Ist die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?” im Vorstellungsgespräch ein peinliches Relikt?

Die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ ist ein Klassiker im Vorstellungsgespräch. Generationen von Bewerbern haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie am besten darauf antworten. Doch in einer sich rasant verändernden Arbeitswelt stellt sich die Frage: Ist diese altbekannte Frage noch zeitgemäß oder ein peinliches Relikt aus einer anderen Ära? In diesem Artikel beleuchten wir die Vor- und Nachteile dieser Frage, untersuchen, warum sie immer noch gestellt wird, und bieten alternative Ansätze für ein sinnvolleres Gespräch über Ihre berufliche Zukunft.

Der Ursprung und die ursprüngliche Intention der Frage

Die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ entstand in einer Zeit, in der Karrierewege oft linearer und vorhersehbarer waren. Unternehmen suchten nach Mitarbeitern, die langfristig an Bord bleiben und sich innerhalb der Organisation entwickeln wollten. Die Frage diente dazu, die Ambitionen, das Engagement und die realistischen Karrierevorstellungen des Bewerbers zu beurteilen. Sie gab Personalverantwortlichen einen Einblick, ob die Ziele des Bewerbers mit den Möglichkeiten und der Unternehmenskultur des Unternehmens übereinstimmten.

Warum die Frage heute problematisch sein kann

In der heutigen dynamischen Arbeitswelt ist die Frage jedoch nicht mehr so relevant wie früher. Mehrere Faktoren tragen dazu bei:

• Unsicherheit des Arbeitsmarktes: Technologische Fortschritte, automatisierte Prozesse und globale Wirtschaftstrends verändern den Arbeitsmarkt in einem rasanten Tempo. Viele Jobs, die heute existieren, werden in fünf Jahren vielleicht nicht mehr relevant sein. Es ist daher unrealistisch, von Bewerbern eine detaillierte Fünfjahresprognose zu erwarten.
• Veränderte Karrierevorstellungen: Junge Generationen haben oft andere Prioritäten als ihre Vorgänger. Sie legen Wert auf Flexibilität, Work-Life-Balance und sinnstiftende Arbeit. Ein langfristiger Karriereplan in einem einzigen Unternehmen ist für viele nicht mehr das primäre Ziel.
• Fokus auf kurzfristige Ziele: Unternehmen selbst agieren oft kurzfristiger und müssen sich schnell an veränderte Marktbedingungen anpassen. Die Frage nach der Fünfjahresperspektive kann daher als scheinheilig wahrgenommen werden, wenn das Unternehmen selbst keine klare langfristige Strategie hat.
• Potenzial für unehrliche Antworten: Viele Bewerber sind sich der Erwartungen bewusst und geben daher Antworten, die sie für das Unternehmen passend halten, anstatt ihre tatsächlichen Ambitionen zu offenbaren. Dies macht die Frage zu einem wenig aussagekräftigen Instrument.
• Druck und Nervosität: Die Frage kann unnötigen Druck auf Bewerber ausüben und zu Nervosität führen. Insbesondere Berufseinsteiger oder Quereinsteiger fühlen sich möglicherweise überfordert, eine überzeugende Antwort zu formulieren.

Warum Unternehmen die Frage trotzdem stellen

Trotz der genannten Nachteile stellen viele Unternehmen die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ weiterhin. Die Gründe dafür sind vielfältig:

• Tradition und Gewohnheit: Viele Personalverantwortliche haben die Frage im Laufe ihrer Karriere immer wieder gestellt und sehen sie als bewährte Methode an. Es kann schwierig sein, sich von etablierten Praktiken zu lösen.
• Beurteilung von Ambitionen und Engagement: Die Frage soll immer noch Aufschluss über die Motivation und das Interesse des Bewerbers an der Stelle und dem Unternehmen geben.
• Überprüfung der Realitätsnähe: Die Antwort kann Hinweise darauf geben, ob der Bewerber realistische Erwartungen an die Karriereentwicklung und die Möglichkeiten im Unternehmen hat.
• Ermittlung von Passung zur Unternehmenskultur: Die Antwort kann zeigen, ob die persönlichen Ziele des Bewerbers mit den Werten und der Ausrichtung des Unternehmens übereinstimmen.
• Einfache Messbarkeit (scheinbar): Die Frage bietet scheinbar eine einfache Möglichkeit, die Eignung eines Bewerbers für eine langfristige Anstellung zu beurteilen.

Alternative Ansätze für ein sinnvolleres Gespräch

Anstatt die stereotype Frage nach den fünf Jahren zu stellen, gibt es effektivere Methoden, um die beruflichen Ziele und Ambitionen eines Bewerbers zu ermitteln. Hier sind einige alternative Ansätze:

• Fokus auf kurzfristige Ziele: Fragen Sie nach den Zielen, die der Bewerber in den ersten 6-12 Monaten in der Position erreichen möchte. Dies gibt Ihnen einen konkreteren Einblick in seine Fähigkeiten und sein Engagement.
• Konzentration auf die Entwicklung von Fähigkeiten: Erkundigen Sie sich nach den Fähigkeiten, die der Bewerber in den nächsten Jahren entwickeln möchte, und wie diese zur Weiterentwicklung des Unternehmens beitragen können.
• Fragen nach den Karriereinteressen: Sprechen Sie über die Interessen und Leidenschaften des Bewerbers und wie diese mit den Möglichkeiten im Unternehmen in Einklang gebracht werden können.
• Szenariobasierte Fragen: Stellen Sie hypothetische Situationen vor und fragen Sie, wie der Bewerber in diesen Situationen handeln würde. Dies gibt Ihnen einen Einblick in seine Problemlösungsfähigkeiten und seine Fähigkeit, mit Herausforderungen umzugehen.
• Offene Fragen: Ermutigen Sie den Bewerber, über seine Karriereziele zu sprechen, ohne ihn auf einen bestimmten Zeitrahmen festzulegen. Lassen Sie ihn seine Vision von beruflicher Erfüllung darlegen.
• Gespräch über die Unternehmenskultur und Entwicklungsmöglichkeiten: Beschreiben Sie die Entwicklungsmöglichkeiten innerhalb des Unternehmens und fragen Sie, welche davon für den Bewerber besonders interessant sind.

Wie Bewerber auf die Frage antworten können (wenn sie gestellt wird)

Auch wenn die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ nicht ideal ist, sollten Bewerber darauf vorbereitet sein, sie zu beantworten. Hier sind einige Tipps:

• Seien Sie ehrlich und authentisch: Versuchen Sie, eine ehrliche Antwort zu geben, die Ihre tatsächlichen Ambitionen widerspiegelt, auch wenn diese nicht perfekt mit den Erwartungen des Unternehmens übereinstimmen.
• Verbinden Sie Ihre Ziele mit dem Unternehmen: Zeigen Sie, wie Ihre Ziele mit den Zielen und der Mission des Unternehmens in Einklang stehen. Erklären Sie, wie Sie zum Erfolg des Unternehmens beitragen können.
• Fokus auf Entwicklung und Lernen: Betonen Sie Ihren Wunsch, sich weiterzuentwickeln und neue Fähigkeiten zu erlernen. Zeigen Sie, dass Sie bereit sind, sich an veränderte Anforderungen anzupassen.
• Seien Sie realistisch und bescheiden: Vermeiden Sie unrealistische oder übertriebene Aussagen. Zeigen Sie, dass Sie sich Ihrer Stärken und Schwächen bewusst sind.
• Stellen Sie Gegenfragen: Nutzen Sie die Gelegenheit, um mehr über die Karrieremöglichkeiten im Unternehmen zu erfahren. Fragen Sie nach den Entwicklungsperspektiven und den Erwartungen an die Position.

Fazit: Ein Umdenken ist erforderlich

Die Frage „Wo sehen Sie sich in 5 Jahren?“ ist in ihrer ursprünglichen Form ein peinliches Relikt einer vergangenen Ära. Sie ist oft wenig aussagekräftig und kann zu unnötigem Druck und unehrlichen Antworten führen. Unternehmen sollten sich von dieser stereotypen Frage lösen und stattdessen auf sinnvollere Gespräche über die beruflichen Ziele, Fähigkeiten und Interessen der Bewerber konzentrieren. Durch den Fokus auf kurzfristige Ziele, Entwicklungsperspektiven und die Passung zur Unternehmenskultur können Unternehmen ein besseres Bild von der Eignung eines Bewerbers gewinnen. Für Bewerber gilt es, sich auf die Frage vorzubereiten, aber auch proaktiv alternative Themen anzusprechen, um ein ehrliches und konstruktives Gespräch zu fördern. Ein Umdenken ist erforderlich, um Vorstellungsgespräche zeitgemäßer und effektiver zu gestalten.