Bürgergeld als Zusatzeinkommen zum Normalgehalt: Droht dafür wirklich eine Gefängnisstrafe?

Die Einführung des Bürgergeldes im Januar 2023 hat viele Diskussionen ausgelöst und alte Mythen neu befeuert. Eine der hartnäckigsten Fragen, die in den Köpfen vieler Menschen kursiert, ist die, ob man das Bürgergeld als zusätzliches Einkommen zu einem „Normalgehalt“ beziehen kann und welche Konsequenzen dies im schlimmsten Fall haben könnte. Insbesondere die Angst vor einer Gefängnisstrafe schürt Unsicherheit und Verwirrung. In diesem Artikel beleuchten wir umfassend, was es mit dem Bürgergeld als Zusatzeinkommen auf sich hat, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gelten und wann tatsächlich ernsthafte Strafen drohen könnten. Spoiler vorab: Die pauschale Behauptung, für jeden Bezug von Bürgergeld neben einem Gehalt drohe sofort das Gefängnis, ist ein gefährlicher Mythos, der dringend entkräftet werden muss.

Was ist das Bürgergeld und wozu dient es?

Um die Frage nach dem Bürgergeld als Zusatzeinkommen zu klären, müssen wir zunächst verstehen, was das Bürgergeld überhaupt ist. Das Bürgergeld ist die zentrale Leistung zur Sicherung des Existenzminimums in Deutschland. Es hat zum Ziel, Menschen, die ihren Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln (Einkommen, Vermögen) decken können, ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen. Es ersetzt seit dem 1. Januar 2023 die frühere Arbeitslosengeld-II-Leistung (Hartz IV) und ist im Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) geregelt.

Die Philosophie dahinter ist klar: Das Bürgergeld ist eine nachrangige Leistung. Das bedeutet, es kommt erst dann zum Tragen, wenn alle anderen Möglichkeiten zur Deckung des Lebensunterhalts ausgeschöpft sind. Es soll Menschen nicht nur finanziell absichern, sondern sie auch dabei unterstützen, (wieder) auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, um langfristig keine staatliche Unterstützung mehr zu benötigen. Es ist also ein soziales Sicherungsnetz, kein Bonusprogramm oder eine generelle Gehaltsaufstockung.

Bürgergeld und „Normalgehalt”: Wo liegt der Denkfehler?

Die Vorstellung, Bürgergeld könne „einfach so” als Zusatzeinkommen zu einem „Normalgehalt” bezogen werden, basiert auf einem fundamentalen Missverständnis der Funktionsweise von Sozialleistungen. Das Bürgergeld ist für Menschen in Hilfebedürftigkeit gedacht. Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält.

Ein „Normalgehalt” – im Sinne eines Einkommens, das den Lebensunterhalt vollständig deckt – schließt die Hilfebedürftigkeit aus. Wer also ein Gehalt bezieht, das oberhalb des Bedarfs liegt, hat keinen Anspruch auf Bürgergeld. Punkt. Die Gerüchte über die „Gefängnisstrafe” entstehen oft aus der Verwechslung zweier Szenarien:

1. Das legitime Aufstocken eines *zu niedrigen* Einkommens.
2. Der illegitime Bezug von Leistungen durch Falschangaben trotz *ausreichendem* Einkommen.

Der zweite Punkt ist derjenige, der strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann.

Das System der Einkommensanrechnung: Freibeträge richtig verstehen

Ein Schlüsselelement im Bürgergeldsystem ist die Einkommensanrechnung. Wer Bürgergeld beantragt oder bezieht und gleichzeitig ein eigenes Einkommen hat – sei es aus Arbeit, Selbstständigkeit oder anderen Quellen – muss dieses Einkommen dem Jobcenter melden. Es wird dann auf den Bedarf angerechnet. Aber nicht jeder Euro des Einkommens wird angerechnet. Es gibt sogenannte Freibeträge.

Diese Freibeträge sind dazu da, einen Anreiz zur Aufnahme oder Ausübung einer Arbeit zu schaffen und zu erhalten. Ein Teil des erarbeiteten Geldes darf behalten werden, bevor es auf das Bürgergeld angerechnet wird. Die wichtigsten Freibeträge sind:

• Die ersten 100 Euro aus Erwerbstätigkeit sind komplett anrechnungsfrei (Grundfreibetrag).
• Vom Bruttoeinkommen zwischen 100 und 1.000 Euro bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei.
• Vom Bruttoeinkommen zwischen 1.000 und 1.200 Euro (bei Alleinerziehenden mit Kind: 1.500 Euro) bleiben weitere 10 Prozent anrechnungsfrei.

Beispiel: Eine Person hat einen Bedarf von 502 Euro (Regelsatz) plus 400 Euro Miete, also insgesamt 902 Euro. Sie arbeitet Teilzeit und verdient 600 Euro brutto.

• 100 Euro Grundfreibetrag: 600 – 100 = 500 Euro verbleiben.
• 20% von den nächsten 500 Euro (bis 1.000 Euro): 20% von 500 = 100 Euro Freibetrag.
• Totaler Freibetrag: 100 Euro + 100 Euro = 200 Euro.
• Anzurechnendes Einkommen: 600 Euro (Brutto) – 200 Euro (Freibetrag) = 400 Euro.

Diese 400 Euro werden auf den Bedarf von 902 Euro angerechnet. Die Person erhält dann 902 – 400 = 502 Euro Bürgergeld. In diesem Fall ist das Bürgergeld also eine legitime Aufstockung des zu niedrigen Einkommens, um das Existenzminimum zu sichern. Das ist der vom Gesetzgeber vorgesehene Fall.

Wenn jedoch jemand ein „Normalgehalt” bezieht, das deutlich über diesen Freibeträgen und dem Gesamtbedarf liegt, hat er schlichtweg keinen Anspruch auf Bürgergeld. Der Mythos des „Zusatzeinkommens zum Normalgehalt” im Sinne eines überflüssigen Bonus entsteht oft aus dem Missverständnis, dass man die Freibeträge auch dann nutzen könnte, wenn das Einkommen den Bedarf ohnehin deckt. Dies ist aber nicht der Fall. Die Freibeträge reduzieren lediglich das anrechenbare Einkommen, nicht den Gesamtbedarf, und sie greifen nur, wenn überhaupt noch ein Bedarf besteht.

Wann droht eine Strafe? Von Rückforderung bis Gefängnisstrafe

Die Konsequenzen, wenn jemand Bürgergeld bezieht, obwohl er (oder sie) keinen Anspruch darauf hat, reichen von einer einfachen Rückforderung bis hin zu einer Gefängnisstrafe. Entscheidend ist die Art der Handlung und die dahinterstehende Absicht.

1. Rückforderung von Leistungen (Überzahlung)

Dies ist der häufigste Fall und die mildeste Konsequenz. Wenn das Jobcenter feststellt, dass Ihnen zu Unrecht Leistungen gezahlt wurden – zum Beispiel, weil sich Ihr Einkommen erhöht hat, Sie dies aber nicht sofort gemeldet haben oder weil bei der Berechnung ein Fehler unterlaufen ist –, werden die zu viel gezahlten Beträge zurückgefordert. Dies ist im Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (§ 50 SGB X) geregelt. Sie müssen das Geld dann zurückzahlen, oft in Raten. Dies ist keine Strafe im eigentlichen Sinne, sondern eine Korrektur der Leistungsbewilligung.

2. Ordnungswidrigkeit (Bußgeld)

Wenn Sie Änderungen in Ihren Verhältnissen (z.B. eine Arbeitsaufnahme, eine Gehaltserhöhung) nicht, nicht richtig, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig mitteilen, begehen Sie eine Ordnungswidrigkeit. Dies gilt auch, wenn Sie vorsätzlich oder leichtfertig unrichtige oder unvollständige Angaben machen, die zu einer Überzahlung führen. Das kann mit einem Bußgeld belegt werden. Die Höhe des Bußgeldes richtet sich nach der Schwere und Häufigkeit des Verstoßes. Typischerweise bewegen sich diese im Bereich von einigen hundert bis zu mehreren tausend Euro (§ 63 Abs. 1 SGB II).

Eine Ordnungswidrigkeit liegt vor, wenn keine betrügerische Absicht (Vorsatz) nachgewiesen werden kann, sondern Fahrlässigkeit oder Leichtsinnigkeit im Vordergrund stehen. Wenn beispielsweise jemand aus Versehen vergisst, eine geringfügige Nebentätigkeit zu melden, und dies nachträglich auffliegt, könnte dies als Ordnungswidrigkeit geahndet werden.

3. Straftat: Sozialbetrug (§ 263 StGB – Betrug)

Hier kommen wir zum Kern der Frage nach der Gefängnisstrafe. Eine Freiheitsstrafe droht, wenn der Bezug von Bürgergeld, zu dem kein Anspruch besteht, als Betrug im Sinne des Strafgesetzbuches (§ 263 StGB) gewertet wird. Dies ist der Fall, wenn Sie:

• vorsätzlich (also mit Absicht und Wissen)
• unrichtige oder unvollständige Angaben machen oder
• Tatsachen verschweigen,

um dadurch das Jobcenter zu täuschen und sich oder einem Dritten einen Vermögensvorteil (hier: die Bürgergeld-Leistungen) zu verschaffen, zu dem kein Anspruch besteht. Der Tatbestand des Sozialbetrugs ist erfüllt, wenn die Täuschung ursächlich für die Auszahlung der Leistungen ist und dem Jobcenter dadurch ein Schaden (die zu Unrecht gezahlten Leistungen) entsteht.

Wann ist es Betrug und wann droht Gefängnis?

Entscheidend ist der Vorsatz. Wenn jemand bewusst und gezielt falsche Angaben macht oder wichtige Informationen (wie ein hohes Gehalt) verschweigt, um sich Bürgergeld zu erschleichen, handelt es sich um Betrug. Die Konsequenzen können gravierend sein:

• Geldstrafe: Bei weniger schwerwiegenden Fällen oder erstmaligen Vergehen wird meist eine Geldstrafe verhängt, die sich nach der Höhe des Schadens und dem Einkommen des Täters richtet.
• Freiheitsstrafe auf Bewährung: Bei höheren Schadenssummen oder wenn mildernde Umstände vorliegen, kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Das bedeutet, der Verurteilte muss nicht ins Gefängnis, wenn er sich in der Bewährungszeit nichts zuschulden kommen lässt.
• Freiheitsstrafe ohne Bewährung (Gefängnisstrafe): Eine unbedingte Freiheitsstrafe (also die direkte Einweisung ins Gefängnis) wird in der Regel nur bei besonders schweren Fällen von Sozialbetrug verhängt. Dazu gehören:
  • Sehr hohe Schadenssummen (oft ab ca. 50.000 Euro, aber auch darunter je nach Einzelfall).
  • Systematisches, über einen längeren Zeitraum angelegtes Vorgehen.
  • Wiederholte Betrugsdelikte.
  • Besondere Verwerflichkeit des Handelns (z.B. Missbrauch einer Vertrauensstellung).

  Es ist wichtig zu betonen: Ein einfacher Fehler bei der Angabe oder eine Nachlässigkeit führt in der Regel nicht direkt zur Gefängnisstrafe. Die Justiz verfolgt hier eine klare Linie: Je höher der Schaden und je ausgeprägter die kriminelle Energie (der Vorsatz), desto härter die Strafe. Das bloße „Beziehen von Bürgergeld neben einem Gehalt” ohne betrügerische Absicht, wenn man z.B. nur Anspruch auf eine Aufstockung hätte und das Gehalt meldet, führt *nicht* ins Gefängnis.

Die Mitwirkungspflicht: Ihre Verantwortung

Der Gesetzgeber legt allen Leistungsbeziehern eine umfassende Mitwirkungspflicht auf (§ 60 SGB I). Das bedeutet, Sie sind verpflichtet, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, und Änderungen unverzüglich mitzuteilen. Dazu gehören insbesondere Änderungen im Einkommen, in der Haushaltsgemeinschaft oder im Vermögen. Kommen Sie dieser Pflicht nicht nach, drohen die oben genannten Konsequenzen.

Diese Pflicht dient dazu, sicherzustellen, dass Leistungen nur an diejenigen gezahlt werden, die tatsächlich bedürftig sind, und in der korrekten Höhe. Wer sich dieser Pflicht entzieht und bewusst verschweigt, dass er ein ausreichendes „Normalgehalt” bezieht, handelt vorsätzlich und muss mit den härtesten Konsequenzen rechnen.

Fazit: Bürgergeld ist kein „Bonus” zum Normalgehalt – und Betrug wird bestraft

Die pauschale Behauptung, das Beziehen von Bürgergeld neben einem Normalgehalt führe automatisch ins Gefängnis, ist irreführend und falsch. Sie beruht auf einem Missverständnis der Funktion des Bürgergeldes und der rechtlichen Rahmenbedingungen.

Bürgergeld ist eine existenzsichernde Leistung für Menschen in Hilfebedürftigkeit. Es kann als legitime Aufstockung dienen, wenn das eigene Einkommen (z.B. aus Teilzeitarbeit) nicht ausreicht, um den Lebensunterhalt zu decken. Die dafür vorgesehenen Freibeträge sollen die Aufnahme einer Arbeit attraktiver machen.

Eine Gefängnisstrafe droht ausschließlich bei Sozialbetrug, also wenn Sie vorsätzlich, wissentlich und mit der Absicht, sich unrechtmäßig zu bereichern, falsche oder unvollständige Angaben machen, um Leistungen zu erhalten, auf die Sie keinen Anspruch haben, obwohl Ihr Einkommen – Ihr „Normalgehalt” – ausreichen würde. Dies ist eine Straftat, die ernsthafte Konsequenzen bis hin zur Haftstrafe nach sich ziehen kann, insbesondere bei hohen Schadenssummen oder wiederholter Begehung.

Um Ärger zu vermeiden und keine Konsequenzen fürchten zu müssen, gilt eine einfache Regel: Seien Sie stets ehrlich und transparent gegenüber dem Jobcenter. Melden Sie alle Einkünfte und Änderungen Ihrer persönlichen Verhältnisse sofort. Im Zweifel oder bei Unklarheiten sollten Sie immer das Gespräch mit Ihrem Sachbearbeiter suchen oder professionelle Beratung in Anspruch nehmen. Das Bürgergeld ist eine wichtige Säule unseres Sozialstaates, die jenen helfen soll, die Unterstützung benötigen – und nicht jenen, die das System missbrauchen wollen.