Rätselhafte SMART-Werte: Warum der Zähler für „Power Cycles” eingefroren sein könnte und was es bedeutet

Stellen Sie sich vor, Sie überprüfen die Gesundheit Ihrer wertvollen Festplatte oder SSD mit einem SMART-Diagnosetool und bemerken etwas Ungewöhnliches: Der Zähler für die „Power Cycles”, also die Anzahl der Einschaltvorgänge, ist seit Wochen, Monaten oder sogar Jahren eingefroren. Er bewegt sich einfach nicht, egal wie oft Sie Ihr System starten. Dieses Phänomen ist für viele Anwender verwirrend und kann Besorgnis hervorrufen. Ist dies ein Zeichen für einen bevorstehenden Ausfall? Oder steckt etwas ganz anderes dahinter? In diesem umfassenden Artikel tauchen wir tief in das Mysterium der eingefrorenen „Power Cycles”-Werte ein, beleuchten mögliche Ursachen und erklären, was dies für die Lebensdauer und Zuverlässigkeit Ihrer Speichermedien bedeutet.

Was sind SMART-Werte überhaupt? Ein kurzer Überblick

Bevor wir uns dem spezifischen Rätsel der „Power Cycles” widmen, ist es wichtig zu verstehen, was SMART (Self-Monitoring, Analysis, and Reporting Technology) überhaupt ist. SMART ist ein Überwachungssystem, das in die Firmware von Festplatten (HDDs) und Solid-State-Drives (SSDs) integriert ist. Sein Hauptzweck ist es, verschiedene Leistungs- und Gesundheitsattribute des Laufwerks zu überwachen und potenziell auf bevorstehende Ausfälle hinzuweisen. Es ist quasi der „Gesundheitscheck” Ihres Speichermediums. Attribute wie die Temperatur, die Anzahl der fehlerhaften Sektoren, die Lese-/Schreibfehlerrate oder die Betriebsstunden werden kontinuierlich aufgezeichnet. Diese Daten können dann von speziellen Software-Tools ausgelesen und interpretiert werden, um den allgemeinen Zustand des Laufwerks einzuschätzen und im besten Fall rechtzeitig vor einem Datenverlust zu warnen.

Der „Power Cycles”-Zähler: Was er uns normalerweise verrät

Der „Power Cycles”-Zähler, oft auch als „Power_On_Count” oder Attribut 0C (Hexadezimal) bezeichnet, verfolgt die Anzahl der Male, die ein Laufwerk vollständig hoch- und heruntergefahren wurde. Jeder Startvorgang bedeutet eine gewisse Belastung für das Laufwerk. Bei HDDs sind dies mechanische Belastungen, wie das Anlaufen der Spindelmotoren und das Positionieren der Leseköpfe. Bei SSDs ist es eine elektrische Belastung der Controller und Speicherzellen. Obwohl moderne Laufwerke für eine hohe Anzahl von Startzyklen ausgelegt sind, gilt: Je mehr Zyklen, desto höher potenziell der Verschleiß. Daher ist dieser Wert ein wichtiger Indikator für die Nutzungsintensität und die Gesamtlebensdauer des Laufwerks.

Ein kontinuierlich ansteigender „Power Cycles”-Zähler gibt uns ein klares Bild davon, wie oft ein System neu gestartet oder ausgeschaltet wurde. Ein übermäßig schneller Anstieg könnte auf ein instabiles System oder häufige, unnötige Neustarts hindeuten. Ein langsamer Anstieg ist normal für ein regelmäßig genutztes System. Aber was, wenn dieser Zähler einfach stehen bleibt?

Das Rätsel der eingefrorenen „Power Cycles”: Ein häufiges, aber irritierendes Phänomen

Das Phänomen, dass der „Power Cycles”-Zähler in den SMART-Werten eingefroren ist, ist weder neu noch extrem selten. Es tritt bei verschiedenen Laufwerksmodellen und Herstellern auf, sowohl bei HDDs als auch bei SSDs, einschließlich der neueren NVMe-Laufwerke. Die Verwirrung entsteht, weil alle anderen Attribute, wie die Betriebsstunden („Power On Hours”), die Temperatur oder die Fehlerstatistiken, weiterhin korrekt aktualisiert zu werden scheinen, während der „Power Cycles”-Wert starr bleibt. Dies führt zwangsläufig zu der Frage: Ist das Laufwerk defekt, oder liegt die Ursache woanders?

Mögliche Erklärungen für den eingefrorenen Zähler

Es gibt mehrere plausible Erklärungen für dieses eigenartige Verhalten, die von harmlosen Firmware-Besonderheiten bis hin zu seltenen Hardware-Problemen reichen können. Es ist wichtig, diese Möglichkeiten zu kennen, um die Situation richtig einschätzen zu können.

1. Firmware-Design oder -Bug des Herstellers

Dies ist die bei Weitem häufigste Ursache für einen eingefrorenen „Power Cycles”-Zähler. Die Implementierung von SMART-Attributen ist nicht immer universell standardisiert. Während die Grundprinzipien gleich sind, haben die Hersteller einen gewissen Spielraum, wie und wann bestimmte Attribute aktualisiert werden. Einige Firmware-Versionen könnten den „Power Cycles”-Zähler:

• Nur unter bestimmten Bedingungen aktualisieren: Manche Laufwerke sind so programmiert, dass sie diesen Zähler nur bei einem „echten” Kaltstart oder nach einer vollständigen Trennung von der Stromversorgung aktualisieren. Ein einfacher Neustart des Betriebssystems oder ein Standby-Modus, der die Stromversorgung des Laufwerks nicht vollständig unterbricht, zählt dann nicht als „Power Cycle”.
• Nach einer bestimmten Schwelle einfrieren: Es ist denkbar, dass einige Firmware-Versionen den Zähler absichtlich bei einem bestimmten Wert (z.B. 65535 oder 2^16-1, was der Maximalwert für eine 16-Bit-Integer-Variable wäre) einfrieren, weil die Firmware nicht für größere Werte ausgelegt ist oder der Hersteller dies für unnötig hielt, um weiterhin zu zählen.
• Als reinen Bug behandeln: Es ist auch möglich, dass es sich um einen Fehler in der Firmware handelt, der dazu führt, dass der Zähler nicht korrekt inkrementiert wird. Solche Bugs können oft mit einem Firmware-Update behoben werden, sofern der Hersteller dies anbietet.
• Standardmäßig deaktivieren: Bei einigen sehr spezifischen Laufwerken (z.B. für Unternehmenslösungen) könnte der Zähler für „Power Cycles” absichtlich deaktiviert oder nicht voll funktionsfähig implementiert sein, wenn andere Indikatoren als relevanter erachtet werden.

Bedeutung: In den meisten Fällen ist dies ein harmloses, rein kosmetisches Problem. Es deutet nicht auf einen Defekt des Laufwerks hin, solange andere SMART-Werte normal sind und keine Leistungsprobleme auftreten. Es ist lediglich ein Eigenheit der jeweiligen Firmware.

2. Probleme mit der Stromversorgung oder dem Energiemanagement

Moderne Betriebssysteme und Hauptplatinen verwenden ausgeklügeltes Energiemanagement. Wenn ein System heruntergefahren wird, bleibt oft eine minimale Spannung an den Komponenten erhalten, insbesondere wenn Schnellstart-Optionen (Fast Boot) aktiviert sind. Dies kann dazu führen, dass das Laufwerk nie vollständig „stromlos” wird und der interne Controller nicht den Zustand eines „echten” Power Cycles registriert. Ähnlich kann es bei der Nutzung von Standby- oder Ruhezustandsmodi sein.

Bedeutung: Auch hier handelt es sich meistens um eine harmlose Ursache, die nicht auf einen Defekt des Laufwerks selbst hindeutet, sondern auf die Art und Weise, wie das System und das Betriebssystem mit der Stromversorgung umgehen. Eine vollständige Trennung des Stroms (z.B. durch Ausschalten des Netzteils oder Ziehen des Netzsteckers) würde den Zähler in der Regel aktualisieren, ist aber im Alltag selten. Dies ist besonders relevant für externe Laufwerke oder Laufwerke in Dockingstations, die nicht immer vollständig vom Stromnetz getrennt werden.

3. Probleme mit dem SMART-Tool oder dem Betriebssystem-Treiber

Manchmal liegt das Problem nicht am Laufwerk selbst, sondern an der Software, die die SMART-Werte ausliest. Verschiedene SMART-Diagnosetools (z.B. CrystalDiskInfo, GSmartControl, HDSentinel) interpretieren die Rohdaten der Laufwerke auf unterschiedliche Weise. Es ist möglich, dass:

• Das verwendete Tool einen Fehler bei der Interpretation des spezifischen Attributs hat.
• Der Treiber des Betriebssystems (z.B. AHCI-Treiber, NVMe-Treiber) die Informationen nicht korrekt an das Überwachungstool weiterleitet oder alte Werte zwischenspeichert.
• Bei RAID-Controllern oder HBA-Karten: Diese können die SMART-Informationen filtern oder in einer Weise präsentieren, die nicht immer die nativen Werte des Laufwerks widerspiegelt.

Bedeutung: Dies ist ebenfalls eine unkritische Ursache. Das Laufwerk selbst funktioniert einwandfrei, nur die Anzeige ist fehlerhaft. Der Versuch, andere SMART-Tools zu verwenden, kann hier Klarheit schaffen.

4. Selten: Ein tatsächlicher Hardware-Fehler des Controllers

Obwohl seltener, kann ein eingefrorener „Power Cycles”-Zähler in Ausnahmefällen auf einen Fehler im Controller des Laufwerks hindeuten. Wenn der Controller nicht in der Lage ist, die internen Register korrekt zu aktualisieren oder zu speichern, könnte dies das Symptom sein. Wenn jedoch nur dieser eine Wert betroffen ist und alle anderen Attribute sowie die Leistung des Laufwerks normal sind, ist dies unwahrscheinlich. Ein fehlerhafter Controller würde sich normalerweise durch weitaus gravierendere Symptome bemerkbar machen, wie Datenkorruption, Lese-/Schreibfehler oder das komplette Versagen des Laufwerks.

Bedeutung: Dies ist die einzige wirklich besorgniserregende Möglichkeit, aber auch die unwahrscheinlichste, wenn das Problem isoliert auftritt. Kombinierte Probleme mit anderen SMART-Werten oder der Leistung sind hier ein Warnsignal.

5. Unterschiede zwischen HDD und SSD (und NVMe)

Während HDDs und SSDs beide SMART-Werte verwenden, gibt es Unterschiede in deren Implementierung. Insbesondere neuere NVMe-SSDs können sich hier anders verhalten. NVMe-Laufwerke kommunizieren über ein anderes Protokoll und ihre Firmware kann die Attribute anders handhaben. Was bei einer älteren HDD als Anomalie gelten mag, könnte bei einer bestimmten NVMe-SSD ein normales Firmware-Verhalten sein. Einige NVMe-Spezifikationen können beispielsweise den „Power Cycles”-Zähler anders definieren oder ihm eine geringere Priorität einräumen als die „Power On Hours”.

Bedeutung: Kenntnis der spezifischen Technologie kann helfen, normale Verhaltensweisen von echten Problemen zu unterscheiden. Ein Blick in die technischen Datenblätter des Herstellers oder spezifische Foren für Ihr Laufwerksmodell kann hier wertvolle Informationen liefern.

Wann Sie sich Sorgen machen sollten (und wann nicht)

Das wichtigste Kriterium zur Einschätzung der Situation ist der Gesamtzustand des Laufwerks. Ein eingefrorener „Power Cycles”-Zähler allein ist in den meisten Fällen kein Grund zur Panik, solange:

• Alle anderen SMART-Werte normal sind: Achten Sie auf Attribute wie „Reallocated Sector Count” (für HDDs), „Wear Leveling Count” (für SSDs), „Uncorrectable Sector Count” oder „Current Pending Sector Count”. Wenn diese Werte stabil sind und keine Warnungen anzeigen, ist das ein gutes Zeichen.
• Das Laufwerk einwandfrei funktioniert: Es gibt keine spürbaren Leistungseinbußen, keine ungewöhnlichen Geräusche (bei HDDs), keine Datenkorruption oder Systemabstürze.
• Keine weiteren Fehlermeldungen vorliegen: Das Betriebssystem meldet keine Probleme mit dem Laufwerk.

Wann Sie sich Sorgen machen sollten:

• Wenn der „Power Cycles”-Zähler und mehrere andere SMART-Attribute eingefroren sind oder falsche Werte anzeigen.
• Wenn das Laufwerk neben dem eingefrorenen Zähler auch Leistungsprobleme, Fehlermeldungen oder andere Anomalien zeigt.
• Wenn es sich um ein Laufwerk handelt, das unternehmenskritische Daten speichert und dessen Hersteller-Support bestätigt, dass dieses Verhalten auf einen Defekt hindeutet.

Was Sie tun können, um das Rätsel zu lüften

Wenn Sie von diesem Phänomen betroffen sind und mehr Klarheit wünschen, können Sie folgende Schritte unternehmen:

1. Mehrere SMART-Tools testen: Verwenden Sie verschiedene Diagnosetools (z.B. CrystalDiskInfo, GSmartControl, HDDScan) und vergleichen Sie deren Ausgaben. Manchmal zeigt ein anderes Tool den korrekten Wert an oder liefert weitere Diagnoseinformationen.
2. Firmware-Update prüfen: Besuchen Sie die Webseite des Laufwerkherstellers und prüfen Sie, ob ein Firmware-Update für Ihr spezifisches Modell verfügbar ist. Lesen Sie die Releasenotes sorgfältig, um zu sehen, ob bekannte SMART-Anzeigeprobleme behoben wurden. Seien Sie bei Firmware-Updates immer vorsichtig und stellen Sie sicher, dass Sie die Anweisungen genau befolgen.
3. Hersteller-Support kontaktieren: Wenn Sie weiterhin unsicher sind, wenden Sie sich direkt an den technischen Support des Laufwerkherstellers. Geben Sie Ihr Modell und die genaue Firmware-Version an und beschreiben Sie das Problem detailliert. Sie können oft spezifische Informationen zu den SMART-Implementierungen ihrer Produkte geben.
4. Daten sichern (immer eine gute Idee!): Unabhängig vom SMART-Status ist eine regelmäßige Datensicherung (Backup) die beste Vorsichtsmaßnahme gegen Datenverlust. Selbst ein scheinbar gesundes Laufwerk kann unerwartet ausfallen.
5. System-Energiemanagement überprüfen: Deaktivieren Sie testweise „Fast Boot” im BIOS/UEFI und in den Windows-Energieoptionen, und fahren Sie das System dann vollständig herunter (nicht nur Neustart). Prüfen Sie danach, ob sich der Zähler geändert hat.

Fazit: Ein harmloses Mysterium, meistens

Das Rätsel des eingefrorenen „Power Cycles”-Zählers ist in den allermeisten Fällen ein harmloses Phänomen, das auf Eigenheiten der Laufwerksfirmware, des Energiemanagements des Systems oder der SMART-Auslesesoftware zurückzuführen ist. Es ist selten ein direkter Indikator für einen bevorstehenden Laufwerksausfall. Solange alle anderen kritischen SMART-Werte im grünen Bereich sind und Ihr Laufwerk ohne Probleme funktioniert, können Sie in der Regel beruhigt sein.

Dennoch sollte dieser Fall als Erinnerung dienen, die Gesundheit Ihrer Speichermedien regelmäßig zu überprüfen und vor allem eine konsistente Backup-Strategie zu verfolgen. Denn selbst das zuverlässigste Laufwerk wird eines Tages das Ende seiner Lebensdauer erreichen, und nur eine aktuelle Sicherung schützt Sie vor dem Verlust Ihrer wertvollen Daten.