In der Welt der Videospiele gibt es nur wenige Franchises, die so ikonisch für ihre einzigartige Herangehensweise an die Attentatskunst stehen wie die Hitman-Reihe. Mit Hitman 3 erreichte die World of Assassination-Trilogie von IO Interactive ihren krönenden Abschluss und bot Spielern erneut die Möglichkeit, in die Rolle des legendären Klon-Agenten Agent 47 zu schlüpfen. Doch eine Frage, die sich bei jedem neuen Teil stellt, ist die nach der Brutalität des Spiels. Ist Hitman 3 ein Fest für Freunde expliziter Gewalt, oder erlaubt es eine subtile, fast klinische Herangehensweise, die das Blutvergießen auf ein Minimum reduziert? Die Antwort liegt, wie so oft, nicht in einem einfachen Ja oder Nein, sondern in der Spielerfreiheit und den Konsequenzen, die aus den Entscheidungen des Spielers resultieren.
Das Spiel selbst präsentiert sich als ein komplexes Puzzle, ein offener Sandkasten für kreative Problemlösungen. Auf der einen Seite steht der Weg des lautlosen Attentäters, ein Meister der Tarnung und Subtilität, der seine Ziele ohne Spuren und unnötigen Kollateralschaden eliminiert. Auf der anderen Seite gibt es den „Rambo”-Ansatz, bei dem die Waffen sprechen und Chaos und Konfrontation das Mittel der Wahl sind. Beide Wege sind in Hitman 3 möglich, doch sie unterscheiden sich fundamental in ihrer Definition von Brutalität – sowohl in der visuellen Darstellung als auch in der psychologischen Wirkung.
Die Philosophie des lautlosen Killers: Präzision und Perfektion
Der „lautlose Attentäter“ – im Spiel als „Silent Assassin“ bewertet – ist der von den Entwicklern bevorzugte und am meisten belohnte Spielstil. Er verkörpert die Essenz dessen, was Agent 47 ausmacht: ein kaltblütiger, effizienter Profi, der sich unbemerkt in die Umgebung einfügt, seine Ziele isoliert und eliminiert, ohne dass jemand merkt, dass er überhaupt da war. Diese Vorgehensweise erfordert Geduld, Beobachtungsgabe und ein tiefes Verständnis der Level-Architektur und der Verhaltensmuster der NPCs.
Die Mechaniken dieses Spielstils umfassen:
- Soziale Tarnung: 47 kann sich als Koch, Kellner, Wachmann oder sogar als Rockstar verkleiden, um Zugang zu gesperrten Bereichen zu erhalten und Verdacht zu vermeiden. Diese Verkleidungen sind nicht nur kosmetisch, sondern integraler Bestandteil des Stealth-Gameplays.
- Unfalltötungen: Viele der elegantesten und befriedigendsten Eliminierungen sind als Unfälle getarnt. Ein loses Geländer, ein explodierender Gasgrill, vergiftetes Essen oder ein „unglücklicher” Sturz – all diese Methoden lassen das Opfer wie durch höhere Gewalt ums Leben gekommen erscheinen, ohne dass 47 direkt als Täter identifiziert wird. Dies ist die Königsdisziplin des lautlosen Attentäters und minimiert die sichtbare Brutalität auf fast null.
- Ablenkung und Manipulation: Durch das Werfen von Münzen, das Einschalten von Radios oder das Verändern von Routen können Wachen abgelenkt oder Ziele in isolierte Bereiche gelockt werden, wo die Eliminierung diskret erfolgen kann.
- Nicht-tödliche Überwältigung: Viele NPCs können überwältigt und versteckt werden, anstatt getötet zu werden, was die Anzahl der Opfer weiter reduziert und den Silent Assassin-Status aufrechterhält.
Die wahrgenommene Brutalität dieses Ansatzes ist minimal. Visuell gibt es kaum Blut oder Gore. Eine Spritze in den Nacken, ein Genickbruch aus dem Hinterhalt oder eine subtile Vergiftung sind schnell und unauffällig. Die wahre Brutalität liegt hier in der Präzision, der Kälte und der gnadenlosen Effizienz, mit der 47 seine Arbeit verrichtet. Es ist eine klinische, fast unpersönliche Form der Gewalt, die gerade durch ihre Sauberkeit beunruhigend wirken kann. Der Spieler wird dazu angehalten, wie ein Uhrwerk zu agieren, jede Bewegung zu planen und die Umwelt als Waffe zu nutzen. Das Punktesystem von Hitman 3 belohnt diesen Stil massiv, indem es Boni für unentdeckte Eliminierungen, keine Zeugen, keine Leichenfunde und keine Alarme vergibt. Dies treibt viele Spieler dazu an, ihre Missionen immer wieder neu zu starten, um die perfekte, „unbrutalste” Eliminierung zu erreichen.
Der Weg des Rambo: Chaos und Konfrontation
Im krassen Gegensatz dazu steht der „Rambo”-Ansatz, auch bekannt als „loud approach” oder „shootout-Stil”. Obwohl Hitman 3 nicht primär als Third-Person-Shooter konzipiert ist, bietet es dem Spieler die Möglichkeit, diesen Weg zu gehen. Wenn Agent 47 entdeckt wird und sich in einem Feuergefecht wiederfindet, verschiebt sich das Spielgeschehen dramatisch.
Die Mechaniken dieses Spielstils umfassen:
- Offene Konfrontation: Statt sich zu tarnen, greift 47 direkt zur Waffe und schaltet Gegner im offenen Kampf aus. Dies führt zu Schusswechseln, Deckungssuchen und dem schnellen Verbrauch von Munition.
- Massenpanik und Kollateralschaden: Sobald ein Schusswechsel beginnt, bricht in der Umgebung Panik aus. Zivilisten schreien und rennen, Sicherheitskräfte stürmen herbei. Die Zielperson wird oft alarmiert und versucht zu fliehen. Dies führt zu einer Kette unkontrollierbarer Ereignisse und oft zu Opfern, die nicht primär im Visier standen.
- Einsatz von Explosivstoffen: Granaten, Minen oder explodierende Fässer werden nicht nur zur Ablenkung, sondern auch zur direkten Eliminierung von Gruppen von Feinden eingesetzt, was die Umgebung oft in Trümmern hinterlässt.
Die wahrgenommene Brutalität dieses Spielstils ist ungleich höher. Hier ist die Gewalt direkt, offensichtlich und oft chaotisch. Es gibt Schusswunden, Blutlachen, umherfliegende Körper und die Angst und Verzweiflung der Zivilisten. Der visuelle Gewaltgrad ist zwar immer noch weit entfernt von einem „Gore-Fest” im Stil mancher Horror-Shooter, aber die kumulative Wirkung des Chaos, der vielen Leichen und der offenen Aggression ist unbestreitbar brutal. Der Rambo-Weg belohnt den Spieler in Hitman 3 in der Regel nicht. Er führt zu einem miserablen Score, dem Verlust des „Silent Assassin”-Bonus und verwehrt oft den Zugang zu bestimmten Freischaltungen und Herausforderungen. Dennoch bietet er eine andere Art von Befriedigung: die rohe Kraft der Konfrontation, das Adrenalin eines Schusswechsels und die Freiheit, sich nicht an die strengen Regeln der Tarnung halten zu müssen. Für einige Spieler ist dies ein „Ventil” oder einfach eine Abwechslung vom meticulously geplanten Stealth-Gameplay.
Die Inszenierung der Gewalt in Hitman 3
Unabhängig vom gewählten Spielstil ist es wichtig zu betonen, wie Hitman 3 Gewalt darstellt. Im Vergleich zu vielen anderen modernen Actionspielen ist die Grafik der Gewalt eher stilisiert als hyperrealistisch. Es gibt zwar Blut, aber keine abgetrennten Gliedmaßen oder extreme Zerstückelung. Der Fokus liegt nicht auf der expliziten Darstellung von Verletzungen, sondern auf den Konsequenzen der Handlungen des Spielers. Eine sauber ausgeführte Unfalltötung ist „brutal”, weil sie so heimtückisch und effektiv ist, nicht weil sie blutig ist. Ein wildes Feuergefecht ist „brutal”, weil es Panik und Leid verursacht und die Kontrolle des Spielers über die Situation verloren geht.
Die psychologische Brutalität ist ein wichtiger Aspekt. Der „lautlose Attentäter” mag keine Blutbäder anrichten, doch die Kaltschnäuzigkeit, mit der Agent 47 seine Opfer aus dem Leben reißt, ohne mit der Wimper zu zucken, hat eine eigene, beunruhigende Qualität. Es ist die Darstellung eines Profis, für den menschliches Leben lediglich ein Ziel auf einer Liste ist, das mit maximaler Effizienz entfernt werden muss. Die moralische Ambiguität dieser Rolle ist ein wiederkehrendes Thema der Serie.
Spielerische Freiheit und moralische Ambiguität
Hitman 3 brilliert gerade wegen seiner Spielerfreiheit. Es zwingt den Spieler nicht in eine bestimmte Rolle, sondern bietet ein Spektrum an Möglichkeiten. Die Wahl des Spielstils ist eine bewusste Entscheidung, die nicht nur das Gameplay, sondern auch die eigene Wahrnehmung von Brutalität beeinflusst. Das Spiel gibt keine moralischen Urteile ab, sondern präsentiert die Konsequenzen der Handlungen des Spielers in Form des Punktesystems und der Reaktionen der Spielwelt. Ein Spieler, der sich für den „lautlosen Attentäter„-Weg entscheidet, wird sich oft als klug, geduldig und überlegen fühlen. Ein Spieler, der den „Rambo”-Weg wählt, mag sich mächtig fühlen, aber er wird auch mit dem Chaos und der Ineffizienz konfrontiert. Das Spiel stellt die Frage: Willst du ein effizientes Werkzeug oder eine entfesselte Naturgewalt sein?
Der Vergleich: Wer ist der „brutalere” Agent 47?
Die eigentliche Frage „Wie brutal ist Hitman 3 im Vergleich wirklich?” lässt sich also nicht pauschal beantworten. Sie hängt stark von der individuellen Definition von Brutalität ab. Wenn Brutalität primär an sichtbarem Blutvergießen, Chaos und offenem Kampf gemessen wird, dann ist der „Rambo”-Weg zweifellos der brutalere. Er erzeugt mehr visuelle Gewalt, mehr Leichen und mehr Panik in der Spielwelt.
Wenn Brutalität jedoch auch die kalte, berechnende Kaltblütigkeit, die absolute Kontrolle über Leben und Tod und die völlige Entmenschlichung des Opfers umfasst, dann kann der „lautlose Attentäter„-Weg auf einer subtileren, psychologischen Ebene als ebenso brutal, wenn nicht sogar beunruhigender, empfunden werden. Die Effizienz, mit der 47 ein Leben auslöscht, ohne dass jemand es bemerkt, ist eine Form der Gewalt, die gerade durch ihre Unsichtbarkeit erschreckt.
Letztendlich ist die „Brutalität” von Hitman 3 ein Werkzeug in den Händen des Spielers. Das Spiel ist so brutal, wie der Spieler es macht. Es ist ein Spiel, das die Wahl in den Vordergrund stellt und die Spieler dazu anregt, über die Natur ihrer Handlungen nachzudenken, auch wenn diese nur in einer virtuellen Welt stattfinden. Es ist nicht darauf ausgelegt, mit expliziter Gore zu schockieren, sondern mit der intelligenten Anwendung von Gewalt – sei es subtil und präzise oder chaotisch und direkt.
Fazit
Hitman 3 ist in seiner Essenz ein Spiel über Kontrolle und deren Verlust. Der „lautlose Attentäter” verkörpert die ultimative Kontrolle über die Situation, die Umgebung und das Schicksal seiner Opfer, was zu einer klinischen, oft ungesehenen Gewalt führt. Der „Rambo”-Ansatz repräsentiert den Verlust dieser Kontrolle, was in einer explosiven, visuellen und chaotischen Form der Brutalität resultiert. Beide Spielstile sind integraler Bestandteil des Erlebnisses und zeigen die Dualität von Agent 47s Fähigkeiten.
Die wahre Stärke von Hitman 3 liegt darin, dass es dem Spieler erlaubt, diese beiden Extreme zu erkunden und selbst zu entscheiden, welche Art von Attentäter er sein möchte. Es ist kein Spiel, das seinen Reiz aus dem Zelebrieren von Gore zieht, sondern aus der Befriedigung, eine komplexe Herausforderung auf die intelligenteste oder eben auf die chaotischste Weise zu meistern. In dieser Hinsicht ist Hitman 3 ein Meisterwerk der Spielerfreiheit und eine nuancierte Betrachtung der Brutalität in Videospielen, die weit über das bloße Zählen von Einschusslöchern hinausgeht.