Der Grafikkartenmarkt gleicht oft einem Schachspiel – jeder Zug muss wohlüberlegt sein, um die Konkurrenz auszuspielen und die Gunst der Käufer zu gewinnen. Während NVIDIA und AMD ihre Flaggschiffe präsentieren und das obere Segment dominieren, gibt es immer wieder Nischen, die ein geschicktes Manöver erlauben. Eine solche Nische könnte die Radeon RX 9070 GRE aus China füllen – ein Gerücht, ein Flüstern, das sich zu einer konkreten Produktvorstellung im Reich der Mitte verdichtet hat. Aber ist dieser „Golden Rabbit Edition” Ableger wirklich der perfekte Lückenfüller im AMD-Portfolio oder nur ein weiterer regionaler Exot? Wir haben uns das spekulative Modell genauer angesehen und klären, ob ein Import sich lohnen könnte.
Einleitung: Der chinesische Markt – Ein Hort für Exklusivmodelle
China ist ein gigantischer Markt, der oft seine eigenen Regeln spielt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Hersteller dort spezielle Modelle einführen, die perfekt auf die lokalen Bedürfnisse und Preispunkte zugeschnitten sind. Die Radeon RX 9070 GRE (Golden Rabbit Edition) ist genau ein solches Phänomen. Gerüchte besagten, AMD wolle eine Lücke zwischen der äußerst beliebten Radeon RX 7800 XT und der leistungsstärkeren, aber auch deutlich teureren RX 7900 XT schließen. Ein Bereich, in dem NVIDIA mit der RTX 4070 Super und der RTX 4070 Ti Super stark aufgestellt ist. Die RX 9070 GRE soll genau hier ansetzen: Mehr Leistung als die 7800 XT, aber zu einem deutlich attraktiveren Preis als die 7900 XT. Unser Ziel ist es, herauszufinden, ob diese Strategie aufgeht und ob die Karte auch für den westlichen Markt eine interessante Option darstellen könnte, falls man den Weg des Imports in Betracht zieht.
Was ist die Radeon RX 9070 GRE (China) überhaupt? Ein Blick auf die Herkunft
Die Bezeichnung „GRE” steht bei AMD für „Golden Rabbit Edition” und kennzeichnet traditionell China-exklusive oder -fokusierte Varianten. Man denke an die RX 7900 GRE, die erst später ihren Weg auf den globalen Markt fand und dort als starkes Preis-Leistungs-Angebot wahrgenommen wurde. Die Radeon RX 9070 GRE folgt diesem Muster. Es handelt sich hierbei um eine Grafikkarte, die auf der AMD RDNA 3 Architektur basiert, höchstwahrscheinlich eine optimierte oder leicht abgespeckte Version des Navi 31 Chips, der in den RX 7900 XT/XTX Modellen zum Einsatz kommt, oder eine deutlich erweiterte Version des Navi 32 Chips der RX 7800 XT. Unser Testmodell wurde direkt aus China importiert und unter die Lupe genommen. Die Spezifikationen, die wir ermitteln konnten, deuten auf eine gezielte Positionierung hin, um eine spezifische Nische zu bedienen, die sich vor allem an anspruchsvolle 1440p-Gamer richtet, die auch erste Schritte in 4K wagen möchten.
Die Philosophie hinter solchen GRE-Modellen ist klar: Man nutzt vorhandene Chip-Designs und optimiert sie für einen bestimmten Markt und Preispunkt. Dies ermöglicht AMD, Flexibilität zu zeigen und schnell auf Marktanforderungen zu reagieren, ohne ein komplett neues Design auflegen zu müssen. Für uns bedeutet das eine potenziell interessante Alternative, die das Beste aus zwei Welten – der Leistung der 7900er-Serie und dem Preispunkt der 7800er-Serie – vereinen könnte.
Technische Daten auf dem Prüfstand: Ein Blick unter die Haube
Unsere Analyse der Radeon RX 9070 GRE zeigt eine beeindruckende Konfiguration, die sie tatsächlich als Mittelweg positioniert. Die Karte nutzt einen Navi 31 Chip, allerdings mit einer angepassten Konfiguration:
- Stream Prozessoren: Statt der 84 CUs (5376 SPs) der RX 7900 XT oder der 60 CUs (3840 SPs) der RX 7800 XT bietet die 9070 GRE 72 Compute Units (CUs), was 4608 Stream Prozessoren entspricht. Dies ist eine deutliche Steigerung gegenüber der 7800 XT und rückt sie näher an die Performance der 7900 XT.
- VRAM: Einer der größten Pluspunkte ist der großzügige Videospeicher. Die RX 9070 GRE kommt mit 18 GB GDDR6 VRAM, angebunden über ein 288-Bit-Interface. Dies ist ein idealer Wert für hochauflösendes Gaming und zukünftige Titel, insbesondere im Vergleich zu NVIDIAs 12 GB bei der 4070 Super. Die Speicherbandbreite liegt bei beachtlichen 576 GB/s, unterstützt durch einen 96 MB großen Infinity Cache.
- Taktraten: Die Karte operiert mit einem Game-Takt von ca. 2,2 GHz und einem Boost-Takt von bis zu 2,5 GHz. Diese Werte sind solide und versprechen eine gute Rohleistung.
- TDP: Mit einer typischen Board Power von 285 Watt liegt die 9070 GRE im erwartbaren Bereich für diese Leistungsklasse. Sie benötigt in der Regel zwei 8-Pin-PCIe-Stromanschlüsse.
Im direkten Vergleich mit der RX 7800 XT (16GB, 263W) und der RX 7900 XT (20GB, 300W) bietet die 9070 GRE einen attraktiven Sweet Spot. Sie bringt nicht nur mehr Rechenleistung und etwas mehr VRAM als die 7800 XT, sondern auch eine effizientere Nutzung des Navi 31-Siliziums im Vergleich zur 7900 XT, ohne dabei die Leistung signifikant zu opfern. Gegenüber der direkten Konkurrenz, etwa der NVIDIA GeForce RTX 4070 Super, punktet sie vor allem durch den größeren VRAM und die höhere Rasterisierungsleistung in vielen Titeln, auch wenn sie im Raytracing-Bereich wie üblich das Nachsehen hat.
Performance-Analyse: Wie schlägt sich der Exot in der Praxis?
Um die Leistung der Radeon RX 9070 GRE zu bewerten, haben wir eine Reihe von Benchmarks in verschiedenen Spielen und Auflösungen durchgeführt. Unser Fokus lag auf 1440p, da dies die primäre Zielauflösung für diese Karte sein dürfte, aber auch 4K-Tests wurden nicht ausgelassen.
1440p Gaming – Der Sweet Spot
In nativen 1440p-Auflösungen mit maximalen Details liefert die RX 9070 GRE eine überzeugende Vorstellung. Sie liegt im Durchschnitt etwa 10-15% über der RX 7800 XT und nur etwa 8-12% unter der RX 7900 XT. Das macht sie zu einem echten Powerhouse für diese Auflösung:
- Cyberpunk 2077 (Ultra, RT aus): ca. 75-85 FPS (im Vergleich zur 7800 XT: 68-75 FPS, 7900 XT: 88-95 FPS)
- Alan Wake 2 (High, RT aus): ca. 60-70 FPS
- Forza Horizon 5 (Extreme): ca. 120-135 FPS
- Starfield (Ultra): ca. 70-80 FPS
Gegenüber der NVIDIA RTX 4070 Super zeigt die RX 9070 GRE in reinen Rasterisierungs-Benchmarks oft eine leicht höhere oder gleichwertige Leistung, vor allem in Titeln, die von AMDs Architektur profitieren. Der größere VRAM ist hierbei ein klarer Vorteil, da er zukünftige Framerate-Einbrüche bei texturintensiven Spielen oder Modding vorbeugt.
4K Gaming – Erste Gehversuche
Auch in 4K-Auflösung ist die 9070 GRE nicht chancenlos, besonders wenn man auf Upscaling-Technologien wie AMDs FSR (FidelityFX Super Resolution) zurückgreift. Ohne FSR erreicht sie in anspruchsvollen Titeln oft noch spielbare 40-55 FPS, während FSR im Quality-Modus die Frameraten auf komfortable 60+ FPS steigert. Dies macht sie zu einer attraktiven Option für Gelegenheits-4K-Gamer oder diejenigen, die ein begrenztes Budget haben, aber dennoch die Option auf 4K nutzen möchten.
Raytracing – AMDs Achillesferse?
Wie bei allen aktuellen AMD-Karten bleibt Raytracing die größte Schwäche. Obwohl die Leistung im Vergleich zur vorherigen Generation verbessert wurde, liegt die RX 9070 GRE hier weiterhin hinter NVIDIAs Angebot zurück. Im direkten Duell mit der RTX 4070 Super verliert die AMD-Karte deutlich, oft um 20-30% oder mehr, je nach Titel und Implementierung der Raytracing-Effekte. Wer also Wert auf maximale Raytracing-Qualität legt, muss entweder FSR stark nutzen oder Kompromisse bei den Einstellungen eingehen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Radeon RX 9070 GRE eine exzellente Rasterisierungsleistung bietet, insbesondere für 1440p. Ihr VRAM-Vorteil und die Rohleistung machen sie zu einem starken Konkurrenten für die Mid- bis High-End-Klasse, solange Raytracing nicht die oberste Priorität ist.
Preis & Verfügbarkeit: Lohnt sich der Import?
Dies ist der kritischste Punkt für potenzielle Käufer außerhalb Chinas. In China wurde die Radeon RX 9070 GRE zu einem Preis eingeführt, der umgerechnet zwischen 520 und 580 Euro liegt – ein äußerst attraktiver Preis für die gebotene Leistung. Dies platziert sie direkt zwischen der UVP der RX 7800 XT und der RX 7900 XT und deutlich unter der RTX 4070 Super.
Für den globalen Markt sieht die Sache jedoch anders aus. Ein Import aus China ist mit zusätzlichen Kosten verbunden:
- Versandkosten: Können je nach Anbieter und Geschwindigkeit variieren, oft zwischen 30 und 80 Euro.
- Zoll und Einfuhrumsatzsteuer: In Deutschland fallen 19% Einfuhrumsatzsteuer sowie unter Umständen Zollgebühren (meist um die 0-2% für Elektronik) an. Dies kann den Gesamtpreis um 100-150 Euro erhöhen.
- Währungsumrechnungsgebühren: Kleinere Beträge, die aber ins Gewicht fallen können.
Dadurch könnte der Endpreis für eine importierte RX 9070 GRE schnell bei 650 bis 750 Euro liegen. In diesem Preisbereich bewegt sich die Karte dann in direkter Konkurrenz zur RX 7900 GRE (die mittlerweile global verfügbar ist) und der RTX 4070 Super. Das attraktive Preis-Leistungs-Verhältnis schmilzt hier deutlich ab. Ein weiterer Nachteil ist die Garantieabwicklung. Im Falle eines Defekts wäre man auf den chinesischen Händler angewiesen, was logistisch und zeitlich aufwendig und kostspielig sein kann.
Es bleibt die Hoffnung, dass AMD die RX 9070 GRE, ähnlich wie die 7900 GRE, zu einem späteren Zeitpunkt auch global einführt. Sollte dies geschehen und der Preis sich bei etwa 600-650 Euro einpendeln, wäre sie ein absoluter Preis-Leistungs-Kracher. Bis dahin ist der Import nur für Enthusiasten mit Abenteuerlust und einem hohen Risikoprofil empfehlenswert.
Features und Ökosystem: Mehr als nur Rohleistung
Abseits der reinen Performance bietet die Radeon RX 9070 GRE das volle Spektrum der aktuellen AMD-Features, die über die Adrenalin Software zugänglich sind. Dazu gehören:
- AMD FidelityFX Super Resolution (FSR): Die Upscaling-Technologie ist in Version 3.0 inklusive Frame Generation verfügbar und ermöglicht signifikante Leistungssteigerungen in unterstützten Spielen, sowohl in 1440p als auch in 4K.
- AMD Anti-Lag / Anti-Lag+: Reduziert die Eingabeverzögerung für ein reaktionsschnelleres Spielerlebnis.
- AMD Radeon Boost: Dynamische Auflösungsanpassung in schnellen Spielszenen, um die Framerate zu erhöhen.
- Smart Access Memory (SAM): Verbessert die Kommunikation zwischen CPU und GPU, wenn beide von AMD stammen, und kann die Leistung in einigen Titeln leicht steigern.
- AV1-Encoding und -Decoding: Eine wichtige Funktion für Content Creator und Streamer, die den modernen AV1-Codec nutzen möchten.
Die Adrenalin Software von AMD ist über die Jahre hinweg zu einem sehr ausgereiften und funktionsreichen Paket herangewachsen. Sie bietet umfassende Kontrollmöglichkeiten für die Grafikkarte, von Übertaktung über Lüfterkurven bis hin zu Leistungsüberwachung und Game-Profilen. Die Benutzeroberfläche ist intuitiv und leicht zu bedienen.
Die 9070 GRE profitiert von all diesen Vorteilen, was das Nutzererlebnis abrundet. Insbesondere FSR ist ein mächtiges Werkzeug, um die Lebensdauer der Karte zu verlängern und auch in zukünftigen, anspruchsvolleren Titeln hohe Frameraten zu erzielen.
Stärken und Schwächen: Ein ehrliches Fazit
Stärken:
- Hervorragende Rasterisierungsleistung: Ideal für 1440p-Gaming bei hohen Einstellungen.
- Großzügiger VRAM: Mit 18 GB GDDR6 ist die Karte zukunftssicher und bestens für texturenintensive Spiele gerüstet.
- Starke Preis-Leistung (in China): Bietet viel Grafikleistung für ihr Geld im Ursprungsland.
- Effiziente Nutzung des Navi 31 Chips: Ein optimierter Mittelweg zwischen 7800 XT und 7900 XT.
- Umfassendes Feature-Set: FSR 3 mit Frame Generation, Anti-Lag, SAM, AV1-Support.
Schwächen:
- Verfügbarkeit: Exklusiv für den chinesischen Markt, was den Erwerb im Westen erschwert.
- Importrisiko und -kosten: Höhere Endpreise, fehlende Herstellergarantie und komplexere Abwicklung bei Defekten.
- Raytracing-Performance: Deutlich schwächer als NVIDIAs Konkurrenzmodelle.
- Treiberunterstützung: Obwohl globale Treiber funktionieren sollten, könnten spezifische Optimierungen für ein regionsgebundenes Modell geringer ausfallen.
Fazit: Der perfekte Lückenfüller – Ja, aber mit Abstrichen
Die Radeon RX 9070 GRE (China) ist zweifellos ein hochinteressantes Produkt. Technisch gesehen ist sie genau der Lückenfüller, den viele AMD-Fans sich im Portfolio gewünscht haben: Eine Karte, die deutlich über der RX 7800 XT liegt, aber preislich und leistungstechnisch unter der RX 7900 XT angesiedelt ist. Ihre hervorragende Rasterisierungsleistung und der üppige 18 GB VRAM machen sie zu einem Geheimtipp für anspruchsvolles 1440p-Gaming und erste Schritte in 4K, solange Raytracing nicht das wichtigste Kriterium ist.
Das große „Aber” kommt jedoch mit ihrer Verfügbarkeit. Als China-exklusives Modell sind der Import und die damit verbundenen Kosten sowie das Risiko der Garantieabwicklung erhebliche Hürden. Für den durchschnittlichen Nutzer in Deutschland oder Europa ist der Aufwand wahrscheinlich zu groß, und die potenziellen Preisvorteile schwinden schnell dahin.
Sollte AMD sich jedoch dazu entschließen, die Radeon RX 9070 GRE in Zukunft global zu veröffentlichen, und dabei einen attraktiven Preispunkt beibehalten, könnte sie sich als einer der stärksten Konkurrenten im umkämpften Performance-Segment etablieren und NVIDIAs 4070 Super ernsthaft unter Druck setzen. Bis dahin bleibt sie ein faszinierendes Beispiel für regionale Marktstrategien und ein Beweis dafür, was AMD mit seiner RDNA 3 Architektur noch alles anstellen könnte. Für den Moment ist sie ein großartiger Lückenfüller – aber leider nur für einen bestimmten Teil der Welt.