Von Disketten bis ISDN: Wer verwendet heute noch diese fast vergessene Technologie?

In einer Welt, die von exponentieller technologischer Entwicklung und der ständigen Jagd nach dem Neuesten und Schnellsten geprägt ist, erscheint es fast paradox: Technologien, die wir vor Jahrzehnten in unseren Wohnzimmern und Büros verabschiedet haben, verrichten noch immer unermüdlich ihren Dienst. Von dem nostalgischen Klicken einer Diskette, die in ein Laufwerk gleitet, bis zum spezifischen Rufzeichen einer ISDN-Leitung, die eine Verbindung herstellt – diese Relikte vergangener Tage sind keineswegs vollständig aus unserem Alltag verschwunden. Doch wer genau hält an diesen scheinbar vergessenen Systemen fest, und aus welchen Gründen? Tauchen wir ein in die faszinierende Welt der digitalen Archäologie und entdecken wir die überraschende Langlebigkeit von Technologien, die längst als überholt galten.

Die Erinnerung an das Warten, bis ein Programm von einer Diskette geladen war, oder das Rauschen eines ISDN-Modems, das sich mit dem Internet verband, mag bei vielen ein Lächeln hervorrufen. Es war eine Ära, in der Daten noch physisch transportiert wurden und digitale Kommunikation ein Luxus war. Doch während der Großteil der Bevölkerung zu Cloud-Speicher und Glasfaser-Internet übergegangen ist, gibt es Nischen und Sektoren, in denen diese „alten Hasen” nicht nur überleben, sondern oft sogar unverzichtbar sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: Sie reichen von reiner Kostenersparnis über die Notwendigkeit spezieller Kompatibilität bis hin zu überraschenden Sicherheitsvorteilen.

Die Renaissance der Diskette: Mehr als nur ein Nostalgie-Objekt

Für die meisten ist die Diskette – ob im 5,25-Zoll- oder dem handlicheren 3,5-Zoll-Format – ein Relikt aus einer anderen Zeit. Ihre Speicherkapazität von maximal 1,44 MB erscheint im Zeitalter von Terabyte-Festplatten und Cloud-Speicher lächerlich gering. Doch entgegen aller Erwartungen hat die Diskette ihren Dienst noch nicht quittiert.

Wo Disketten noch unverzichtbar sind:

• Industrielle Steuerungssysteme: Hier findet sich wohl der prominenteste und kritischste Anwendungsbereich. Viele CNC-Maschinen (Computerized Numerical Control) in der Fertigungsindustrie, Stickmaschinen, Laserschneider und sogar ältere medizinische Geräte wurden in den 1980er und 90er Jahren entwickelt und programmiert, um ihre Befehle von Disketten zu empfangen. Der Austausch dieser Maschinen, die oft mehrere Hunderttausend oder Millionen Euro kosten und noch einwandfrei funktionieren, wäre unwirtschaftlich. Daher werden Programme für Werkstücke weiterhin auf Disketten gespeichert und eingelesen. Auch heute noch produzieren einige Unternehmen Diskettenlaufwerke und Disketten speziell für diesen Markt.
• Alte Computersysteme und Legacy-Software: Einige Regierungsbehörden, Banken oder andere große Institutionen betreiben noch immer Legacy-Systeme, die auf jahrzehntealter Software und Hardware basieren. Manchmal sind diese Systeme so tief in kritische Infrastrukturen eingebettet, dass ein Upgrade eine immense Komplexität und Kostenexplosion verursachen würde, ganz zu schweigen von den potenziellen Risiken während der Umstellung. Disketten dienen hier oft noch dem Booten von Systemen oder dem Einspielen kleiner Updates. Ein berühmtes Beispiel war das US-Verteidigungsministerium, das erst 2019 seine Disketten-basierten Atomwaffen-Kontrollsysteme abschaltete.
• Retro-Computing und Hobbyisten: Eine wachsende Gemeinschaft von Enthusiasten widmet sich der Wiederbelebung und Nutzung alter Computer wie dem Commodore 64, Amiga oder frühen IBM-PCs. Für sie sind Disketten nicht nur authentische Speichermedien, sondern auch ein Teil des Erlebnisses. Spiele, Programme und Betriebssysteme werden nach wie vor von Disketten geladen.
• Luftfahrtindustrie: Ältere Flugzeuge, insbesondere solche, die in den 1980er und 90er Jahren gebaut wurden, verwendeten Disketten, um Navigationsdaten, Software-Updates oder Flugdaten in die Cockpitsysteme zu laden. Obwohl modernere Flugzeuge auf USB-Sticks oder Netzwerkverbindungen umgestellt wurden, gibt es immer noch einige, die auf die bewährte Diskette setzen.
• Sicherheitsaspekte (Air-Gapping): In sehr speziellen, hochsicheren Umgebungen können Disketten dazu dienen, Daten „air-gapped” – also vollständig physisch von Netzwerken getrennt – zu übertragen. Die geringe Kapazität und der manuelle Prozess machen es extrem unwahrscheinlich, dass Malware unbemerkt eingeschleust oder vertrauliche Daten in großen Mengen unautorisiert abfließen können.

ISDN: Der digitale Vorreiter im Schatten des Breitbands

ISDN (Integrated Services Digital Network) war einst der Inbegriff moderner Telekommunikation. Es bot gegenüber den analogen Telefonleitungen klare Vorteile: bessere Sprachqualität, zwei gleichzeitige Kanäle (Telefonieren und gleichzeitig Faxen oder Surfen) und schnellere Datenübertragung – wenn auch „schnell” damals 64 kbit/s oder 128 kbit/s bedeutete. Doch mit dem Aufkommen von DSL und Glasfaser verlor ISDN schnell an Bedeutung. Dennoch ist auch diese Technologie noch nicht restlos verschwunden.

Wer auf ISDN nicht verzichten kann:

• Geschäftliche Telefonanlagen (PBX-Systeme): Viele kleine und mittelständische Unternehmen, die in den 1990er und frühen 2000er Jahren in eine professionelle Telefonanlage investierten, nutzen diese oft noch heute. Diese älteren PBX-Systeme basieren häufig auf ISDN-Schnittstellen für die Verbindung zum öffentlichen Telefonnetz oder für interne Erweiterungen. Ein Umstieg auf All-IP-Systeme kann teuer und komplex sein, insbesondere wenn die bestehende Anlage noch einwandfrei funktioniert.
• Gefahrenmeldeanlagen und Alarmsysteme: Viele ältere Alarmanlagen, Brandmeldesysteme und Aufzugsnotrufe wurden für die Kommunikation über ISDN-Leitungen konzipiert. Die robuste und zuverlässige Verbindung, die ISDN bietet, war und ist für solche kritischen Anwendungen von Vorteil. Eine Umrüstung kann hier aufwendig sein und muss strenge Zertifizierungsprozesse durchlaufen.
• Faxgeräte: Obwohl das Fax von E-Mails und digitalen Dokumenten weitgehend abgelöst wurde, ist es in einigen Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Justiz oder bei Behörden aufgrund rechtlicher Anforderungen (Beweiskraft, Unterschrift) oder zur Vermeidung von Cyberangriffen weiterhin im Einsatz. Viele dieser Geräte sind noch für ISDN optimiert oder benötigen eine stabile Leitung, die ISDN zuverlässig liefern kann.
• Point-of-Sale (POS)-Systeme und EC-Terminals: Ältere Zahlungsterminals in Einzelhandelsgeschäften oder Gastronomiebetrieben nutzten oft ISDN für die schnelle und sichere Abwicklung von Kartenzahlungen. Solange diese Geräte funktionieren und keine Notwendigkeit für ein Upgrade besteht, bleiben sie in Betrieb.
• Spezialisierte Audio-/Videokonferenzsysteme: In der Vergangenheit wurden professionelle Videokonferenzlösungen und Audio-Übertragungen im Rundfunkbereich oft über ISDN-Leitungen realisiert, um eine garantierte Bandbreite und geringe Latenz zu gewährleisten. Obwohl IP-basierte Lösungen heute dominieren, gibt es immer noch Nischenanwendungen oder ältere Setups, die auf ISDN setzen.
• Backuplösungen für kritische Infrastruktur: In einigen Fällen dient ISDN als Fallback-Lösung, wenn die primäre Internetverbindung (z.B. DSL oder Glasfaser) ausfällt, um eine Notfallkommunikation aufrechtzuerhalten.

Weitere „fast vergessene” Technologien und ihre überraschenden Überlebensstrategien

Neben Disketten und ISDN gibt es noch eine Reihe weiterer Technologien, die sich hartnäckig halten:

• Modems (Dial-up): Das charakteristische Pfeifen und Rauschen beim Aufbau einer Verbindung ist vielen noch im Ohr. Obwohl Breitband heute Standard ist, nutzen einige sehr abgelegene Regionen ohne DSL- oder Glasfaser-Infrastruktur weiterhin Dial-up-Modems. Auch für bestimmte Machine-to-Machine (M2M)-Kommunikation oder als kostengünstige Fernwartungslösung für ältere Anlagen finden sie noch Anwendung.
• Pagers (Piepser): Diese kleinen Empfangsgeräte, die nur kurze Textnachrichten anzeigen können, galten lange als obsolet. Doch in Krankenhäusern, bei Rettungsdiensten, Feuerwehren oder in Industrieanlagen, wo Mobiltelefone aufgrund von Strahlungseinschränkungen oder Empfangsproblemen nicht zuverlässig sind, bieten Pager eine robuste und gerichtete Alarmierung. Ihr simpler Aufbau macht sie extrem zuverlässig.
• Nadeldrucker (Dot-Matrix Printers): Die lauten, aber unermüdlichen Nadeldrucker sind für den Heimgebrauch längst verschwunden. Doch in Lagerhallen, Logistikzentren oder bei Banken sind sie noch immer unverzichtbar. Sie können Durchschläge (Kohlepapier) erstellen, sind extrem robust gegenüber Staub und Schmutz und die Druckkosten pro Seite sind sehr gering. Für das Bedrucken von Endlosformularen oder speziellen Dokumenten sind sie oft die erste Wahl.
• Videokassetten (VHS/Betamax) und analoge Tonbänder: Im professionellen Bereich, wie in Archiven von Fernsehsendern oder Aufnahmestudios, existieren noch riesige Bestände an Video- und Audiodaten auf alten Bandformaten. Die Digitalisierung dieser Archive ist ein langwieriger und kostspieliger Prozess, sodass die Wiedergabegeräte weiterhin gewartet und genutzt werden müssen.

Warum sich Altes so hartnäckig hält: Die Gründe für die Langlebigkeit

Die Gründe, warum Unternehmen und Einzelpersonen an diesen scheinbar überholten Technologien festhalten, sind vielfältig und oft sehr pragmatisch:

• Kosten: Dies ist oft der Hauptfaktor. Der Austausch eines voll funktionsfähigen, aber veralteten Systems kann Hunderttausende oder sogar Millionen von Euro kosten, insbesondere wenn es sich um kritische Industriemaschinen oder umfassende IT-Infrastrukturen handelt. Die Investition in ein neues System ist nur dann gerechtfertigt, wenn die Betriebskosten des alten Systems zu hoch werden oder es keine andere Möglichkeit gibt.
• Zuverlässigkeit und Stabilität: „Never change a running system” – dieses Mantra gilt besonders in der Industrie. Die alten Systeme sind oft seit Jahrzehnten im Einsatz und haben ihre Zuverlässigkeit unter Beweis gestellt. Neue Technologien bringen immer auch Kinderkrankheiten und Unsicherheiten mit sich.
• Kompatibilität: Viele ältere Maschinen und Software sind auf spezifische Schnittstellen und Protokolle angewiesen, die moderne Systeme nicht mehr unterstützen. Eine Anpassung wäre zu aufwendig oder technisch unmöglich.
• Sicherheit (im isolierten Kontext): Wie bereits erwähnt, kann das Air-Gapping von Disketten in einigen Szenarien ein Sicherheitsvorteil sein. Auch die Tatsache, dass weniger Menschen mit alter Software vertraut sind, kann eine Hürde für Angreifer darstellen, obwohl dies keine echte Sicherheitsstrategie ist.
• Nischenanwendungen: Für sehr spezifische Aufgaben bieten die alten Technologien manchmal genau das, was benötigt wird, ohne den „Overkill” moderner, komplexerer Lösungen.
• Mangel an Alternativen: In manchen hochspezialisierten Bereichen gibt es schlichtweg keine direkten, wirtschaftlich vertretbaren Ersatzprodukte für die alten Systeme.
• Menschliche Gewohnheit und Schulung: Mitarbeiter sind oft über Jahrzehnte hinweg auf bestimmte Systeme geschult und eingearbeitet. Eine Umstellung erfordert nicht nur neue Hardware und Software, sondern auch umfangreiche Schulungen, die Zeit und Geld kosten.

Die Herausforderungen des Festhaltens an der Vergangenheit

Das Festhalten an älteren Technologien ist jedoch nicht ohne Herausforderungen. Die Verfügbarkeit von Ersatzteilen und qualifizierten Technikern wird immer schwieriger. Lieferketten für Komponenten versiegen, und das Wissen über die Wartung und Reparatur dieser Systeme geht mit den Generationen in den Ruhestand. Auch Sicherheitslücken in alter Software können ein ernstes Problem darstellen, wenn die Systeme nicht mehr gepatcht werden. Die digitale Transformation stellt viele Unternehmen vor die Notwendigkeit, früher oder später doch umzusteigen.

Fazit: Die stille Revolution der Langlebigkeit

Die Geschichten von Disketten, ISDN und anderen „vergessenen” Technologien sind eine faszinierende Erinnerung daran, dass technischer Fortschritt nicht immer einen sofortigen und vollständigen Ersatz bedeutet. In vielen Bereichen zählen Zuverlässigkeit, bewährte Funktionalität und Wirtschaftlichkeit mehr als die reine Innovation. Die Langlebigkeit dieser Systeme ist ein Zeugnis ihrer robusten Konstruktion und der konservativen, aber rationalen Entscheidungen von Unternehmen und Institutionen. Während wir uns ständig neuen Gadgets und Cloud-Lösungen zuwenden, verrichten die stillen Arbeiter vergangener Generationen im Hintergrund weiterhin ihren Dienst und erinnern uns daran, dass das Ende einer Technologie nicht immer ein Abschied, sondern manchmal auch ein langfristiger Umzug in eine spezielle Nische bedeutet. Sie sind die unsichtbaren Helden der digitalen Transformation, die noch immer Brücken zwischen Gestern und Heute schlagen.