Seit seiner Enthüllung löste Zelda: Tears of the Kingdom eine Welle der Begeisterung aus, die mit dem Release am 12. Mai 2023 ihren Höhepunkt erreichte. Als direkter Nachfolger des revolutionären Breath of the Wild trug das Spiel eine enorme Last auf seinen Schultern. Die Frage, die sich seither in der Gaming-Welt stellt, ist simpel und doch komplex: Ist Tears of the Kingdom ein echtes Meisterwerk, das seinen Vorgänger übertrifft und neue Maßstäbe setzt, oder ein überhypter Aufguss, der zwar Spaß macht, aber letztlich an seinen eigenen Erwartungen scheitert? Wir tauchen tief ein, um diese Frage aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten.
Die Erwartungshaltung: Ein gigantisches Erbe
Als The Legend of Zelda: Breath of the Wild 2017 erschien, definierte es das Genre der Open-World-Spiele neu. Es brach mit Konventionen, setzte auf Physik-Engines, emergentem Gameplay und eine beispiellose Freiheit. Die Messlatte für seinen Nachfolger lag astronomisch hoch. Nintendo hatte die schwierige Aufgabe, eine Weiterentwicklung zu liefern, die frisch genug ist, um zu überraschen, aber gleichzeitig die Essenz dessen bewahrt, was BotW so besonders machte. Erste Trailer, die ein vertrautes Hyrule zeigten, ließen bei einigen Spielern Skepsis aufkommen: Würde es sich wirklich „neu” anfühlen, oder nur wie ein großes DLC?
Die Welt von Hyrule: Vertraut und doch neu entdeckt
Einer der größten Diskussionspunkte war im Vorfeld die Wiederverwendung der aus BotW bekannten Weltkarte. Doch Tears of the Kingdom beweist, dass „vertraut” nicht gleich „langweilig” bedeutet. Nintendo hat Hyrule nicht nur überarbeitet, sondern dreidimensional erweitert:
- Die Himmelsinseln (Sky Islands): Diese schwebenden Archipels sind nicht nur atemberaubend schön, sondern bieten auch eine völlig neue Ebene der Erkundung. Das vertikale Gameplay wird hier in den Vordergrund gerückt, mit komplexen Puzzles, neuen Schreinen und oft herausfordernden Wegen, um sie zu erreichen. Sie erzählen die Geschichte der Zonai und bieten einzigartige Ressourcen.
- Die Oberfläche Hyrules: Obwohl die Topographie bekannt ist, hat sich viel verändert. Siedlungen sind gewachsen, Ruinen haben sich verändert, und die Auswirkungen des Miasmas sind überall sichtbar. Neue Geheimnisse und Charaktere beleben die alten Pfade neu.
- Der Untergrund (Depths): Dies ist vielleicht die kühnste Neuerung. Ein riesiges, dunkles und gefährliches Höhlensystem, das sich unter der gesamten Karte erstreckt. Der Untergrund ist eine Welt für sich – beängstigend, unwirtlich und voller wertvoller Rohstoffe sowie einzigartiger Gegner. Die Erkundung hier ist ein echtes Abenteuer, das Mut und Vorbereitung erfordert und ein starkes Gefühl der Isolation vermittelt.
Die Kombination dieser drei Ebenen schafft eine Welt, die sich tatsächlich gigantischer anfühlt als je zuvor. Die Reise zwischen Himmel, Oberfläche und Untergrund ist nahtlos und immer wieder überraschend. Die Freiheit, die Richtung und Art der Erkundung selbst zu bestimmen, ist nach wie vor das Herzstück des Erlebnisses.
Das Gameplay-Gerüst: Innovationen, die begeistern (oder polarisieren?)
Hier liegt der Kern dessen, was Tears of the Kingdom zu einem potenziellen Meisterwerk macht – oder eben nicht, je nach Spielertyp. Nintendo hat vier neue Fähigkeiten eingeführt, die das Spielgeschehen fundamental verändern:
- Ultrahand: Diese Fähigkeit ist der absolute Game Changer. Sie erlaubt es Link, fast alle Objekte in der Spielwelt zu greifen, zu drehen und miteinander zu verbinden. Ob Fahrzeuge, Brücken, Aufzüge oder verrückte Flugmaschinen – die Kreativität ist die einzige Grenze. Ultrahand fördert experimentelles Denken wie kaum ein Spiel zuvor und verwandelt selbst scheinbar banale Aufgaben in eine Sandbox der Ingenieurskunst. Sie ist der Schlüssel zu den meisten Rätseln und zum Überwinden von Hindernissen.
- Synthese (Fuse): Schluss mit zerbrechlichen Waffen, die nach wenigen Schlägen kaputt gehen! Mit Synthese kann Link Gegenstände an seine Waffen, Schilde und Pfeile anbringen, um deren Eigenschaften zu verbessern oder gänzlich neue Effekte zu erzeugen. Ein Stein an einem Schwert macht es zu einer Axt, ein Horn eines starken Gegners erhöht den Angriffswert enorm, ein Flammenwerfer an einem Schild wird zur Verteidigungswaffe. Diese Fähigkeit macht das Inventar-Management interessanter und fördert ebenfalls kreative Problemlösungen im Kampf.
- Deckensprung (Ascend): Eine scheinbar einfache Fähigkeit, aber unglaublich nützlich. Link kann durch Decken und Überhänge nach oben springen, solange diese nicht zu dick sind. Das ermöglicht schnelle vertikale Fortbewegung und das Umgehen von Kletterpassagen, was den Spielfluss erheblich verbessert und neue Wege der Erkundung eröffnet.
- Zeitumkehr (Recall): Diese Fähigkeit erlaubt es Link, die Bewegung eines Objekts in der Zeit zurückzuspulen. Ob man einen herunterfallenden Felsen als Fahrstuhl nutzt, um auf eine Himmelsinsel zu gelangen, oder feindliche Projektile zum Absender zurückschickt – Zeitumkehr ist ein vielseitiges Werkzeug für Puzzles und Kämpfe.
Die Kombination dieser Fähigkeiten eröffnet ein nahezu unendliches Spektrum an Möglichkeiten. Jede Herausforderung kann auf Dutzende Arten gelöst werden, was zu einem unvergleichlichen Gefühl von Freiheit und Autonomie führt. Die Physik-Engine von Nintendo Switch wird bis an ihre Grenzen ausgereizt, was manchmal zu skurrilen, aber immer wieder unterhaltsamen Momenten führt. Für Spieler, die gerne experimentieren und ihre eigenen Lösungen finden, ist dies ein Traum. Für andere, die eine klarere Führung oder einfachere Mechaniken bevorzugen, kann der Einstieg jedoch überfordern oder frustrieren.
Die Story: Dunkler, komplexer, aber…
Die Geschichte von Tears of the Kingdom ist merklich düsterer und komplexer als die von BotW. Ganon ist zurück – und gefährlicher denn je. Die Prämisse ist von Anfang an packend: Zelda verschwindet, Hyrule wird von Miasma heimgesucht, und Link muss die Ursprünge des Königreichs und die alte Zonai-Zivilisation ergründen, um die Katastrophe abzuwenden. Die Handlung wird durch Erinnerungen und die Suche nach Zelda vorangetrieben, wobei die Rolle der Weisen (Sages) und die Geschichte der ersten Könige eine zentrale Rolle spielen.
Die Erzählweise ist cineastischer und emotionaler, und die Charaktere – sowohl bekannte als auch neue – erhalten mehr Tiefe. Einige Spieler empfinden die Struktur der Story, die Link durch verschiedene Regionen führt, um die Weisen zu versammeln, als etwas repetitiv, ähnlich wie in BotW. Auch die Geschwindigkeit, mit der die Handlung voranschreitet, kann variieren, je nachdem, wie sehr man sich in Nebenaufgaben verliert. Insgesamt bietet die Story jedoch eine solide und packende Begründung für Links Abenteuer und bindet geschickt an die Überlieferungen von Zelda an.
Grafik, Sound und Atmosphäre: Ein Fest für die Sinne
Optisch bleibt Tears of the Kingdom dem Stil von Breath of the Wild treu, verfeinert ihn aber an vielen Stellen. Die Weitsicht ist beeindruckend, die Himmelsinseln sind malerisch, und der bedrohliche Untergrund ist atmosphärisch dicht gestaltet. Angesichts der schieren Größe und Komplexität der Welt ist die Performance auf der Nintendo Switch größtenteils stabil, auch wenn es bei besonders komplexen Bauten oder in belebten Szenen zu kleineren Rucklern kommen kann.
Der Sound trägt maßgeblich zur Immersion bei. Der dynamische Soundtrack passt sich perfekt den Situationen an, von der majestätischen Ruhe auf den Himmelsinseln bis zur bedrohlichen Stille des Untergrunds. Bekannte Zelda-Melodien werden neu interpretiert, und die Soundeffekte der neuen Fähigkeiten sind prägnant und befriedigend. Die Atmosphäre wechselt zwischen purer Entdeckerfreude, kindlichem Basteldrang und einem Gefühl der drohenden Gefahr, was die emotionale Bandbreite des Spiels unterstreicht.
Kritikpunkte und kleine Schattenseiten
Trotz aller Lobeshymnen ist kein Spiel perfekt, und Tears of the Kingdom hat auch seine Herausforderungen:
- Waffenhaltbarkeit und Inventar: Auch wenn Synthese das Problem der zerbrechlichen Waffen lindert, müssen Spieler immer noch häufig Waffen wechseln und reparieren. Das Fusionssystem kann das Inventar schnell überfüllen und das Management manchmal umständlich machen.
- Lernkurve der Fähigkeiten: Während erfahrene Spieler die Freiheit der neuen Fähigkeiten lieben, können Neulinge oder weniger technikaffine Spieler von der Komplexität von Ultrahand und Co. überfordert sein. Es erfordert ein gewisses Maß an Geduld und Experimentierfreude.
- Wiederkehrende Elemente: Einige Nebenaufgaben, bestimmte Gegnertypen oder die Struktur der Story-Abschnitte ähneln denen aus BotW. Für manche Spieler, die sich eine komplett frische Erfahrung gewünscht haben, kann dies zu einem Gefühl von Redundanz führen.
- Performance: Trotz der beeindruckenden Leistung der Nintendo Switch stößt das Spiel bei besonders aufwendigen Konstruktionen oder in dicht besiedelten Gebieten an seine Grenzen, was zu gelegentlichen Framerate-Einbrüchen führt.
- Das Gefühl des „Schleifens”: Die schiere Größe des Spiels und die vielen zu entdeckenden Orte können dazu führen, dass man sich manchmal in sich wiederholenden Aufgaben (wie dem Auffinden von Koroks) verliert, ohne das Gefühl eines echten Fortschritts in der Hauptstory.
Fazit: Ein Meisterwerk trotz aller Eigenheiten?
Die Frage „Hype oder Meisterwerk?” lässt sich nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten, da sie stark von der persönlichen Spielweise und den Erwartungen abhängt. Für die überwiegende Mehrheit der Spieler, Kritiker und Fans ist Zelda: Tears of the Kingdom jedoch zweifellos ein Meisterwerk.
Es ist ein Spiel, das seine Spieler ernst nimmt, ihnen Werkzeuge an die Hand gibt und sie dazu ermutigt, ihre eigenen Lösungen zu finden. Die neuen Fähigkeiten, insbesondere Ultrahand und Synthese, sind keine bloßen Gimmicks, sondern transformative Gameplay-Elemente, die eine kreative Freiheit ermöglichen, die in der Spielebranche ihresgleichen sucht. Das Gefühl, ein scheinbar unüberwindbares Hindernis mit einer selbst gebauten Maschine zu überwinden oder einen besonders starken Gegner mit einer clever fusionierten Waffe zu besiegen, ist ungemein befriedigend.
Nintendo hat nicht einfach nur eine Fortsetzung gemacht, sondern die Formel von Breath of the Wild genommen und sie in ungeahnte Höhen erweitert – und das, ohne eine neue Hardware-Generation zu nutzen. Die immense Dichte der Spielwelt, die tiefe Lore, die atmosphärische Präsentation und vor allem die unerreichte Freiheit im Gameplay machen Tears of the Kingdom zu einem unvergesslichen Erlebnis. Es mag nicht jeden einzelnen Spieler in jedem Aspekt begeistern und hat kleinere Schwächen, doch sein kühner Innovationsgeist und die schiere Menge an Content und Kreativität überstrahlen diese bei Weitem.
Es ist ein Spiel, das Geschichten generiert, bei dem jeder Spieler seine ganz eigenen, individuellen Abenteuer erlebt und darüber staunt, was mit etwas Fantasie und Links Fähigkeiten alles möglich ist. Es ist ein Triumph des emergenten Gameplays und ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man eine etablierte Formel nicht nur wiederholen, sondern auf geniale Weise weiterentwickeln kann. Ja, der Hype war riesig, aber Zelda: Tears of the Kingdom hat ihn nicht nur erfüllt, sondern in vielerlei Hinsicht übertroffen und sich seinen Platz als eines der besten Spiele auf der Nintendo Switch und in der langen Geschichte der Videospiele mehr als verdient. Was meint ihr dazu?