In der dynamischen Welt der städtischen Mobilität haben sich Carsharing-Dienste zu einer unverzichtbaren Alternative zum eigenen Auto entwickelt. Sie versprechen Flexibilität, Kostenersparnis und einen Beitrag zu einer nachhaltigeren Umwelt. Doch wenn man sich in deutschen Städten umschaut, fällt auf: Viele greifen zu Miles, selbst wenn der direkte Vergleich mit ShareNow auf den ersten Blick ShareNow als die preisgünstigere Option erscheinen lässt. Ist das nur ein Bauchgefühl oder steckt mehr dahinter? Dieser Artikel beleuchtet den überraschenden Grund, warum so viele Menschen trotz scheinbarer Kostenunterschiede Miles bevorzugen – und es ist komplexer, als man denkt.
Das Carsharing-Paradox: Eine Frage der Kostenwahrnehmung
Bevor wir uns den tieferen Gründen widmen, müssen wir uns das Preismodell beider Anbieter genauer ansehen. Hier liegt oft der Kern des vermeintlichen Paradoxons. ShareNow, ein Joint Venture von Daimler und BMW, setzt primär auf ein minutengenaues Abrechnungssystem. Man zahlt für jede angefangene Minute, in der das Fahrzeug genutzt wird. Die Preise variieren je nach Fahrzeugmodell und Tageszeit, oft beginnend bei etwa 0,19 bis 0,39 Euro pro Minute. Hinzu kommen Parkgebühren außerhalb des Geschäftsgebiets oder spezielle Stunden- und Tagespakete, die auf den ersten Blick attraktiv wirken können.
Miles hingegen geht einen anderen Weg: Hier wird hauptsächlich pro gefahrenem Kilometer abgerechnet, ergänzt durch eine feste Entriegelungsgebühr pro Fahrt (oft zwischen 1 und 2 Euro) und optionalen Zeittarifen für Standzeiten oder längere Buchungen. Die Kilometerpreise beginnen meist bei etwa 0,89 Euro pro Kilometer. Hinzu kommen bei Miles eine große Auswahl an Transportern und größeren Fahrzeugen, die für spezielle Zwecke sehr attraktiv sind.
Der Knackpunkt ist die Kostenwahrnehmung im städtischen Verkehr. Eine 20-minütige Fahrt mit ShareNow kann schnell 4 bis 8 Euro kosten, besonders wenn man im Stau steht oder einen Parkplatz sucht. Jede stehende Minute zählt. Bei Miles hingegen zahlt man für die Strecke. Steht man im Stau, erhöhen sich die Kosten nur marginal durch die Zeitgebühr für Standzeiten (oft sehr gering oder nur in Paketen relevant), aber der Kilometerpreis bleibt gleich. Dieses Gefühl der Kostenkontrolle und Transparenz ist ein psychologischer Vorteil, der nicht zu unterschätzen ist.
Die Psychologie der Preise: Transparenz und Planbarkeit im urbanen Dschungel
Im hektischen Stadtverkehr ist Planbarkeit ein hohes Gut. Ein entscheidender Faktor für die Präferenz von Miles liegt in diesem Gefühl der Vorhersehbarkeit. Bei ShareNow kann eine Fahrt, die man auf 15 Minuten schätzt, durch unerwarteten Stau, eine Umleitung oder die verzweifelte Suche nach einem Parkplatz leicht zu 25 oder 30 Minuten werden. Die Kosten explodieren förmlich, ohne dass der Nutzer dies direkt beeinflussen kann. Das führt zu Frustration und dem Gefühl, für etwas zu bezahlen, das man nicht aktiv nutzen konnte.
Miles’ Abrechnung pro Kilometer hingegen gibt dem Fahrer das Gefühl, die Kosten besser im Griff zu haben. Die Strecke ist oft eine feste Größe, und selbst wenn die Fahrt länger dauert, weil man im Stau steht, ändern sich die Kilometerkosten nicht. Die Standgebühr ist meist vernachlässigbar im Vergleich zu den Minutentarifen bei ShareNow. Dies schafft ein viel größeres Vertrauen in das Preismodell und vermittelt ein Gefühl der Fairness.
Ein weiterer Aspekt ist die Kognitive Verzerrung: Menschen neigen dazu, Verluste stärker zu empfinden als Gewinne. Ein zu hoher Preis pro Minute, der durch unvorhergesehene Umstände entsteht, wird als Verlust wahrgenommen und bleibt negativ im Gedächtnis haften. Ein stabilerer Kilometerpreis, selbst wenn er am Ende leicht über dem optimalen ShareNow-Preis liegen mag, fühlt sich sicherer und weniger risikoreich an.
Die Nutzererfahrung (UX) und Fahrzeugverfügbarkeit: Mehr als nur ein Auto
Neben dem Preismodell spielen auch die Nutzererfahrung und die Flotte eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Carsharing-Anbieters. Beide Dienste bieten moderne Apps, über die Fahrzeuge gefunden, reserviert und geöffnet werden können. Doch es gibt feine Unterschiede, die die Präferenz beeinflussen:
- Fahrzeugvielfalt und -zustand: Miles hat sich durch eine sehr breite Palette an Fahrzeugen einen Namen gemacht, insbesondere durch eine große Anzahl an Transportern (Vans). Diese sind für Umzüge, größere Einkäufe oder den Transport sperriger Gegenstände unerlässlich und in dieser Dichte bei ShareNow kaum zu finden. Wer spontan ein Regal abholen oder ein paar Kisten transportieren muss, greift fast automatisch zu Miles. Diese Nische hat Miles extrem gut besetzt und eine starke Kundenbindung aufgebaut. Auch die kleineren Fahrzeuge von Miles werden oft als gepflegter und moderner wahrgenommen, was subjektiv die Nutzererfahrung verbessert.
- Verfügbarkeit: Die Dichte der Fahrzeuge in den Geschäftsgebieten kann variieren. Oft wird Miles in einigen Städten eine höhere Verfügbarkeit zugeschrieben, insbesondere außerhalb der absoluten Innenstadtkerne. Eine schnelle und zuverlässige Verfügbarkeit ist entscheidend, wenn man spontan ein Auto benötigt.
- App-Bedienung: Beide Apps sind intuitiv, aber subtile Unterschiede in der Menüführung, der Kartenansicht oder dem Buchungsprozess können zu einer Präferenz führen. Kleinere technische Probleme oder eine als unübersichtlich empfundene Preisdarstellung bei ShareNow können Nutzer abschrecken.
Flexibilität und Freiheit: Der Vorteil der Miles-Pakete und Parkregeln
Carsharing lebt von seiner Flexibilität. Hier punkten beide Anbieter, aber wiederum mit Nuancen:
- Drop-off-Zonen: Beide sind Free-Floating-Systeme, was bedeutet, dass die Fahrzeuge innerhalb eines definierten Geschäftsgebiets überall abgestellt werden können. Miles hat hier jedoch in einigen Städten großzügigere Regeln bezüglich des Parkens auf Anwohnerparkplätzen oder in bestimmten Zonen, was die Parkplatzsuche und damit das Ende der Miete erleichtert.
- Paketlösungen: Sowohl Miles als auch ShareNow bieten Stunden- und Tagespakete an. Doch die Pakete von Miles, oft kombiniert mit einer Freikilometer-Anzahl, werden häufig als attraktiver und flexibler empfunden, da sie das Gefühl geben, Zeitdruck zu minimieren und eine fixe Kostenbasis für längere Fahrten zu haben, ohne ständig auf die Uhr schauen zu müssen.
- Miles Pass: Miles hat ein Abo-Modell namens „Miles Pass“ eingeführt, das Nutzern Rabatte auf Fahrten, keine Entriegelungsgebühren und andere Vorteile bietet. Dies fördert die Kundenbindung und belohnt Vielnutzer, was ShareNow in dieser Form nicht immer so direkt bietet.
Der „Transporter-Effekt“ und spezifische Anwendungsfälle
Der wahrscheinlich „überraschendste Grund” und ein absoluter Game-Changer für Miles ist die starke Positionierung im Bereich der Transporter. ShareNow bietet zwar auch größere Fahrzeuge an, aber die Dichte und Vielfalt an Vans bei Miles ist unerreicht. Dies erschließt eine komplett andere Zielgruppe und deckt einen spezifischen Bedarf ab, der über die reine Personenbeförderung hinausgeht:
- Umzüge und Großeinkäufe: Wer spontan ein Möbelstück abholen oder einen Wocheneinkauf für die ganze Familie transportieren muss, findet bei Miles fast immer einen passenden Transporter. Diese Fahrten sind oft zeitkritisch und erfordern ein hohes Maß an Ladekapazität.
- Handwerker und Kleingewerbe: Auch für Handwerker oder Kleinunternehmer, die kurzfristig Material transportieren müssen, sind die Miles-Vans eine ideale Lösung.
Diese Funktionalität ist ein entscheidender Vorteil, der Miles für viele Nutzer unverzichtbar macht. Selbst wenn ShareNow für die kurze Fahrt zum Bahnhof günstiger wäre, die Tatsache, dass Miles diese spezielle Anforderung abdeckt, festigt seine Position im Bewusstsein der Nutzer. Es ist ein „One-Stop-Shop” für diverse Mobilitätsbedürfnisse.
Marketing, Markenimage und Mundpropaganda
Neben den harten Fakten spielen auch weichere Faktoren eine Rolle. Das Markenimage, die Marketingkommunikation und nicht zuletzt die Mundpropaganda unter Freunden und Bekannten beeinflussen die Wahl. Miles hat es geschafft, sich als cooler, unkomplizierter und vielseitiger Anbieter zu positionieren. Die häufigere Präsenz von Miles-Fahrzeugen im Stadtbild (auch durch die Transporter) kann zu einer höheren Bekanntheit und einem Gefühl der Allgegenwart führen.
Oftmals ist es auch die schlichte Gewohnheit: Wer einmal gute Erfahrungen mit Miles gemacht hat und die App als einfach empfindet, bleibt dabei. Der Aufwand, sich bei einem anderen Dienst anzumelden, sich an ein neues System zu gewöhnen und die Preise neu zu vergleichen, wird oft gescheut, selbst wenn eine kleine Ersparnis lockt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, und im Bereich der Mobilität ist das nicht anders.
Fazit: Es ist nicht nur der Preis, sondern der Wert
Die Frage, warum viele Miles nutzen, obwohl ShareNow oft günstiger ist, lässt sich nicht mit einem einfachen Preiskampf beantworten. Der überraschende Grund liegt in einer komplexen Mischung aus psychologischen Faktoren, einem transparenteren Preismodell, der überragenden Fahrzeugvielfalt (insbesondere den Transportern) und einer insgesamt als zuverlässiger und flexibler wahrgenommenen Nutzererfahrung.
Miles bietet seinen Nutzern ein Gefühl der Planbarkeit und Kostenkontrolle, das im unberechenbaren Stadtverkehr Gold wert ist. Die Möglichkeit, für jede Art von Transport – vom kleinen Einkauf bis zum Umzug – das passende Fahrzeug aus einer Hand zu bekommen, schafft einen immensen Mehrwert. Während ShareNow sicherlich seine Berechtigung für sehr kurze, staufreie Fahrten hat, bietet Miles ein umfassenderes und stressfreieres Gesamtpaket, das die Nutzer bereit sind, unter Umständen mit einem leicht höheren Preis zu honorieren.
Es ist ein klassisches Beispiel dafür, dass der „Preis” nicht immer das alleinige Kriterium ist. Der „Wert”, den ein Dienst bietet – sei es durch Bequemlichkeit, Vielseitigkeit oder psychologische Sicherheit – entscheidet letztendlich über die Kundentreue und die Marktführerschaft. Miles hat verstanden, diese Bedürfnisse zu bedienen und sich damit als bevorzugte Wahl im deutschen Carsharing etabliert.