtigt, sowohl in Hebammenwissenschaften als auch in verwandten gesundheitswissenschaftlichen oder pädagogischen Disziplinen. Dies wäre nicht möglich, wenn der Bachelorabschluss nicht als vollwertiger akademischer Grad anerkannt würde.

Die spezifischen Stärken des dualen Hebammen-Bachelors

Gerade die enge Verzahnung von Theorie und Praxis verleiht dem dualen Hebammen-Bachelor spezifische Stärken, die ihn in seinem Berufsfeld oft sogar überlegen machen:

• Hohe Handlungskompetenz: Absolventinnen und Absolventen des dualen Studiums verfügen bei Studienabschluss über eine außerordentlich hohe Handlungskompetenz. Sie haben das theoretisch Erlernte kontinuierlich in realen Situationen angewendet, reflektiert und unter Supervision vertieft. Dies führt zu einer Berufseinstiegsreife, die in vielen anderen Studiengängen erst nach einer Einarbeitungsphase erreicht wird.
• Reflexionsfähigkeit und Evidenzbasierung: Durch die wissenschaftliche Begleitung der Praxisphasen lernen die Studierenden, ihre Handlungen kritisch zu hinterfragen, neue Erkenntnisse aus der Forschung in ihre Arbeit zu integrieren und evidenzbasierte Entscheidungen zu treffen. Dies ist entscheidend für die Qualität und Sicherheit in der Gesundheitsversorgung.
• Entwicklung der Berufsidentität: Die kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Berufsfeld während des Studiums fördert eine frühzeitige und fundierte Entwicklung der beruflichen Identität. Die Studierenden wachsen von Beginn an in ihre Rolle als professionelle Hebamme hinein.
• Netzwerkbildung: Die Kombination aus Hochschulleben und Praxiseinsätzen ermöglicht den Aufbau eines breiten Netzwerks von Kommilitoninnen, Lehrenden, Praxisanleiterinnen und Kolleginnen, das für den späteren Berufsweg von unschätzbarem Wert ist.
• Direkte Berufsbefähigung: Der Bachelorabschluss im dualen Hebammenstudium ist ein berufsbefähigender Abschluss. Das bedeutet, dass die Absolventinnen und Absolventen direkt nach dem Studium die Berufszulassung erhalten und eigenverantwortlich als Hebammen arbeiten können. Dies ist nicht bei allen Bachelorstudiengängen der Fall, wo oft noch weitere Qualifikationen oder ein Masterabschluss für die volle Berufsausübung erforderlich sind.

Herausforderungen und Missverständnisse

Trotz der klaren Gleichwertigkeit und der spezifischen Vorteile gibt es mitunter noch Missverständnisse oder Vorurteile. Manche sehen duale Studiengänge fälschlicherweise als „weniger akademisch“ an, da der Fokus auf der Praxis liegt. Es ist wichtig zu betonen, dass die akademische Tiefe im dualen Hebammenstudium nicht reduziert, sondern auf eine andere Art und Weise integriert wird. Wissenschaftliches Arbeiten, Forschungsmethoden und kritische Reflexion sind feste Bestandteile des Curriculums. Die Studierenden müssen nicht nur Wissen abrufen, sondern es im Kontext komplexer realer Situationen anwenden und begründen können. Die Herausforderung für die Studierenden liegt vielmehr in der hohen Belastung durch die Kombination von Studium und anspruchsvollen Praxisphasen.

Fazit: Ein vollwertiger, zukunftsweisender akademischer Abschluss

Zusammenfassend lässt sich festhalten: Der Bachelorabschluss aus dem dualen Hebammenstudium ist in jeder Hinsicht dem eines regulären FH-Studiengangs ebenbürtig. Er erfüllt alle akademischen Kriterien, ist national und international anerkannt und berechtigt zur Aufnahme eines Masterstudiums. Darüber hinaus bietet er durch seine einzigartige duale Struktur einen entscheidenden Mehrwert: Absolventinnen und Absolventen sind nicht nur wissenschaftlich fundiert ausgebildet, sondern verfügen auch über eine außergewöhnlich hohe praktische Handlungskompetenz und sind bestens auf die Anforderungen des anspruchsvollen Hebammenberufs vorbereitet.

Die Akademisierung der Hebammenausbildung ist ein wichtiger Schritt zur Stärkung des Berufsstandes, zur Sicherung der Versorgungsqualität im Gesundheitswesen und zur Förderung der Patientensicherheit. Der duale Hebammen-Bachelor ist somit nicht nur ebenbürtig, sondern ein Musterbeispiel für eine moderne, kompetenzorientierte und zukunftsfähige Hochschulausbildung, die Theorie und Praxis optimal miteinander verbindet.

Wer sich für das duale Hebammenstudium entscheidet, wählt einen Weg, der intellektuell herausfordernd und beruflich erfüllend ist – mit einem Abschluss, der in seiner Wertigkeit und Relevanz keinerlei Kompromisse eingeht.