Die deutsche Küche, geprägt von Tradition und regionalen Unterschieden, hat im Laufe der Geschichte viele Veränderungen erfahren. Ein spannendes Thema ist die Rolle von Hülsenfrüchten wie Bohnen und Linsen. Oftmals wird deren Popularität in Deutschland fälschlicherweise allein mit der Ankunft türkischer Gastarbeiter in den 1960er Jahren in Verbindung gebracht. Aber stimmt das wirklich? Kannten die Deutschen diese nahrhaften Lebensmittel schon vorher? Tauchen wir ein in eine kulinarische Zeitreise und erkunden die Geschichte von Bohnen und Linsen in Deutschland, um diese Frage zu beantworten.
Hülsenfrüchte in der deutschen Geschichte: Ein Überblick
Die Geschichte der Hülsenfrüchte in Deutschland reicht weit zurück, viel weiter als die 1960er Jahre. Archäologische Funde belegen, dass Erbsen und Ackerbohnen bereits in der Jungsteinzeit in Europa angebaut und verzehrt wurden. Im Mittelalter waren Bohnen und Linsen, neben Getreide, wichtige Bestandteile der Ernährung breiter Bevölkerungsschichten, insbesondere der ärmeren Bevölkerung. Fleisch war teuer und selten, daher dienten Hülsenfrüchte als wichtige Proteinquelle und lieferten wertvolle Nährstoffe.
Es ist wichtig zu verstehen, dass „Bohne” nicht gleich „Bohne” ist. Die hier angesprochenen frühen Bohnen waren anders als die Buschbohnen und Stangenbohnen, die wir heute kennen. Es handelte sich meist um Ackerbohnen (auch Saubohnen genannt), die robuster und besser an die klimatischen Bedingungen angepasst waren. Auch die Linsen waren anders. Es gab viele Sorten, aber sie waren ein fester Bestandteil der mittelalterlichen Küche.
Bohnen und Linsen vor dem 20. Jahrhundert: Regionale Unterschiede und Zubereitungsarten
Vor dem 20. Jahrhundert spielten Bohnen und Linsen in der deutschen Küche eine wesentliche Rolle, wenn auch mit deutlichen regionalen Unterschieden. In ländlichen Gebieten, wo die Selbstversorgung eine größere Bedeutung hatte, waren Hülsenfrüchte ein fester Bestandteil des Speiseplans. Sie wurden häufig in Eintöpfen, Suppen und als Beilage zu Fleischgerichten verwendet.
Ein klassisches Beispiel ist der „Pichelsteiner Eintopf” aus Bayern, der traditionell mit verschiedenen Fleischsorten, Kartoffeln und Wurzelgemüse zubereitet wird. Je nach Region und Saison konnten auch Bohnen oder Linsen hinzugefügt werden. Auch in Norddeutschland waren deftige Eintöpfe mit Hülsenfrüchten beliebt.
Die Zubereitungsmethoden waren einfach und bodenständig. Bohnen und Linsen wurden meist lange gekocht, um sie weich und bekömmlich zu machen. Gewürze wie Kümmel, Majoran und Speck dienten dazu, den Geschmack zu verbessern und die Verdauung zu fördern. Rezepte wurden mündlich von Generation zu Generation weitergegeben.
Die 1960er Jahre: Eine Zeit des Wandels
Die 1960er Jahre brachten einen tiefgreifenden Wandel in der deutschen Gesellschaft und auch in der Ernährung. Der wirtschaftliche Aufschwung führte zu einer steigenden Kaufkraft und einer veränderten Esskultur. Fleisch wurde erschwinglicher und spielte eine größere Rolle in der Ernährung. Fertiggerichte und Convenience-Produkte kamen auf den Markt und veränderten die Kochgewohnheiten vieler Menschen.
In diesem Kontext gerieten traditionelle Gerichte mit Hülsenfrüchten zunehmend in Vergessenheit. Sie galten oft als „Arme-Leute-Essen” und wurden von vielen als weniger attraktiv wahrgenommen. Bohnen und Linsen wurden zwar weiterhin konsumiert, aber ihre Bedeutung in der alltäglichen Ernährung nahm ab.
Gleichzeitig begann in den 1960er Jahren die Anwerbung türkischer Gastarbeiter, die einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft leisteten. Mit ihnen kamen auch neue kulinarische Einflüsse nach Deutschland, darunter auch die türkische Küche mit ihren vielfältigen Gerichten mit Hülsenfrüchten.
Der türkische Einfluss: Eine Bereicherung der deutschen Küche
Die Ankunft türkischer Gastarbeiter in den 1960er Jahren hatte einen nachhaltigen Einfluss auf die deutsche Esskultur. Sie brachten neue Geschmäcker, Zutaten und Zubereitungsmethoden mit, die die deutsche Küche bereicherten. Gerichte wie Mercimek Corbasi (Linsensuppe), Kuru Fasulye (weiße Bohnen in Tomatensauce) und verschiedene Arten von Börek (gefüllte Teigtaschen) wurden schnell populär.
Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass der türkische Einfluss nicht die „Erfindung” von Bohnen und Linsen in Deutschland bedeutete. Vielmehr trugen türkische Einwanderer dazu bei, das Interesse an diesen nahrhaften Lebensmitteln neu zu entfachen und sie in einem neuen Kontext zu präsentieren. Türkische Restaurants und Imbisse boten Hülsenfrüchte in einer Vielfalt an, die in der traditionellen deutschen Küche kaum zu finden war.
Die Renaissance der Hülsenfrüchte: Ein Blick in die Gegenwart
In den letzten Jahren erleben Hülsenfrüchte eine Renaissance in der deutschen Küche. Das wachsende Bewusstsein für gesunde Ernährung, Nachhaltigkeit und vegetarische/vegane Lebensweisen trägt dazu bei, dass Bohnen und Linsen wiederentdeckt werden. Sie sind nicht nur eine hervorragende Proteinquelle, sondern auch reich an Ballaststoffen, Vitaminen und Mineralstoffen.
Viele Köche und Ernährungsberater betonen die Vorteile von Hülsenfrüchten und entwickeln neue, kreative Rezepte. Von klassischen Eintöpfen und Suppen bis hin zu modernen Salaten, Currys und sogar Desserts – die Verwendungsmöglichkeiten von Bohnen und Linsen sind vielfältig. Auch der Anbau regionaler Hülsenfrüchte wird gefördert, um die Abhängigkeit von Importen zu verringern und die Nachhaltigkeit zu stärken.
Fazit: Eine lange Geschichte mit neuen Einflüssen
Die Frage, ob Deutsche in den 1960ern Bohnen und Linsen bereits vor der Ankunft der Türken kannten, kann also eindeutig mit „Ja” beantwortet werden. Hülsenfrüchte haben eine lange Tradition in der deutschen Küche und waren bereits im Mittelalter ein wichtiger Bestandteil der Ernährung.
Die türkischen Gastarbeiter haben jedoch zweifellos dazu beigetragen, die Popularität von Bohnen und Linsen in Deutschland neu zu beleben und die kulinarische Vielfalt zu erweitern. Sie brachten neue Geschmäcker und Zubereitungsmethoden mit, die die deutsche Esskultur bereicherten.
Die heutige Renaissance der Hülsenfrüchte zeigt, dass diese nahrhaften Lebensmittel auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der deutschen Ernährung spielen werden – sowohl als Teil traditioneller Gerichte als auch in innovativen, modernen Kreationen. Die Geschichte von Bohnen und Linsen in Deutschland ist also eine Geschichte von Kontinuität und Wandel, von Tradition und neuen Einflüssen. Es ist eine Geschichte, die zeigt, wie sich die deutsche Küche im Laufe der Zeit verändert und weiterentwickelt hat.