Die Assassin’s Creed-Reihe hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt. Von den Anfängen als reines Stealth-Action-Spiel bis hin zu monumentalen Open-World-RPGs hat die Serie viele Wandlungen durchgemacht. Eine der auffälligsten Veränderungen, die Fans der ersten Stunde und neuere Spieler gleichermaßen bemerkt haben dürften, betrifft das Arsenal unserer Protagonisten. Genauer gesagt: den Bogen. Einst ein treuer Begleiter, eine vielseitige Waffe für Distanzkämpfe und heimliche Eliminierungen, scheint sein Stern in den neuesten Ablegern der Reihe, insbesondere mit der Rückbesinnung auf die Wurzeln in Assassin’s Creed Mirage, rapide zu sinken. Aber warum verzichtet Ubisoft, der Entwickler hinter dem Milliarden-Franchise, zunehmend auf dieses ikonische Werkzeug? Ist der Bogen wirklich „adé”? Tauchen wir ein in die Gründe hinter dieser strategischen Entscheidung.
Die glorreichen Tage des Fernkampfs: Von Origins bis Valhalla
Die „RPG-Trilogie” von Assassin’s Creed – bestehend aus Origins, Odyssey und Valhalla – definierte das Gameplay der Serie neu. Mit weitläufigen Landschaften, komplexen Charaktersystemen und einem Fokus auf Loot und Leveling erhielten Spieler eine nie dagewesene Freiheit in der Gestaltung ihres Kampfstils. In dieser Ära erlebte der Bogen seinen Höhepunkt. Er war nicht nur eine Ergänzung, sondern oft eine zentrale Säule des Kampfsystems.
In Assassin’s Creed Origins, wo wir Bayek in Ägypten begleiteten, war der Bogen ein unverzichtbares Werkzeug. Er diente dazu, Feinde aus der Ferne auszuschalten, gefährliche Tiere zu jagen und sogar in Bosskämpfen entscheidende Vorteile zu verschaffen. Die verschiedenen Bogenarten – Jägerbogen, Kriegsbogen, leichter Bogen, Raubtierbogen – boten eine enorme taktische Vielfalt. Spieler konnten sich als lautlose Scharfschützen spezialisieren, die ihre Ziele aus großer Entfernung eliminierten, oder in hitzigen Gefechten schnell Pfeile verschießen, um den Druck aufrechtzuerhalten.
Assassin’s Creed Odyssey, angesiedelt im antiken Griechenland, setzte diesen Trend fort. Kassandra oder Alexios konnten zu wahren Meistern des Bogens werden, ihre Fähigkeiten mit einer Vielzahl von Pfeiltypen (Feuerpfeile, Giftpfeile, lähmende Pfeile) und mächtigen Bogen-Skills erweiterten. Der Bogen wurde oft als „God-Mode”-Waffe bezeichnet, da er es ermöglichte, selbst die stärksten Gegner und Lager aus sicherer Distanz zu dezimieren. Dies führte zu einer Spielweise, die sich teils stark vom traditionellen Assassin’s Creed-Stealth entfernte, hin zu einer Art Third-Person-Shooter-Erfahrung.
Selbst in Assassin’s Creed Valhalla, das den Fokus wieder stärker auf brachiale Nahkämpfe mit Äxten und Schilden legte, blieb der Bogen ein wichtiges Element. Eivor nutzte ihn, um Schwachstellen von Gegnern zu treffen, Kopfschüsse für schnelle Kills zu landen oder schlichtweg um Gegner vor dem Nahkampf zu schwächen. Obwohl er hier vielleicht nicht mehr die dominante Rolle wie in Odyssey spielte, war er immer noch ein integraler Bestandteil des Arsenals und viele Fähigkeiten im Skilltree waren auf seine Nutzung ausgelegt.
Die RPG-Ära etablierte den Bogen als eine mächtige, vielseitige und oft übermächtige Waffe. Doch genau in dieser Dominanz und der damit verbundenen Verlagerung des Gameplays weg von den Kernprinzipien der Serie, könnten die Wurzeln für seinen allmählichen Rückzug liegen.
Der Wendepunkt: Warum der Bogen in Ungnade fällt
Die Entscheidung, den Bogen aus der vordersten Reihe der Waffen zu verbannen, ist keine plötzliche Laune, sondern das Ergebnis einer bewussten Neuausrichtung von Ubisoft. Mehrere Faktoren tragen zu dieser Entwicklung bei, die das Kern-Gameplay von Assassin’s Creed wieder stärker definieren sollen.
Die Rückbesinnung auf die Kernidentität: Stealth und die Hidden Blade
Der wohl prominenteste Grund ist Ubisofts Wunsch, zur ursprünglichen Identität der Serie zurückzukehren. Assassin’s Creed stand immer für Stealth, Parkour und die ikonische Hidden Blade. Die RPG-Trilogie, so erfolgreich sie auch war, entfernte sich oft von diesen Wurzeln. Wenn Spieler ganze Lager aus der Ferne mit Pfeilen leerräumen konnten, ohne jemals in den Nahkampf zu müssen oder überhaupt entdeckt zu werden, ging ein Großteil des „Assassinen”-Gefühls verloren.
Ein echter Assassine agiert lautlos, unsichtbar und aus nächster Nähe. Die Hidden Blade ist das Symbol dieser Philosophie. Der Bogen, so praktisch er auch sein mag, fördert eine Distanz zum Ziel, die nicht unbedingt mit dem Bild eines Schattenkriegers, der sich im Verborgenen bewegt, übereinstimmt. Durch das Zurückdrängen des Bogens zwingt Ubisoft die Spieler wieder dazu, sich mehr mit der Umgebung auseinanderzusetzen, Deckung zu nutzen und die Kunst des lautlosen Anschleichens zu perfektionieren – genau das, was die frühen Spiele so beliebt gemacht hat.
Balancing-Herausforderungen und das Problem der Trivialisierung
Ein weiterer entscheidender Punkt ist das Gameplay-Balancing. Wie bereits erwähnt, waren Bögen in Odyssey und teilweise auch in Origins unglaublich mächtig. Sie konnten das Spiel trivialisieren, indem sie den Schwierigkeitsgrad drastisch senkten. Wenn die effektivste Strategie darin bestand, sich auf einen erhöhten Punkt zu stellen und jeden Gegner aus der Ferne zu erledigen, reduzierte das die Notwendigkeit für innovative Stealth-Ansätze, komplexe Nahkampf-Kombinationen oder die Nutzung der Umgebung.
Das Design von Gegnern und Levelstrukturen wurde durch die omnipräsente Bogenbedrohung ebenfalls beeinflusst. Um der Macht der Bögen entgegenzuwirken, mussten Entwickler entweder die Gegner zu „Pfeilschwämmen” machen, die absurd viele Treffer einstecken konnten, oder aber Bogenschützen zu häufig platzieren, was wiederum das Spielerlebnis frustrierend machen konnte. Indem der Bogen in seiner Rolle reduziert wird, kann Ubisoft das Kampfsystem und die Gegner-KI wieder auf einen ausgewogeneren, herausfordernderen Nahkampf und Stealth-Ansatz abstimmen.
Gameplay-Diversifizierung und der Wert anderer Werkzeuge
Die Entscheidung gegen den dominierenden Bogen ist auch eine Chance, andere Aspekte des Gameplays und andere Werkzeuge hervorzuheben. Assassin’s Creed hatte schon immer eine Fülle von Gadgets und Fähigkeiten, die oft im Schatten des übermächtigen Bogens standen. Rauchbomben, Wurfmesser, Schlafpfeile (oft auch mit Bogen verbunden, aber hier geht es um die Grundwaffe) oder die Nutzung der Umgebung für Attentate bieten vielfältige Möglichkeiten, die sich wieder stärker in den Vordergrund drängen können.
Statt eines primären Fernkampfsystems durch den Bogen kann Ubisoft nun den Spielern mehr Anreize geben, kreativ zu werden. Das bedeutet:
- Mehr Fokus auf Parkour-Attentate aus der Höhe.
- Die Nutzung von Verstecken und Menschenmengen für unerwartete Angriffe.
- Gezielte Sabotage von Lichtquellen, Fallen oder Objekten, um Gegner abzulenken oder zu eliminieren.
Diese Methoden passen besser zum Bild eines geschickten Attentäters als das bloße Abschießen von Pfeilen aus der Ferne.
Die Spielerbasis und ihre Wünsche
Es ist kein Geheimnis, dass die RPG-Elemente und die damit verbundene Aufblähung des Gameplays in der Community umstritten waren. Viele Veteranen wünschten sich eine Rückkehr zu den Wurzeln, zu den Elementen, die die Serie einst groß gemacht haben. Ubisoft reagiert mit der Neuausrichtung auf dieses Feedback. Die Reduzierung des Bogens ist Teil eines größeren Plans, die Serie wieder in eine Richtung zu lenken, die den Wünschen der „Core”-Fans entgegenkommt.
Analysen des Spielerverhaltens könnten ebenfalls gezeigt haben, dass eine signifikante Anzahl von Spielern den Bogen zwar nutzte, aber oft das Gefühl hatte, dass er das Spiel zu einfach machte oder die Immersion brach. Eine anspruchsvollere, auf Stealth und Geschicklichkeit basierende Spielerfahrung könnte langfristig die Bindung der Community stärken.
Narrative und Immersion
Zuletzt spielt auch die Narrative und die Immersion eine Rolle. Während ein Bogenschütze in manchen Epochen und Kulturen (wie den Wikingern oder den Ägyptern) absolut Sinn macht, ist er nicht unbedingt das primäre Werkzeug eines „Hidden One” oder „Assassinen” im klassischen Sinne. Protagonisten wie Basim in Mirage sind Meister der Hidden Blade, des Parkours und der Täuschung. Ihr Stil ist schnell, präzise und tödlich – oft aus dem Verborgenen und aus nächster Nähe. Ein dominanter Bogen würde diesen Charakterzügen und der Erzählung über die Entstehung der Assassinen-Bruderschaft weniger gerecht werden.
Mirage als Paradigmenwechsel: Ein Blick in die Zukunft
Assassin’s Creed Mirage ist das Paradebeispiel für diese neue Philosophie. Das Spiel wurde explizit als Rückkehr zu den Wurzeln konzipiert, als eine Hommage an die ersten Spiele der Reihe. Entsprechend wurde das Gameplay von Grund auf überarbeitet. Der Bogen ist zwar nicht gänzlich verschwunden, aber seine Rolle ist drastisch reduziert. Er ist kein primäres Kampfwerkzeug mehr, sondern eher ein Hilfsmittel für spezifische Situationen.
In Mirage liegt der Fokus auf der Hidden Blade, auf der Kunst des Parkour-Attentats und auf dem Einsatz von Gadgets wie Wurfmessern und Rauchbomben. Spieler werden ermutigt, sich unbemerkt durch Menschenmengen zu bewegen, über Dächer zu schleichen und ihre Ziele mit präzisionierter Stealth-Action auszuschalten. Das Kampfsystem ist schneller und weniger auf direkte Konfrontation ausgelegt. Wer in einen offenen Kampf gerät, wird schnell überfordert sein, was den Anreiz erhöht, Stealth zu priorisieren.
Diese Designentscheidung in Mirage sendet eine klare Botschaft: Ubisoft möchte die Essenz von Assassin’s Creed wiederentdecken. Der Bogen mag in großen RPG-Sandboxen seine Berechtigung gehabt haben, aber in einem fokussierten Stealth-Erlebnis ist er eher ein Hindernis für die angestrebte Spielerfahrung. Statt der Möglichkeit, jeden Feind aus der Ferne zu eliminieren, geht es nun darum, den besten Weg zu finden, um ungesehen an sein Ziel zu gelangen und es im richtigen Moment lautlos auszuschalten.
Die Zukunft des Kampfes in Assassin’s Creed
Was bedeutet dieser Trend für die Zukunft der Assassin’s Creed-Reihe? Es ist wahrscheinlich, dass kommende Spiele, die sich stärker an den Wurzeln orientieren, ebenfalls auf eine reduzierte Rolle des Bogens setzen werden. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass Fernkampf komplett verschwindet. Vielmehr wird er neu interpretiert:
- Gezielte Gadgets: Wurfmesser, Giftpfeile (als Einweg-Gegenstände), Blasrohre oder Armbrüste könnten als präzisere, situationsbezogene Fernkampfwaffen dienen, die nicht das gesamte Gameplay dominieren.
- Umgebungsinteraktionen: Die Umwelt wird stärker zum Fernkampfinstrument – herabstürzende Objekte, explodierende Fässer oder Feuerquellen, die aus der Distanz aktiviert werden können.
- Raffiniertes Stealth: Der Fokus wird auf die perfekte Ausführung von Stealth-Routen liegen, das Studieren von Patrouillenmustern und die Nutzung von Verstecken für lautlose Kills.
- Dynamischer Nahkampf: Wenn offene Kämpfe unvermeidlich sind, sollen sie sich flüssiger, herausfordernder und weniger wie ein „Slash-Fest” anfühlen, sondern mehr Geschick und Timing erfordern.
Ubisoft scheint eine klare Vision zu verfolgen: Die Assassin’s Creed-Reihe soll wieder für das stehen, was sie ursprünglich war – ein packendes Stealth-Abenteuer mit einer tiefgründigen Geschichte und einem immersiven Kampfsystem, das den Spieler herausfordert, kreativ und präzise zu agieren.
Fazit
Die Ära, in der der Bogen die dominante Waffe in Assassin’s Creed war, neigt sich dem Ende zu. Was als Versuch begann, das Gameplay zu diversifizieren und den Spielern mehr Freiheit zu geben, führte in der RPG-Trilogie zu einer Übermacht des Fernkampfs, die die Kernprinzipien der Serie zu verwässern drohte. Mit Assassin’s Creed Mirage unternimmt Ubisoft einen bewussten Schritt zurück, um die Hidden Blade, das Stealth-Gameplay und die Kunst des lautlosen Attentats wieder in den Mittelpunkt zu rücken.
Dieser Verzicht auf den omnipräsenten Bogen ist mehr als nur eine kosmetische Änderung; es ist ein klares Statement zur zukünftigen Ausrichtung der Reihe. Es ist eine Rückbesinnung auf das, was einen wahren Assassinen ausmacht: Präzision, Heimlichkeit und das Streben nach dem perfekten Kill, oft aus nächster Nähe. Pfeil und Bogen adé? Zumindest in seiner übermächtigen Form: Ja. Und das könnte die Assassin’s Creed-Reihe genau dorthin zurückführen, wo sie hingehört – in die Herzen der Stealth-Enthusiasten.