Der Sommer ist da, die Temperaturen steigen, und mit ihnen wächst das Bedürfnis nach Freiheit und Leichtigkeit. Für viele Menschen bedeutet das auch, die engen Schuhe abzulegen und die Welt barfuß zu erkunden. Doch was in Parks, am Strand oder im eigenen Garten völlig normal ist, wird in öffentlichen Verkehrsmitteln oft zu einer Kontroverse: Ist das Barfußgehen in Bus und Bahn eine harmlose Marotte, ein Ausdruck individueller Freiheit, oder birgt es das Potenzial für Ärger und sogar eine teure Ordnungswidrigkeit? Diese Frage beschäftigt nicht nur Fahrgäste und Verkehrsbetriebe, sondern auch Juristen und Hygieniker. Tauchen wir ein in die vielschichtige Welt des Barfußgehens im öffentlichen Nahverkehr.
Die Faszination des Barfußgehens: Warum überhaupt?
Die Gründe, warum Menschen sich entscheiden, barfuß unterwegs zu sein, sind vielfältig. Für die einen ist es eine Frage des Komforts: Nichts drückt, nichts reibt, die Füße können atmen. Gerade an heißen Tagen ist das Gefühl, ohne Schuhe zu sein, für viele eine Wohltat. Andere schwören auf die gesundheitlichen Vorteile: Barfußlaufen stärkt die Fußmuskulatur, fördert eine natürliche Körperhaltung und stimuliert Reflexzonen. Es gibt sogar Befürworter des sogenannten „Earthing” oder „Grounding”, die glauben, dass der direkte Kontakt zur Erde eine positive Wirkung auf das Wohlbefinden hat. Wieder andere sehen es als Ausdruck eines bestimmten Lebensgefühls, einer Verbundenheit mit der Natur und einer Abkehr von Konventionen.
Im privaten Umfeld oder an dafür vorgesehenen Orten wie dem Strand ist das Barfußgehen unbestreitbar eine schöne Sache. Doch sobald man den Schritt in den öffentlichen Raum wagt, insbesondere in den beengten und von vielen Menschen genutzten Nahverkehr, ändern sich die Spielregeln. Hier treffen persönliche Vorlieben auf kollektive Erwartungen, Hygienebedenken und nicht zuletzt auf die Regeln des Hausrechts.
Hygiene: Ein heikles Terrain
Einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte am Barfußgehen in Bus und Bahn ist die Hygiene. Die Böden öffentlicher Verkehrsmittel sind notorisch schmutzig. Man findet dort alles Mögliche: Staub, Schmutz, Krümel, verschüttete Getränke, Spucke, aber auch unappetitlichere Dinge wie Erbrochenes, Kaugummi, Glassplitter oder sogar Spritzen. Der direkte Kontakt der nackten Füße mit solchen Oberflächen ist für viele eine unerträgliche Vorstellung.
Doch wie hoch ist das tatsächliche Gesundheitsrisiko? Experten relativieren oft die Gefahr von Krankheitsübertragungen durch reine Bodenkontakte, solange keine offenen Wunden vorhanden sind. Dennoch bleiben die ästhetischen und emotionalen Aspekte: Der Anblick oder gar Geruch nackter Füße, die den Schmutz des Bodens aufnehmen und vielleicht sogar auf Sitze ablegen, wird von vielen als ekelerregend und unappetitlich empfunden. Dieses Gefühl der Belästigung und des Unbehagens ist ein signifikanter Faktor in der Debatte.
Sicherheit zuerst: Rutschgefahr und Verletzungsrisiko
Neben der Hygiene ist die Sicherheit ein ebenso wichtiges Argument gegen das Barfußgehen in öffentlichen Verkehrsmitteln. Ein Bus oder eine Bahn ist kein sicherer Ort für ungeschützte Füße:
- Scharfe Gegenstände: Auf den Böden können sich Glassplitter, Nägel, Schrauben oder andere scharfkantige Objekte befinden, die schmerzhafte Verletzungen verursachen können.
- Rutschgefahr: Bei Regenwetter, verschütteten Flüssigkeiten oder plötzlichen Bremsmanövern kann der Halt mit nackten Füßen extrem schwierig werden, was zu Stürzen und weiteren Verletzungen führen kann.
- Klemmen und Quetschen: Türen, die sich schließen, umfallendes Gepäck oder die Bewegungen der Menschenmenge können ungeschützten Zehen schwere Schäden zufügen.
- Notfälle: Im Falle einer Evakuierung oder eines Unfalls ist es entscheidend, schnell und sicher agieren zu können. Verletzte Füße können hierbei ein erhebliches Hindernis darstellen.
Verkehrsbetriebe haben eine Sorgfaltspflicht gegenüber ihren Fahrgästen. Auch wenn sie nicht jeden Krümel entfernen können, so tragen sie doch Sorge für die allgemeine Fahrgastsicherheit. Das Barfußgehen erhöht das Risiko für den Einzelnen und potenziell auch für andere, wenn beispielsweise ein Sturz eine Kettenreaktion auslöst.
Die Rechtslage in Deutschland: Was sagt die Beförderungsordnung?
Kommen wir zum Kern der Frage: Ist Barfußgehen in Bus und Bahn überhaupt verboten? Die Antwort ist nicht so einfach, wie man vielleicht denkt, denn es gibt kein bundesweites Gesetz, das das Barfußgehen in öffentlichen Verkehrsmitteln explizit untersagt.
Entscheidend sind die Allgemeinen Beförderungsbedingungen (ABB) der jeweiligen Verkehrsbetriebe. Diese Bedingungen sind quasi der Vertrag zwischen dem Fahrgast und dem Verkehrsunternehmen. Obwohl die meisten ABB nicht explizit „Barfußgehen verboten” formulieren, enthalten sie oft Klauseln, die indirekt darauf abzielen könnten:
- Hausrecht: Verkehrsbetriebe besitzen das sogenannte Hausrecht. Das bedeutet, sie können festlegen, welche Verhaltensweisen in ihren Fahrzeugen und Anlagen zulässig sind und welche nicht. Bei grober Missachtung kann ein Hausverbot ausgesprochen werden.
- Pflicht zur Rücksichtnahme: Oft findet sich in den ABB die Formulierung, dass Fahrgäste so zu verhalten haben, dass andere nicht belästigt oder gefährdet werden. Nackte Füße auf Sitzen, an Scheiben oder das Hochlegen unhygienischer Füße auf Gegenstände könnten als Belästigung oder als Verstoß gegen die Ordnung und Sicherheit ausgelegt werden.
- Verschmutzung und Beschädigung: Sollte durch die nackten Füße eine erhebliche Verschmutzung des Fahrzeugs entstehen, kann dies als Verstoß gewertet werden.
- Angemessene Kleidung: Obwohl es selten explizit verlangt wird, kann von Fahrgästen implizit eine „der Situation angepasste” Kleidung erwartet werden. Schuhe gehören in unserer Gesellschaft in den meisten öffentlichen Bereichen dazu.
Was sind die Konsequenzen? Eine direkte „Strafe” oder ein Bußgeld allein für das Barfußgehen ist unwahrscheinlich. Die häufigste Konsequenz ist, dass das Personal (Fahrer, Kontrolleure) den Fahrgast auffordert, Schuhe anzuziehen oder das Fahrzeug zu verlassen. Weigert sich die Person, kann dies als Verstoß gegen das Hausrecht gewertet werden und im schlimmsten Fall zum Ausschluss von der Fahrt oder einem zeitlich begrenzten Beförderungsverbot führen. In extremen Fällen, wenn sich die Person aggressiv verhält oder weitere Ordnungswidrigkeiten begeht, können natürlich auch die Polizei eingeschaltet und weitreichendere Konsequenzen folgen. Die „teure Ordnungswidrigkeit” entsteht also nicht direkt aus dem Barfußgehen, sondern aus der Reaktion auf Anweisungen des Personals oder aus damit verbundenen weiteren Vergehen.
Das Dilemma der Verkehrsbetriebe: Kulanz vs. Klarheit
Für die Verkehrsbetriebe stellt das Thema eine Zwickmühle dar. Einerseits möchten sie nicht unnötig restriktiv sein und ihren Fahrgästen das Gefühl von Freiheit nehmen. Andererseits müssen sie ein angenehmes, sauberes und sicheres Umfeld für alle gewährleisten. Eine zu strikte Regelung könnte auf Widerstand stoßen, während eine zu lockere Haltung zu mehr Beschwerden und Konflikten führen könnte.
Oftmals liegt es im Ermessen des Fahrpersonals, wie mit Barfußgängern umgegangen wird. Diese fehlende, explizite Richtlinie kann zu Verwirrung und Inkonsistenzen führen, was weder für die Fahrgäste noch für das Personal ideal ist. Eine klare Kommunikation seitens der Verkehrsunternehmen über ihre Erwartungen – auch wenn sie nicht als hartes Verbot formuliert sind – könnte hier Abhilfe schaffen.
Barfuß im internationalen Vergleich: Andere Länder, andere Sitten?
Die Akzeptanz von Barfußgehen im öffentlichen Raum variiert stark von Kultur zu Kultur. Während in einigen asiatischen Ländern das Ablegen von Schuhen in bestimmten Innenräumen üblich ist, aber draußen oft strenge Reinlichkeitsstandards gelten, sind in südeuropäischen Küstenregionen oder in Teilen Australiens barfüßige Menschen im öffentlichen Raum weitaus häufiger anzutreffen. In den meisten westeuropäischen Ländern und Nordamerika wird das Barfußgehen in öffentlichen Verkehrsmitteln jedoch generell als unpassend empfunden, auch wenn es dort ebenfalls keine generellen Verbote gibt. Die gesellschaftlichen Normen und das Verständnis von Hygiene und Anstand spielen hier eine entscheidende Rolle.
Fazit und Empfehlung: Ein Plädoyer für Respekt und Rücksicht
Die Frage, ob Barfußgehen in Bus und Bahn eine harmlose Marotte oder eine teure Ordnungswidrigkeit ist, lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten. Es ist eine Grauzone, in der persönliche Freiheit auf gesellschaftliche Konventionen, Hygienebedenken und Sicherheitsaspekte trifft.
Während es in Deutschland kein generelles gesetzliches Verbot gibt, kann das Barfußgehen im öffentlichen Nahverkehr dennoch zu Problemen führen. Die potenziellen Konsequenzen reichen von irritierten Blicken und Beschwerden anderer Fahrgäste bis hin zu der Aufforderung des Personals, das Fahrzeug zu verlassen – und bei Nichtbefolgung zu einem Ausschluss von der Beförderung. Die Risiken für Hygiene und persönliche Sicherheit sind real und sollten nicht unterschätzt werden.
Letztlich läuft es auf ein Plädoyer für Rücksichtnahme und Respekt hinaus. Auch wenn es für den Einzelnen ein Gefühl von Freiheit bedeutet, sollte man bedenken, dass der öffentliche Raum von vielen Menschen geteilt wird, die unterschiedliche Empfindlichkeiten und Bedürfnisse haben. Das Tragen von Schuhen ist eine einfache Geste, die nicht nur die eigene Sicherheit gewährleistet, sondern auch die Hygieneanforderungen erfüllt und das Wohlbefinden der Mitreisenden berücksichtigt.
Bevor man also das nächste Mal barfuß in Bus oder Bahn steigt, sollte man sich fragen: Ist mir dieses kleine Stückchen Freiheit die potenziellen Risiken – gesundheitlicher, sozialer und möglicherweise auch finanzieller Natur – wirklich wert? Eine gute Alternative für heiße Tage könnten leichte Sandalen oder Flip-Flops sein. So bleiben die Füße luftig und geschützt, und der Frieden im Nahverkehr ist gesichert.